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  BFH-Urteil vom 17.12.1998 (IV R 47/97) BStBl. 1999 II S. 303

Weist das FG die Klage gegen einen Gewerbesteuermeßbescheid betreffend einen Erhebungszeitraum vor 1990 mit der Begründung ab, daß die geltend gemachten Verlustvorträge nach § 10a GewStG a. F. nicht bestehen, so kann der Steuerpflichtige aufgrund der Rechtskraftwirkung des Urteils in einem späteren Erhebungszeitraum nicht Verlustvorträge aus denselben Gründen geltend machen, die Gegenstand des Rechtsstreits waren (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 28. November 1990 X R 102/89, BFHE 163, 456, BStBl II 1991, 477).

FGO § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; GewStG § 10a Satz 1.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Bauträger- und Baubetreuungsgesellschaft, die den Erwerb eines Grundstücks in B für noch zu suchende Interessenten mit Kredit finanziert hatte. Aus einem Teilverkauf des Grundstücks erzielte Erlöse wurden nicht vollständig zur Tilgung des Anschaffungskredits verwendet.

Nach einer Betriebsprüfung sah der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Zinsen für den Grundstückskredit teilweise als Dauerschuldzinsen i. S. des § 8 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) an. Für den Prüfungszeitraum 1977 bis 1980 kam es durch Ausgleich mit vortragsfähigen Verlusten nach § 10a GewStG zu keiner Festsetzung von Gewerbesteuermeßbeträgen. Für das Jahr 1981 reichte der vom Prüfer errechnete Verlustvortrag jedoch nicht mehr zum Ausgleich des Gewerbeertrags aus, so daß ein Gewerbesteuermeßbetrag festgesetzt wurde. Eine dagegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit der Begründung ab, der Grundstücksankaufskredit stehe zwar im Zusammenhang mit einem laufenden Geschäftsvorfall, sei aber aufgrund der Laufzeit von mehr als sechs Jahren als Dauerschuld anzusehen. Das Urteil wurde rechtskräftig.

Anschließend erließ das FA auch einen geänderten Gewerbesteuermeßbescheid für das Streitjahr 1982, in dem ein Verlustabzug nicht mehr berücksichtigt wurde. Nach erfolglosem Einspruch hatte die Klage teilweise Erfolg. Das FG ließ einen Verlustausgleich in Höhe von 607.056 DM zu. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es im wesentlichen aus, Verlustvorträge aus den Jahren 1978 bis 1980 ergäben sich daraus, daß zu hohe Hinzurechnungen für Dauerschuldzinsen gemacht worden seien. Den Dauerschulden sei nur der auf den veräußerten Grundstücksteil entfallende Anteil des Realkredits zuzuordnen. Das Urteil betreffend Gewerbesteuermeßbetrag 1981 stehe einem Ausgleich noch nicht verbrauchter Verluste im Streitjahr nicht entgegen. Über den Verlustabzug sei im Abzugsjahr zu entscheiden. Die Rechtskraft des früheren Urteils betreffe nur die Festsetzung des Gewerbesteuermeßbetrags 1981, nicht aber die Höhe der Verlustvorträge.

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt das FA eine Verletzung des § 110 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie des § 8 Nr. 1 i. V. m. § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

Aufgrund der Rechtskraftwirkung des bezüglich Gewerbesteuermeßbetrag 1981 ergangenen FG-Urteils steht für die Beteiligten bindend fest, daß aus den Jahren 1977 bis 1980 keine nach § 10a GewStG zu kürzenden Fehlbeträge aufgrund überhöhter Hinzurechnung von Dauerschuldzinsen im Zusammenhang mit dem Anschaffungskredit für das Grundstück in B mehr bestehen. Dementsprechend kommt im Streitjahr 1982 eine Kürzung um Fehlbeträge aus den Jahren 1977 bis 1980 nicht in Betracht.

1. Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Streitgegenstand ist bei einer Anfechtungsklage die Rechtsbehauptung des Klägers, der Verwaltungsakt sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten. Inwieweit diese Rechtsbehauptung vom Gericht tatsächlich überprüft worden ist, ergibt sich nicht allein aus dem Tenor des Urteils, sondern auch unter Berücksichtigung des Sachverhalts, der der Entscheidung zugrunde lag. Zwar erwächst nur der Tenor der gerichtlichen Entscheidung in Rechtskraft und erzeugt eine Bindungswirkung. Die Entscheidungsgründe geben aber Aufschluß darüber, wie weit die Bindung gemäß § 110 FGO reicht (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. Februar 1990 I R 145/87, BFHE 161, 387, BStBl II 1990, 1032, m. w. N., und vom 27. Februar 1997 IV R 38/96, BFH/NV 1997, 388 unter 2. b; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., 1997, § 110 Rz. 14 ff., m. w. N.).

Streitgegenstand des FG-Urteils vom 20. Juli 1990 3 K 2704/89 war die Behauptung der Klägerin, der geänderte Gewerbesteuermeßbescheid 1981 sei rechtswidrig und verletze sie in ihren Rechten, weil Verlustvorträge aus den Jahren 1977 bis 1980 durch Ansatz von zusätzlichen Dauerschuldzinsen in jenen Jahren so herabgesetzt worden seien, daß sie zur vollständigen Kürzung des Gewerbeertrags für das damalige Streitjahr 1981 nicht ausreichten. Infolge des rechtskräftigen, klageabweisenden Tenors steht zunächst fest, daß die Klägerin durch die Festsetzung des Gewerbesteuermeßbetrags nicht in ihren Rechten verletzt war. Indessen erschöpft sich die bindende Wirkung des Urteils nicht in dieser Feststellung. Durch Rückgriff auf die Entscheidungsgründe ergibt sich weiter, daß das FG geprüft hat, ob die Verminderung der Fehlbeträge in den Jahren 1977 bis 1980 durch die Hinzurechnung von Dauerschuldzinsen im Zusammenhang mit dem Kredit für die Anschaffung des Grundstücks in B Rechtens war. Diese Frage hat es mit Ausführungen zum Begriff von Dauerschulden bejaht. Damit entfaltet das Urteil Bindungswirkung für die Beteiligten auch insoweit, als feststeht, daß die bei Ermittlung des 1981 berücksichtigungsfähigen Verlustvortrags für die Jahre 1977 bis 1980 angesetzten Dauerschuldzinsen für den betreffenden Kredit zutreffend waren und diesbezüglich Verlustvorträge nicht mehr bestanden. Die Höhe des seinerzeit angegriffenen Gewerbesteuermeßbetrags ist insoweit entgegen der Ansicht der Klägerin ohne Bedeutung.

Aufgrund dieser Bindungswirkung kann die Klägerin weder bei der Festsetzung des Gewerbesteuermeßbetrags 1982 noch in anderem Zusammenhang gegenüber dem FA geltend machen, aufgrund überhöhter Hinzurechnung von Dauerschuldzinsen im Zusammenhang mit dem Anschaffungskredit für das Grundstück in B seien die gewerbesteuerlichen Fehlbeträge der Jahre 1977 bis 1980 zu niedrig ermittelt worden und es existierten daraus noch nach § 10a GewStG ausgleichsfähige Verluste. Das FG durfte demgemäß über diese im vorliegenden Rechtsstreit gleichwohl aufgestellte Rechtsbehauptung der Klägerin nicht erneut entscheiden, sondern mußte seinem Urteil die Entscheidung vom 20. Juli 1990 zugrunde legen.

2. Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, daß § 10a Satz 1 GewStG in der für die Jahre 1977 bis 1982 geltenden Fassung anordnet, daß eine Kürzung um Fehlbeträge vorzunehmen ist, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die fünf vorangegangenen Erhebungszeiträume ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vier vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind. Aus dem Wortlaut der Vorschrift wird entnommen, daß über die Verlustverrechnung im Abzugsjahr zu entscheiden ist (BFH-Urteile vom 5. Februar 1969 I R 154/67, BFHE 95, 260, BStBl II 1969, 383, und vom 27. Oktober 1992 VIII R 30/90, BFH/NV 1993, 264) und zu Unrecht unterbliebene Verlustverrechnungen im ersten hierfür noch offenen Erhebungszeitraum nachzuholen sind (BFH-Urteil vom 28. November 1990 X R 102/89, BFHE 163, 456, BStBl II 1991, 477). Weiter hat der BFH gefolgert, daß die Bestandskraft eines Gewerbesteuermeßbescheids, mit dem Verlustvorträge nicht berücksichtigt worden sind, nicht der Geltendmachung der Verlustvorträge in einem Folgejahr entgegensteht (Urteile in BFHE 163, 456, BStBl II 1991, 477, und in BFH/NV 1993, 264).

Der erkennende Senat kann offenlassen, ob er sich dieser Auffassung anschließen könnte (ablehnend z. B. Blümich/von Twickel, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 10a GewStG Rz. 45). Denn im Streitfall ist nicht über die Wirkung der Bestandskraft eines Verwaltungsakts, sondern über die Wirkung der materiellen Rechtskraft i. S. des § 110 Abs. 1 FGO zu entscheiden. Die Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft geht über die der Bestandskraft hinaus, wie bereits aus der Regelung des § 110 Abs. 2 FGO entnommen werden kann. Die Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils steht deshalb einer erneuten Geltendmachung von Verlusten gemäß § 10a GewStG entgegen, soweit diese Verluste Gegenstand des Rechtsstreits waren und das FG über sie entschieden hat. So verhält es sich nach den vorstehenden Erwägungen im Streitfall.