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  BFH-Urteil vom 30.11.1995 (V R 39/94) BStBl. 1996 II S. 260

Die für den Beginn des Zinslaufs maßgebliche Rechtshängigkeit tritt ein mit der Erhebung der Klage gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid und nicht bereits mit der Klageerhebung in dem vorangegangenen, den Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid betreffenden Klageverfahren, das wegen Ergehens des Umsatzsteuerjahresbescheides für erledigt erklärt worden ist.

AO 1977 § 236 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1; FGO § 68.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Streitig ist, von welchem Zeitpunkt an den Erben der während des Revisionsverfahrens verstorbenen früheren Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) Zinsen auf Erstattungsbeträge zustehen. Mit der Umsatzsteuervoranmeldung für das IV. Quartal 1984 machte die Klägerin Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über die Lieferung eines Grundstücks geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erkannte die Vorsteuerbeträge wegen Gestaltungsmißbrauchs nicht an.

Hiergegen erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren am 26. Februar 1988 Klage. Am 6. April 1988 erließ das FA den Umsatzsteuerjahresbescheid 1984, in dem es die strittigen Vorsteuerbeträge ebenfalls nicht anerkannte, und erklärte den Rechtsstreit wegen des Vorauszahlungsbescheids in der Hauptsache für erledigt. Auf den Hinweis des Berichterstatters, die Klage gegen den Vorauszahlungsbescheid sei aufgrund des zwischenzeitlich ergangenen Umsatzsteuerjahresbescheids unzulässig geworden, erklärte auch die Klägerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Das Klageverfahren wurde durch Kostenbeschluß vom 27. Juni 1989 beendet.

Die von der Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid 1984 am 15. September 1989 erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) setzte die Umsatzsteuer auf . /. 81.490 DM fest.

Für diesen Erstattungsbetrag errechnete das FA mit Bescheid vom 13. September 1991 die Prozeßzinsen, wobei es als Tag des Zinsbeginns den 15. September 1989 - Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Klage gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid - und als Zinsende den 2. September 1991 annahm. Auf den Einspruch der Klägerin änderte das FA diesen Bescheid, indem es der Zinsberechnung nunmehr den 17. September 1991 - den Tag der Wertstellung des Erstattungsbetrags auf dem Konto der Klägerin - als Zinsende zugrunde legte.

Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das FG verpflichtete das FA antragsgemäß, weitere Prozeßzinsen in Höhe von 7.326 DM festzusetzen. Zur Begründung führte es aus, der Zinslauf habe bereits mit der Rechtshängigkeit der Klage gegen den Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für das IV. Quartal 1984, also am 26. Februar 1988, begonnen. Da der Klägerin die Möglichkeit, den Umsatzsteuerjahresbescheid nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens gegen den Vorauszahlungsbescheid zu machen, nicht aufgezeigt worden sei, werde dem Grundgedanken des § 236 der Abgabenordnung (AO 1977) nur auf diese Weise Rechnung getragen.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der es Verletzung von § 236 AO 1977 rügt. Das FA ist der Auffassung, der Zinslauf habe erst mit der Rechtshängigkeit der Klage gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid begonnen, weil die Steuer aufgrund dieser Klage erstattet worden sei. Ein Anspruch auf Prozeßzinsen für den vorhergehenden Zeitraum ergebe sich nicht aus § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977, da sich die Steuerfestsetzung im Vorauszahlungsbescheid nicht durch den Erlaß des Jahressteuerbescheids erledigt habe.

Die Klägerin hat im Revisionsverfahren beantragt, den Umsatzsteuerbescheid 1984 nach § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens zu machen und die Gerichtsakten, betreffend ihre Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Niedersächsischen FG vom 15. November 1993 (Az. des Bundesfinanzhofs - BFH -: V B 14/94), zum Verfahren hinzuzuziehen.

Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Entgegen der Auffassung des FG war der Erstattungsbetrag erst vom Tag der Rechtshängigkeit der Klage gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid 1984 an zu verzinsen.

Streitgegenstand ist die Rechtmäßigkeit der vom FA vorgenommenen Zinsfestsetzung, nicht eine Entscheidung im Billigkeitsverfahren.

1. Nach § 236 Abs. 1 AO 1977 ist die durch eine gerichtliche Entscheidung herabgesetzte und zu erstattende Steuer vom Tag der Rechtshängigkeit bis zur Auszahlung zu verzinsen. Rechtshängig wird die Streitsache durch Erhebung der Klage (§ 66 FGO). Der Senat hat bereits im Urteil vom 14. Oktober 1993 V R 36/89 (BFH/NV 1995, 849) entschieden, daß Wortlaut und Zweck des § 236 Abs. 1 AO 1977 auf Erstattungsansprüche abstellen, die als solche rechtshängig gewesen sind, und daß nicht Fälle erfaßt werden, in denen die Erstattung lediglich mittelbare Folge der gerichtlichen Entscheidung ist.

Die "Rechtshängigkeit" i. S. des § 236 Abs. 1 AO 1977 bezieht sich als ein verfahrensrechtlicher Begriff auf den im einzelnen in einem gerichtlichen Verfahren angefochtenen Verwaltungsakt (Steuerbescheid). "Rechtshängig" in diesem Sinne ist im Streitfall nur der angefochtene Umsatzsteuerjahresbescheid. Eine verfahrensrechtliche Verknüpfung des vorliegenden Anfechtungsverfahrens, betreffend den Umsatzsteuerjahresbescheid, mit dem zuvor in der Hauptsache erledigten Verfahren, betreffend die Umsatzsteuervorauszahlungen, besteht nicht, zumal kein Antrag nach § 68 FGO gestellt worden war. Eine materiell-rechtliche Identität der Streitfragen in beiden Gerichtsverfahren ist für die "Rechtshängigkeit" i. S. des § 236 Abs. 1 AO 1977 ohne Belang.

Der Antrag nach § 68 FGO konnte nicht wirksam im vorliegenden Revisionsverfahren gegen den Zinsbescheid nachgeholt werden. Voraussetzung für diesen Antrag ist, daß der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt worden ist (§ 68 Satz 1 FGO). Der im vorliegenden Verfahren mit der Klage angefochtene Verwaltungsakt ist der Bescheid über die Festsetzung von Prozeßzinsen. Dieser Bescheid wurde nicht geändert oder ersetzt. Sein Regelungsgehalt unterscheidet sich grundlegend von dem des Umsatzsteuerjahresbescheids 1984.

Demnach ist für Prozeßzinsen im Zusammenhang mit Ansprüchen aus einer Umsatzsteuervorauszahlung allein auf die Rechtshängigkeit der gegen diese Steuerfestsetzung gerichteten Klage abzustellen. Nur wenn durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in diesem Klageverfahren oder aufgrund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt wird, ist der zu erstattende oder zu vergütende Betrag nach § 236 Abs. 1 AO 1977 zu verzinsen. Die Herabsetzung der Steuer aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung in einem folgenden Klageverfahren, wie hier gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid desselben Jahres, wirkt sich, zumindest wenn kein Antrag nach § 68 FGO gestellt wird, auf das Entstehen von Prozeßzinsen für im ersten Klageverfahren geltend gemachte Ansprüche aus der Umsatzsteuervorauszahlung nicht aus.

2. Das Klagebegehren wird auch nicht durch § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 gestützt. Die Zinspflicht für Beträge, die aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über die Klage gegen einen Umsatzsteuerjahresbescheid zu erstatten oder zu vergüten sind, beginnt mit der Rechtshängigkeit der Klage gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid. Sie beginnt nicht nach § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 mit der Rechtshängigkeit einer vorgeschalteten Klage gegen einen inhaltsgleichen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid desselben Jahres.

Nach Wortlaut und Zweck des § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 soll Abs. 1 dieser Vorschrift, wonach ein Anspruch auf Prozeßzinsen entsteht, wenn der Kläger mit seiner Klage Erfolg hat, nur dann entsprechende Anwendung finden, wenn dem prozessualen Begehren des Steuerpflichtigen aufgrund einer Änderung des angefochtenen Bescheids entsprochen wird. Das ist hier nicht der Fall.

Der Senat hat unabhängig von dem insoweit gestellten Antrag die Gerichtsakten, betreffend die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin Az. V B 14/94, zum Verfahren hinzugezogen.

3. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war das erstinstanzliche Urteil aufzuheben. Die Klage war abzuweisen, da das FA bei seiner Zinsberechnung in dem angefochtenen Bescheid zu Recht den Tag der Rechtshängigkeit der Klage gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid als Beginn des Zinslaufs angesehen hat.