| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 10.11.1993 (I R 53/91) BStBl. 1994 II S. 218

Der Verleiher von Arbeitnehmern, die an Bord von Seeschiffen eingesetzt werden, ist nicht Unternehmen i. S. des Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern.

DBA-Zypern Art. 15 Abs. 3.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind im Inland wohnende Eheleute. Der Kläger ist von Beruf Kapitän. Er war bis zum 27. September 1988 bei einer bremischen Reederei angestellt. Am 19. September 1988 schloß er einen Arbeitsvertrag mit der Firma N, Zypern. Er bezog aus diesem Arbeitsverhältnis im Streitjahr 1988 einen Arbeitslohn in Höhe von .... DM. Die Firma N war eine Arbeitnehmerverleihfirma. Sie verlieh den Kläger 1988 an die Reederei R, Curacao, Niederländische Antillen. Für dieses Unternehmen war der Kläger als Kapitän im internationalen Seeverkehr tätig.

Im Einkommensteuerbescheid 1988 bezog der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) den von der N gezahlten Arbeitslohn in die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Tätigkeit mit ein. Einspruch und Klage, in denen die Kläger die Auffassung vertraten, daß der aus dem Arbeitsverhältnis mit dem zypriotischen Unternehmen bezogene Arbeitslohn nicht der deutschen Einkommensteuer unterliege, blieben erfolglos.

Mit ihrer Revision beantragen die Kläger unter Berufung auf Art. 15 Abs. 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Zypern zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 9. Mai 1974 - DBA-Zypern - (BGBl II 1977, 489), das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts (FG) aufzuheben und unter Abänderung des Einkommensteuerbescheides 1988 in Form der Einspruchsentscheidung, geändert durch den Bescheid vom ...., die Einkommensteuer auf .... DM festzusetzen, hilfsweise, das Verfahren zur anderweitigen Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA und der dem Verfahren beigetretene Bundesminister der Finanzen (BMF) beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.

Der im Inland wohnhafte Kläger ist gemäß § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) mit allen von ihm erzielten Einkünften unbeschränkt steuerpflichtig. Hierunter fallen auch Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit, die der Kläger im Ausland ausübte (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. Januar 1986 I R 109/85, BFHE 146, 141, BStBl II 1986, 442). Der steuerlichen Erfassung dieser Einkünfte im Inland steht kein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) entgegen. Mit den Niederländischen Antillen hat die Bundesrepublik kein DBA abgeschlossen. Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern schließt das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik nicht aus.

Gemäß Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Zypern werden bei einer in der Bundesrepublik ansässigen Person von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer u. a. die Einkünfte aus Zypern ausgenommen, die nach dem Abkommen in Zypern besteuert werden können. Die dem Kläger von dem zypriotischen Unternehmen N gezahlte Vergütung kann von der Republik Zypern nicht besteuert werden. Insbesondere ergibt sich aus Art. 15 DBA-Zypern kein Besteuerungsrecht Zyperns.

1. Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 DBA-Zypern können - vorbehaltlich der hier nicht eingreifenden Art. 16, 18 und 19 - Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat (= Wohnsitzstaat) besteuert werden, es sei denn, daß die Arbeit in dem anderen Staat (hier: Zypern) ausgeübt wird. Da der Kläger nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) seine Tätigkeit nicht in Zypern ausgeübt hat, verbleibt es nach dem DBA-Zypern bei dem Besteuerungsrecht der Bundesrepublik als Wohnsitzstaat.

2. Ein Besteuerungsrecht der Republik Zypern ergibt sich nicht aus Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern. Danach können - ungeachtet des Art. 15 Abs. 1 und 2 - Vergütungen für unselbständige Arbeit, die an Bord eines Seeschiffs oder Luftfahrzeugs im internationalen Verkehr ausgeübt wird, in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet. Folglich hätte die Republik Zypern das Besteuerungsrecht für die Einkünfte des Klägers aus unselbständiger Arbeit, wenn als "Unternehmen" im Sinne der Vorschrift die N als Verleiher von Arbeitskräften angesehen werden könnte. Die notwendige Auslegung des Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern ergibt jedoch, daß dies nicht der Fall ist.

a) Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern, der Art. 15 Abs. 3 der OECD-Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung des Einkommens und des Vermögens von 1963/1977 (OECD-MustAbk) entspricht, erfaßt die Vergütungen, die ein Arbeitnehmer von der Reederei als seinem Arbeitgeber bezieht. In diesem Fall ist der Reeder zugleich der Arbeitgeber. Da in diesem Fall schon aus tatsächlichen Gründen kein drittes Unternehmen als "Unternehmen" i. S. des Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern in Frage kommt, ist "Unternehmen" die das Besatzungsmitglied anstellende Reederei. Die N ist nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) Arbeitnehmerverleihunternehmen. Sie unterhält folglich kein Schiffahrtunternehmen.

b) Fallen - untypischerweise - Arbeitgeber und Schiffsbetreiber aufgrund einer anerkannten Arbeitnehmerüberlassung auseinander (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 21. August 1985 I R 63/80, BFHE 144, 428, BStBl II 1986, 4, mit weiteren Nachweisen), so kann Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern nicht entnommen werden, ob diese Vorschrift überhaupt noch einschlägig ist, bejahendenfalls, ob der Arbeitskräfteverleiher oder der Reeder "Unternehmen" ist, auf dessen Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung abzustellen ist. Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern ist daher entsprechend den allgemeinen Grundsätzen bei Auslegung von DBA nach dem Wortlaut und den Definitionen des Abkommens, dem Sinn und Vorschriftenzusammenhang innerhalb des Abkommens und ggf. den Begriffsbestimmungen des innerstaatlichen Rechts auszulegen (vgl. BFH in BFHE 144, 428, BStBl II 1986, 4). Die Besonderheit des Streitfalles besteht darin, daß es nicht um die Frage geht, was als "Unternehmen" im Sinne des DBA zu verstehen ist, sondern welches von mehreren Unternehmen das für die Anwendung des Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern maßgebliche ist. Bei der Auslegung kann aufgrund der Übernahme des Art. 15 Abs. 3 der OECD-MustAbk 1963/1977 in das DBA-Zypern auch der Kommentar zu den Musterabkommen herangezogen werden (vgl. Korn/Debatin, Doppelbesteuerungsabkommen, Einleitung S. 103).

Der Wortlaut des Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern, wonach auf den Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens abzustellen ist, enthält insoweit einen Hinweis auf eine abkommensgerechte Auslegung, als er den Begriff des "Unternehmens", der sich in Art. 3 Abs. 1 Buchst. g, Art. 7 DBA-Zypern wiederfindet, und nicht des "Arbeitgebers" verwendet, der in den vorstehenden Regelungen des Art. 15 Abs. 2 DBA-Zypern enthalten ist. Schon dies spricht dafür, daß mit Unternehmen i. S. des Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern nicht (allein) der Arbeitgeber gemeint ist.

Dieses Indiz findet seine Bestätigung in dem gewollten Sinnzusammenhang zwischen Art. 15 Abs. 3 und Art. 8 DBA-Zypern. Die Vertragsparteien des DBA haben Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern in einen engen Vorschriftenzusammenhang zu Art. 8 DBA-Zypern gestellt. Dies ergibt sich aus dem Kommentar zu der übernommenen Vorschrift des Art. 15 Abs. 3 des OECD-MustAbk 1963. Danach sollte Art. 15 Abs. 3 "für Vergütungen, die die Besatzungen von Seeschiffen oder Luftfahrzeugen im internationalen Verkehr oder von Schiffen, die der Binnenschiffahrt dienen, beziehen, eine Regel schaffen, die in gewissem Maß derjenigen entspricht, die für die Einkünfte aus der Seeschiffahrt, Binnenschiffahrt und Luftfahrt gilt; diese Vergütungen können daher in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des betreffenden Unternehmens befindet" (nahezu wortgleich mit MustAbk 1977, abgedruckt bei Vogel, Doppelbesteuerungsabkommen, 2. Aufl., Art. 15 Rdnr. 59). Durch die Bezugnahme auf die Regelung für Einkünfte aus der Seeschiffahrt, Binnenschiffahrt und Luftfahrt wird zum einen ein Zusammenhang zu Art. 8 OECD-MustAbk hergestellt, dem wiederum Art. 8 DBA-Zypern entspricht. Zum anderen kann der letzte Halbsatz der zitierten Kommentarstelle aufgrund des Zusammenhangs zu dem vorher Ausgeführten nur dahin verstanden werden, daß für Art. 15 Abs. 3 der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Schiffahrt- bzw. Luftfahrtunternehmens entscheidend ist. Diese Auffassung wird auch in der Literatur zu Art. 15 Abs. 3 OECD-MustAbk (vgl. Vogel, a. a. O., Art. 15 Rdnrn. 63, 70; Arthur Anderson & Co. GmbH, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-USA, Kommentar, Art. 15 Rdnr. 46), wie auch zu dem insoweit wortgleichen Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz geteilt (vgl. Flick/Wassermeyer/Wingert/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art. 15 Rdnr. 63; Locher/Meier/v. Siebenthal, Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz-Deutschland, Verlag für Recht und Gesellschaft AG Basel, 1989, B.15.2 (2); Handelskammer Deutschland-Schweiz, Meyer-Marsilius/Haugarter, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art. 15 Abschn. IV). Daraus folgt, daß der Zusammenhang zwischen Art. 15 Abs. 3 und Art. 8 DBA-Zypern dafür spricht, als "Unternehmen" i. S. des Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern das Unternehmen i. S. des Art. 8 DBA-Zypern zu verstehen. Soweit in der Literatur demgegenüber auf das "arbeitgebende" Unternehmen abgestellt wird (Korn/Debatin, Doppelbesteuerungsabkommen Zypern, Anm. 2 b), ist die Kommentierung in sich widersprüchlich, da zugleich die Parallele des Art. 15 Abs. 3 zu Art. 8 DBA-Zypern, der das Schiffahrtsunternehmen betrifft, hervorgehoben wird.

Die Annahme, daß "Unternehmen" i. S. des Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern das die Schiffahrt betreibende Unternehmen sein soll, wird auch durch den Sinn und Zweck dieser Norm bestätigt. Nach dem Kommentar zu Art. 15 Abs. 3 OECD-MustAbk 1977, der den Kommentar des OECD-MustAbk 1963 lediglich ergänzt, nicht aber inhaltlich abändert, gelten "die Gründe für die Einführung dieser Möglichkeit (= Besteuerungsrecht bei den Einkünften aus Seeschiffahrt, Binnenschiffahrt und Luftfahrt des Staates, in dem das Unternehmen die Schiffe oder Fahrzeuge betreibt) .... auch für die Vergütung der Besatzung". Zu den Gründen für Art. 8 OECD-MustAbk schweigt allerdings der Kommentar. Diese ergeben sich aus der Natur des Betreibens eines Schiffahrts- oder Luftfahrtunternehmens im internationalen Verkehr. In der Regel erstreckt sich der Betrieb über eine Vielzahl von Staaten, in denen für die Geschäftstätigkeit häufig Betriebsstätten begründet werden. Es galt daher, die beim Betriebsstättenprinzip (vgl. Art. 7 OECD-MustAbk, Art. 7 DBA-Zypern) auftretenden Schwierigkeiten bei der Gewinnermittlung und eine Zersplitterung der Besteuerung zu vermeiden (vgl. auch Vogel, a. a. O., Art. 8 Rdnr. 23). Ähnliche Probleme ergeben sich bei Anwendung des Grundsatzes der DBA, wonach Vergütungen prinzipiell dort besteuert werden können, wo die Tätigkeit ausgeübt wird (vgl. Art. 15 Abs. 1 OECD-MustAbk, Art. 15 Abs. 1 DBA-Zypern; Vogel, a. a. O., Art. 15 Rdnr. 63), der Ort der Tätigkeit von Schiffsbesatzungen im internationalen Verkehr sich aber praktisch ständig ändert. Dementsprechend sollte in Art. 15 Abs. 3 wie bei Art. 8 OECD-MustAbk bzw. DBA-Zypern auf den Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung der Reederei oder des Luftverkehrsunternehmens abgestellt werden. Es ist den Klägern zuzugeben, daß eine Zersplitterung der Besteuerung der Vergütung auch dann vermieden würde, wenn auf den Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Arbeitnehmerverleihers abgestellt würde. Wie aber die Kläger selbst vortragen, ist - jedenfalls im Zeitpunkt des Abkommensabschlusses - die Arbeitnehmerüberlassung im internationalen Verkehr noch von untergeordneter Bedeutung gewesen, so daß es dem historischen Hintergrund des Abkommens entspricht, auf den Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Verkehrsunternehmens abzustellen.

Der Senat verkennt auch nicht die verschärfte Konkurrenz- und Arbeitsplatzsituation in der internationalen Seeschiffahrt. Hier entgegen Wortlaut, Vorschriftenzusammenhang und Zweck eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung Abhilfe zu schaffen, ist dem Senat jedoch verwehrt (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes). Es muß den Vertragsstaaten überlassen bleiben, ggf. Abweichendes zu vereinbaren. Die Frage, ob im Einzelfall die Voraussetzungen für eine Billigkeitsmaßnahme nach §§ 163, 227 der Abgabenordnung (AO 1977) vorliegen, kann im Steuerfestsetzungsverfahren nicht geprüft werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Urteil vom 13. April 1989 IV R 196/85, BFHE 156, 489, BStBl II 1989, 614).

c) Der Senat kann im Streitfall offenlassen, ob wegen des Vorschriftenzusammenhangs zwischen Art. 15 Abs. 3 und Art. 8 DBA-Zypern für die Anwendung des Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern vorauszusetzen ist, daß der Reeder auch Arbeitgeber ist. Die von den Klägern dargestellten praktischen Probleme bei Feststellung des Reeders könnten dafür sprechen.

Es kann auch offenbleiben, ob das erstmals im Revisionsverfahren vorgelegte Schreiben zypriotischer Steuerbehörden über deren gegenteilige Auslegung des DBA überhaupt noch berücksichtigt werden kann, da es sich insoweit um neuen Tatsachenvortrag handelt. Jedenfalls enthält das vorgelegte Schreiben keine Begründung für die abweichende Auffassung.