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  BFH-Urteil vom 16.12.1998 (II R 50/97) BStBl. 1999 II S. 79

Der Wegfall der Ermäßigung der Einheitswerte um 20 v. H. für die in Berlin (West) belegenen bebauten Grundstücke ab 1. Januar 1994 ist verfassungsmäßig.

BewG a.F. § 122 Abs. 3; BewG i.d.F. des StMBG § 22 Abs. 1, § 27, § 122 Abs. 5, § 124 Abs. 8, §§ 129 f., § 133; VO zu § 122 Abs. 3 BewG § 1; GG Art. 3 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Berlin (EFG 1997, 721)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Eigentümer eines bebauten Grundstücks in Berlin-Schöneberg, das der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) bei der Hauptfeststellung auf den 1. Januar 1964 als Geschäftsgrundstück i. S. des § 76 Abs. 1 Nr. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) i. d. F. vom 10. Dezember 1965 - BewG a. F. - (BGBl I 1965, 1861, BStBl I 1966, 3) bewertet hatte. Den im Ertragswertverfahren gemäß §§ 78 ff. BewG a. F. ermittelten Wert von 707.576 DM ermäßigte das FA nach § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 122 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes (VO zu § 122 Abs. 3 BewG a. F.) vom 2. September 1966 (BGBl I 1966, 555, BStBl I 1966, 887) um 20 v. H. und stellte dementsprechend mit Bescheid vom 19. Februar 1968 den Einheitswert auf (abgerundet) 566.000 DM fest. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Mit Bescheid vom 4. Februar 1994 stellte das FA den Einheitswert des Grundstücks im Wege der Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1994 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) auf 707.500 DM fest. Das FA begründete die Wertfortschreibung damit, daß gemäß § 122 Abs. 5 i. V. m. § 124 Abs. 8 BewG i. d. F. des Gesetzes zur Bekämpfung des Mißbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz - StMBG -) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2310, BStBl I 1994, 50) - BewG n. F. - die Ermäßigung von 20 v. H. bei der Ermittlung der Grundstückswerte der in Berlin (West) belegenen bebauten Grundstücke zum 1. Januar 1994 entfalle.

Mit der hiergegen nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage begehrte der Kläger die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Bescheids. Zur Begründung machte der Kläger im wesentlichen geltend, der durch Art. 14 StMBG angeordnete Wegfall der Berlin-Ermäßigung von 20 v. H. reiße die Einheitswerte der bebauten Grundstücke im früheren Westteil Berlins aus dem einheitlichen Einheitswertgefüge des (Alt-)Bundesgebiets heraus und verstoße damit gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) sowie gegen die Vorschrift des § 27 BewG, die zur Wahrung der Gleichmäßigkeit die Beibehaltung der Wertverhältnisse vom 1. Januar 1964 für den gesamten Hauptfeststellungszeitraum vorsehe.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 721 veröffentlichten Urteil abgewiesen. Es verneinte die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Wertfortschreibungsbescheids auf den 1. Januar 1994, weil die gesetzliche Anordnung des Wegfalls der Berlin-Ermäßigung nicht verfassungswidrig sei.

Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Er rügt mangelnde Sachaufklärung durch das FG sowie Verletzung materiellen Bundesrechts und beantragt, die Sache dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Entscheidung vorzulegen, da die Aufhebung der Berlin-Ermäßigung gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoße und willkürlich sei.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Zutreffend hat die Vorinstanz entschieden, daß der Kläger durch den angegriffenen Wertfortschreibungsbescheid des FA vom 4. Februar 1994 nicht in seinen Rechten verletzt wird. Denn der zum 1. Januar 1994 eintretende Wegfall der Ermäßigung der Einheitswerte um 20 v. H. für die in Berlin (West) belegenen bebauten Grundstücke nach § 1 VO zu § 122 Abs. 3 BewG a. F. ist verfassungsmäßig.

1. Die Verfahrensrüge des Klägers greift nicht durch. Einer Begründung bedarf es insoweit nicht (Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs).

2. Nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 BewG findet beim Grundbesitz eine Wertfortschreibung statt, wenn der nach § 30 BewG abgerundete Wert, der sich für den Beginn eines Kalenderjahres ergibt, vom Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunkts nach oben um mehr als den zehnten Teil, mindestens aber um 5.000 DM abweicht. Im Streitfall sind diese Wertfortschreibungsgrenzen unstreitig überschritten.

Nach § 27 BewG sind einer Fortschreibung des Einheitswerts für Grundbesitz die Wertverhältnisse im Hauptfeststellungszeitpunkt zugrunde zu legen. Die Fortschreibung ist gerechtfertigt, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben (§ 22 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 BewG). Diese Voraussetzungen hat das FG zu Recht bejaht. Denn der die Wertfortschreibung auslösende Wegfall der Ermäßigung des Grundstückswerts nach § 1 VO zu § 122 Abs. 3 BewG steht kraft ausdrücklicher Anordnung in § 122 Abs. 5 BewG n. F. einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gleich.

3. Die Änderungen des § 122 Abs. 3 BewG durch Art. 14 StMBG, wonach die Ermächtigung zum Erlaß einer die besonderen Verhältnisse am Grundstücksmarkt für den Grundbesitz in Berlin (West) berücksichtigenden Verordnung nur bis zum 30. Dezember 1993 gilt (§ 122 Abs. 3 Satz 2 BewG n. F.), der Wegfall der Ermäßigung nach § 1 VO zu § 122 Abs. 3 BewG n. F. sowie die Regelung in § 122 Abs. 5 BewG n. F., wonach der Wegfall der Ermäßigung nach § 122 Abs. 3 BewG a. F. einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gleichsteht und § 27 BewG insoweit nicht anzuwenden ist, sind verfassungsrechtlich zulässig; sie verletzen insbesondere nicht den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

a) Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 15. März 1974 III R 143/72 (BFHE 112, 192, BStBl II 1974, 398) entschieden, daß sowohl die Ermächtigung in § 122 Abs. 3 i. V. m. § 123 BewG a. F. als auch die auf dieser Ermächtigung beruhende Durchführungsverordnung verfassungsgemäß waren. An dieser Rechtsprechung hält der erkennende Senat fest. Wie in der Entscheidung im einzelnen ausgeführt ist, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 122 Abs. 3 BewG a. F., der Überschrift "Besondere Vorschriften für Berlin (West)" und dem Gesamtinhalt des Bewertungsgesetzes eindeutig als Zweck und Inhalt der Ermächtigung die Berücksichtigung der besonderen Grundstücksverhältnisse in Berlin (West) gegenüber den allgemein gültigen Grundsätzen für die Bewertung des Grundvermögens nach den §§ 68 f. BewG a. F. im übrigen Bundesgebiet.

b) Die grundlegende Änderung dieser für die Schaffung des § 122 Abs. 3 BewG a. F. ursächlichen Ausgangslage als Folge der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands berechtigte den Gesetzgeber sowohl zur zeitlichen Befristung der Geltungsdauer der Ermächtigung zum Erlaß einer Rechtsverordnung und zum Ausschluß des § 27 BewG (Art. 14 StMBG) als auch zur Beschränkung der Ermäßigungsregelung selbst, die nur noch "für Feststellungszeitpunkte vor dem 1. Januar 1994" angewandt werden darf (Art. 15 StMBG).

Zwar widersprechen diese Regelungen dem die Einheitsbewertung des Grundbesitzes beherrschenden Grundsatz der Maßgeblichkeit der Wertverhältnisse vom Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 1964 für den gesamten Hauptfeststellungszeitraum; danach dürfen sich im Interesse der Gleichmäßigkeit der Bewertung innerhalb eines Hauptfeststellungszeitraums Veränderungen der allgemeinen politischen, wirtschaftlichen und Verkehrsverhältnisse, die sich im Markt- und Preisniveau des Hauptfeststellungszeitpunkts niedergeschlagen haben, nicht auswirken (s. BFH-Urteil vom 5. Oktober 1984 III R 192/83, BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151 sowie BFH-Beschluß vom 15. Dezember 1993 II R 30/92, BFH/NV 1994, 362, m. w. N.). Doch schließt dieser Grundsatz nicht die Befugnis des Gesetzgebers aus, die Wirksamkeit einer Sonderregelung, die wegen der durch die Wiedervereinigung Deutschlands veränderten politischen und wirtschaftlichen Lage sachlich nicht mehr gerechtfertigt ist, im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung in ihrer zeitlichen Wirksamkeit zu beschränken.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG steht dem Gesetzgeber, soweit es um Regelungen im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands geht, ein breiter Gestaltungsspielraum zur Verfügung (s. BVerfG-Beschlüsse vom 19. Dezember 1991 2 BvR 1591/90, Die Information über Steuer und Wirtschaft 1992, 143 sowie vom 24. September 1997 1 BvR 647/91 u. a., Europäische Grundrechte Zeitschrift (EuGRZ) 1998, 36). In derartigen Fällen ist nur zu prüfen, ob der Gesetzgeber den ihm zukommenden Gestaltungsspielraum in sachgerechter Weise genutzt hat und ob sich die gefundene Lösung im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung durch sachliche Gründe rechtfertigen läßt (s. BFH-Beschluß vom 11. Juni 1997 II B 93/96, BFHE 183, 230, BStBl II 1997, 527, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BVerfG).

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall bezüglich des Wegfalls der Berlin-Ermäßigung ab 1. Januar 1994 aufgrund der Regelungen in Art. 14 und 15 StMBG zu bejahen. Der Gesetzgeber hat in den durch den Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl I 1990, 889, BStBl I 1990, 654) in das BewG eingefügten Vorschriften der §§ 129 f. für die neuen Bundesländer - einschließlich Berlin (Ost) - die Geltung der nach den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1935 festgestellten bzw. noch festzustellenden Einheitswerte des Grundvermögens sowie in § 133 für die Anwendung der Einheitswerte 1935 eine - allerdings nicht für die Grundsteuer geltende - Zuschlagsregelung für die Grundstücke und Betriebsgrundstücke i. S. des § 99 Abs. 1 Nr. 1 BewG angeordnet. Hierdurch soll eine weitgehende bewertungsrechtliche Gleichbehandlung mit dem in Berlin (West) sowie dem in den alten Bundesländern belegenen Grundvermögen erreicht werden. Dies gilt insbesondere bezüglich der Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer für die bis zum 31. Dezember 1995 verwirklichten Tatbestände. Daß ein rechnerisch identischer Wertansatz für vergleichbare Grundstücke in Berlin (West) und Berlin (Ost) mit der Folge gleicher Grundsteuerbelastung (auch) durch den Wegfall der Berlin-Ermäßigung nach Art. 14 und 15 StMBG nicht gewährleistet werden kann, liegt ausschließlich daran, daß für das Grundvermögen in den neuen Bundesländern aufgrund des Einigungsvertrages die Einheitswerte 1935 fortgelten. Diese Ungleichbehandlung ist indessen als eine Folge der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands hinzunehmen.

Wie in der Begründung zum StMBG ausgeführt wird, haben sich die politischen Rahmenbedingungen und damit auch die Bezugspunkte für die Bewertung des Grundbesitzes in Berlin (West) mit der Einigung völlig verändert. "Nunmehr wirken die 20 v. H. Ermäßigungen des § 122 Abs. 3 und 4 BewG nicht mehr als Nachteilsausgleich gegenüber der Bewertung in den alten Bundesländern, sondern als besonderer Vorteil gegenüber der Bewertung des Grundbesitzes in Berlin (Ost) und dem übrigen Beitrittsgebiet, aber auch gegenüber den alten Bundesländern. ... Diese Ungleichbehandlung kann im Interesse einer Angleichung der Lebensverhältnisse nicht mehr beibehalten werden" (s. BTDrucks 12/5940, S. 16).

Der Senat teilt diese Beurteilung des Gesetzgebers und hält den Wegfall der Berlin-Ermäßigung der Einheitswerte bebauter Grundstücke in Berlin (West) um 20 v. H. ab dem Bewertungsstichtag 1. Januar 1994 für sachgerecht. Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, hat der Gesetzgeber vorrangig in Ausübung seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung gehandelt, im gesamten Bundesgebiet soweit wie möglich einheitliche Lebensverhältnisse herzustellen; er hat damit den ihm eingeräumten weiten, verfassungsrechtlich nur auf Willkür überprüfbaren Beurteilungsspielraum nicht überschritten.

Die Voraussetzungen gemäß Art. 100 GG, § 80 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht für eine Einholung der Entscheidung des BVerfG zur Frage der vom Kläger bestrittenen Verfassungsmäßigkeit der Art. 14 und 15 StMBG sind damit nicht gegeben.