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  BFH-Urteil vom 26.8.1993 (V R 45/89) BStBl. 1993 II S. 887

Ein Krankenpflegehelfer, der auf dem Gebiet der ambulanten Pflege (Hauskrankenpflege) tätig ist, übt keinen Beruf aus, der einem der in § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980 genannten Heilberufe/Heilhilfsberufe ähnlich ist.

UStG 1980 § 4 Nr. 14 Satz 1; KrPflG 1985 § 4 Abs. 2, § 11 Abs. 3 Satz 3; SGB V § 37.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), betrieb im Streitjahr (1986) die "häusliche Krankenpflege". Ein Gesellschafter war berechtigt, die Krankenpflege unter der Bezeichnung "Krankenpfleger" auszuüben. Der andere Gesellschafter besaß die Erlaubnis, die Krankenpflegehilfe unter der Berufsbezeichnung "Krankenpflegehelfer" auszuüben.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Umsätze aus ihrer Tätigkeit seien nach § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 steuerfrei. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) hingegen setzte gegen die Klägerin in dem angefochtenen Bescheid Umsatzsteuer fest. Das FA verweigerte die Steuerfreiheit mit der Begründung, nach Abschn. 90 Abs. 6 der Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) sei nur die selbständige Tätigkeit eines Krankenpflegers ein "ähnlicher Heilberuf" i. S. von § 4 Nr. 14 UStG 1980. Die Tätigkeit eines Krankenpflegehelfers könne der eines Krankenpflegers nicht gleichgestellt werden. Eine Personengesellschaft - wie die Klägerin - könne die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG 1980 nur beanspruchen, wenn sämtliche Gesellschafter die nach dieser Vorschrift erforderliche berufliche Qualifikation aufwiesen.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt. Zur Begründung führte es aus: Wie der Krankenpfleger werde auch der selbständig tätige Krankenpflegehelfer auf dem Gebiet der Krankenpflege tätig, durch die Krankheiten gelindert, jedenfalls aber vorbeugende Gesundheitspflege betrieben werde. Der Unterschied zum Krankenpfleger bestehe nur darin, daß seine Ausbildung kürzer sei und deshalb nicht so in die Tiefe und in die Breite gehe. Zahlreiche pflegebedürftige Personen bedürften nur relativ einfacher Pflegemaßnahmen, wie z. B. Umbetten, Waschen, Wechseln von Verbänden und dergleichen. Für diese Maßnahmen reiche die Versorgung durch einen Krankenpflegehelfer völlig aus. Kompliziertere Versorgungsmaßnahmen, wie etwa die Verabreichung von Spritzen oder die Mobilisierung von Gelenken, seien dagegen dem Krankenpfleger vorbehalten. Durch § 4 Nr. 14 UStG 1980 solle jeder Selbständige, der sich mit der Heilkunde im weiteren Sinne befasse, begünstigt werden, und zwar ohne Beschränkung auf besonders hochwertige oder eine besondere Qualifikation erfordernde Tätigkeiten. Entscheidend sei, daß der Krankenpflegehelfer die Erlaubnis besitze, selbständig auf dem Gebiet der Heilkunde tätig zu sein.

Für die Kranken sei im Einzelfalle zur Bewältigung des täglichen Lebens die Hilfe eines Krankenpflegehelfers oft wichtiger als der Besuch durch den Arzt. Auch gebe es in der Bundesrepublik Deutschland einen hohen Bedarf an zusätzlichen Pflegekräften. Der Zweck des Gesetzes gehe erkennbar dahin, Leistungen auf dem Gebiet der Heilkunde allgemein steuerlich zu begünstigen, um die Leistungsempfänger und insbesondere die Träger der Sozialversicherung finanziell zu entlasten. Unter diesem Blickwinkel ergebe es keinen Sinn, für die überwiegend erforderlichen einfachen pflegerischen Maßnahmen diese Entlastung auszuschließen.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Es macht geltend: Nach Ausbildungsdauer, Ausbildungsziel und Tätigkeit, die lediglich in der Versorgung von Kranken bestehe, sei der Beruf des Krankenpflegehelfers mit den Berufen des Arztes, des Krankengymnasten und des Krankenpflegers nicht vergleichbar.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin tritt der Revision entgegen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet.

1. Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980 sind u. a. die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei.

Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Klägerin Steuerbefreiung nur dann beanspruchen kann, wenn alle Gesellschafter die nach der bezeichneten Vorschrift erforderliche berufliche Qualifikation aufweisen (zu § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11. Juni 1985 VIII R 254/80, BFHE 144, 62, BStBl II 1985, 584). Der Auffassung des FG, ein Krankenpflegehelfer übe eine den in § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980 genannten Berufen ähnliche heilberufliche Tätigkeit aus, vermag der Senat nicht zu folgen.

2. Ein Beruf ist dann einem Katalogberuf ähnlich, wenn er in wesentlichen Punkten mit ihm verglichen werden kann; das ist der Fall, wenn das typische Bild des Katalogberufs mit seinen wesentlichen Merkmalen dem Gesamtbild des zu beurteilenden Berufs vergleichbar ist. Dazu gehört sowohl die Vergleichbarkeit der jeweils ausgeübten Tätigkeit nach den sie charakterisierenden Merkmalen als auch die Vergleichbarkeit der Ausbildung und der Bedingungen, an die das Gesetz die Ausübung des zu vergleichenden Berufs knüpft (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteile vom 21. Juni 1990 V R 97/84, BFHE 161, 196, BStBl II 1990, 804, und vom 1. September 1988 V R 195/83, BFH/NV 1989, 201, jeweils m. w. N.).

3. Nach den dargelegten rechtlichen Anforderungen ist der Beruf eines Krankenpflegehelfers mit keinem der im Gesetz genannten Berufe vergleichbar.

a) Der Krankenpflegehelfer übt einen Heilhilfsberuf (vgl. dazu Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 25. Juni 1970 I C 53.66, BVerwGE 35, 308, 312) aus (vgl. § 1 Nr. 15 der Verordnung über die Ausbildungsförderung für den Besuch von Ausbildungsstätten für Heilhilfsberufe i. d. F. vom 25. Juni 1974, BGBl I 1974, 1346). Als Vergleichsberufe kommen deshalb die in § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980 genannten Heilhilfsberufe des Krankengymnasten und der Hebamme (vgl. § 1 Nrn. 6 und 14 der bezeichneten Verordnung) in Betracht. Soweit dabei für den Vergleich Rechtsvorschriften heranzuziehen sind, ist die Rechtslage im Streitjahr maßgebend (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1989, 201).

b) Nach der ausgeübten Tätigkeit ist der Beruf des Krankenpflegehelfers den Berufen des Krankengymnasten und der Hebamme nicht vergleichbar.

Krankengymnasten, früher Heilgymnasten genannt, führen im wesentlichen Maßnahmen der Bewegungstherapie, der physikalischen Therapie und Massagen zur Behandlung verschiedener Krankheitsbilder durch (vgl. § 1 Abs. 1 und Anlg. 1 zu § 1 Abs. 2 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Krankengymnasten - AusbVKrankengymnasten - i. d. F. vom 25. Juni 1971, BGBl I 1971, 847). Hebammen (bzw. Entbindungspfleger) überwachen den Geburtsvorgang, leisten Hilfe bei der Geburt und überwachen den Wochenbettverlauf; nur sie sind außer Ärzten zur Leistung von Geburtshilfe berechtigt (vgl. § 4 des Gesetzes über den Beruf der Hebamme und des Entbindungspflegers - Hebammengesetz - vom 4. Juni 1985, BGBl I 1985, 902). Gemeinsam ist Krankengymnasten und Hebammen, daß sie auf einem bestimmten Gebiet umfassend und eigenverantwortlich, und zwar zur Behandlung von Krankheiten (Krankengymnasten) bzw. anstelle des Arztes (Hebamme) tätig werden.

Davon gänzlich verschieden ist die Tätigkeit des Krankenpflegehelfers. Sie umfaßt die Versorgung der Kranken sowie die damit verbundenen hauswirtschaftlichen und sonstigen Assistenzaufgaben in Stations-, Funktions- und sonstigen Bereichen des Gesundheitswesens (§ 4 Abs. 2 des Gesetzes über die Berufe in der Krankenpflege - KrPflG - vom 4. Juni 1985, BGBl I 1985, 893). Dabei ist Versorgung zu verstehen als sog. grundpflegerische Versorgung (vgl. § 19 Abs. 1 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Berufe in der Krankenpflege - KrPflAPrV - vom 16. Oktober 1985, BGBl I 1985, 1973).

c) Aus diesen Bestimmungen und aus dem Vergleich zu dem in § 4 Abs. 1 KrPflG 1985 umschriebenen Aufgabenbereich des Krankenpflegers (verantwortliche Mitwirkung bei der Verhütung, Erkennung und Heilung von Krankheiten) ergibt sich, daß der Krankenpflegehelfer unterstützende Hilfstätigkeiten ausübt, wie schon die Berufsbezeichnung aussagt, und daß er auf dem Gebiet der Krankenpflege - bei typisierender Betrachtung - lediglich im Teilbereich der grundpflegerischen Versorgung, nicht im Rahmen der Verhütung, Erkennung und Heilung von Krankheiten, tätig wird. Ihm obliegen etwa folgende Aufgaben: Sorgen für Sauberkeit und Ordnung im Krankenzimmer, Herrichten der Betten, Grundpflege der Patienten, Mithilfe bei der speziellen Pflege, Patientenbeobachtung und Berichterstattung, Durchführen von physikalischen Therapiemaßnahmen, Ausführen einfacher ärztlicher Anweisungen und Verordnungen, Mithilfe bei der Aufnahme, Verlegung und Entlassung von Patienten, Vorbereitung und Mithilfe bei therapeutischen Maßnahmen sowie Durchführen von Nachtwachen (vgl. berufskundliche Kurzbeschreibung des Krankenpflegehelfers, herausgegeben von der Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg; Richtlinien der Deutschen Krankenhausgesellschaft für den Beruf und die Ausbildung der Pflegehelferin, abgedruckt bei Kurtenbach/Golombek/Siebers, Krankenpflegegesetz, Kommentar, S. 206).

Diese Tätigkeitsmerkmale gelten grundsätzlich ebenfalls für die Krankenpflegehilfe in der ambulanten Pflege (Hauskrankenpflege), auf die sich die Ausbildung der Krankenpflegehelfer auch erstrecken soll (vgl. § 11 Abs. 3 Satz 3 KrPflG 1985). Weder das KrPflG 1985 noch die KrPflAPrV enthalten für diesen Bereich eine abweichende Beschreibung des Ausbildungsziels oder der Prüfungsbestimmungen und damit des Aufgabenbereichs.

d) Bestätigt wird dies durch die gesetzliche Regelung der häuslichen Krankenpflege in § 37 des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Krankenversicherung - vom 20. Dezember 1988, BGBl I 1988, 2477 - SGB V -). Danach umfaßt die häusliche Krankenpflege die im Einzelfall erforderliche Grund- und Behandlungspflege sowie hauswirtschaftliche Versorgung. Dabei werden unter dem Begriff der Behandlungspflege medizinische Hilfeleistungen, wie Injektionen und Dekubitusbehandlung verstanden (vgl. Mengert in Peters, Handbuch der Krankenversicherung Teil II Bd. 1, 19. Aufl., SGB V, § 37 Rz. 34, 35; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, Kommentar, 3. Aufl., SGB V, § 37 Rz. 7). Die Behandlungspflege kann nur von besonders geschultem Pflegepersonal, wie etwa Krankenschwestern, geleistet werden (Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 20. März 1984 8 RK 28/83, Praxis 1984, 336, Die Leistungen 1985, 264; vgl. auch Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 8. Mai 1979 VI ZR 58/78, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1979, 1935).

e) Auch hinsichtlich der Ausbildung bestehen nach Zugangsvoraussetzungen, Dauer und Inhalt entscheidende Unterschiede zwischen den Berufen des Krankengymnasten und der Hebamme einerseits und dem Beruf des Krankenpflegehelfers andererseits.

Zum Krankengymnasten oder zur Hebamme kann grundsätzlich nur ausgebildet werden, wer einen Realschulabschluß oder eine gleichwertige Schulbildung nachweist (vgl. § 8 Abs. 2 AusbVKrankengymnasten sowie § 7 Hebammengesetz). Die Ausbildung zum Krankenpflegehelfer erfordert dagegen lediglich den Hauptschulabschluß oder eine gleichwertige Schulbildung oder eine abgeschlossene Berufsausbildung (§ 10 Abs. 3 KrPflG 1985).

Die theoretische und praktische Ausbildung der Krankengymnasten und der Hebammen dauert jeweils drei Jahre (vgl. §§ 8 und 10 des Gesetzes über die Ausübung der Berufe des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten - MMBKG - i. d. F. vom 27. Juni 1985, BGBl I 1985, 1249, sowie § 6 Abs. 1 Hebammengesetz). Demgegenüber wird ein Krankenpflegehelfer nur ein Jahr lang ausgebildet (§ 10 Abs. 1 KrPflG 1985).

Schließlich ist die Ausbildung zum Krankengymnasten und zur Hebamme entsprechend den später ausgeübten Tätigkeiten inhaltlich anspruchsvoller und mehr auf medizinisches Wissen hin ausgelegt als die Ausbildung der Krankenpflegehelfer, wie sich aus den einschlägigen Ausbildungs- und Prüfungsordnungen ergibt.

4. Die dargelegten Unterschiede in Tätigkeit und Ausbildung schließen eine Vergleichbarkeit des Krankenpflegehelfers mit den Berufen des Krankengymnasten und der Hebamme aus. Ob die Berufe hinsichtlich der Bedingungen für die Berufsausübung (vgl. dazu Senatsurteil in BFHE 161, 196, BStBl II 1990, 804, unter II. 2 b) vergleichbar sind, kann offenbleiben. Eine Ähnlichkeit in den Berufsausübungsbedingungen allein würde nicht die Annahme der Berufsähnlichkeit rechtfertigen können. Denn das Berufsbild wird durch sämtliche Berufsmerkmale geprägt (vgl. Senatsurteil in BFHE 161, 196, BStBl II 1990, 804, unter II. 1.). Dazu gehört - wie dargelegt - auch die ausgeübte Tätigkeit und die Ausbildung.

Damit kann nicht der Rechtsansicht des FG gefolgt werden, für die Anwendbarkeit des § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980 im Streitfall genüge, daß ein Krankenpflegehelfer befugt sei, selbständig die Heilkunde im weiteren Sinne auszuüben. Auch der Zweck der Vorschrift (Entlastung der Sozialversicherungsträger), auf den sich das FG ferner gestützt hat, rechtfertigt eine Ausweitung des gesetzlichen Tatbestandes nicht, wie der Senat bereits im Urteil vom 25. März 1977 V R 144/77, BFHE 122, 181, BStBl II 1977, 579 dargelegt hat.

5. Ob der Beruf des Krankenpflegehelfers dem des Krankenpflegers vergleichbar ist, wovon die Vorentscheidung ausgeht, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Der Krankenpfleger ist im Gesetz nicht als Vergleichsberuf genannt. Es kann deshalb im Streitfall dahinstehen, ob der selbständig tätige Krankenpfleger eine ähnliche heilberufliche Tätigkeit i. S. des § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980 ausübt, wie dies - teilweise mit Einschränkungen - von der Finanzverwaltung und in der Literatur angenommen wird (vgl. z. B. UStR 1992 Abschn. 90 Abs. 6; List in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 14 Rz. 6 a. E.).

6. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Klage ist abzuweisen.