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  BFH-Urteil vom 2.7.1993 (III R 70/92) BStBl. 1994 II S. 102

Ein Zeitsoldat mit dem Dienstgrad des Oberfähnrichs bzw. Leutnants, der zum Studium der Pädagogik an eine Hochschule der Bundeswehr abkommandiert ist, befindet sich nicht in Berufsausbildung i. S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG.

EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1.

Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG

Sachverhalt

Der Sohn J der verheirateten Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) ist Zeitsoldat mit dem Ziel, Berufssoldat zu werden. Im Streitjahr 1990 war er zunächst Offiziersanwärter (Dienstgrad: Oberfähnrich). Am .... Februar 1990 bestand er an der Offiziersschule des Heeres die Offiziersprüfung; am .... Juli 1990 wurde er zum Leutnant ernannt. Seit dem .... Oktober 1990 studiert er an der Universität der Bundeswehr in Hamburg Pädagogik. In den Versetzungs- und Abkommandierungsverfügungen einschließlich der Abkommandierung zur Universität wird J als "Schüler" bezeichnet.

In ihrer Einkommensteuererklärung für 1990 beantragten die Kläger die Gewährung eines Kinderfreibetrags für J. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte für J keinen Kinderfreibetrag, weil dieser den Beruf eines Soldaten ausgeübt habe und deshalb nicht i. S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) für einen Beruf ausgebildet worden sei.

Zur Begründung ihrer nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage trugen die Kläger vor, J habe sich bis zu seiner Beförderung zum Leutnant noch in der Ausbildung zum Berufsoffizier befunden. Als Offiziersanwärter sei er Schüler der Offiziersschule des Heeres gewesen. Während dieser Zeit sei er aus dem Truppendienst und seiner Stammeinheit herausgelöst und nicht berufstätig gewesen. Die Ernennung zum Offizier setze nach den einschlägigen Laufbahnvorschriften ähnlich wie die Beförderung zum Inspektor in der Beamtenlaufbahn eine langjährige Ausbildung voraus. Neben dieser Ausbildung könne - jedenfalls während des Lehrgangsbesuchs - keine praktische Arbeit geleistet werden.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus: Als Berufsausbildung i. S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG sei die Ausbildung für einen künftigen Beruf anzusehen; in Berufsausbildung befinde sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht habe, sich aber ernstlich darauf vorbereite. Deshalb sei die Berufsausbildung nicht schon stets als abgeschlossen anzusehen, wenn die Mindestvoraussetzungen für einen Beruf erfüllt seien. So befinde sich derjenige noch in Berufsausbildung, der sich in unmittelbarem Anschluß an die Berufsausbildung einer Zusatzausbildung unterziehe oder der zwar einer Beschäftigung bereits nachgehe, die aber als Ausbildungsdienstverhältnis (z. B. Beamtenanwärterausbildung, Referendarzeit) zu qualifizieren sei.

Bei der Auslegung der Vorschriften des § 32 Abs. 4 bis 6 EStG sei zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber bei der Zuordnung von Kindern typisierend davon ausgehe, daß regelmäßig eine finanzielle Belastung der Eltern durch die Kinder bestehe, die durch einkommensteuerliche Vergünstigungen in gewisser Weise ausgeglichen werden solle. Auch bei einem über 18, aber noch nicht 28 Jahre alten Kind unterstelle das Gesetz, daß es während seiner Berufsausbildung die steuerliche Leistungsfähigkeit seiner Eltern mindere, und zwar auch dann, wenn es über eigene Einkünfte verfüge, die zur Bestreitung seines Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet seien. Allerdings liege der Fall einer vom Gesetz typisierend unterstellten Belastung der Eltern nicht vor, wenn das Kind zwar weiterhin ein höhergestecktes Berufsziel anstrebe, dabei aber einen Beruf ausübe, wie er von vielen Steuerpflichtigen als Dauerberuf ausgeübt werde und ausgeübt werden könne.

Im Streitfall habe J aber - jedenfalls bis zu seiner Ernennung zum Leutnant - keine Tätigkeit ausgeübt, die von vielen Steuerpflichtigen als Dauerberuf ausgeübt werde. Er sei vielmehr als Offiziersbewerber bzw. Offiziersanwärter für den Beruf eines Offiziers der Bundeswehr ausgebildet worden. An diesem Ergebnis ändere auch der Umstand nichts, daß J als Oberfähnrich vom Kläger nicht mehr unterhalten werden müsse.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG. Es macht geltend:

Das FG gehe zutreffend davon aus, daß der Fall einer vom Gesetz typisierend unterstellten Belastung der Eltern durch ein sich in der Berufsausbildung befindendes Kind nicht vorliege, wenn das Kind zwar weiterhin ein höhergestecktes Berufsziel anstrebe, dabei aber einen Beruf ausübe, der von vielen Steuerpflichtigen als Dauerberuf ausgeübt werde und ausgeübt werden könne. In einem solchen Fall sei es nicht gerechtfertigt, ein Kind mit der Folge steuerlicher Vergünstigungen zu berücksichtigen, nur weil es ein höhergestecktes Berufsziel erstrebe. Zu Unrecht habe das FG hier einen derartigen Fall verneint. Der Sohn der Kläger habe vielmehr den Beruf des Soldaten ausgeübt, wie er von allen länger dienenden Soldaten der Bundeswehr ausgeübt werde.

Der Umstand, daß J innerhalb dieser Berufsausübung das höhergesteckte Ziel des Offiziers anstrebe, ändere nichts an der Wertung, daß er auch weiterhin den Beruf des Soldaten ausübe und entsprechend besoldet werde. Die Auffassung des FG würde dazu führen, daß Eltern von Soldaten, die eine Offizierslaufbahn anstreben, aber dem Offiziersanwärter vergleichbar besoldet werden, keinen Kinderfreibetrag erhielten, während dieser den Eltern eines Offiziersanwärters in wirtschaftlich identischer Situation und bei ebenfalls fehlender Unterstützungsbedürftigkeit durch die Eltern gewährt werde.

Das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit könne auch nicht mit dem Ausbildungsverhältnis eines Beamten des gehobenen Dienstes in der Finanzverwaltung verglichen werden. Denn im Falle des Finanzanwärters handle es sich um ein Beamtenverhältnis auf Widerruf, das ausschließlich zum Zweck der Ausbildung begründet werde, während deren Dauer der Beamte Anwärterbezüge erhalte, und das mit Abschluß der Ausbildung ende.

Die Kläger meinen, entgegen der Auffassung des FA könne man nicht den besonderen und langwierigen Abschnitt der Offiziersausbildung als Fortbildung abqualifizieren. Dies sei bereits mit dem Wortlaut des Gesetzes, der stets auch die Grenze der Auslegung darstelle, unvereinbar. Die berufliche Aufgabe des Offiziers bestehe darin, die ihm untergebenen Soldaten zu führen, sie auszubilden und zu erziehen. Diese Tätigkeit übe ein Offiziersanwärter während des Besuchs der Offiziersschule nicht aus. Er werde vielmehr auf die späteren Aufgaben im Sinne einer Ausbildung vorbereitet.

Es sei auch nicht möglich, Soldaten auf Zeit und Offiziersanwärter gleichzustellen. Nur die wenigsten Soldaten auf Zeit würden nämlich Offiziersanwärter, da diese nach § 18 der Soldatenlaufbahnverordnung weitere Voraussetzungen erfüllen und sich für eine Mindestdienstzeit von drei Jahren verpflichten müßten. Entscheidend sei dabei, daß J sich ausschließlich zu dem Zweck verpflichtet habe, als Offiziersanwärter eine entsprechende Ausbildung durchlaufen zu können. Er müsse daher steuerlich genauso behandelt werden, wie dies bei Beamtenanwärtern für unterschiedliche Laufbahnen angenommen werde.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.

Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG ist ein Kind, das zu Beginn des Kalenderjahres das 16. Lebensjahr, aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, zu berücksichtigen, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird. Der Sohn J der Kläger erfüllte im Streitjahr diese Voraussetzung nicht.

In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. November 1972 VI R 309/70, BFHE 107, 450, BStBl II 1973, 139). Hierbei wird das Berufsziel weitgehend von den Vorstellungen der Eltern und des Kindes bestimmt, so daß eine kontinuierlich durchgeführte Ausbildung noch Berufsausbildung sein kann, wenn sie sich in mehreren Stufen vollzieht, von denen zwar an sich schon jede einzelne die Befähigung zur Berufsausübung vermittelt, das angestrebte Ziel aber noch nicht erreicht ist (vgl. BFH-Urteil vom 8. November 1972 VI R 54/70, BFHE 107, 447, BStBl II 1973, 138). Dagegen befindet sich nach der Entscheidung des VI. Senats des BFH vom 11. Oktober 1984 VI R 69/83 (BFHE 142, 140, BStBl II 1985, 91, zu § 32 Abs. 6 Nr. 1 EStG 1975 ff., jetzt § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG) nicht mehr in Berufsausbildung, wer zur Vorbereitung auf ein höhergestecktes Berufsziel einen Beruf ausübt, der von vielen als Dauerberuf ausgeübt wird oder ausgeübt werden kann. Der VI. Senat hat hierzu weiter ausgeführt, in einem solchen Fall liege eine vom Gesetz typisierend unterstellte Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern durch das in Berufsausbildung befindliche Kind nicht vor. Es sei nicht gerechtfertigt, Eltern steuerlich zu entlasten, deren Kind ein höhergestecktes Berufsziel anstrebt, während anderen Eltern für ein Kind, das den Beruf unter sonst gleichen Bedingungen, aber ohne den Wunsch nach einer weiteren Qualifikation ausübt, eine Entlastung versagt werde.

Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Sie führt im Streitfall zur Verneinung einer Berufsausbildung i. S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG, weil sich die Ausbildung von J im Rahmen eines den vollen Lebensunterhalt sicherstellenden Dienstverhältnisses vollzog.

J war zu Beginn des Streitjahres Offiziersanwärter und bestand am .... Februar 1990 die Offiziersprüfung. Er hatte jedoch seit Beginn des Streitjahres bereits den Dienstgrad eines Oberfähnrichs. Mithin übte er den Beruf eines Soldaten auf Zeit aus; er unterschied sich von anderen, gleichbesoldeten Soldaten nur dadurch, daß er noch das höhergesteckte Berufsziel eines Offiziers verfolgte. Dieser Umstand bewirkt nicht, daß die beruflichen Verhältnisse vornehmlich durch das gesteckte Ausbildungsziel gekennzeichnet wären. Sie sind vielmehr durch die rechtliche und wirtschaftliche Stellung eines Zeitsoldaten als eines auf eine gewisse Dauer angelegten Berufs geprägt.

Der Senat neigt dazu, Soldaten auf Zeit, die Offiziersanwärter sind und Offiziere werden wollen, - anders als Beamtenanwärter - generell nicht mehr als in Ausbildung befindlich anzusehen. Im Streitfall braucht er diese Frage jedoch nicht abschließend zu entscheiden. Denn nach den Feststellungen des FG, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden ist, hatte J seit Beginn des Streitjahres bereits den Dienstgrad eines Oberfähnrichs. Diesem Dienstgrad entspricht eine relativ hohe Besoldung, die mit derjenigen eines Beamtenanwärters nicht vergleichbar ist. Ein Beamtenanwärter erhält vielmehr Anwärterbezüge (§ 59 des Bundesbesoldungsgesetzes), die nur bezwecken, die wirtschaftliche Lage dieses Beamten im Vorbereitungsdienst zu erleichtern, nicht aber, seinen Unterhalt sicherzustellen (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 9. März 1989 - 2 C 59.86, m. w. N. in Schütz, Entscheidungssammlung Beamtenrecht, ES/CI2). Bei J war dies aufgrund seiner Besoldung als Oberfähnrich anders. Das FG hat zudem ausdrücklich festgestellt, daß J als Oberfähnrich nicht mehr vom Kläger unterhalten werden mußte.

Auf die Bedeutung, die der A r t der Vergütung für die Auslegung des Begriffs der Berufsausbildung i. S. des § 2 Abs. 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) zukommt, hat auch das Bundessozialgericht - BSG - (Urteil vom 19. Dezember 1974 8/7 RKg 6/73, Sozialrecht - SozR - 5870 § 2 BKGG Nr. 2, m. w. N.) hingewiesen. Damit besteht (insoweit) Einheitlichkeit in der Auslegung der weder im BKGG noch im EStG näher bestimmten Merkmale der Berufsausbildung. Der Senat ist der Auffassung, daß eine einheitliche Auslegung wegen des sog. dualen Systems des Kinderlastenausgleichs durch Gewährung von Kindergeld und steuerlichen Entlastungen in Form des Kinderfreibetrags wünschenswert und geboten ist.

Der Würdigung, daß die rechtliche und wirtschaftliche Stellung des J im Streitjahr nicht durch seine Ausbildung, sondern durch seine berufliche Stellung als Zeitsoldat geprägt war, widerspricht es nicht, daß die von J ausgeübte Tätigkeit nicht derjenigen anderer Zeitsoldaten entsprach, sondern durch die Ausbildung bestimmt war. Entscheidend ist nicht die ausgeübte Tätigkeit als solche, sondern ob diese im Rahmen eines - auf eine gewisse Dauer angelegten - Berufs ausgeübt wird oder nicht. Entgegen der Annahme des FG kommt es auch nicht darauf an, ob J seine Tätigkeit im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses ausgeübt hat. Zwar sind Aufwendungen, die im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses im Hinblick auf das Ausbildungsziel getätigt werden, Werbungskosten (BFH-Urteil vom 7. August 1987 VI R 60/84, BFHE 150, 435, BStBl II 1987, 780, m. w. N.). Aus der Rechtsprechung zur Abgrenzung von - nicht als Werbungskosten berücksichtigungsfähigen - Ausbildungskosten zu einschlägigen Werbungskosten kann jedoch für die hier zu treffende Abgrenzung nichts hergeleitet werden. Darauf hat bereits der VI. Senat in seinem Urteil in BFHE 142, 140, BStBl II 1985, 91 für die Abgrenzung von Ausbildungskosten zu den als Werbungskosten berücksichtigungsfähigen Fortbildungskosten hingewiesen. Der Senat schließt sich dem vorerwähnten Urteil des VI. Senats auch insoweit an.

Die Vorentscheidung, die der Rechtsauffassung des Senats nicht entspricht, ist aufzuheben. Die Sache ist spruchreif, so daß die Klage abgewiesen werden muß (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).