| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 22.7.1993 (VI R 122/92) BStBl. 1994 II S. 510

1. Erfüllt die nebenberuflich ausgeübte Konzerttätigkeit eines hauptberuflich als Angestellter tätigen Musikpädagogen nicht die Voraussetzungen der Einkunftsart des § 18 EStG, weil die dafür erforderliche Überschußerzielungsabsicht nicht (mehr) festgestellt werden kann, so können die Aufwendungsüberschüsse (Verluste) aus der Konzerttätigkeit dann als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abgezogen werden, wenn ihre Inkaufnahme durch den nichtselbständig ausgeübten Beruf veranlaßt ist.

2. Eine Veranlassung in diesem Sinne ist dann anzunehmen, wenn die Konzerttätigkeit für den Hauptberuf Vorteile von solchem Gewicht mit sich bringen kann, daß demgegenüber denkbare private Gründe für die Ausübung der Nebenbeschäftigung und Inkaufnahme der daraus resultierenden Verluste auszuschließen oder von ganz untergeordneter Bedeutung sind.

3. Private Gründe können in der Regel jedenfalls dann als ganz untergeordnet gewertet werden, wenn die Konzerttätigkeit eine tatsächlich wichtige Voraussetzung für eine in dem Hauptberuf nachweisbar ernsthaft angestrebte berufliche Verbesserung ist.

EStG § 9 Abs. 1 Satz 1, § 12 Nr. 1, § 18, § 19 Abs. 1 Nr. 1.

Vorinstanz: Hessisches FG (EFG 1993, 73)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist seit 1971 wissenschaftlicher Bediensteter im Angestelltenverhältnis nach BAT 2, der untersten akademischen Stufe, an einer Universität mit dem Fach Instrumentallehre Klavier. Er hatte nach dem Abitur Schulmusik an der Musikhochschule X studiert und im Jahre 1965 das erste Staatsexamen bestanden. Danach hat er ein Klavierstudium absolviert, das Diplom der künstlerischen Reifeprüfung erlangt und im Jahre 1967 das zweite Staatsexamen abgelegt. In der Folgezeit war er Assessor an einem Gymnasium. An der Universität unterrichtet er seit 1971 Musikstudenten, die das Fach Musik mit dem Ziel studieren, Musiklehrer zu werden. Seitdem führt er auch regelmäßig Konzertreisen in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) und im Ausland durch. In den Streitjahren konzertierte er nur im Inland.

Aus seiner Konzerttätigkeit hat der Kläger seit 1971 bis zur Gegenwart jährliche Verluste in unterschiedlicher Höhe erzielt. Für die Streitjahre 1985 bis 1988 machte er Verluste in Höhe von 22.711 DM, 17.179 DM, 15.940 DM und 20.422 DM geltend. Nachdem der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die für die Jahre 1971 bis 1984 erklärten Verluste als solche aus selbständiger Arbeit anerkannt hatte, berücksichtigte er sie für die Streitjahre wegen fehlender Gewinnerzielungsmöglichkeit nicht. In berichtigten Veranlagungen für die Streitjahre erkannte er lediglich einen Teil der zunächst als Betriebsausgaben geltend gemachten Aufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit an. Kosten, die unmittelbar mit der Konzerttätigkeit des Klägers im Zusammenhang standen, berücksichtigte das FA nicht.

Mit der Klage beantragte der Kläger, seine Aufwendungen, soweit sie bisher nicht anerkannt waren und die Einnahmen überstiegen, bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Das Urteil ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1993, 73 veröffentlicht.

Das FA macht zur Begründung seiner vom FG zugelassenen Revision geltend: Fraglich sei, ob die Konzerttätigkeit des Klägers einen Nebenberuf darstelle, der so eng mit dem Hauptberuf verknüpft sei, daß er diesem unmittelbar diene, und ob deswegen die Aufwendungen als Werbungskosten zu berücksichtigen seien, oder ob es sich um einen Nebenberuf handele, der unter eine der sieben Einkunftsarten des § 2 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu subsumieren sei. Im Rahmen seiner Konzerttätigkeit sei der Kläger unstrittig künstlerisch tätig. Nach der Systematik des EStG gehöre eine künstlerische Tätigkeit, sofern sie selbständig, nachhaltig, als Beteiligung am wirtschaftlichen Verkehr und mit Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt werde, zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit (§ 18 EStG). Bis auf die Gewinnerzielungsabsicht erfülle der Kläger die Tatbestandsmerkmale des § 18 EStG. Er sei auch Unternehmer i. S. des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Seinen Einnahmen für den Zeitraum von 1971 bis 1989 in Höhe von 301.319 DM stünden (nach dem Abzug anteiliger Werbungskosten für seine nichtselbständige Tätigkeit) Ausgaben in Höhe von 538.094 DM gegenüber. Wegen der fehlenden Gewinnerzielungsmöglichkeit handele es sich um eine steuerlich unbeachtliche Tätigkeit, welche damit in den Bereich der privaten Lebensführung (aus privater Neigung fortgeführte Tätigkeit) rücke. Aufwendungen für die Lebensführung seien gemäß § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG steuerlich aber selbst dann nicht zu berücksichtigen, wenn - bei sog. gemischten Tätigkeiten - hierdurch der (Haupt-)Beruf gefördert werde. Im Streitfall sei der den Beruf fördernde Teil der Aufwendungen auch nicht zutreffend und in leicht nachprüfbarer Weise abzugrenzen. Es könne auch nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß die private Mitveranlassung dieser Aufwendungen hinter den erwarteten beruflichen Vorteil völlig zurücktrete.

Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet. Die Entscheidung des FG, die Verluste des Klägers aus seiner nebenberuflich ausgeübten Konzerttätigkeit seien als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG) bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG) anzuerkennen, ist frei von Rechtsfehlern.

1. Die Berücksichtigung der Verluste aus der Konzerttätigkeit des Klägers bei dessen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit setzt zunächst voraus, daß sie in den Streitjahren 1985 bis 1988 nicht den Einkünften aus selbständiger Arbeit (§ 18 EStG) zuzuordnen sind. Denn hätte die Tätigkeit des Klägers sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 18 EStG erfüllt, so wären die daraus erzielten Überschüsse oder Verluste auch dieser Einkunftsart zuzurechnen gewesen. Dies folgt aus dem Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung (§ 38 der Abgabenordnung - AO 1977 -).

Die Entscheidung des FG, die vom Kläger erzielten Einnahmen seien nicht als solche gemäß § 18 EStG zu qualifizieren, ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat selbst nicht mehr geltend gemacht, er sei in den Streitjahren nach einer Verlustphase von 14 Jahren noch mit Überschußerzielungsabsicht tätig gewesen und habe langfristig einen Totalüberschuß (vgl. dazu Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, 766, zu IV 3 c) aus seiner nebenberuflich ausgeübten Tätigkeit erzielen können.

Soweit demgegenüber das FA mit der Revision vorgetragen hat, es sei nicht ausgeschlossen, daß dem Kläger mit seiner Konzerttätigkeit der sog. künstlerische Durchbruch gelinge und sich die Einnahmesituation hierdurch entscheidend verändern würde, hat es daraus selbst nicht den Schluß gezogen, daß der Kläger seine Konzerte in den Streitjahren noch mit einer Überschußerzielungsabsicht veranstaltet hat. Denn in diesem Fall hätte es die vom Kläger geltend gemachten Verluste als solche aus selbständiger Arbeit (§ 18 EStG) anerkennen müssen.

Es ist indessen unbestritten, daß von einer für die Einkünfteerzielung erforderlichen Überschuß- oder Gewinnerzielungsabsicht dann nicht ausgegangen werden kann, wenn - wie im Streitfall - nur eine theoretische, unter außergewöhnlich glücklichen Umständen zu realisierende Gewinnchance besteht (vgl. BFH-Beschluß vom 22. Januar 1981 IV B 41/80, BFHE 132, 542, BStBl II 1981, 424; BFH-Urteil vom 19. Juli 1990 IV R 82/89, BFHE 161, 144, BStBl II 1991, 333, 335).

2. Die Auffassung des FG, die aus seiner nebenberuflich und als Unternehmer im umsatzsteuerlichen Sinne ausgeübten Konzerttätigkeit erzielten Verluste des Klägers, d. h. seine Aufwendungsüberschüsse aus dieser Betätigung, seien durch seine hauptberufliche Tätigkeit veranlaßt und deshalb als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen, ist rechtlich unbedenklich.

Über den Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG hinaus sind Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit alle Aufwendungen des Steuerpflichtigen, die durch den Beruf veranlaßt sind (vgl. Beschluß des Großen Senats vom 28. November 1977 GrS 2-3/77, BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105; Urteil vom 20. November 1979 VI R 25/78, BFHE 129, 149, BStBl II 1980, 75; vom 28. November 1980 VI R 193/77, BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368; vom 17. Juli 1992 VI R 12/91, BFHE 168, 567, BStBl II 1992, 1036). Tätigt ein Steuerpflichtiger Aufwendungen im Rahmen einer Nebentätigkeit und nimmt er die Verluste hieraus auch dann (noch) in Kauf, wenn unter Berücksichtigung der objektiven Umstände des konkreten Einzelfalles mit einem Totalüberschuß der Einnahmen aus dieser Nebentätigkeit nicht (mehr) zu rechnen ist, so spricht dies zwar im allgemeinen dafür, daß der Steuerpflichtige die verlustbringende Tätigkeit aus im Bereich seiner Lebensführung liegenden persönlichen Gründen oder Neigungen ausübt (§ 12 Nr. 1 EStG). Davon ist jedoch dann nicht ohne weiteres auszugehen, wenn zwischen dem Hauptberuf und der Nebentätigkeit eine Wechselwirkung der Art besteht, daß sich die Nebentätigkeit vorteilhaft für den Hauptberuf auswirken kann. Dann ist es denkbar, daß der Steuerpflichtige die Aufwendungen im Rahmen der Nebentätigkeit trägt, um sowohl Einnahmen aus dieser Tätigkeit zu erzielen, als auch deshalb, weil er sich aus der Ausübung der Nebentätigkeit erhebliche Vorteile in seinem Hauptberuf verspricht. Die Ausgaben im Zusammenhang mit der Nebentätigkeit werden also sowohl im Hinblick auf die neben- als auch auf die hauptberuflichen Einnahmen gemacht. In einem solchen Fall ist nach der Wertung des Senats eine Veranlassung des Verlusts aus der selbständig ausgeübten Nebentätigkeit durch die hauptberufliche Tätigkeit dann anzunehmen, wenn private Gründe (§ 12 Nr. 1 EStG) für die Ausübung der Nebentätigkeit und die Inkaufnahme der daraus resultierenden Verluste auszuschließen oder jedenfalls von ganz untergeordneter Bedeutung sind. Ob dies der Fall ist, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden.

3. Die im Streitfall vom FG festgestellten Tatsachen tragen seine Würdigung, der Kläger habe die Verluste aus seiner Konzerttätigkeit aus in seinem Hauptberuf liegenden Gründen in Kauf genommen und nicht aus solchen der privaten Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 EStG. Der Kläger hat sich nach den tatsächlichen Feststellungen des FG seit Antritt seiner nach BAT 2 besoldeten Anstellung darum bemüht, Hochschulprofessor im Beamtenverhältnis zu werden und dadurch in seinem Beruf als Musikpädagoge voranzukommen. Im Hinblick auf die von der Vorinstanz festgestellte große Konkurrenz und hohe Bewerberzahl bei den Ausschreibungen einschlägiger Professorenstellen war nach den weiteren tatsächlichen Feststellungen des FG, die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden sind, der Nachweis einer Konzerttätigkeit von wesentlicher Bedeutung dafür, überhaupt bei einer Ausschreibung einer Professorenstelle in die engere Wahl gezogen zu werden. Unter diesen Umständen ist es nicht zu beanstanden, wenn das FG der Konzerttätigkeit des Klägers für dessen Fortkommen in seinem Hauptberuf ein solch hohes Gewicht beigemessen hat, daß es daneben der Möglichkeit, der Kläger habe die Verluste aus der Konzerttätigkeit aus persönlicher Neigung (§ 12 Nr. 1 EStG) am Musizieren in Kauf genommen, keine erhebliche Bedeutung mehr beigemessen hat.