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  BFH-Urteil vom 16.3.1995 (VII R 38/94) BStBl. 1995 II S. 859

1. Zur Haftung einer Bank als Verfügungsberechtigte (§§ 35, 69 AO 1977) für die Steuerschulden des Kreditnehmers reicht es grundsätzlich nicht aus, daß sie sich zur Sicherung ihrer Betriebskredite die Forderungen des Kreditnehmers hat abtreten lassen und daß sie in tatsächlicher Hinsicht auf dessen Geschäftsführung und die Vermögensdispositionen Einfluß nehmen kann.

2. Der Verfügungsberechtigte i. S. von § 35 AO 1977 muß in der Lage sein, aufgrund bürgerlich-rechtlicher Verfügungsmacht im Außenverhältnis wirksam zu handeln.

AO 1977 §§ 35, 69.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

Die Kreissparkasse W (KSK), die Rechtsvorgängerin der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), ließ sich im Jahre 1982 für die Gewährung eines Kredits in Höhe von 80.000 DM, der später auf 100.000 DM aufgestockt wurde, von der Steuerpflichtigen MK, die als Pächterin einen Hotel- und Gaststättenbetrieb von ihren Eltern übernommen hatte, alle gegenwärtigen und künftigen Forderungen gegenüber deren Kunden mit den Anfangsbuchstaben A bis W abtreten. Die Abtretung erfolgte zur Sicherung aller bestehenden und künftigen Forderungen der KSK aus ihrer Geschäftsverbindung gegenüber der Pächterin und Kreditnehmerin MK. Dabei behielt sich die KSK vor, die ihr als Sicherheit dienenden Rechte freizugeben, sobald und soweit sie diese zur Sicherung ihrer Ansprüche nach ihrem billigen Ermessen nicht benötige.

Wegen erheblicher Verbindlichkeiten der Verpächter des Betriebes (Eltern der MK) gegenüber der KSK wurden in den Pachtvertrag und in eine gleichzeitig getroffene Vereinbarung, an der neben den Verpächtern und der Pächterin auch die KSK beteiligt war, Regelungen aufgenommen, die zur Sicherung der Darlehensforderungen der KSK dienen sollten. Danach verpflichtete sich die Pächterin u. a., alle Zahlungen aus dem Pachtverhältnis ausschließlich über ein bei der KSK errichtetes Geschäftskonto zu leisten. Von dem wöchentlichen Pachtzins von 10.000 DM zuzüglich Umsatzsteuer stand der KSK ein erstrangiger Teilbetrag von 4.500 DM zu, der ihr zur Sicherung ihrer Zins- und Darlehensansprüche gegenüber den Verpächtern von diesen abgetreten worden war. Wegen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens erklärte sich die KSK später bereit, auf die wöchentlichen Pachtraten ganz oder teilweise zu verzichten. Ferner behielt sich die KSK in der abgeschlossenen Vereinbarung vor, jederzeit die Geschäftsunterlagen der Pächter zur Beurteilung der Vermögensverhältnisse einzusehen und für den Fall, daß die Führung des Betriebes nicht mit der notwendigen Sorgfalt eines Gastronomen geführt wurde, die Verpächter zur Kündigung des Pachtverhältnisses nach ihrer Weisung zu verpflichten.

Die in dem Pachtvertrag vereinbarten Pachtzahlungen konnten von der MK nicht aufgebracht werden. Da sich die wirtschaftliche Situation des Unternehmens ständig verschlechterte, wurde der Pachtvertrag mit Schreiben vom 30. Juni 1988 fristlos gekündigt. Die Einstellung des Betriebes erfolgte zum 19. Juli 1988. Die Eröffnung eines Konkursverfahrens gegen MK wurde am 12. Oktober 1988 mangels Masse abgelehnt. Bis zum Zeitpunkt der Betriebseinstellung waren die zur Aufrechterhaltung des laufenden Geschäftsbetriebes zu zahlenden Lieferantenverbindlichkeiten nach den Feststellungen der Betriebsprüfung nahezu vollständig ausgeglichen worden. Die Bezahlung der Verbindlichkeiten hatte die KSK trotz der vorliegenden Globalzession aus dem Kontokorrent geduldet. Die durch den Geschäftsbetrieb angefallenen Steuern hatte die MK nur teilweise gezahlt. Eine Einflußnahme der KSK dergestalt, daß sie die MK anwies, welche Zahlungen zu leisten seien, oder daß sie Anweisungen von der MK zur Zahlung von Steuern nicht befolgte, konnte nicht festgestellt werden. Auf eine Aufforderung des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -) an die KSK zur Zahlung der Steuern weigerte sich diese, dafür weitere Kredite zur Verfügung zu stellen. Ihre Vertreter erklärten sich in einer Besprechung beim FA am 24. Mai 1988 lediglich bereit, sich für einen Ausgleich der Steuern einzusetzen. Eine Zahlung der Steuern erfolgte aber nicht mehr.

Das FA nahm die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der KSK wegen eines Teils der rückständigen Lohnsteuer, Lohnkirchensteuer und Umsatzsteuer der MK von Januar bis Juli 1988 als Verfügungsberechtigte und Haftungsschuldnerin gemäß §§ 35, 34 Abs. 1, §§ 69, 191 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) in Anspruch. Die nach erfolglosem Einspruch von der Klägerin erhobene Klage führte zur Aufhebung des Haftungsbescheids.

Das Finanzgericht (FG) führte aus, die KSK sei nicht Verfügungsberechtigte i. S. des § 35 AO 1977 gewesen. Dazu reiche eine Sicherungszession sämtlicher Forderungen nicht aus, solange mit ihr nur der Sicherungszweck verfolgt werde. Erst wenn dem Sicherungsnehmer über den Sicherungszweck hinaus ausdrücklich oder stillschweigend weitere Mitsprache- oder Verfügungsbefugnisse im Betrieb des Sicherungsgebers eingeräumt würden, liege eine Verfügungsbefugnis i. S. des § 35 AO 1977 vor. Im Streitfall habe nicht festgestellt werden können, daß die KSK über ihr Sicherungsinteresse hinaus in den Geschäftsbetrieb der MK eingegriffen habe. Sie habe weder deren Geschäfte treuhänderisch geführt noch seien Verbindlichkeiten nur nach vorheriger Abstimmung mit der KSK beglichen worden. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte dafür, daß die KSK sich geweigert habe, Anweisungen von MK zur Begleichung der laufenden Betriebssteuern auszuführen.

Darüber hinaus sei die KSK auch nicht als Verfügungsberechtigte nach außen aufgetreten. Die Zahlungs- und Überweisungsaufträge seien sämtlich durch MK erteilt worden.

Ferner scheitere die Haftungsinanspruchnahme der Klägerin daran, daß die KSK weder unmittelbar noch mittelbar rechtlich in der Lage gewesen sei, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters zu erfüllen. Nach § 35 letzter Halbsatz AO 1977 reiche die tatsächliche Verfügungsmacht nicht aus. Es seien weder Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß MK die KSK ermächtigt habe, wie ein Geschäftsführer zu agieren, noch sei diese in der Lage gewesen, wirksam ein Vertretungsverhältnis für MK zu begründen. Selbst wenn die KSK durch die Abwicklung des gesamten Geschäftsverkehrs der Steuerschuldnerin über ein bei ihr geführtes Konto die Kontrolle über alle Vermögenswerte der Steuerschuldnerin gehabt hätte und damit dieser faktisch hätte vorschreiben können, welche Ausgaben zu tätigen seien, führe dies nicht zu einer rechtlichen Verfügungsbefugnis. Durch die Erteilung von Zahlungsanweisungen und das Unterzeichnen von Überweisungsträgern habe die MK selbst über ihre Gelder verfügt. Diese Verfügungen blieben rechtlich auch dann Verfügungen der MK, wenn sie auf Wunsch oder gar auf wirtschaftlichen Druck der KSK hin geschehen seien.

Mit der Revision macht das FA geltend, das FG habe zu Unrecht eine Verfügungsbefugnis der Rechtsvorgängerin der Klägerin i. S. von § 35 AO 1977 verneint. Entgegen der Vorentscheidung sei im Streitfall die Forderungsabtretung nicht lediglich zu Sicherungszwecken erfolgt. Die KSK sei vielmehr nach der Abtretungserklärung auch zur Einziehung der abgetretenen Forderungen berechtigt gewesen. Von dieser Einziehungsermächtigung (Verfügungsbefugnis) habe die KSK auch Gebrauch gemacht. Denn sie habe abgetretene Forderungen im eigenen Namen prozessual geltend gemacht und die Auszahlung eines hinterlegten Betrages an sich begehrt. Damit sei die KSK auch als Verfügungsberechtigte nach außen aufgetreten.

Das FG habe die auf eine Verfügungsberechtigung hindeutenden Tatsachen, die sich bereits aus dem Haftungsbescheid ergäben, zwar festgestellt, aber nicht ausreichend gewürdigt. Aus den zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen (Globalzession, Pachtvertrag) ergebe sich, daß nicht nur Dispositionen über die Betriebsmittel, sondern sogar die Entscheidung über die Weiterführung des gepachteten Betriebs nicht mehr von der Sicherungsgeberin getroffen werden konnten.

Demgegenüber stelle das FG zu Unrecht entscheidend darauf ab, daß durch die Erteilung von Zahlungsanweisungen und das Unterzeichnen von Überweisungsträgern die Steuerschuldnerin selbst über ihre Gelder verfügt habe. Die Schlußfolgerung des FG, daß die KSK nicht aktiv in den Geschäftsbetrieb eingegriffen habe und es bereits an einer Ausübung der faktischen Verfügungsgewalt fehle, stehe nicht nur im Widerspruch zu dem festgestellten, tatsächlichen Verhalten der Klägerin, sondern beruhe überdies darauf, daß wesentliche entscheidungserhebliche Teile des festgestellten Sachverhalts ungewürdigt geblieben seien. Die Auslegung des FG, daß auch eine rechtliche Verfügungsmöglichkeit bestehen müsse, führe dazu, daß § 35 AO 1977 seinen praktischen Anwendungsbereich verliere, weil die in Betracht kommenden Fälle regelmäßig bereits von § 34 AO 1977 erfaßt würden.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet.

Das FG hat zu Recht eine Haftung der Klägerin als Rechtsnachfolgerin der KSK (§ 45 Abs. 1 AO 1977) nach § 69 i. V. m. § 35 AO 1977 für die Steuerrückstände der MK verneint. Die KSK erfüllte hinsichtlich der finanziellen Mittel der Steuerpflichtigen MK nicht die Voraussetzungen des § 35 AO 1977.

1. a) Nach § 35 AO 1977 hat, wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, die steuerlichen Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1 AO 1977), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann. Zu den Pflichten zählt insbesondere die Zahlung der festgesetzten Steuern.

Verfügungsberechtigter i. S. des § 35 AO 1977 ist jeder, der rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die einem anderen zuzurechnen sind, verfügen kann und als solcher nach außen auftritt (Urteile des erkennenden Senats vom 21. Februar 1989 VII R 165/85, BFHE 156, 46, BStBl II 1989, 491, und vom 27. November 1990 VII R 20/89, BFHE 163, 106, BStBl II 1991, 284 m. w. N.). Die Verfügungsmacht kann dabei auf Gesetz, behördlicher oder gerichtlicher Anordnung oder Rechtsgeschäft beruhen (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 35 AO 1977 Tz. 2 m. w. N.). Der Verfügungsberechtigte muß am Rechtsverkehr teilnehmen. Ein Auftreten gegenüber Finanzbehörden oder in steuerlichen Angelegenheiten ist nicht erforderlich (Senat in BFHE 163, 106, BStBl II 1991, 284, 285; Tipke/Kruse, a. a. O., § 35 AO 1977 Tz. 3).

b) Nach der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und überwiegenden Meinung im Schrifttum genügt eine Sicherungsübereignung oder Sicherungsabtretung - wie sie im Streitfall vorliegt - allein nicht, um den Sicherungsnehmer als Verfügungsberechtigten in Anspruch zu nehmen. Erst wenn dem Sicherungsnehmer vom Sicherungsgeber Verfügungsbefugnisse eingeräumt sind, die über den bloßen Sicherungszweck hinausgehen und zu einer Befriedigung des Sicherungsnehmers führen können, wie z. B. die Befugnis, die sicherungsübereigneten Gegenstände zu verwerten oder die sicherungsweise abgetretenen Forderungen einzuziehen, soll eine Verfügungsberechtigung i. S. des § 35 AO 1977 vorliegen (vgl. RFH-Urteil vom 6. November 1929 VI A 1640/29, RStBl 1930, 24; Offerhaus in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 35 AO 1977 Rz. 22; Tipke/Kruse, a. a. O., § 35 AO 1977 Tz. 2 m. w. N.).

Die Finanzverwaltung sieht indessen den Sicherungsnehmer auch dann nicht als Verfügungsberechtigten an, wenn ihm die Befugnis zur Verwertung des Sicherungsguts lediglich zum Zwecke seiner Befriedigung eingeräumt worden ist. Sie hält vielmehr § 35 AO 1977 erst dann für anwendbar, wenn die Rechtsstellung des Sicherungsnehmers weiter geht, wenn er sich z. B. eigene Mitsprache- oder Verfügungsrechte im Betrieb des Sicherungsgebers vorbehalten hat, so daß er auch wirtschaftlich über die Mittel des Sicherungsgebers verfügen kann. Das kann dann der Fall sein, wenn sich ein Gläubiger zur Sicherstellung seiner Ansprüche die gesamten Kundenforderungen mit dem Recht zur Einziehung abtreten läßt und aus diesen Forderungen nur diejenigen Mittel freigibt, die er zur Unternehmensfortführung des Sicherungsgebers für erforderlich hält (Anwendungserlaß zur AO 1977 vom 24. September 1987, BStBl I 1987, 664, 669).

Der Sicherungsnehmer, der wirtschaftlich einem Pfandberechtigten gleichsteht, kann daher im Normalfall nicht für die Steuerschulden des Sicherungsgebers nach § 35 AO 1977 in Anspruch genommen werden. Anders wird die Rechtslage beurteilt, wenn dem Sicherungsnehmer, z. B. einem Kreditinstitut, sämtliche Forderungen des Geschäftsinhabers zur Sicherung abgetreten sind und das Kreditinstitut nur zum Zwecke seiner eigenen Befriedigung versucht, den Betrieb auf Kosten der Lieferanten und des Steuergläubigers aufrechtzuerhalten. Stellt das Kreditinstitut dem Geschäftsinhaber nur die notwendigen Betriebsmittel zur Verfügung, so hat es auch dafür zu sorgen, daß die Steuerschulden im gleichen Maße wie die übrigen Schulden bezahlt werden (so Offerhaus, a. a. O., § 35 AO 1977 Rz. 25; ähnlich: FG Freiburg, Urteil vom 23. Dezember 1958 I 168/57, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1959, 180, und Schulze zur Wiesche, Die Haftung der Banken für Steuerschulden ihrer Kunden, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1968, 755, zu § 108 der Reichsabgabenordnung - AO -).

2. Im Streitfall bestehen sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht Zweifel, ob im Hinblick auf die Abtretung der Kundenforderungen durch die MK und die Einflußmöglichkeiten auf den Betrieb, die der KSK im Zusammenhang mit der Vereinbarung hinsichtlich des Pachtvertrages eingeräumt worden sind, eine Verfügungsberechtigung der KSK über die finanziellen Mittel der Steuerpflichtigen i. S. des § 35 AO 1977 angenommen werden kann. Das FG hat eine Verfügungsberechtigung im vorstehenden Sinne verneint. Es ist von einer bloßen Sicherungsabtretung der Kundenforderungen ausgegangen, da nach seinen Ausführungen eine Einflußnahme der KSK auf die Geschäftsführung - auch hinsichtlich der Auswahl der über das Geschäftskonto auszuführenden Überweisungsaufträge - nicht festgestellt werden konnte. Mit der Begründung, daß die Zahlungs- und Überweisungsaufträge allein durch die MK erteilt worden seien, hat die Vorentscheidung auch ein Auftreten der KSK als Verfügungsberechtigte nach außen verneint.

Es kann dahinstehen, ob das FG bei seiner tatsächlichen und rechtlichen Würdigung des Streitfalles die im Tatbestand der Vorentscheidung festgestellten Befugnisse, die der KSK im Zusammenhang mit dem Pachtverhältnis zwischen der MK und ihren Eltern eingeräumt worden waren - vorrangiger Anspruch der KSK auf einen wesentlichen Teil der wöchentlichen Pachtzinsen, Einsichtnahme in die Geschäftsunterlagen der Pächterin (MK), Weisungsrecht an die Verpächter zur Kündigung des Pachtverhältnisses -, ausreichend berücksichtigt hat. Ferner kann unentschieden bleiben, ob das FG - wie die Revision rügt - seiner Beurteilung der Sicherungsabtretung der Kundenforderungen auch die Einziehungsermächtigung der Zessionarin (KSK) bei Fälligkeit und die prozessuale Geltendmachung einer abgetretenen Kundenforderung in einem bestimmten Fall, wie sie sich aus dem vom FG in Bezug genommenen Urteil des OLG Frankfurt am Main vom 18. Mai 1990 ergeben, hätte zugrunde legen müssen und ob sich daraus sowohl eine über den Sicherungszweck hinausgehende Verfügungsbefugnis der KSK als auch das nach § 35 AO 1977 erforderliche Auftreten des Verfügungsberechtigten nach außen ergibt. Der Senat braucht zu der in Rechtsprechung, Schrifttum und Verwaltungsanweisungen - wie ausgeführt - äußerst umstrittenen Frage, unter welchen Umständen ein Kreditinstitut, dem - wie im Streitfall - vom Geschäftsinhaber nahezu alle Kundenforderungen zur Sicherheit abgetreten worden sind, Verfügungsberechtigter i. S. des § 35 AO 1977 ist, nicht abschließend Stellung zu nehmen. Im Streitfall kommt eine Inanspruchnahme der Klägerin als Rechtsnachfolgerin der KSK nach §§ 69, 35 AO 1977 jedenfalls deshalb nicht in Betracht, weil die KSK rechtlich nicht in der Lage war, wie ein gesetzlicher Vertreter (§ 34 Abs. 1 AO 1977) die steuerlichen Pflichten der MK zu erfüllen.

3. a) Wie das FG zutreffend erkannt hat, sieht § 35 AO 1977 - anders als § 108 AO - einen Übergang der Pflichten des gesetzlichen Vertreters auf den Verfügungsberechtigten nur vor, "soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann". Mit dieser auf Anregung des Bundesrats in den Gesetzentwurf eingefügten Einschränkung soll nach der Gesetzesbegründung klargestellt werden, daß die tatsächliche Verfügungsmöglichkeit nicht ausreicht, um die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters zu begründen (BTDrucks 7/4292, S. 19 zu § 35 AO 1977). Es bedarf vielmehr auch der Fähigkeit, aufgrund bürgerlich-rechtlicher Verfügungsmacht im Außenverhältnis wirksam zu handeln (Urteil des Senats in BFHE 156, 46, BStBl II 1989, 491, 492; Offerhaus, a. a. O., § 35 AO 1977 Rz. 2, 9 und 14).

Um die notwendige Eigenständigkeit der Vorschrift gegenüber den Regelungen in § 34 AO 1977 zu gewährleisten, die auch die Revision bei der Rechtsauffassung des FG als gefährdet ansieht, hat der Senat eine mittelbare rechtliche Verfügungsbefugnis als ausreichend angesehen. Er hat im Hinblick auf die Verfügungsmacht einer Alleingesellschafterin einer GmbH in BFHE 163, 106, BStBl II 1991, 284, 286 ausgeführt, § 35 AO 1977 sei dahin auszulegen, daß es ausreiche, wenn der Verfügungsberechtigte tatsächlich und rechtlich Rechtsverhältnisse herbeiführen könne, aufgrund deren er in der Lage sei, rechtlich verbindlich die Pflichten des gesetzlichen Vertreters entweder selbst zu erfüllen oder durch die Bestellung der entsprechenden Organe erfüllen zu lassen.

b) Im Streitfall war die KSK weder unmittelbar noch mittelbar in der Lage, die steuerlichen Pflichten der MK mit rechtlicher Wirkung gegenüber dieser und dem FA wie ein gesetzlicher Vertreter zu erfüllen.

Nach den Feststellungen des FG, gegen die zulässige und begründete Verfahrensrügen nicht erhoben worden sind, sind Anhaltspunkte dafür, daß der KSK die bürgerlich-rechtliche Verfügungsmacht eingeräumt worden ist, im Außenverhältnis wirksam für die Steuerpflichtige MK zu handeln, nicht ersichtlich. Die Sicherungsabtretung hinsichtlich der Kundenforderungen und die Vereinbarung im Zusammenhang mit dem Pachtvertrag begründeten keine rechtliche Befugnis der KSK, aufgrund deren sie wie ein Treuhänder oder Geschäftsführer mit rechtlicher Wirkung gegenüber der Pächterin über deren finanzielle Mittel - auch soweit sie dieser nur darlehensweise zur Verfügung gestellt worden waren - hätte verfügen können. Im Streitfall konnte - wie das FG ausgeführt hat - auch nicht festgestellt werden, daß die KSK tatsächlich aktiv in den Geschäftsbetrieb der MK eingegriffen bzw. deren Geschäfte treuhänderisch geführt hat. Anhaltspunkte dafür, daß Verbindlichkeiten nur nach vorheriger Abstimmung mit der KSK beglichen werden konnten, oder daß die KSK sich geweigert hat, Anweisungen der MK zur Begleichung der laufenden Betriebssteuern auszuführen, hat das FG nicht festgestellt.

Eine rechtliche Befugnis der KSK zur eigenständigen Entscheidung darüber, welche Verbindlichkeiten der MK zu erfüllen waren, ergibt sich auch nicht aus den vom FG festgestellten vertraglichen Vereinbarungen der Beteiligten. Über die Vermögenswerte der MK - auch soweit sie ihr im Kreditwege von der KSK zur Verfügung gestellt worden waren - konnte allein die Steuerpflichtige mit rechtlicher Wirkung verfügen. Diese hat auch - wie das FG festgestellt hat - durch die Erteilung von Zahlungsanweisungen und das Unterzeichnen von Überweisungsträgern selbst über ihre Gelder verfügt. Die KSK war somit nicht in der Lage, mit rechtlicher Wirkung gegenüber der Steuerpflichtigen und zu deren Lasten Steuerüberweisungen an das FA vorzunehmen, zu denen sie von der MK nicht beauftragt war. Die Weigerung der KSK gegenüber den Vertretern des FA, der Steuerpflichtigen kurz vor Zahlungseinstellung noch weitere Kredite zur Zahlung der Steuerschulden zur Verfügung zu stellen, erfolgte zur Wahrung eigener geschäftlicher Interessen und nicht in Ausübung einer der KSK von der Steuerpflichtigen eingeräumten bürgerlich-rechtlichen Verfügungsmacht über deren Vermögen.

Der Senat verkennt nicht, daß der KSK mit der Sicherungsabtretung nahezu sämtlicher Kundenforderungen (Buchst. A bis W), der Abwicklung des Zahlungsverkehrs über ein bei ihr geführtes Konto der Steuerpflichtigen und den ihr im Zusammenhang mit dem Pachtvertrag zustehenden Rechten zur Einsichtnahme in die Geschäftsunterlagen und zur Verpflichtung der Verpächter, das Pachtverhältnis bei nicht ordnungsgemäßer Geschäftsführung durch die MK zu kündigen, in tatsächlicher Hinsicht erhebliche Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten auf das Vermögen und auf die Geschäftsführung der Steuerpflichtigen eingeräumt worden waren, aufgrund deren die KSK - möglicherweise - auch auf eine (anteilige) Zahlung der Steuerschulden hätte hinwirken können. Daraus folgt aber noch nicht die rechtliche Verfügungsbefugnis, mit Wirksamkeit nach außen - wie ein Vertreter - selbst und ggf. gegen den Willen der MK deren Kontokorrentkonto mit Steuerzahlungen zugunsten des FA zu belasten. Da eine tatsächliche Verfügungsmöglichkeit - wie oben ausgeführt - nicht ausreicht, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters zu begründen, kann eine Bank, auch wenn sie in der Lage ist, durch wirtschaftlichen Druck auf die Verfügungen des Steuerpflichtigen einzuwirken, regelmäßig nicht als Verfügungsberechtigte i. S. des § 35 AO 1977 in Anspruch genommen werden (vgl. Offerhaus, a. a. O., § 35 AO 1977 Rz. 14; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. Mai 1985 2 K 50/83, EFG 1985, 587).

Eine rechtliche Verfügungsbefugnis der KSK über das Vermögen der Steuerpflichtigen folgt - entgegen der Auffassung des FA - auch nicht daraus, daß diese auf den Fortbestand und die Einstellung des gepachteten Betriebes Einfluß nehmen konnte. Nach den Feststellungen des FG kann nicht davon ausgegangen werden, daß die KSK ihre Befugnisse aufgrund der Sicherungsabtretung und der Vereinbarung im Zusammenhang mit dem Pachtvertrag in der Weise ausgenutzt hat, daß sie den Betrieb allein zum Zwecke der eigenen Befriedigung auf Kosten anderer Gläubiger und des FA bis zur Kündigung des Pachtverhältnisses hat fortführen lassen. Das FG hat nicht festgestellt, wie es zur Kündigung des Pachtverhältnisses gekommen ist. Selbst wenn die KSK die Verpächter hierzu gedrängt haben sollte, geschah dies in Ausübung ihrer rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen mit den Verpächtern, die zugleich ihre Darlehensschuldner waren, und nicht als Ausfluß einer bürgerlich-rechtlichen Verfügungsmacht über Vermögenswerte der MK.

Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, war die KSK auch nicht mittelbar rechtlich in der Lage, die steuerlichen Pflichten der MK mit rechtlicher Wirkung gegenüber dieser und dem FA zu erfüllen. Eine für die Anwendung des § 35 AO 1977 ausreichende mittelbare rechtliche Verfügungsbefugnis hat der Senat bei der Alleingesellschafterin einer GmbH deshalb angenommen, weil es dieser jederzeit möglich war, sich selbst zur Geschäftsführerin zu bestellen oder dafür zu sorgen, daß ein anderer Geschäftsführer bestellt wurde (BFHE 163, 106, BStBl II 1991, 284, 286). Die KSK war aber aufgrund der rechtsgeschäftlichen Befugnisse, die sich aus dem Kreditvertrag, der Sicherungsabtretung und der Vereinbarung im Zusammenhang mit dem Pachtverhältnis ergaben, nicht in der Lage, für sich selbst oder für einen anderen die rechtliche Stellung eines Geschäftsführers oder in ähnlicher Weise Verfügungsberechtigten in dem Betrieb der MK zu begründen und auf diese Weise - mittelbar - für die Entrichtung der Steuerschulden zu sorgen. Die wirtschaftlichen (tatsächlichen) Einflußmöglichkeiten der KSK im Betrieb der Steuerpflichtigen können - wie oben ausgeführt - die notwendige rechtliche Verfügungsbefugnis über die Vermögenswerte nicht begründen. Das FG hat demnach den angefochtenen Haftungsbescheid zu Recht aufgehoben.