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  BFH-Urteil vom 5.5.1994 (VI R 55-56/92) BStBl. 1994 II S. 771

Stellt der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern im Rahmen von Dienstbesprechungen oder Fortbildungsveranstaltungen Speisen und Getränke unentgeltlich zur Verfügung, so ist der den Arbeitnehmern gewährte Vorteil dann kein Arbeitslohn, wenn das eigenbetriebliche Interesse des Arbeitgebers an der günstigen Gestaltung des Arbeitsablaufs den Vorteil der Arbeitnehmer bei weitem überwiegt. Ob dies der Fall ist, ist durch eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden.

EStG § 8, § 19 Abs. 1 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Der Senat hat die Verfahren VI R 55/92 und VI R 56/92 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden (§ 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), ein Kreditinstitut, bewirtete nach den Feststellungen zweier Lohnsteueraußenprüfungen in den Prüfungszeiträumen (April 1981 bis August 1985 bzw. September 1985 bis August 1988) verschiedene Male ihre Arbeitnehmer. Im einzelnen handelte es sich um folgende Sachverhalte:

Die Klägerin führte in den Jahren 1981 bis 1984 sog. Auftakt- und Abschlußtagungen "Jugendgiro" durch. Im Rahmen der Jugendgiroaktion sollten alljährlich Schulabgänger zu Hause aufgesucht und als neue Kunden gewonnen werden. Die Klägerin verpflichtete alle Auszubildenden und jüngeren Mitarbeiter zur Teilnahme. Andere Mitarbeiter mit bereits abgeschlossener Ausbildung forderte sie auf, noch einige Jahre an der Aktion teilzunehmen. Für Hausbesuche und die Vermittlung eines Kunden zahlte die Klägerin geringe - als Lohn versteuerte - Geldbeträge. Bei den Auftakttagungen erhielten die Bediensteten eine Adressenliste und Werbegeschenke ausgehändigt. Anschließend wurde die organisatorische Abwicklung besprochen und das Verhalten während der Hausbesuche geübt. Die Abschlußtagungen der Jugendgiroaktion dienten dem Informationsaustausch zwischen Teilnehmern und Betreuern. Anregungen und Wünsche junger Kunden wurden registriert. Auftakt- und Abschlußtagungen fanden an Arbeitstagen im Anschluß an die reguläre Dienstzeit in einer Gaststätte statt. Sie dauerten von 17.30 Uhr bis 20.30 Uhr oder von 18.00 Uhr bis 21.00 Uhr und wurden jeweils zur Einnahme eines von der Klägerin einheitlich vorbestellten Abendessens unterbrochen. Die Kosten für Verpflegung und Getränke (je Teilnehmer durchschnittlich 24,30 DM) trug die Klägerin.

Die Klägerin ließ darüber hinaus in den Jahren 1983 und 1984 verschiedene Male alle Zweigstellen- und Abteilungsleiter in einer Gaststätte zu einer Besprechung zusammenkommen; dabei lud sie jeweils zu einem Imbiß ein. Die Besprechungen dauerten von 9.30 Uhr bis 15.00 Uhr, 10.00 Uhr bis 13.00 Uhr bzw. 15.00 Uhr bis 18.15 Uhr. Der Lohnsteueraußenprüfer ging davon aus, daß sich die Zweigstellen- und Abteilungsleiter auf Dienstgängen bzw. auf Dienstreisen von weniger als sieben Stunden Dauer befunden hätten. Die Aufwendungen der Klägerin für Mahlzeiten und Getränke sah der Prüfer - soweit sie den als Verpflegungsmehraufwand erstattbaren Reisekostenhöchstbetrag von 16 DM pro Arbeitnehmer und Tag überstiegen - als lohnsteuerpflichtige Sachzuwendungen an.

In den Jahren 1985 bis 1988 ließ die Klägerin die Besprechungen der Zweigstellen- und Abteilungsleiter in ihren eigenen Räumen durchführen; außerdem veranstaltete sie dort Fortbildungsseminare für ihre Mitarbeiter. Die Teilnehmer an den Dienstbesprechungen und den Seminaren beköstigte die Klägerin jeweils in benachbarten Gaststätten. Der Lohnsteueraußenprüfer behandelte nur die Bewirtungsaufwendungen als nachzuversteuernden Arbeitslohn, die auf die am Besprechungs- oder Seminarort ständig beschäftigten - nicht von auswärts angereisten - Arbeitnehmer entfielen.

Die Lohnsteuer wurde entsprechend den Anträgen der Klägerin jeweils pauschal gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelt.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) schloß sich der Auffassung der Prüfer an und erließ entsprechende Lohnsteuer-Pauschalierungsbescheide. Die Einsprüche der Klägerin blieben in den Streitpunkten ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab den hiergegen gerichteten Klagen teilweise statt. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Die Aufwendungen zur kostenlosen Bewirtung von Arbeitnehmern durch den Arbeitgeber im Betrieb oder in einer nahegelegenen Gaststätte seien zwar regelmäßig Arbeitslohn. Das Interesse des einzelnen Arbeitnehmers am Erlangen dieses Vorteils trete im allgemeinen nicht hinter dem Interesse des Arbeitgebers an einer gleichbleibenden Arbeitsleistung und an einer nur kurzen Unterbrechung der Arbeit durch die Nahrungsaufnahme zurück. Dies gelte jedoch nicht bei sog. Arbeitsessen, die im Rahmen ganztägiger Seminare oder auch bei längeren Dienstbesprechungen im Anschluß an die normale Arbeitszeit gereicht würden. In diesen Fällen sei dem Arbeitgeber offensichtlich an einer straffen Durchführung der Besprechung gelegen. Er gestalte deren Ablauf so, daß Unterbrechungen durch die erforderliche Nahrungsaufnahme entweder entfielen oder möglichst kurz gehalten würden. Der einzelne Arbeitnehmer könne sich dem kaum entziehen. Halte sich der Aufwand pro Teilnehmer bei derartigen Arbeitsessen im Bereich des Üblichen, sei ein ganz überwiegend eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers an der Übernahme der Bewirtungskosten anzuerkennen. Nach diesen Grundsätzen seien die Aufwendungen der Klägerin für das unentgeltliche Beköstigen ihrer Arbeitnehmer im Rahmen der Jugendgiroaktion sowie bei den ganztägigen Dienstbesprechungen und Seminaren nicht als Arbeitslohn zu erfassen. Das gleiche gelte für die Bewirtung der Teilnehmer bei mehrstündigen Dienstbesprechungen, soweit diese über die Mittagszeit gedauert bzw. - im Anschluß an die normale Dienstzeit - bis in die Abendstunden stattgefunden hätten.

Mit den vom FG zugelassenen Revisionen rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, im Verfahren VI R 55/92 die Vorentscheidung im Umfang der Klagestattgabe aufzuheben sowie im Verfahren VI R 56/92 die Vorentscheidung aufzuheben, soweit in ihr die Lohnsteuernachforderung um 934,77 DM ermäßigt wurde und die Klagen auch insoweit abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revisionen des FA als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revisionen sind begründet. Sie führen in dem mit der Revision jeweils angegriffenen Umfange zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung der Sachen an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Das FG ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, daß das unentgeltliche Überlassen einer Mahlzeit durch den Arbeitgeber an seine Arbeitnehmer grundsätzlich einen Vorteil i. S. von § 19 Abs. 1 Nr. 1, § 8 EStG begründet. Wie sich aus § 8 Abs. 2 EStG ergibt, rechnet zu den geldwerten Einnahmen unter anderem "Kost" und demnach das Gewähren einer Mahlzeit. Das FG hat auch zutreffend erkannt, daß eine Ausnahme von dieser Regel dann in Betracht kommt, wenn eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles ergibt, daß der Arbeitgeber die Aufwendungen für Speisen in seinem ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse getätigt hat.

a) Dem in § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG benutzten Tatbestandsmerkmal "für" eine Beschäftigung ist zu entnehmen, daß ein dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewendeter Vorteil Entlohnungscharakter haben muß. Demgegenüber sind solche Vorteile kein Arbeitslohn, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen. Das Ergebnis einer solchen, den Arbeitslohncharakter verneinenden Würdigung hat der Senat damit beschrieben, daß der Vorteil im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse gewährt sei. Dies ist nicht schon dann zu bejahen, wenn für eine Zuwendung betriebliche Gründe sprechen und deshalb beim Arbeitgeber Betriebsausgaben vorliegen; denn eine betriebliche Veranlassung liegt jeder Art von Lohnzahlungen zugrunde. Vielmehr muß sich aus den Begleitumständen wie Anlaß, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur Annahme des Vorteils und seiner besonderen Geeignetheit für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck ergeben, daß diese Zielsetzung ganz im Vordergrund steht und ein damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen, deshalb vernachlässigt werden kann (vgl. Urteil des Senats vom 4. Juni 1993 VI R 95/92, BFHE 171, 74, 79, BStBl II 1993, 687, 689 m. w. N.; ferner Küttner/Thomas, Personalbuch 1994, "Arbeitslohn/Arbeitsentgelt", Rz. 31 ff.).

b) Ausgangspunkt der für den Fall der unentgeltlichen Essensgewährung vorzunehmenden Interessenabwägung ist der Umstand, daß die Nahrungsaufnahme - ebenso wie die Bekleidung - ein allgemeines menschliches Bedürfnis befriedigt und deshalb in aller Regel ein erhebliches eigenes Interesse des Arbeitnehmers an der unentgeltlichen Zuwendung einer Mahlzeit durch den Arbeitgeber anzunehmen ist. Von dieser Überlegung ist der Senat auch in seiner Entscheidung ausgegangen, daß im Falle der regelmäßigen verbilligten Essensgewährung an Arbeitnehmer ein ganz überwiegend eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers nicht angenommen werden kann. Er hat dazu ausgeführt, daß der Vorteil eines verbilligten Essens in jedem Fall auch im Interesse desjenigen liegt, der in den Genuß des Vorteils gelangt (Urteil vom 7. Dezember 1984 VI R 164/79, BFHE 142, 483, BStBl II 1985, 164, 166). Diese Gewichtung trägt der gebotenen Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen Rechnung. Da Aufwendungen für die Lebensführung und insbesondere für die Ernährung nach § 12 Nr. 1 EStG grundsätzlich nicht das zu versteuernde Einkommen mindern dürfen, erscheint es gerechtfertigt, in der Regel in der unentgeltlichen Zuwendung von Mahlzeiten durch den Arbeitgeber typisierend Arbeitslohn zu sehen.

Eine Ausnahme von dieser Regel kann aber dann gegeben sein, wenn Speisen und Getränke anläßlich und während eines außergewöhnlichen Arbeitseinsatzes aus durch den Arbeitsablauf bedingten Gründen unentgeltlich überlassen werden (vgl. Abschn. 73 Abs. 2 Satz 2 der Lohnsteuer-Richtlinien - LStR - ab 1990). In einem derartigen Fall kann im Hinblick auf ansonsten erforderliche andere Programmabläufe das eigene Interesse des Arbeitgebers daran, daß die Arbeitnehmer gemeinschaftlich und im zeitlichen Zusammenhang mit diesem Arbeitseinsatz ein vom Arbeitgeber unentgeltlich angebotenes Essen einnehmen, das Interesse der Arbeitnehmer an der Erlangung dieses Vorteils bei weitem überwiegen. Macht der Arbeitgeber im konkreten Fall ein arbeitsablaufbedingtes Interesse an der unentgeltlichen Gewährung des Essens bei einem außergewöhnlichen Arbeitseinsatz geltend, so ist das Interesse des Arbeitgebers dem Vorteil des einzelnen Arbeitnehmers gegenüberzustellen. Bei der Gewichtung der gegenseitigen Vorteile ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Art der zur Verfügung gestellten Speisen unter Einbeziehung ihres Preises trotz der vom Arbeitgeber angegebenen betriebsfunktionalen Zwecke für eine Belohnungsabsicht und damit für die Annahme von Arbeitslohn sprechen könnte. Soweit bei der Interessenabwägung ein die Annahme von Arbeitslohn rechtfertigendes gewichtiges Interesse des Arbeitnehmers aus der Art und dem Wert der bei dem außergewöhnlichen Arbeitseinsatz gewährten Speisen abgeleitet wird, wird es den Arbeitnehmern dann nicht ohne weiteres möglich sein, sich auf ein Aufdrängen der Bereicherung zu berufen, wenn nur dem Unternehmen zugehörige Personen und keine Kunden oder fremde Dritte verpflegt worden sind.

2. Die Vorentscheidungen sind aufzuheben und die Sachen im mit der Revision jeweils angegriffenen Umfang an das FG zurückzuverweisen. Das FG hat in seine Gesamtwürdigung, ob das Interesse der Klägerin an der gemeinsamen Einnahme des unentgeltlich zur Verfügung gestellten Essens dasjenige der Arbeitnehmer an der Erlangung des Vorteils bei weitem überwiegt, nicht alle Umstände einbezogen, denen nachzugehen und die zu berücksichtigen aufgrund der konkreten Umstände des Streitfalles Anlaß bestand. Offen bleibt insbesondere, aus welchen arbeitsablaufbedingten Gründen die Klägerin in den Jahren 1981 bis 1984 die Veranstaltungen in Gaststätten durchgeführt hat. Dies gilt um so mehr, als sie in den Jahren 1985 bis 1988 Dienstbesprechungen und Fortbildungsseminare in eigenen Räumen abhielt. Bei diesen wiederum bleibt unklar, aus welchen arbeitsablaufbedingten Gründen die Klägerin zwar die Veranstaltungen in ihren Räumen durchführte, die Teilnehmer aber jeweils in Gaststätten bewirtete.

Das FG wird zu den angesprochenen Fragen weitere Ermittlungen anstellen und insbesondere prüfen müssen, ob die Auswahl der jeweiligen Gaststätte und die Art des angebotenen Essens in Verbindung mit dem Kreis der Teilnehmer für oder gegen ein ganz überwiegend eigenbetriebliches Interesse der Klägerin an der unentgeltlichen Bewirtung sprechen.