| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 19.3.1998 (V R 7/97) BStBl. 1998 II S. 399

Hat das FA im Einspruchsverfahren gegen einen Schätzungsbescheid dem Einspruchsführer (Kläger) vergeblich eine Frist zur Angabe der Tatsachen gesetzt, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung er sich beschwert fühlt (§ 364b Abs. 1 Nr. 1 AO 1977), darf das FG eine erst im Klageverfahren eingereichte Steuererklärung nach § 76 Abs. 3 FGO zurückweisen und insoweit ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn die Fristsetzung durch das FA rechtmäßig ist, die Voraussetzungen des § 79b Abs. 3 FGO erfüllt sind und die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach Aktenlage nicht zu beanstanden ist.

FGO § 76 Abs. 3, § 79b Abs. 3; AO 1977 § 364b.

Vorinstanz: FG München (EFG 1997, 1201)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt ein Vermietungsunternehmen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte mit Bescheid vom 23. September 1994 die Umsatzsteuer 1992 (Streitjahr) gegenüber dem Kläger unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf 4.200 DM fest. Die Besteuerungsgrundlagen (Umsätze aus steuerpflichtiger Vermietung) wurden dabei geschätzt, weil der Kläger keine Umsatzsteuererklärung abgegeben hatte. Mit Änderungsbescheid vom 20. November 1995 erhöhte das FA die geschätzten Umsätze von bislang 30.000 DM auf nunmehr 50.000 DM, setzte die Umsatzsteuer 1992 auf 7.000 DM fest und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein.

Nachdem der Kläger weder den Einspruch begründet noch die ausstehende Steuererklärung eingereicht hatte, forderte ihn das FA mit Schreiben vom 29. Februar 1996 gemäß § 364b Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) auf, bis zum 30. April 1996 die Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung er sich beschwert fühle, insbesondere die bei der Schätzung nicht berücksichtigten steuermindernden Sachverhalte. Das FA wies darauf hin, daß Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf dieser Frist vorgebracht werden, im Einspruchsverfahren nicht zu berücksichtigen seien, es sei denn, die Voraussetzungen für eine Änderung zum Nachteil des Klägers (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977) oder für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO 1977) lägen vor. Weiter wies das FA den Kläger u. a. darauf hin, daß er dieser Aufforderung durch Einreichung der vollständigen Steuererklärung nachkommen könne.

Nach erfolglosem Ablauf der Frist wies das FA den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 8. Mai 1996 als unbegründet zurück.

Zur Begründung seiner daraufhin erhobenen Klage trug der Kläger vor, er erziele steuerpflichtige Umsätze aus Vermietung und Verpachtung und gemeinsam mit seiner Ehefrau Umsätze aus Gewerbebetrieb. Dem FA habe dies aus verschiedenen Gründen bekannt sein müssen. Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid enthalte die Erlöse aus beiden unternehmerischen Tätigkeiten und sei damit sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich der Adressierung fehlerhaft. Demgemäß könne die Vorschrift des § 364b AO 1977 nicht eingreifen und es sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur weiteren Begründung legte der Kläger (neben einer Umsatzsteuererklärung für die BGB-Gesellschaft) seine Umsatzsteuererklärung 1992 vor, die bei Umsätzen von 28.643 DM (Umsatzsteuer 4.010,02 DM) und abziehbaren Vorsteuerbeträgen von 9.345,76 DM einen Überschuß von 5.335,80 DM ausweist.

Nachdem das Finanzgericht (FG) den Kläger vergeblich aufgefordert hatte, dazu Stellung zu nehmen, ob und ggf. welcher Entschuldigungsgrund für das Versäumen der vom FA nach § 364b AO 1977 gesetzten Frist bestehe, wies es die Klage als unbegründet ab.

Nach Auffassung des FG ist es nicht ermessensfehlerhaft, eine erst im finanzgerichtlichen Verfahren vorgelegte Steuererklärung nach § 76 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen, wenn - wie im Streitfall - Anhaltspunkte für das Erfordernis weiterer Aufklärungen bestünden, z. B. wegen der geltend gemachten Vorsteuerbeträge, und auch sonst keine Gründe vorlägen, die behördliche Entscheidung zu beanstanden.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung der Ermittlungspflicht des Gerichts (§ 76 Abs. 1 und 3 FGO).

Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat die Klage zu Recht ohne weitere Sachverhaltsaufklärung abgewiesen.

1. Das FG kann gemäß § 76 Abs. 3 i. V. m. § 79b Abs. 3 Satz 1 FGO Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der von der Finanzbehörde nach § 364b Abs. 1 AO 1977 gesetzten Frist im Einspruchsverfahren oder im finanzgerichtlichen Verfahren vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn

1. ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und

2. der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt und

3. der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.

Der Entschuldigungsgrund ist auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen (§ 76 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 79b Abs. 3 Satz 2 FGO). Eine Zurückweisung und Entscheidung ohne weitere Ermittlungen ist nicht zulässig, wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln (§ 76 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 79b Abs. 3 Satz 3 FGO).

2. Die Voraussetzungen für die Zurückweisung der im finanzgerichtlichen Verfahren nachgereichten Erklärung lagen im Streitfall vor.

a) Der Kläger hat erst nach Ablauf der ihm vom FA nach § 364b Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gesetzten Frist - im Klageverfahren - Erklärungen, die den angefochtenen Umsatzsteuer-Schätzungsbescheid 1992 betrafen. vorgebracht und die Umsatzsteuererklärung 1992 eingereicht (§ 76 Abs. 3 Satz 1 FGO). Die Fristsetzung war rechtmäßig. Insbesondere war der Kläger über die Rechtsfolgen der Versäumung der (ausreichend bemessenen) Frist belehrt worden (§ 364b Abs. 3 AO 1977). Damit war der Kläger für die Einspruchsentscheidung mit weiteren Erklärungen und Beweismitteln ausgeschlossen.

b) Die nachträgliche Zulassung der bezeichneten Erklärungen im finanzgerichtlichen Verfahren hätte nach der Überzeugung des FG die Erledigung des Rechtsstreits verzögert (§ 76 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 79b Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).

Das FG hat hierzu ausgeführt, der Kläger trage selbst vor, daß Umsätze aus seiner gemeinsam mit seiner Ehefrau betriebenen gewerblichen Tätigkeit im streitbefangenen Bescheid miterfaßt worden seien. Ob dies und ggf. in welcher Höhe dies der Fall sei, bedürfe weiterer Aufklärung, die die Erledigung des Rechtsstreits ebenso verzögern würde wie eine Überprüfung der geltend gemachten Vorsteuerbeträge. Zu den Vorsteuerbeträgen ergebe sich aus den Akten, daß in dem Anwesen A, das durch teilweise Vermietung der Unternehmertätigkeit des Klägers zugrunde liege, das Dachgeschoß ausgebaut worden und mit Rücksicht darauf die Steuerfestsetzung für 1991 hinsichtlich des Vorsteuerabzugs nach § 165 Abs. 1 AO 1977 vorläufig erfolgt sei. Auch insoweit wäre eine weitere Aufklärung erforderlich und ohne Mitwirkung des Klägers eine Sachverhaltsermittlung nur mit erheblichem Aufwand möglich (§ 79b Abs. 3 Satz 3 FGO).

Diese Ausführungen des FG halten einer revisionsrechtlichen Prüfung stand. Sie werden auch mit der Revision nicht angegriffen. Soweit der Kläger geltend macht, das FG habe seine Ermittlungspflicht nach § 76 Abs. 1 und 3 FGO dadurch verletzt, daß es nicht festgestellt habe, ob zwischen ihm (dem Kläger) und seiner Ehefrau ein Gesellschaftsverhältnis vorliege und deshalb der angefochtene Bescheid fehlerhaft adressiert sei, geht er selbst davon aus, daß weitere - die Erledigung des Rechtsstreits verzögernde - Ermittlungen des FG erforderlich gewesen wären.

c) Der Kläger hat die Verspätung nicht genügend entschuldigt (§ 76 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 79b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Er hat - auch auf Frage des FG - keine Gründe genannt, die ihn an der Einhaltung der vom FA gesetzten Frist gehindert haben. Sonstige Anhaltspunkte, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen könnten (vgl. § 364b Abs. 2 Satz 3 AO 1977), waren nicht ersichtlich, wie das FG zutreffend dargelegt hat.

3. Das FG hat von seinem ihm durch § 76 Abs. 3 Satz 1 FGO eingeräumten Ermessen ("kann") fehlerfrei Gebrauch gemacht. Es hat erkannt, daß es bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eine Ermessensentscheidung zu treffen und nicht zwingend das verspätete Vorbringen des Klägers bei der Urteilsfindung außer Betracht zu lassen hat. Das FG hat ferner den Zweck der gesetzlichen Ermächtigung beachtet.

Durch § 76 Abs. 3 FGO wird die vom FA gemäß § 364b AO 1977 begründete Ausschlußwirkung vor dem FG fortgesetzt (vgl. Hellwig in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 76 FGO Rz. 78 b). § 364b AO 1977 soll dem Mißbrauch des außergerichtlichen und gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens zu rechtsbehelfsfremden Zwecken entgegenwirken. Ziel der Regelung ist es, die Gerichte von Klagen und Rechtsmitteln freizustellen, die durch nachträgliches Vorbringen, insbesondere durch verspätete Abgabe oder Nichtabgabe von Steuererklärungen, verursacht werden (vgl. BT-Drucks. 12/7427, S. 37; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 364b AO 1977 Rz. 2).

Diesem Gesetzeszweck entspricht im Streitfall die Zurückweisung der Erklärungen des Klägers durch das FG. Das FG hat dabei insbesondere beachtet, daß der Kläger nur mit seinem verspäteten Vorbringen gemäß § 76 Abs. 3 FGO ausgeschlossen ist, die übrigen für die Entscheidungsfindung erforderlichen Ermittlungen aber durchgeführt werden müssen (vgl. Hellwig, a. a. O., § 76 FGO Rz. 78 f). Es hat dementsprechend zutreffend geprüft, ob nach Lage der Akten Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestanden.

Es hat die vom Kläger aufgeworfene Frage der fehlerhaften Adressierung des Bescheides mit der zutreffenden Erwägung verneint, daß der Kläger - wie sich auch aus der von ihm eingereichten Steuererklärung ergebe - (insoweit) als Einzelunternehmer tätig sei und demzufolge ein an ihn gerichteter Umsatzsteuerbescheid keinen Adressierungsmangel aufweise.

Das FG hat ferner ausgeführt, die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen sei dem Grunde und der Höhe nach nicht zu beanstanden (§ 162 Abs. 1 AO 1977). Zwar ergäben sich aus den Umsatzsteuererklärungen der Vorjahre steuerpflichtige Umsätze in Höhe von 24.046 DM (1990) bzw. 28.652 DM (1991). Das FA sei dadurch aber nicht gehindert gewesen, die Bemessungsgrundlage im streitbefangenen Bescheid mit 50.000 DM zu schätzen; denn es habe im Rahmen der Schätzung nicht nur von einer Erhöhung der Umsätze entsprechend dem Verlauf der Vorjahre, sondern auch davon ausgehen können, daß das Dachgeschoß inzwischen ausgebaut und einer Vermietung zugeführt worden sei. Unsicherheiten hierüber gingen im Rahmen der Schätzung zu Lasten des Klägers.

Diese Ausführungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Senatsbeschluß vom 25. Februar 1993 V B 167/92, BFH/NV 1994, 259, m. w. N.). Entgegen der Auffassung des Klägers hätte das FG nicht prüfen müssen, ob auf der Grundlage der Daten zur maximal vermietbaren Fläche sowie zu den erzielbaren Quadratmeterpreisen, die dem FA aufgrund einer betriebsnahen Veranlagung für 1991 bekannt gewesen seien, überhaupt eine Jahresmiete von 50.000 DM plausibel sei. Denn dem FG waren diese Daten nicht bekannt. Der Kläger hatte hierzu - auch im Klageverfahren - nichts vorgetragen.