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  BVerfG-Beschluß vom 29.11.1996 (2 BvR 1157/93) BStBl. 1997 II S. 415

Werden Einwendungen des Haftungsschuldners gegen eine Gewerbesteuerschuld auf Grundlage der gegenläufigen Rechtsprechung von Finanz- und Verwaltungsgerichtsbarkeit im Ergebnis vor Gericht nicht zur Kenntnis genommen, ist er dadurch in seinen Rechten aus Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

Leitsatz (vom BMF gebildet)

A.

Streitig ist, ob der Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG dadurch verletzt ist, daß Einwendungen gegen eine Gewerbesteuerschuld, für die er als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wurde, auf Grundlage gegenläufiger Rechtsprechung von Finanz- und Verwaltungsgerichtsbarkeit im Ergebnis vor Gericht nicht zur Kenntnis genommen worden sind.

I.

1. Der Beschwerdeführer - ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit - erwarb mit Kaufvertrag vom 20. August 1976 von der später liquidierten S-KG ein Grundstück. Die Gemeinde nahm den Beschwerdeführer als Betriebsübernehmer gemäß § 116 Reichsabgabenordnung (RAO) wegen rückständiger Gewerbesteuer der S-KG für das Jahr 1976 als Haftungsschuldner in Anspruch. Einen ersten Haftungsbescheid hob die Gemeinde auf, nachdem das Finanzgericht Baden-Württemberg den gegen die S-KG erlassenen Gewerbesteuerbescheid für nichtig erklärt hatte. Im Oktober 1985 erließ das Finanzamt einen neuen Gewerbesteuermeßbescheid, der im Anschluß an ein finanzgerichtliches Verfahren mit Bescheid vom 12. Mai 1987 erneut geändert wurde. Daraufhin änderte die Ausgangsbehörde die Gewerbesteuerbescheide gegenüber der S-KG und mit Bescheid vom 14. Mai 1987 den Haftungsbescheid gegenüber dem Beschwerdeführer. Gegen diesen Haftungsbescheid vom 14. Mai 1987 richtete sich nach erfolglosem Widerspruch die Klage - abgewiesen mit Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe -, die Berufung - zurückgewiesen mit Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg - sowie die Revision - zurückgewiesen mit Urteil des Bundesverwaltungsgerichts.

2. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Behörden- und Gerichtsentscheidungen sahen die formellen und materiellen Voraussetzungen der Haftung des Beschwerdeführers jeweils für gegeben an.

Einwendungen des Beschwerdeführers gegen die der Haftung zugrundeliegende Gewerbesteuerpflicht waren nach den Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts unbeachtlich. Eine Haftung des Beschwerdeführers nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 RAO setze das Bestehen einer Gewerbesteuerpflicht voraus; eine solche Gewerbesteuerpflicht der KG bestehe auch. Insoweit sei diese Haftung der akzessorischen Haftung der Bürgschaft im bürgerlichen Recht ähnlich. Diese Ähnlichkeit hebe indessen bei der gesetzlichen Haftung nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 RAO nicht die Zweistufigkeit des Besteuerungsverfahrens auf. Die Auswirkungen einer solchen gesetzlich angeordneten Zweistufigkeit treffe auch den Steuerhaftenden. Der Gewerbesteuermeßbescheid sei Grundlagenbescheid im Sinne des § 171 Abs. 10 AO. Dieser selbst enthalte kein Leistungsgebot. Mit diesem seien erst die Besteuerungsgrundlagen ermittelt und verbindlich festgestellt. Die im Meßbescheid getroffenen Feststellungen seien für den Gewerbesteuerbescheid als Folgebescheid bindend, § 212a Abs. 3, 212b Abs. 2 RAO, (jetzt § 184 Abs. 1 und § 182 Abs. 1 AO). Diese Bindung erstrecke sich auch auf die Heranziehung des Haftungsschuldners (Hinweis auf Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juli 1989 - BVerwG 8 C 85.87 - Buchholz 401.0 § 191 AO Nr. 3 S. 1 (3)). Die darin zum Ausdruck kommende Zäsur setze sich im Streitverfahren fort. Einwände gegen die im Gewerbesteuermeßbescheid festgestellten Besteuerungsgrundlagen bei der KG müßten im finanzgerichtlichen Rechtsweg geltend gemacht werden. Im verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsverfahren gegen einen Gewerbesteuerbescheid seien sie ausgeschlossen (Hinweis auf Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Januar 1980 - BVerwG 7 C 56.78 - Buchholz 401.5 § 5 Gewerbesteuergesetz Nr. 3 S. 8 (10 f., 13)). Dieser Ausschluß verletze nicht die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG (Hinweis auf Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Januar 1980, a. a. O., S. 13 f.). Denn derjenige, der aus Gewerbesteuerhaftung in Anspruch genommen werde, könne zur Nachprüfung der Steuermeßbescheide den Rechtsweg zu den Finanzgerichten beschreiten. Haftungsschuldner dürften kraft eigenen Rechts den Steuermeßbescheid anfechten (Hinweis auf § 184 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 166 AO; § 116 Abs. 1 Nr. 1 RAO). Nicht nur der Adressat eines Meßbescheids, sondern alle, die durch einen solchen Bescheid beschwert seien (§ 350 AO), könnten den Bescheid anfechten. Beschwert sei derjenige, der von einem Verwaltungsakt unmittelbar betroffen werde. Dies sei der Fall, wenn sich die im Verwaltungsakt getroffene Feststellung der Besteuerungsgrundlagen - hier: der Gewerbesteuermeßbescheid - derart bindend auf andere Verwaltungsakte auswirke, daß diese unangreifbar seien, solange und sofern der feststellende Verwaltungsakt nicht aufgehoben werde. So liege es beim Gewerbesteuerbescheid auch in bezug auf den Haftungsschuldner. Da die Gemeinde beim Erlaß eines Haftungsbescheids gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 1 RAO an die im Gewerbesteuermeßbescheid festgestellten Besteuerungsgrundlagen gebunden sei, beschwere dieser Bescheid auch den Beschwerdeführer; daher hätte auch der Beschwerdeführer ein Anfechtungsrecht nach § 166 i. V. m. § 350 AO. Dies ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu der inhaltlich entsprechenden Vorschrift des § 119 RAO (Hinweis auf BStBl III 1966, 610 (611)).

Es könne dahinstehen, ob diese Ausführungen auch dann gelten würden, wenn die Dritthaftung nur latent bestehe. Vorliegend sei die Gefahr des Zugriffs auf den Beschwerdeführer bereits bei Erlaß des Gewerbesteuermeßbescheids handgreiflich gewesen. Daher wäre die Beschreitung des Finanzrechtswegs nicht nur möglich und naheliegend sondern auch angeraten gewesen.

3. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3, 3 Abs. 1 GG, aus Art. 19 Abs. 4 GG, aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sowie aus Art. 103 Abs. 1 GG.

Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Verwaltungsakte und Urteile erschöpften sich nicht nur in der fehlerhaften Anwendung einfachen Rechts, sondern verletzten Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte des Beschwerdeführers.

Der Gewerbesteuerbescheid sei Folgebescheid des Gewerbesteuermeßbescheides. Dies gelte aber nicht im Verhältnis von Haftungsbescheid zu Steuerbescheid (§ 191 Abs. 1 AO, § 157 AO). Daher müsse der Steuergläubiger den Steuerbescheid dem Haftungsschuldner auch nicht bekannt geben. Es sei feststehende Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Hinweis auf Urteile des Bundesfinanzhofs, BStBl III 1957, 23; II 1987, 419 (421); BStBl II 1980, 210 (211)) sowie auch allgemeine Auffassung in der Literatur, daß der Haftungsschuldner mit der Anfechtung des Haftungsbescheides auch vorbringen könne, daß die der Haftung zugrundeliegende Steuerschuld nicht, nicht in der geltend gemachten Höhe oder nicht mehr bestehe. Der Haftungsschuldner benötige daher kein Recht zur Anfechtung des Steuerbescheides. Diese Grundsätze würden auch für die Gewerbesteuer und die Gewerbesteuerhaftung gelten. Etwas anderes hätte zwar noch die Reichsabgabenordnung in § 210a Abs. 2 vorgesehen, wonach der Haftungsschuldner unter der Voraussetzung des § 234 RAO hätte Einspruch einlegen können. Diese Regelungen seien allerdings mit der Geltung der Abgabenordnung 1977 entfallen. Wie auch der Oberbundesanwalt im Revisionsverfahren ausgeführt habe, sei der Gewerbesteuermeßbescheid mangels einer gesetzlichen Regelung nicht Grundlagenbescheid im Bezug auf den Haftungsbescheid; über die Fragen der persönlichen und sachlichen Gewerbesteuerpflicht sei daher - so der Oberbundesanwalt - als Vorfragen in dem verwaltungsgerichtlichen Haftungsprozeß zu befinden. Der Beschwerdeführer sei schließlich auch nicht entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne des § 166 AO kraft eigenen Rechts zur Anfechtung der Gewerbesteuermeßbescheide befugt. Das zu dieser Auffassung vom Bundesverwaltungsgericht zitierte Urteil des Bundesfinanzhofs (BStBl III 1966, S. 610 (611)) betreffe den anders gelagerten Fall einer Gesellschafterin einer OHG, die wegen rückständiger Umsatzsteuer als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen worden war. Diese hätte den gegen die Gesellschaft ergangenen Steuerbescheid aufgrund ihrer gesellschafterlichen Vertretungsmacht anfechten können.

Die Ausgangsbehörde, das Verwaltungsgericht, der Verwaltungsgerichtshof und das Bundesverwaltungsgericht hätten nicht berücksichtigt, daß gesetzlich die Prüfung aller Einwendungen eines Haftungsschuldners im Verfahren gegen den Haftungsbescheid vorgesehen sei; die Finanzverwaltung halte den Einspruch des Haftungsschuldners gegen den Gewerbesteuermeßbescheid, mit dem der Haftungsschuldner Einwendungen gegen Grund und Höhe der Gewerbesteuer hätte geltend machen wollen, für unzulässig. Der Verwaltungsgerichtshof und das Bundesverwaltungsgericht hätten im weiteren übersehen, daß dem Beschwerdeführer der Gewerbesteuermeßbescheid mit Rechtsbehelfsbelehrung nicht bekannt gegeben worden sei.

Im Ergebnis sei der Beschwerdeführer damit im Hinblick auf seine Einwendungen gegen Grund und Höhe der Gewerbesteuerschuld ohne Rechtsschutz. Die Einwendungen seien weder durch die Ausgangsbehörde und die Verwaltungsgerichte, noch durch die Finanzbehörde und die Finanzgerichte geprüft worden. Damit sei bei der Auslegung und Anwendung des Rechts der Einfluß der Grundrechte grundsätzlich verkannt und der verfassungsrechtlich garantierte Rechtsschutz willkürlich versagt worden. Denn der Beschwerdeführer habe nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts die gegen die S-KG erlassenen Gewerbesteuerbescheide mit Einspruch angefochten und vorgebracht, daß eine Gewerbesteuer der S-KG nicht oder jedenfalls nicht in der geltend gemachten Höhe bestünde. Das Finanzamt habe dazu mitgeteilt, daß die Gewerbesteuermeßbescheide weder für den Beschwerdeführer bestimmt seien, noch der Beschwerdeführer von den Bescheiden betroffen sei und der Einspruch daher als unzulässig verworfen werden müsse; diese Auffassung sei von den Fachreferaten der Oberfinanzdirektion, des Finanzministeriums Baden-Württemberg sowie des Bundesfinanzministeriums bestätigt worden. Der Beschwerdeführer könne nun nicht verpflichtet sein, zusätzlich den Finanzrechtsweg auszuschöpfen.

Die Rechtsanwendung durch die Ausgangsbehörde sowie durch die Verwaltungsgerichte seien in einem Maße fehlerhaft, daß sie unter keinem rechtlichen Aspekt mehr rechtlich vertretbar erscheinen und sich der Schluß aufdränge, daß die Entscheidungen auf sachfremden und willkürlichen Erwägungen beruhten. Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts beruhe auf einer Analogie zu § 182 Abs. 1 AO, womit es die alten Regelungen der §§ 210a Abs. 2, 212c Abs. 1 RAO teilweise aufrechterhalte.

Indem die Ausgangsbehörde die Haftungsbescheide erlassen habe, ohne zu prüfen, ob die Gewerbesteuerschuld dem Grunde und der Höhe nach bestehe, habe sie gegen das Rechtsstaatsprinzip und gegen den Gleichheitssatz verstoßen. Denn auf dem Boden dieser Rechtsauffassung hätte die Ausgangsbehörde dem Beschwerdeführer jedenfalls die jeweiligen Gewerbesteuermeßbescheide bekannt geben und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen müssen, statt lediglich nachrichtlich und ohne Rechtsbehelfsbelehrung einfache Kopien der an die Gesellschafter der S-KG gerichteten Gewerbesteuermeßbescheide zu übersenden. Das Finanzamt hätte daher zu Recht festgestellt, daß dem Beschwerdeführer die Gewerbesteuermeßbescheide schon nicht bekannt gegeben worden seien. Die Rechtsauffassung der Ausgangsbehörde und der Verwaltungsgerichte dazu, daß der Haftungsschuldner nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sei, einen Bescheid anzufechten, der ihm nicht bekannt gegeben werden müsse und ihm auch tatsächlich nicht bekannt gegeben worden sei, stelle eine mit Rechtsstaatsgrundsätzen schlechthin nicht mehr zu vereinbarende Beeinträchtigung der Rechtsposition des Beschwerdeführers und eine Ungleichbehandlung dar, die unter keinem sachlichen Gesichtspunkt vertretbar sei.

Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG sei verletzt, da auf Grundlage der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts dem Beschwerdeführer jede Möglichkeit eines effektiven Rechtsschutzes genommen sei; damit habe man nicht nur ein fehlerhaftes Verständnis einfachen Rechts gezeigt, sondern dieses in grundrechtswidriger Weise verkannt. Man habe eine Teilzuständigkeit der Finanzbehörde und der Finanzgerichte angenommen, ohne sich hierfür auf eine korrespondierende Anerkennung durch die Finanzverwaltung und die Finanzgerichtsbarkeit stützen zu können. Die eindeutige Regelung in Abschnitt 38 Abs. 2 der Gewerbesteuerrichtlinien sei ebensowenig beachtet worden, wie die Hinweise des Beschwerdeführers, daß ein Einspruch, den ein Haftungsschuldner gegen den Gewerbesteuermeßbescheid einlege, ohne Zweifel als unzulässig verworfen würde. In unverständlicher und nicht nachvollziehbarer Weise hätte sich das Bundesverwaltungsgericht darüber hinaus auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 28. Juli 1966 (BStBl III 1966, 610) gestützt.

Gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei verstoßen, wenn sich die Verwaltungsgerichte einer Prüfung der Frage des Bestehens einer Gewerbesteuerschuld entziehen. Im weiteren sei gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen, weil das Bundesverwaltungsgericht es willkürlich unterlassen hätte, den gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes anzurufen und ihm die Frage vorzulegen, ob im Rahmen einer Gewerbesteuerhaftung für die Prüfung der zugrundeliegenden Gewerbesteuerschuld die Verwaltungsgerichte oder die Finanzgerichte zuständig seien.

Art. 103 Abs. 1 GG sei schließlich verletzt, weil das Bundesverwaltungsgericht eine präkludierende Vorschrift in einer Weise auslege und anwende, die zeige, daß es die Bedeutung und Tragweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör verkannt habe. Unter Berufung auf § 351 Abs. 2 AO sei der Beschwerdeführer mit seinen Einwendungen ausgeschlossen worden; die Einwendung des Beschwerdeführers, daß Finanzamt und Finanzgerichte eine Anfechtung der Gewerbesteuermeßbescheide durch den Beschwerdeführer für unzulässig hielten, sei nicht Gegenstand richterlicher Erwägungen geworden.

II.

Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich der I. und der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs geäußert.

1. Der I. Senat des Bundesfinanzhofs verweist auf die einhellige Meinung in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur, wonach der Haftungsschuldner, gegen den nach § 191 Abs. 1 AO 1977 ein Haftungsbescheid erlassen worden sei, sowohl gegen die Haftungsschuld als auch gegen die Steuerschuld (sogenannte Primärschuld) Einwendungen erheben könnte. Der Haftungsschuldner sei daher grundsätzlich nicht mit dem Vortrag ausgeschlossen, die Primärschuld bestehe dem Grunde und der Höhe nach nicht oder nicht mehr. Ausnahmsweise könnten dem Haftungsschuldner gemäß § 166 AO Einwendungen gegen die Primärschuld abgeschnitten sein, wenn diese unanfechtbar gegenüber dem Steuerpflichtigen festgesetzt worden sei und der Haftungsschuldner entweder Gesamtrechtsnachfolger des Primärschuldners sei oder er rechtlich in der Lage gewesen wäre, den gegen diesen erlassenen Steuerbescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigter oder kraft eigenen Rechts anzufechten. Hier seien die Voraussetzungen des § 166 AO jedoch - anders als in der vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BStBl III 1966, 610) - nicht gegeben.

Es sei bedenklich, daß die Verwaltungsgerichte die Einwendungen des Beschwerdeführers gegen Grund und Höhe der Primärschuld aus verfahrensrechtlichen Gründen für unbeachtlich gehalten und sie daher auch nicht in Erwägung gezogen hätten. Damit werde der Beschwerdeführer mit diesen Einwendungen überhaupt nicht gehört. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren werde er nicht gehört, weil nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts die Einwendungen in einem den Gewerbesteuerbescheid betreffenden Rechtsbehelfsverfahren hätte vorgebracht werden können; in dem bereits abgeschlossenen, den Gewerbesteuerbescheid betreffenden Verfahren sei er mangels Beteiligung auch nicht gehört worden. Da der Beschwerdeführer durch den Gewerbesteuermeßbescheid nicht beschwert sei, hätte er auch keine Möglichkeit, in dem von ihm eingeleiteten neuen Rechtsbehelfsverfahren gegen den Bescheid eine Prüfung dieser Einwendung zu erreichen.

2. Der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs sieht einen Verstoß gegen den Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), wenn das tatsächliche Vorbringen des Beschwerdeführers zu Grund und Höhe der Erstschuld nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen worden sei, ohne daß dies durch Gründe des formellen oder materiellen Rechts gerechtfertigt wäre. Die einhellige Meinung in Rechtsprechung und Literatur erlaube dem Haftungsschuldner, sich gegen den nach § 191 Abs. 1 AO erlassenen Haftungsbescheid mit allen Einwendungen gegen die Haftungsschuld selbst und auch gegen die sogenannte Primärschuld zu wenden.

Die Voraussetzungen des § 166 AO lägen im Streitfall nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht berufe sich zu Unrecht auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BStBl III 1966, 610); der dort entschiedene Sachverhalt unterscheide sich ersichtlich von dem hier zugrundeliegenden Fall.

B.

I.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gegen die Urteile des Verwaltungsgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). In diesem Umfang ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Im übrigen nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93b i. V. m. § 93a BVerfGG nicht zur Entscheidung an.

II.

Die angegriffenen Urteile des Bundesverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg verstoßen gegen die vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung aus Art. 19 Abs. 4 GG und 103 Abs. 1 GG abgeleiteten Verfassungsprinzipien. Die Urteile stützen sich im wesentlichen auf die zur ständigen Rechtsprechung der Finanzgerichte gegenläufige Rechtsauffassung, daß der Beschwerdeführer seine Einwendungen gegen die der Haftung zugrundeliegende Primärschuld im finanzgerichtlichen Verfahren hätte geltend machen müssen, und es daher im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unerheblich sei, ob die KG überhaupt ein gewerbliches Unternehmen betrieben habe. Diese Einwendungen des Beschwerdeführers hätten der Verwaltungsgerichtshof und das Bundesverwaltungsgericht aber beachten müssen, denn nur so wäre der Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz angesichts der gegenläufigen Rechtsprechung der Finanzgerichtsbarkeit zu verwirklichen gewesen.

1. Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG sichert nicht nur formal die Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern gewährleistet auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Der Bürger hat einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle. Der Zugang zum Gericht darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 35, 263 (274); 40, 272 (274 f.); 77, 275 (284)). Auch zu Art. 103 Abs. 1 GG hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, daß das einfache Recht in seiner Anwendung im Einzelfall von Verfassungs wegen ein Ausmaß an Gehör eröffnen müsse, das sachangemessen ist, um dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gerecht zu werden (BVerfGE 60, 305 (310); 67, 208 (211); 74, 220 (224)). In diesen Entscheidungen kommt zum Ausdruck, daß sowohl die Rechtsweggarantie als auch das rechtliche Gehör jeweils dem gleichen Ziel, nämlich der Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes, dienen. Das Gebot der Effektivität gilt danach nicht nur für die Eröffnung des Zugangs zum Gericht, sondern auch für das Recht, im Verfahren gehört zu werden (BVerfGE 81, 123 (129)).

2. Die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen genügen diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht. Die in den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs zugrunde gelegten Rechtsauffassungen führen im Ergebnis dazu, daß dem Beschwerdeführer keine Rechtsschutzmöglichkeit zur Verfügung steht, um sich gegen eine Haftung mit Einwendungen gegen die zugrundeliegende Primärschuld zu wehren.

a) Nach einhelliger Meinung in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur kann der Haftungsschuldner, gegen den nach § 191 Abs. 1 AO ein Haftungsbescheid erlassen worden ist, im Haftungsverfahren nicht nur gegen die Haftungsschuld Einwendungen vorbringen, sondern grundsätzlich auch Einwendungen gegen die Steuerschuld erheben, für die er als Haftender in Anspruch genommen wird (sog. Primärschuld). Er kann insbesondere rügen, die Primärschuld bestehe dem Grunde oder der Höhe nach nicht oder nicht mehr (BFH vom 18. März 1987 - II R 35/86 -, BStBl II 1987, 419 = BFHE 149, 267; vom 8. Dezember 1981 - VII R 105/78 -, BStBl II 1982, 226 = BFHE 134, 532; vom 28. Januar 1982 - V R 100/80 -, BStBl II 1982, 292 = BFHE 135, 27; vom 17. Oktober 1980 - VI R 136/77 -, BStBl II 1981, 138 = BFHE 131, 449; Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 191 AO, Rn. 26; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 191 Anm. 10; Böker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 191 Rn. 105; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 191 Anm. 5).

Gemäß § 166 AO sind dem Haftungsschuldner ausnahmsweise Einwendungen gegen die Primärschuld dann abgeschnitten, wenn diese unanfechtbar gegenüber dem Steuerpflichtigen festgesetzt worden ist und der Haftungsschuldner entweder Gesamtrechtsnachfolger des Primärschuldners ist oder er rechtlich in der Lage gewesen wäre, den gegen diesen erlassenen Steuerbescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigter oder kraft eigenen Rechts anzufechten. Diese Voraussetzungen lagen indessen beim Beschwerdeführer nicht vor. Der Beschwerdeführer hat nur das Grundstück der S-KG erworben, ist aber nicht deren Gesamtrechtsnachfolger. Er war weder Vertreter noch Bevollmächtigter noch ehemaliger Gesellschafter der S-KG. Der Beschwerdeführer war schließlich auch nicht kraft eigenen Rechts befugt, die gegen die ehemaligen Gesellschafter der S-KG erlassenen Gewerbesteuermeßbescheide und Gewerbesteuerbescheide anzufechten. Denn der Beschwerdeführer war nicht Verwalter des Vermögens der S-KG oder deren Gesellschafter im Sinne des § 34 Abs. 3 AO. Unter Zugrundelegung der dargestellten - von Verfassungs wegen nicht zu beanstandenden - Rechtsauffassung war der Beschwerdeführer nicht durch die gegen die ehemaligen Gesellschafter erlassenen Gewerbesteuermeßbescheide und Gewerbesteuerbescheide beschwert. Die Steuerschuld ist danach von der Haftungsschuld zu unterscheiden; Steuer- und Haftungsschuld begründen zwei unterschiedliche Steuerrechtsverhältnisse mit unterschiedlichen verfahrensrechtlichen Konsequenzen (von Groll, in: Gräber, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 40 Rn. 117; Tipke/Kruse, a. a. O., § 40 FGO Tz. 16, Vor 69 AO Tz. 3 f.). Der Haftungsschuldner ist nur durch den Haftungsbescheid beschwert, nicht durch die Festsetzung der Primärschuld (Tipke/Kruse, a. a. O., § 122 AO Tz. 9).

Entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts in der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung kann aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 28. Juli 1966 (- V 64/64 -, BStBl III 1966, 610 = BFHE 86, 636) auch nicht die Berechtigung des Beschwerdeführers zur Anfechtung der Gewerbesteuermeßbescheide hergeleitet werden. Die zitierte Entscheidung des Bundesfinanzhofs betrifft einen Anwendungsfall der Ausnahmeregelung des § 166 AO, weil der Haftungsschuldner zugleich vertretungsberechtigter Gesellschafter des Primärschuldners gewesen ist.

b) Die Verletzung oder Nichtbeachtung einfach-rechtlicher Vorschriften, die dazu dienen, daß ein Verfahrensbeteiligter sich vor dem Gericht zu Gehör bringen kann, bedeutet nicht notwendigerweise einen Grundrechtsverstoß. Allerdings müssen sowohl die normative Ausgestaltung des Verfahrensrechts wie auch das gerichtliche Verfahren im Einzelfall ein Ausmaß an rechtlichem Gehör eröffnen, das sachangemessen ist, um dem aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gerecht zu werden. Die Beteiligten müssen die Möglichkeit haben, sich im Prozeß mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (BVerfGE 55, 1 (6); 60, 305 (310)). Sofern dieses verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß gewahrt ist, kann der Vortrag eines Verfahrensbeteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise außer Betracht bleiben (vgl. BVerfGE 54, 117 (123); 60, 305 (310); st. Rspr). Ein Grundrechtsverstoß liegt indessen vor, wenn das Gericht bei der Auslegung oder Anwendung der einfach-rechtlichen Vorschriften die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf rechtliches Gehör verkannt hat (BVerfGE 54, 94 (97, 99); 60, 305 (310 f.)). Es bedarf danach im Einzelfall der Prüfung, ob das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten Rechtsschutzes verkürzt worden ist.

Der Beschwerdeführer hatte schlechthin keine Möglichkeit, mit seinen Einwendungen gegen seine Haftung vor Gericht gehört zu werden. Die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs haben zur Folge, daß die Gerichte seine Einwendungen überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wurde er mit seinen Einwänden nicht gehört, weil nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs er die Einwendungen in einem den Gewerbesteuermeßbescheid betreffenden Rechtsbehelfsverfahren hätte vorbringen können oder noch vorbringen kann. Im bereits abgeschlossenen, den Gewerbesteuermeßbescheid betreffenden Verfahren wurde er nicht gehört, da er an diesen Verfahren nicht beteiligt war. Da der Beschwerdeführer durch den Gewerbesteuermeßbescheid - wie dargelegt - nach einhelliger Meinung nicht beschwert ist, hat er auch keine Möglichkeit, in dem von ihm eingeleiteten neuen Rechtsbehelfsverfahren gegen den Bescheid eine Prüfung dieser Einwendungen zu erreichen; davon gingen auch das Finanzamt, die Fachreferate der Oberfinanzdirektion, das Finanzministerium Baden-Württemberg und das Bundesfinanzministerium übereinstimmend aus; auch sie hielten den Einspruch des Beschwerdeführers gegen den Gewerbesteuermeßbescheid für unzulässig.

3. Da die angegriffenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg bereits wegen eines Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 i. V. m. Art. 103 Abs. 1 GG aufzuheben waren, kann dahinstehen, ob die übrigen vom Beschwerdeführer gegen diese Entscheidungen erhobenen Grundrechtsrügen begründet sind.

4. Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

a) Soweit sich der Beschwerdeführer auch gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts wendet, ist nichts für einen Verstoß gegen die Art. 19 Abs. 4 und 103 Abs. 1 GG ersichtlich; der Beschwerdeführer hat erst im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg und dem Bundesverwaltungsgericht das Bestehen der Primärschuld deutlich bestritten und insbesondere auf die Rechtslage hingewiesen, wonach er Einwendungen gegen die dem Haftungsbescheid zugrundeliegende Primärschuld nicht im finanzbehördlichen und finanzgerichtlichen Verfahren geltend machen könne. Das Verwaltungsgericht hatte daher keinen Anlaß zu prüfen, ob insoweit überhaupt das Vorliegen einer haftungsbegründenden Primärschuld fraglich sein könnte. Insoweit war die Verfassungsbeschwerde daher mangels hinreichender Erfolgsaussichten nicht zur Entscheidung anzunehmen.

b) Gleiches gilt für die ebenfalls mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Behördenentscheidungen.

III.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.