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  BFH-Urteil vom 17.10.2001 (III R 29/99) BStBl. 2002 II S. 109

Zulagenrechtlich entsteht nicht dadurch ein von der Zulagengewährung ausgeschlossenes geringwertiges Wirtschaftsgut, dass infolge der nach Ertragsteuerrecht zwingend vorgeschriebenen Übertragung der sog. Akkumulationsrücklage die Anschaffungs-/Herstellungskosten des betreffenden Wirtschaftsgutes auf 800 DM oder weniger herabsinken (Bestätigung des BFH-Urteils vom 17. Juni 1999 III R 53/97, BFHE 189, 260, BStBl II 2000, 9).

EStG § 6 Abs. 2, § 6b Abs. 6, § 58 Abs. 2 Satz 3; InvZulG 1991 § 2 Satz 2 Nr. 1.

Vorinstanz: FG des Landes Sachsen-Anhalt (EFG 1999, 667)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt einen Gewerbebetrieb. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) gewährte dem Kläger zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auch auf die Anschaffungskosten einer Computeranlage, eines Blitzgerüstes, eines Leiterliftes und eines Bühnenkompressors eine Investitionszulage für 1991 in Höhe von 12 v.H.

Im Rahmen der Veranlagung stellte das FA am 20. November 1996 fest, dass der Kläger die zum 31. Dezember 1990 gebildete Akkumulationsrücklage gegen die Anschaffungskosten der vorgenannten vier Wirtschaftsgüter aufgelöst hatte und sich die Anschaffungskosten danach bilanzmäßig jeweils nur noch auf 0 DM beliefen.

Das FA bewertete diese Wirtschaftsgüter daraufhin als von der Investitionszulage nach § 2 Satz 2 Nr. 1 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1991 ausgeschlossene geringwertige Wirtschaftsgüter und setzte dementsprechend mit gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geändertem Investitionszulagenbescheid vom 2. Dezember 1996 die Investitionszulage für das Kalenderjahr 1991 herab. Das FA berechnete einen Rückforderungsbetrag und setzte darauf Zinsen für den Zeitraum vom 22. Juni 1992 bis zum 7. Januar 1997 fest.

Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 667 veröffentlichtem Urteil hinsichtlich des geänderten Investitionszulagenbescheids statt.

Durch die Übertragung der Akkumulationsrücklage seien die vier Wirtschaftsgüter zulagenrechtlich nicht zu geringwertigen Wirtschaftsgütern geworden. Die Investitionszulage bemesse sich nach den tatsächlichen Anschaffungskosten der begünstigten Wirtschaftsgüter, während für die - ertragsteuerlichen - Absetzungen für Abnutzung (AfA) die um Rücklagen geminderten Anschaffungskosten maßgebend seien. Der Gesetzgeber der DDR habe für die Akkumulationsrücklage einen gesonderten Nachweis außerhalb der Gewinnermittlung festgelegt. Ebenso habe die Auflösung der Akkumulationsrücklage - anders als der nachfolgende § 58 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) dies für die tatsächlich durchzuführende Auflösung dann bestimmt habe - gesondert in einem Verzeichnis über den "Verschleiß" erfasst werden sollen. Der durch "Verschleiß" verursachte Werteverzehr sei im betrieblichen Rechnungswesen über Abschreibungen erfasst worden. Durch diese gesetzliche Regelung der Auflösung der Akkumulationsrücklage habe also das AfA-Volumen gemindert werden sollen, indes nicht darüber hinaus auch die Bemessungsgrundlage. Deshalb stellten die Anschaffungskosten dieser Wirtschaftsgüter ohne Kürzung um den "Verschleiß" die Bemessungsgrundlage der Investitionszulage dar. Während § 6b Abs. 6 EStG unmittelbar auf § 6 Abs. 2 EStG verweise, fehle ein solcher Verweis für die Akkumulationsrücklage in § 3 Abs. 2 des Steueränderungsgesetzes (StÄndG) DDR vom 6. März 1990 (Gesetzblatt - GBl - DDR I 1990, 136). Schließlich räume § 58 Abs. 2 Satz 3 EStG - anders als § 6b Abs. 3 EStG - hinsichtlich der Auflösung der Akkumulationsrücklage kein Wahlrecht ein.

Der Kläger könne sich auch auf die Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 28. August 1991 (BStBl I 1991, 768 Tz. 66) und vom 12. März 1992 (BStBl I 1992, 192) berufen, nach denen die Übertragung der Akkumulationsrücklage sich nicht auf die Bemessungsgrundlage bei der Investitionszulage auswirke. Der Einwand, es müsse eine doppelte Begünstigung vermieden werden, greife ebenfalls nicht durch.

Mit der - vom FG zugelassenen - Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 2 Satz 2 Nr. 1 InvZulG 1991). Zu Unrecht habe das FG die nach § 58 Abs. 2 Satz 3 EStG aufgelöste Akkumulationsrücklage nicht bei der Ermittlung der Anschaffungskosten der betreffenden Wirtschaftsgüter mindernd berücksichtigt und sie deshalb nicht als von der Investitionszulage ausgeschlossene geringwertige Wirtschaftsgüter behandelt. Der Bundesfinanzhof - BFH - (vgl. Urteile vom 15. März 1994 XI R 10/93, BFHE 174, 241, BStBl II 1994, 813, und vom 26. Oktober 1995 IV R 86/93, BFHE 179, 143, BStBl II 1996, 579) habe entschieden, dass die Akkumulationsrücklage bei Einzelunternehmen und bei Personengesellschaften in deren Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich eingehe. Mithin sei auch die Auflösung der Akkumulationsrücklage innerhalb der Gewinnermittlung vorzunehmen.

Rechtsgrundlage für die Übertragung der Akkumulationsrücklage auf begünstigte Wirtschaftsgüter sei ab dem Veranlagungszeitraum 1991 nicht mehr § 3 Abs. 2 StÄndG DDR, sondern § 58 Abs. 2 Satz 3 EStG. Die Wirkungsweise der Übertragung nach § 58 Abs. 2 Satz 3 EStG entspreche derjenigen bei der Übertragung der Rücklage nach § 6b EStG. In beiden Fällen werde der Betrag der steuerfreien Rücklage von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten des begünstigten Wirtschaftsguts abgezogen und die Rücklage im Gegenzug gewinnerhöhend aufgelöst. § 6b Abs. 6 EStG regele nicht nur die Berücksichtigung der übertragenen Rücklage nach § 6b EStG im Hinblick auf § 6 Abs. 2 EStG, sondern allgemein die Vornahme von Abschreibungen nach der Übertragung einer Rücklage. Selbst wenn § 58 Abs. 2 EStG keine solche Regelung enthalte, sei deswegen die entsprechende Anwendung des § 6b Abs. 6 EStG nicht ausgeschlossen. Auch für andere steuerfreie Rücklagen, so für die Rücklage für Ersatzbeschaffungen gemäß R 35 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR), werde bei der Ermittlung der Wertgrenze von 800 DM nach § 6 Abs. 2 EStG die Rücklage berücksichtigt (vgl. R 40 Abs. 5 EStR).

Der Ausschluss von geringwertigen Wirtschaftsgütern von der Investitionszulage solle eine doppelte Begünstigung vermeiden. Es mache dabei keinen Unterschied, ob ein geringwertiges Wirtschaftsgut dadurch entstehe, dass - wie bei § 6b EStG - die Minderung der Anschaffungskosten auf einem Wahlrecht des Steuerpflichtigen beruhe, oder ob der Steuerpflichtige - wie bei der Akkumulationsrücklage - gezwungen sei, die Anschaffungskosten neuer Wirtschaftsgüter um die Rücklage zu mindern. Tz. 66 des BMF-Schreibens in BStBl I 1991, 768 und das BMF-Schreiben in BStBl I 1992, 192 regelten im Übrigen nicht den hier streitigen Sachverhalt.

Das FA beantragt, das Urteil des FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 14. Januar 1999 I 160/97 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist diesem Revisionsbegehren entgegengetreten.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet und war deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.

Das FG hat zu Recht für die vier in Streit stehenden Wirtschaftsgüter die Voraussetzungen für die Gewährung der Investitionszulage in der beantragten Höhe bejaht und insbesondere einen Ausschluss von der Investitionszulage für geringwertige Wirtschaftsgüter nach § 2 Satz 2 Nr. 1 InvZulG 1991 i.V.m. § 6 Abs. 2 EStG verneint. Zulagenrechtlich wird durch die gesetzlich zwingend vorgeschriebene Übertragung der Akkumulationsrücklage auf die vorgenannten Wirtschaftsgüter die Mindestgrenze der Anschaffungskosten von mehr als 800 DM i.S. von § 6 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht unterschritten.

1. a) Nach § 2 Satz 2 Nr. 1 InvZulG 1991 sind Investitionen nach Maßgabe des Abs. 1 dieser Vorschrift nicht begünstigt, wenn es sich bei dem angeschafften Wirtschaftsgut um ein geringwertiges Wirtschaftsgut i.S. des § 6 Abs. 2 EStG handelt. In der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist der Begriff des geringwertigen Wirtschaftsguts im Investitionszulagenrecht bisher als "gleichbedeutend" mit dem einkommensteuerrechtlichen Begriff angesehen worden (vgl. BFH-Urteil vom 21. Juli 1998 III R 110/95, BFHE 186, 572, BStBl II 1998, 789). Geringwertige Wirtschaftsgüter sind danach Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die einer selbständigen Nutzung fähig sind, sofern die Anschaffungs- oder Herstellungskosten (vermindert um einen darin enthaltenen Vorsteuerbetrag) 800 DM nicht übersteigen (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 1 EStG).

Die Verweisung auf § 6 Abs. 2 EStG schließt es aus, Wirtschaftsgüter, die ihrer Art nach unmittelbar und originär als geringwertige Wirtschaftsgüter i.S. von § 6 Abs. 2 EStG zu qualifizieren sind, im Anwendungsbereich des Investitionszulagenrechts abweichend zu beurteilen.

b) Der erkennende Senat hat indes mit Urteil vom 17. Juni 1999 III R 53/97 (BFHE 189, 260, BStBl II 2000, 9) erkannt, dass § 6 Abs. 2 EStG keine ausdrückliche Regelung darüber enthält, wie in den Fällen der Rücklagenübertragung die Wirtschaftsgüter ertragsteuerlich und erst recht zulagenrechtlich zu behandeln sind, deren tatsächliche Anschaffungs-/Herstellungskosten die Mindestgrenze von mehr als 800 DM an sich übersteigen, jedoch infolge der Übertragung der Rücklage auf einen rechnerisch darunter liegenden Betrag herabgemindert werden. Der erkennende Senat hat es für sachgerecht angesehen, in diesen Fällen im Zweifel der Auslegung den Vorzug zu geben, die zu einer Gewährung der Investitionszulage führt und § 2 Satz 2 Nr. 1 InvZulG 1991 entsprechend Sinn und Zweck des Fördergesetzes eigenständig und gegenüber dem Einkommensteuerrecht einschränkend auszulegen. Er hat deshalb erkannt, dass jedenfalls investitionszulagenrechtlich dann kein von der Zulagengewährung ausgeschlossenes geringwertiges Wirtschaftsgut entsteht, wenn die Anschaffungs-/Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts durch die ertragsteuerrechtlich zwingend vorgeschriebene Übertragung der sog. Akkumulationsrücklage auf 800 DM oder weniger herabsinken.

Insbesondere hat der Senat § 6b Abs. 6 EStG keine verallgemeinerungsfähige, auch im Zulagenrecht anwendbare Regel entnommen. § 6b Abs. 6 EStG wird weder in § 6 Abs. 2 EStG noch in § 2 Satz 2 Nr. 1 InvZulG 1991 in Bezug genommen.

c) Der Senat hat schließlich im Hinblick auf die in seinem Urteil in BFHE 189, 260, BStBl II 2000, 9 näher beschriebenen zulagenrechtlich einschneidenden Wirkungen bei einer abweichenden Betrachtungsweise die Auffassung vertreten, dass jedenfalls die durch Übertragung der Akkumulationsrücklage eintretende Kürzung der Anschaffungs-/Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern nicht auch zur Entstehung von geringwertigen Wirtschaftsgütern im investitionszulagenrechtlichen Sinne führt.

d) Die Entscheidung des erkennenden Senats hat nicht nur im Schrifttum generell Zustimmung gefunden (vgl. Anm. von Kanzler, Finanz-Rundschau - FR - 1999, 1392; derselbe in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer - und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 58 EStG Anm. 3; Korn, Einkommensteuergesetz, § 6 Rz. 466 Fn. 3; Jasper/Sönksen, Investitionsförderung in den neuen Bundesländern, § 4 InvZulG Rz. 23 und § 2 InvZulG Rz. 64.1), sondern zwischenzeitlich auch in der Verwaltung (vgl. Verfügungen der Oberfinanzdirektion - OFD - Frankfurt vom 24. August 2000 INVZ 1260 A - 3 St II 24, und der OFD Berlin vom 15. November 1999 St 441 - InvZ 1260 - 5/98, in denen das Ergebnis einer Erörterung der Vertreter der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder wiedergegeben wird).

Danach sei zulagenrechtlich der Anschaffungskostenbegriff entsprechend dem ertragsteuerlichen Begriff nach handelsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen. Öffentliche Zuschüsse minderten somit nicht die Anschaffungskosten, sondern stellten lediglich ein Finanzierungsmittel dar (Bezugnahme auf das Urteil des BFH vom 22. Januar 1992 X R 23/89, BFHE 167, 69, BStBl II 1992, 488, unter 3. der Gründe; ferner Tz. 11 des BMF-Schreibens in BStBl I 1992, 192).

2. Da das FG danach die Voraussetzungen für die Gewährung der Investitionszulage für das Kalenderjahr 1991 für die vier in Streit stehenden Wirtschaftsgüter zu Recht bejaht hat, war die Revision des FA nach § 126 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen. Nachdem die Beteiligten auf mündliche Verhandlung übereinstimmend verzichtet haben, war durch Urteil zu entscheiden (vgl. § 90 Abs. 2 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO).