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  BFH-Urteil vom 20.8.1998 (V R 55/96) BStBl. 1999 II S. 324

Ein nicht im Erhebungsgebiet ansässiger Unternehmer darf bei von ihm nicht zu vertretendem Abhandenkommen der ihm zugegangenen Originalrechnung auch im Vergütungsverfahren den Nachweis seines Anspruchs auf Erstattung der Umsatzsteuer durch Vorlage einer Zweitschrift oder Ablichtung der Rechnung führen, wenn der dem Erstattungsantrag zugrundeliegende Vorgang stattgefunden hat und keine Gefahr besteht, daß weitere Erstattungsanträge gestellt werden.

UStG 1980 §§ 15, 18 Abs. 9; UStDV 1980 § 61 Abs. 1; Richtlinie 79/1072/EWG (Achte Richtlinie) Art. 3 Buchst. a.

Vorinstanz: FG Köln (EFG 1997, 380)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in Frankreich. Gegenstand ihres Unternehmens ist der Vertrieb von Mineralwasser.

Die Klägerin hatte mit der U-GmbH einen Händlervertrag geschlossen. Wegen Auflösung dieses Vertrags forderte die U-GmbH von der Klägerin mit Rechnung vom 1. Februar 1989 einen Betrag von 3.500.000 DM zuzüglich 490.000 DM Umsatzsteuer. In der Rechnung ist der Leistungsgegenstand wie folgt beschrieben: "Compensation payment for the termination of the distribution of X mineral water in Germany through the joint-venture X OHG".

Die Klägerin, die für die Zeit von Januar bis März 1989 bereits die Vergütung anderer Vorsteuerbeträge beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Bundesamt für Finanzen - BfF -) im Verfahren nach §§ 59 ff. der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV 1980) beantragt hatte, machte im Einspruchsverfahren auch noch die Vorsteuer aus der Rechnung der U-GmbH geltend. Im Laufe des Einspruchsverfahrens legte sie dem BfF eine Kopie der Rechnung vom 1. Februar 1989 vor. Hierzu trug sie vor, sie habe die Originalrechnung mit Begleitschreiben vom 9. November 1989 an ihre Bevollmächtigten im Vergütungsverfahren, die Rechtsanwälte A, B und C in Frankfurt, gesandt; auf dem Postwege sei die Originalrechnung verloren gegangen.

Das BfF wies den Einspruch hinsichtlich der Rechnung der U-GmbH vom 1. Februar 1989 zurück, da § 61 Abs. 1 UStDV 1980 voraussetze, daß die erforderlichen Belege dem Vergütungsantrag im Original beigefügt seien.

Das Finanzgericht (FG) wies die anschließend erhobene Klage als unbegründet ab; das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 380 veröffentlicht.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts; sie meint, die lediglich am Wortlaut orientierte Auslegung des § 61 Abs. 1 UStDV 1980 durch das FG überzeuge nicht. Die Einführung des Umsatzsteuervergütungsverfahrens nach den §§ 59 ff. UStDV 1980 sei das Ergebnis der Umsetzung der Achten Richtlinie des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 79/1072/EWG (Richtlinie 79/1072/EWG). Die das Umsatzsteuervergütungsverfahren betreffenden Bestimmungen seien so auszulegen, wie Richtlinie und Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung heutzutage verstanden werden könnten und müßten; dabei seien die Wertmaßstäbe des heutigen, nicht des historischen Richtlinien- und Verordnungsgebers maßgebend. Sinn und Zweck des Umsatzsteuervergütungsverfahrens sei es, Unternehmern aus anderen EG-Mitgliedstaaten den Vorsteuerabzug ebenso zu gewähren wie inländischen Unternehmern. Darüber hinaus solle die Erreichung dieses Hauptzwecks durch eine Vereinfachung des insoweit einschlägigen Besteuerungsverfahrens erleichtert werden. Das Vergütungsverfahren habe diesem Hauptzweck zu dienen, dürfe ihn aber nicht gefährden oder gar vereiteln. § 61 UStDV 1980 und Art. 3 der Richtlinie 79/1072/EWG seien dahin zu verstehen, daß die Rechnungen grundsätzlich bzw. regelmäßig im Original beizufügen seien; es handele sich um Verfahrensvorschriften mit generalpräventiver Wirkung, deren einziger erkennbarer Zweck darin bestehe, möglichen Mißbräuchen vorzubeugen, was allerdings heute angesichts moderner Kopiertechniken auf diesem Weg keineswegs mehr gewährleistet sei. Die Vorschriften gingen jedenfalls ins Leere, soweit mangels einer konkreten und abstrakten Gefährdungslage ein Mißbrauch nicht zu besorgen sei. Die restriktive Auslegung des Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 79/1072/EWG durch die Steuerverwaltung enthalte eine unzulässige Diskriminierung von ausländischen Unternehmern, die auf das Umsatzsteuervergütungsverfahren angewiesen seien, da nur ihnen das wirtschaftliche Risiko des Verlusts der Originalrechnungen aufgebürdet werde. Die nach §§ 163, 227 der Abgabenordnung (AO 1977) möglichen Billigkeitsmaßnahmen reichten nicht aus, die aufgezeigten Probleme zu lösen.

Im übrigen verweist die Klägerin, die die Vorsteuervergütung im vorliegenden Verfahren aus Rechtsgründen und in einem besonderen auf § 163 AO 1977 gestützten Verfahren aus Billigkeitsgründen erstrebt, auf das in jenem Verfahren ergangene Vorabentscheidungsersuchen des FG Köln (Vorlagebeschluß vom 29. August 1996.2 K 4289/94, EFG 1996, 1248; Rechtssache C 361/96 beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH -).

In der Sache beantragt die Klägerin, die Vorentscheidung aufzuheben und das BfF zu verpflichten, die Umsatzsteuervergütung für den Vergütungszeitraum Januar bis März 1989 auf 494.200 DM festzusetzen.

Das BfF ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Das FG hat die begehrte Vergütung der Vorsteuer zu Unrecht abgelehnt.

a) Nach § 18 Abs. 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980), § 59 UStDV 1980 ist die Vergütung der abziehbaren Vorsteuerbeträge an nicht im Erhebungsgebiet ansässige Unternehmer unter den weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen des § 59 UStDV 1980 abweichend von § 16 und § 18 Abs. 1 bis 4 UStG 1980 nach den §§ 60 und 61 UStDV 1980 durchzuführen. Nach § 61 Abs. 1 Satz 1 UStDV 1980 hat der Unternehmer die Vergütung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck bei dem BfF oder bei dem nach § 5 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2 des Finanzverwaltungsgesetzes zuständigen Finanzamt zu beantragen. Dem Vergütungsantrag sind die Rechnungen und Einfuhrbelege im Original beizufügen (§ 61 Abs. 1 Satz 5 UStDV 1980).

b) Das Vergütungsverfahren nach den vorgenannten Vorschriften entspricht im wesentlichen dem Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige nach der Richtlinie 79/1072/EWG.

Nach Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 79/1072/EWG muß der Steuerpflichtige, um die Erstattung zu erhalten, einen Antrag stellen, dem die Originale der Rechnungen oder Einfuhrdokumente beizufügen sind.

Hierzu hat der EuGH (Urteil vom 11. Juni 1998 Rs. C 361/96, Internationales Steuerrecht - IStR - 1998, 401, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1998, 275) in dem oben erwähnten Verfahren auf die ihm gestellten Fragen wie folgt geantwortet:

"1. Art. 3 Buchst. a der Achten Richtlinie ... ist dahin auszulegen, daß er es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, in seinem innerstaatlichen Recht die Möglichkeit vorzusehen, daß ein nicht im Inland ansässiger Steuerpflichtiger bei von ihm nicht zu vertretendem Abhandenkommen einer Rechnung oder eines Einfuhrdokuments den Nachweis seines Erstattungsanspruchs durch Vorlage einer Zweitschrift der Rechnung oder des fraglichen Einfuhrdokuments führt, wenn der dem Erstattungsantrag zugrunde liegende Vorgang stattgefunden hat und keine Gefahr besteht, daß weitere Erstattungsanträge gestellt werden.

2. Hat ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger die Möglichkeit, bei von ihm nicht zu vertretendem Abhandenkommen der ihm zugegangenen Originalrechnung den Nachweis seines Anspruchs auf Erstattung der Umsatzsteuer durch Vorlage einer Zweitschrift oder Ablichtung der Rechnung zu führen, so folgt aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 6 des Vertrages (gemeint: des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft - EGV -), auf das in der fünften Begründungserwägung der Achten Richtlinie hingewiesen wird, daß diese Möglichkeit auch einem nicht in diesem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen einzuräumen ist, wenn der dem Erstattungsantrag zugrunde liegende Vorgang stattgefunden hat und keine Gefahr besteht, daß weitere Erstattungsanträge gestellt werden."

c) § 18 Abs. 9 UStG 1980 enthält keine Ermächtigung, ausländischen Unternehmern die Vorsteuervergütung unter Verletzung von Art. 6 EGV zu versagen. § 61 Abs. 1 Satz 5 UStDV 1980 ist deshalb einschränkend dahin auszulegen, daß es in den vom EuGH genannten Fällen genügt, wenn dem Vergütungsantrag eine Kopie oder Zweitschrift der abhanden gekommenen Originalrechnung beigefügt wird.

Der Vorsteuerabzug nach § 15 UStG 1980 setzt allgemein voraus, daß der Leistungsempfänger in den Besitz der Originalrechnung gelangt ist. Im allgemeinen Besteuerungsverfahren nach §§ 16 bis 18 UStG 1980 kann der Steuerpflichtige jedoch den Nachweis, daß diese Voraussetzung erfüllt war, nicht nur durch Vorlage der Originalrechnung, sondern mit allen verfahrensrechtlich zulässigen Beweismitteln führen (Bundesfinanzhof - BFH - Urteile vom 5. August 1988 X R 55/81, BFHE 154, 477, BStBl II 1989, 120, und vom 16. April 1997 XI R 63/93, BFHE 182, 440, BStBl II 1997, 582). Dies muß unter den vom EuGH genannten Voraussetzungen auch im Vergütungsverfahren gelten. Ein nicht im Erhebungsgebiet ansässiger Unternehmer darf deshalb bei von ihm nicht zu vertretendem Abhandenkommen der ihm zugegangenen Originalrechnung auch im Vergütungsverfahren den Nachweis seines Anspruchs auf Erstattung der Umsatzsteuer durch Vorlage einer Zweitschrift oder Ablichtung der Rechnung führen, wenn der dem Erstattungsantrag zugrunde liegende Vorgang stattgefunden hat und keine Gefahr besteht, daß weitere Erstattungsanträge gestellt werden.

Da die Vorentscheidung von anderen Grundsätzen ausgeht, war sie aufzuheben. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird im zweiten Rechtsgang zu prüfen haben, ob auch die übrigen Voraussetzungen des § 15 UStG 1980 erfüllt sind. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Rechnung vom 1. Februar 1989 eine Leistung gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980) der U-GmbH an die Klägerin zugrunde liegt und nicht etwa eine der Umsatzsteuer nicht unterliegende Entschädigung.