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  BFH-Urteil vom 14.3.1996 (IV R 44/95) BStBl. 1996 II S. 319

1. Eine Prozeßvollmacht muß dem Gericht im Original vorgelegt werden. Die Übermittlung einer Telekopie (Telefax) wahrt die nach § 62 Abs. 3 FGO gesetzte Ausschlußfrist nicht (Anschluß an BFH-Urteil vom 28. November 1995 VII R 63/95, BFHE 179, 5, BStBl II 1996, 105).

2. Ist der Bevollmächtigte nicht ausdrücklich aufgefordert worden, dem Gericht die Originalurkunde vorzulegen, kann im Hinblick auf die abweichende bisherige Rechtsprechung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht kommen.

FGO § 62 Abs. 3.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Für die Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat ihr jetziger Prozeßbevollmächtigter Klage erhoben. Innerhalb der vom Senatsvorsitzenden gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zum 21. Februar 1994 gesetzten Frist hat er die Prozeßvollmacht der Kläger vom 23. Januar 1994 dem Finanzgericht (FG) als Telefax übermittelt. Am 22. Februar 1994 ist das Original beim FG eingegangen.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG führte unter Hinweis auf das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 10. November 1993 12 K 43/92 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1994, 438) aus, die innerhalb der gesetzten Ausschlußfrist eingegangene Telekopie genüge nicht der verlangten Schriftform. Die Vorlage einer Fotokopie reiche nicht aus. Der Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. Januar 1989 IV R 21-23/87 (BFHE 156, 350, BStBl II 1989, 567) zur Fristwahrung genüge eine im Telebriefverfahren übermittelte Vollmacht, könne im Interesse der Klarheit (vgl. Zärban, Betriebs-Berater 1994, 2252) schon im Hinblick auf das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 23. Juni 1994 I ZR 106/92 (Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1994, 2298) nicht gefolgt werden.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügen die Kläger die Verletzung von Bundesrecht.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG hat allerdings zu Recht entschieden, daß die Kläger innerhalb der gesetzten Ausschlußfrist die Originalvollmacht nicht vorgelegt haben. Doch ist den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

1. Gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO i. d. F. des Art. 1 Nr. 9 des FGO-Änderungsgesetzes (FGO-ÄndG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109) ist die Bevollmächtigung durch eine schriftliche Vollmacht nachzuweisen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift kann die Vollmacht nachgereicht werden; hierfür kann eine Frist mit ausschließender Wirkung gesetzt werden. Zu Recht hat das FG ausgeführt, daß die Telekopie einer Prozeßvollmacht nicht der in § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO n. F. geforderten Schriftform entspricht.

a) Durch Urteil vom 28. November 1995 VII R 63/95 (BFHE 179, 5, BStBl II 1996, 105) hat der VII. Senat des BFH entschieden, daß es seit der Neufassung des § 62 Abs. 3 FGO und der damit erfolgten Angleichung an § 80 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) für den Nachweis der schriftlichen Vollmacht nicht mehr ausreicht, daß der Prozeßbevollmächtigte die ihm erteilte schriftliche Vollmacht dem Gericht durch Telefax übermittelt. Vielmehr ist im Hinblick auf das BGH-Urteil vom 23. Juni 1994 I ZR 106/92 (BGHZ 126, 266) auch im finanzgerichtlichen Verfahren für den Nachweis der Bevollmächtigung die Vorlage der schriftlichen Vollmacht im Original zu verlangen.

b) Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung des VII. Senates an. Soweit sich aus dem Urteil des erkennenden Senates in BFHE 156, 350, BStBl II 1989, 567 etwas anderes ergibt, hält er daran nicht mehr fest. Dieses Urteil ist ebenso wie das BFH-Urteil vom 15. Juni 1994 II R 49/91 (BFHE 174, 394, BStBl II 1994, 763 zu § 62 Abs. 3 FGO a. F.) ergangen. Dort hieß es in Satz 1: "Die Vollmacht ist schriftlich zu erteilen." Diese Formulierung entsprach somit dem auch für die Klageerhebung (§ 64 Abs. 1 Satz 1 FGO; vgl. insoweit zum Erfordernis der Schriftlichkeit BFH-Beschluß vom 29. November 1995 X B 56/95, BStBl II 1996, 140) und die Einlegung der Revision gewählten (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) Wortlaut. Demgegenüber verlangt § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO seit der Neufassung, daß die Bevollmächtigung durch eine schriftliche Vollmacht nachzuweisen ist. Zweck der Vorschrift ist daher nunmehr - wie auch in § 80 Abs. 1 ZPO - sicherzustellen, daß der Beweis für die Bevollmächtigung durch Vorlage der Vollmachtsurkunde selbst geführt wird. Im Streitfall hat das FG jedoch festgestellt, daß die Originalurkunde erst nach Ablauf der gesetzten Ausschlußfrist beim FG eingegangen ist.

2. Zu Recht ist das FG ferner davon ausgegangen, daß die gesetzte Ausschlußfrist wirksam war. Der Senatsvorsitzende hatte nämlich unter Hinweis auf § 63 Abs. 3 Satz 2 FGO den Prozeßvertreter der Kläger aufgefordert, eine schriftliche Prozeßvollmacht der Kläger vorzulegen. Da das Gesetz darunter - wie oben ausgeführt - die Vorlage der Originalvollmacht versteht, war die Fristsetzung entgegen der Ansicht der Kläger hinreichend bestimmt.

3. Den Klägern ist jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO). Sie haben die Vollmachtsurkunde einen Tag nach Ablauf der gesetzten Ausschlußfrist und damit innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO vorgelegt, so daß es eines Wiedereinsetzungsantrages nicht bedurfte (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO). Das fehlende Verschulden ist offenkundig.

Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger durfte im Hinblick auf die nahezu einhellige Kommentierung zu § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO n. F. (Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl., § 62 FGO Anm. 6 a; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 62 FGO Tz. 9, Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 62 Anm. 29; Spindler in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 62 FGO Rz. 105, 109) darauf vertrauen, daß die zu der alten Fassung des § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO ergangene Rechtsprechung des BFH (vgl. Senatsurteil in BFHE 156, 350, BStBl II 1989, 567; BFH-Urteile in BFHE 174, 394, BStBl II 1994, 763, und vom 2. August 1994 IX R 102/91, BFH/NV 1995, 534) fortgilt und es daher jedenfalls ausreicht, wenn er die ihm tatsächlich erteilte und vorliegende Originalvollmacht dem FG innerhalb der Ausschlußfrist lediglich in Form eines Telefax übermittelt, erst recht dann, wenn er außerdem - wie hier geschehen - die Vollmachtsurkunde dem FG sofort nachreicht (vgl. Gräber/Koch, a. a. O.). Das BGH-Urteil in BGHZ 126, 266 war zu diesem Zeitpunkt noch nicht ergangen und das vom FG angeführte Urteil des FG Baden-Württemberg vom 10. November 1993 12 K 43/92 (EFG 1994, 438) noch nicht bekannt, so daß der Prozeßbevollmächtigte auch keine Zweifel an der Wahrung der Ausschlußfrist durch die Übermittlung der Vollmacht als Telefax haben mußte. Zudem hatte der Vorsitzende Richter im Streitfall ausweislich der Akten - insoweit anders als in dem Fall des Urteils des FG Rheinland-Pfalz vom 7. März 1995 5 K 3076/94 (EFG 1995, 580) - nicht auf die Notwendigkeit der Vorlage einer Originalvollmacht hingewiesen. Im übrigen kann den Klägern nicht als Verschulden angerechnet werden, daß die noch am 20. Februar 1994 abgesandte Originalvollmacht das FG nicht innerhalb der üblichen Postlaufzeiten erreicht hat (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Mai 1995 1 BvR 2440/94, NJW 1995, 2546) und das FG zum Nachweis des Absendetages nicht den Briefumschlag aufbewahrt hat, mit dem ihm die Klagebegründung vom 20. Februar 1994 samt der Originalvollmacht übersandt worden ist.