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  BFH-Urteil vom 27.9.2001 (X R 134/98) BStBl. 2002 II S. 176

Die Einziehung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis kann auch dann persönlich unbillig sein, wenn zwar deren Durchsetzung wegen des Vollstreckungsschutzes ausgeschlossen ist, die Steuerrückstände den Steuerpflichtigen aber hindern, eine neue Erwerbstätigkeit zu beginnen und sich so eine eigene, von Sozialhilfeleistungen unabhängige wirtschaftliche Existenz aufzubauen.

AO 1977 § 227; FGO § 44 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

A.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Ehegatten und wurden in den Streitjahren 1980 und 1981 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Wegen der Nichtabgabe der Steuererklärungen schätzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Besteuerungsgrundlagen. Eine Betriebsprüfung der vom Kläger betriebenen Trinkhalle wurde wegen der fehlenden Buchführung abgebrochen. 1981 verkaufte der Kläger seinen Betrieb. Im Jahre 1983 betrugen die Steuerrückstände der Kläger insgesamt 50.760,71 DM.

Unter Hinweis auf ihre geringen Einkünfte beantragten die Kläger 1992 den Erlass der "restlichen Steuerschuld". Das FA lehnte den Antrag wegen fehlender Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit am 25. August 1992 ab. Auch die Beschwerde, in der die Kläger u.a. darauf hinwiesen, dass in den Jahren 1986, 1988, 1989 und 1992 die Übernahme einer Taxikonzession an den Steuerrückständen gescheitert sei, blieb ohne Erfolg. Die Oberfinanzdirektion (OFD) vertrat in der Beschwerdeentscheidung vom 18. November 1994 die Auffassung, die Kläger seien zwar erlasswürdig, da sie ungeachtet ihres unterhalb der Pfändungsfreigrenze liegenden verfügbaren Einkommens jahrelang regelmäßige Teilzahlungen geleistet hätten. Erlassbedürftigkeit sei aber nicht gegeben, da ihre wirtschaftlichen Verhältnisse die zwangsweise Durchsetzung der Steueransprüche ausschließe. Ein Erlass der Einkommensteuer 1981 und Umsatzsteuer 1980 und 1981 wäre deshalb mit keinem wirtschaftlichen Vorteil verbunden, zumal das FA auf die Fortsetzung der Zwangsvollstreckung verzichtet habe. Auf den Vorteil, der für sie gleichwohl in dem Erlöschen der Steuerschulden gesehen werden könne, komme es nicht an. Das FA werde jedoch prüfen, ob die Erhebung der Säumniszuschläge nach den Gesamtumständen objektiven Billigkeitserwägungen widerspreche.

Nach Erhebung der Klage, mit der die Kläger den Erlass der noch verbliebenen Steuerschulden aus Einkommensteuer 1981, Umsatzsteuer 1980 und 1981 sowie der noch bestehenden Säumniszuschläge begehrten, hat das FA die Säumniszuschläge zur Einkommensteuer 1980 von 1.180 DM in voller Höhe, die Säumniszuschläge zur Einkommensteuer 1981 und zur Umsatzsteuer 1980 und 1981 zur Hälfte erlassen. In Höhe von 2.126 DM (Einkommensteuer 1981), 149 DM (Umsatzsteuer 1980) und 2.238 DM (Umsatzsteuer 1981) blieben die bis 15. Juli 1995 verwirkten Säumniszuschläge bestehen. Ein Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung wurde nicht eingelegt.

Das Finanzgericht (FG) erließ aus sachlichen Billigkeitsgründen die Säumniszuschläge zur Einkommensteuer 1980 in Höhe von 1.180 DM, die Säumniszuschläge zur Einkommensteuer 1981 in Höhe von 2.567 DM, die Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 1980 in Höhe von 170 DM sowie die Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 1981 in Höhe von 2.541 DM. Ferner hob es die Verfügung des FA vom 25. August 1992 und die Beschwerdeentscheidung der OFD vom 18. November 1994 auf.

Die Erhebung von Säumniszuschlägen sei im Streitfall unbillig. Da die Beschwerdeentscheidung der OFD hierzu keine Feststellungen enthalte, liege ein Ermessensfehler im Sinne einer Ermessensunterschreitung vor. Der Hinweis, das FA werde prüfen, ob die Erhebung von Säumniszuschlägen objektiven Billigkeitserwägungen widerspreche, reiche nicht aus. Diese Prüfung habe nur zu einem Teilerlass geführt, für den die maßgebenden Erwägungen nicht ersichtlich seien. Es liege ein Fall der sog. Ermessensreduzierung auf Null vor. Das FG könne deshalb in der Sache selbst entscheiden.

Im Übrigen sei nicht nur die Erlasswürdigkeit, sondern auch die Erlassbedürftigkeit der Kläger zu bejahen. Der Erlass sei geeignet, ihre wirtschaftliche Situation entscheidend zu verbessern. Gerade der Erlass gebe dem Kläger die Chance, durch eine Taxikonzession seine wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu bereinigen. Im Beschwerdeverfahren habe er ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Übernahme einer Taxikonzession wiederholt gescheitert sei, weil ihm das FA aufgrund seiner Steuerschuld keine Unbedenklichkeitsbescheinigung habe ausstellen können. Hierauf sei die OFD nicht eingegangen. Die Erwägung, dass die Existenzgefährdung durch die Erhebung der Steuer zumindest entscheidend mitverursacht sein müsse, teile das Gericht nicht in allen Fällen. Andernfalls wäre ein Billigkeitserlass immer dann ausgeschlossen, wenn sich der Steuerpflichtige bereits in einer Notlage befinde. Die Verbesserung seiner Situation würde ihm auf Dauer unmöglich gemacht.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das FG habe die Säumniszuschläge nicht erlassen dürfen, da die Klage insoweit wegen des fehlenden Vorverfahrens unzulässig gewesen sei. Gegenstand der Beschwerdeentscheidung sei nur der Erlass der Einkommensteuer 1980 sowie der Umsatzsteuer 1980 und 1981 gewesen. Über den Erlass von Säumniszuschlägen habe die OFD ausdrücklich nicht entschieden. Die Verfügung des FA vom 20. Oktober 1995 hätten die Kläger nicht gesondert angefochten.

Die Aufhebung der Verwaltungsentscheidungen über den Steuererlass stehe in Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH). Persönliche Unbilligkeit sei nur gegeben, wenn die Steuererhebung die persönliche oder wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde. Im Streitfall sei angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse der Kläger die Durchsetzung der Steueransprüche jedoch ausgeschlossen. Ein Erlass dürfe nicht die Erreichung anderer Sachziele unterstützen, die möglicherweise zu einer Verbesserung der Lebenssituation führen könnten.

Das FA beantragt, das finanzgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

B.

I. Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit das FG die verwirkten Säumniszuschläge erlassen hat.

1. Entgegen der Auffassung des FA beruht das angefochtene Urteil nicht auf einer Verletzung des § 44 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG durfte in eine sachliche Überprüfung eintreten, ob die Säumniszuschläge zu erlassen sind, da dem finanzgerichtlichen Verfahren insoweit ein für den Kläger erfolgloses behördliches Vorverfahren vorausgegangen ist.

a) Die Kläger beantragten beim FA, die "restliche Steuerschuld" zu erlassen. Dieser Antrag war nicht nur auf Erlass der Steuerrückstände, sondern auch auf Erlass der verwirkten Säumniszuschläge gerichtet. Säumniszuschläge sind nach der Terminologie der Abgabenordnung (AO 1977) zwar keine Steuern (§ 3 Abs. 1 und 3 AO 1977), aber Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO 1977). Die AO 1977 selbst gebraucht den Begriff "Steuer" auch als Synonym für "Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis" (z.B. § 191 AO 1977). Der Antrag der Kläger war somit nicht eindeutig und zweifelsfrei, sondern auslegungsbedürftig. In entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist der wirkliche Wille der Kläger durch Auslegung ihrer Erklärung zu ermitteln. Dabei ist unter Berücksichtigung ihrer Interessenlage davon auszugehen, dass sie eine umfassende Bereinigung ihrer steuerlichen Verhältnisse anstrebten. Im Streitfall war daher der wirkliche Wille der Kläger erkennbar nicht nur auf Erlass der rückständigen Steuern, sondern aller Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gerichtet, da nur in diesem Fall weitere Ratenzahlungen, die sie angesichts ihres geringen Einkommens nicht erbringen konnten, entfielen. Die ablehnende Verfügung des FA vom 25. August 1992 und die dagegen eingelegte Beschwerde umfassten damit auch den Antrag auf Erlass der Säumniszuschläge.

b) Soweit mit der Beschwerde der Erlass der Säumniszuschläge erstrebt wurde, hat die OFD das Begehren der Kläger übergangen. Die Beschwerdeentscheidung vom 18. November 1994 befasst sich ausschließlich mit dem Erlass der Einkommensteuer 1981 sowie der Umsatzsteuer 1980 und 1981. Dies wird bestätigt durch die Beschreibung des Beschwerdegegenstandes ("Erlass von Einkommensteuer - ESt - und Umsatzsteuer - USt -") und durch die Formulierung im Tatbestand, dass "neben den in diesem Verfahren streitigen Steuern" noch Säumniszuschläge geschuldet werden. Der Hinweis, das FA werde prüfen, "ob die Erhebung von Säumniszuschlägen nach den Gesamtumständen objektiven Billigkeitserwägungen widerspricht" und die Verfügung des FA vom 20. Oktober 1995, mit der ein Teilerlass der Säumniszuschläge ausgesprochen wurde, ändern hieran nichts. An der Prüfung und Bescheidung war die OFD als die funktionell zuständige Behörde nicht beteiligt.

c) Auch diese unvollständige Rechtsbehelfsentscheidung hat in der nach dem Gesetz erforderlichen Weise das außergerichtliche Vorverfahren förmlich abgeschlossen (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, § 46 Rz. 7; Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 46 FGO Rz. 38; von Beckerath in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 46 FGO Rz. 49; a.A. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 46 FGO Rz. 4; FG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18. Dezember 1985 5 K 155/85, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1986, 300). § 44 Abs. 1 FGO fordert die erfolglose Durchführung eines außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens nicht nur, um die FG vor nicht hinreichend vorbereiteten Klagen zu schützen, sondern hat auch Bedeutung für den Rechtsuchenden, der so einen zusätzlichen kostenlosen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann, und gibt der Verwaltung die Möglichkeit der Selbstkontrolle (Gräber/von Groll, a.a.O., § 44 Rz. 7). Im Streitfall hat die Behörde während des mehr als zwei Jahre dauernden Beschwerdeverfahrens von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Würde in derartigen Fällen der förmliche Abschluss des Verfahrens verneint, könnten die Steuerpflichtigen nur unter den erschwerten Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 FGO gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen, obwohl sie auf die Vollständigkeit der Rechtsbehelfsentscheidung keinen Einfluss nehmen können. Der Schutz des Steuerpflichtigen, den § 44 Abs. 1 FGO nicht zuletzt anstrebt, würde sich ins Gegenteil verkehren.

2. Das FG durfte die Säumniszuschläge aber nicht selbst erlassen.

a) Gemäß § 227 AO 1977 können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 FGO gezogenen Grenzen nachprüfbar ist (Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Nach dieser Vorschrift ist die gerichtliche Prüfung des den Erlass ablehnenden Bescheides und der hierzu ergangenen Beschwerdeentscheidung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Das FG darf in der Regel nur die Verpflichtung aussprechen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (§ 101 Satz 2 FGO). Nur dann, wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeschränkt ist, dass lediglich eine Entscheidung ganz bestimmten Inhalts als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), kann das Gericht ausnahmsweise eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen (§ 101 Satz 1 FGO; BFH-Urteil vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297). In keinem Fall darf es - wie im Streitfall - Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis selbst erlassen.

b) Im Übrigen hat das FG zu Unrecht angenommen, dass der Erlass der Säumniszuschläge aus sachlichen Billigkeitsgründen geboten ist. Das FA könnte deshalb auch nicht zum Erlass der Säumniszuschläge verpflichtet werden.

aa) Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 sind Säumniszuschläge zu entrichten, falls eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt wird. Sie sind nach ständiger Rechtsprechung ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll. Gleichzeitig haben sie den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten und die Verwaltungsaufwendungen, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass fällige Steuern nicht oder nicht fristgemäß bezahlt werden, abzugelten (BFH-Urteil vom 7. Juli 1999 X R 87/96, BFH/NV 2000, 161, m.w.N.).

bb) Sachlich unbillig ist die Erhebung von Säumniszuschlägen u.a. dann, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliert (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2000, 161, m.w.N.). Jedoch kommt in diesen Fällen nur ein Teilerlass in Betracht, da Säumniszuschläge auch als Gegenleistung für das Hinausschieben der Fälligkeit und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwands dienen. Sie sind nur zur Hälfte zu erlassen, denn ein säumiger Steuerpflichtiger soll grundsätzlich nicht besser stehen als ein Steuerpflichtiger, dem Aussetzung der Vollziehung oder Stundung gewährt wurde (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2000, 161, m.w.N.). Da im Streitfall das FA die Säumniszuschläge zur Einkommensteuer 1980 ganz, die Säumniszuschläge zur Einkommensteuer 1981 sowie zur Umsatzsteuer 1980 und 1981 zur Hälfte erlassen hat, ist der Erlass der noch bestehenden Säumniszuschläge wegen der Zahlungsunfähigkeit der Kläger nicht aus sachlichen Billigkeitsgründen geboten.

cc) Zwar ist auch bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung ein weitergehender Erlass der Säumniszuschläge möglich. Insofern bedarf es aber zusätzlicher besonderer Gründe persönlicher oder sachlicher Billigkeit (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2000, 161). So kann ein Erlass der Säumniszuschläge, auch soweit sie Zinscharakter haben und die durch die Säumnis bedingten Verwaltungsaufwendungen abgelten, gerechtfertigt sein, wenn die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Festsetzung von Stundungszinsen aus Billigkeitsgründen (§ 234 Abs. 2 AO 1977) erfüllt gewesen wären (BFH-Urteil in BFH/NV 2000, 161, m.w.N.). Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung machen ihre Erhebung angesichts ihres Zwecks jedoch nicht sachlich unbillig. Ob persönliche oder - andere - sachliche Billigkeitsgründe greifen, ist aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles unter Beachtung der für Maßnahmen i.S. der §§ 163, 227 AO 1977 geltenden Grundsätze zu entscheiden (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2000, 161, m.w.N.). Der Erlass der vollen Säumniszuschläge kann daneben auch dann in Betracht kommen, wenn im Zeitpunkt der Fälligkeit der Hauptforderung ein Erlass gerechtfertigt gewesen wäre (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2000, 161, m.w.N.).

Im Streitfall wäre ein Erlass der Hauptforderung im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit nicht geboten gewesen, da die Kläger keine Steuererklärungen abgegeben hatten und deshalb zu diesem Zeitpunkt nicht erlasswürdig waren. Da auch andere sachliche Billigkeitsgründe aus den Feststellungen des FG nicht ersichtlich sind, kann der Erlass der Säumniszuschläge, soweit sie Zinscharakter haben und den Verwaltungsaufwand ausgleichen, allenfalls aus persönlichen Billigkeitsgründen in Betracht kommen (vgl. unter II.).

II. Zutreffend hat das FG die Ablehnung des begehrten Erlasses für ermessensfehlerhaft gehalten und deshalb den ablehnenden Bescheid des FA vom 25. August 1992 und die Beschwerdeentscheidung der OFD vom 18. November 1994 aufgehoben.

1. Persönliche Unbilligkeit - nur diese kommt im Streitfall in Betracht - ist gegeben, wenn die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde. Das ist der Fall, wenn ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden kann (Senatsbeschluss vom 24. Oktober 1988 X B 54/88, BFH/NV 1989, 285, m.w.N.). Dies setzt voraus, dass sich der Billigkeitserlass auf die wirtschaftliche Situation des Steuerpflichtigen konkret auswirken kann. Lebt der Steuerpflichtige unabhängig von Billigkeitsmaßnahmen in wirtschaftlichen Verhältnissen, die - weil Einkünfte und Vermögen gering sind und im Übrigen dem Pfändungsschutz unterliegen - eine Durchsetzung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis ausschließen, könnte ein Erlass hieran nichts ändern und wäre aus diesem Grunde nicht mit einem wirtschaftlichen Vorteil für den Steuerpflichtigen verbunden (Senatsbeschluss in BFH/NV 1989, 285, 286, m.w.N.). Bei Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit kommt deshalb grundsätzlich weder eine zinslose Stundung noch ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen in Betracht (BFH-Beschluss vom 21. April 1999 VII B 347/98, BFH/NV 1999, 1440, m.w.N.).

2. § 227 AO 1977 betrifft nach Wortlaut und systematischer Stellung im Erhebungsverfahren nur die in der Einziehung liegenden Unbilligkeiten. Auf den Vorteil, der im Erlöschen der Steuerschulden (§ 47 AO 1977) gesehen werden könnte, kommt es deshalb nicht entscheidend an.

Anders sind die Verhältnisse ausnahmsweise z.B. dann zu beurteilen, wenn die Steuerrückstände den Steuerpflichtigen hindern, eine neue (selbständige) Erwerbstätigkeit aufzunehmen und sich so eine eigene, von Sozialhilfeleistungen unabhängige wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Entgegen der Rechtsauffassung des FA ist das Vorbringen des Klägers, angesichts der Steuerrückstände keine Taxikonzession zu erhalten, deshalb bei der Billigkeitsentscheidung gemäß § 227 AO 1977 zu beachten. Der Erlass ist in diesem Fall mit einem wirtschaftlichen Vorteil für den Kläger verbunden, er wirkt sich auf seine Existenz konkret aus (vgl. BFH-Beschlüsse vom 13. März 1990 VII S 3/90, BFH/NV 1991, 171, und vom 24. April 1992 XI B 76/91, BFH/NV 1992, 692; offen gelassen im Senatsbeschluss in BFH/NV 1989, 285). Gerade auch Steuerpflichtigen in vorgerücktem Alter muss die Möglichkeit zum Wiederaufbau einer Existenz und der Vorsorge für den Lebensabend gegeben werden (Tipke/Kruse, a.a.O., § 227 AO 1977 Rz. 101).

Zwar haben die Kläger den beim FA gestellten Erlassantrag ausschließlich mit ihrer schlechten finanziellen Situation und ihrem gesundheitlichen Zustand begründet. Im Beschwerdeverfahren wiesen sie dann aber darauf hin, dass ihre wirtschaftlichen Verhältnisse auf die Steuerrückstände zurückzuführen seien, da an diesen u.a. im Jahre 1992 - und somit im Jahr der Stellung des Erlassantrags - die Übernahme einer Taxikonzession gescheitert sei. Angesichts dieses Vortrags hatte die OFD Veranlassung, die Möglichkeit einer Verbesserung der wirtschaftlichen Existenz durch den Aufbau einer neuen (selbständigen) Erwerbstätigkeit in die Erlassprüfung einzubeziehen, da für die Prüfung eines Erlassbegehrens die tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich sind. Es kann dahingestellt bleiben, ob die OFD - wie das FA vorgetragen hat - in der Beschwerdeentscheidung mittelbar auf den Gesichtspunkt "Taxikonzession" eingegangen ist. Aus den Ausführungen ergibt sich eindeutig, dass nach Auffassung der OFD der Aufbau einer neuen wirtschaftlichen Existenz in keinem Fall einen Steuererlass rechtfertigen würde, selbst wenn die Steuerpflichtigen dadurch die Chance erhielten, auf Dauer aus den wirtschaftlichen Schwierigkeiten herauszukommen. Die OFD maß dem Gesichtspunkt der Aufnahme einer neuen (selbständigen) Erwerbstätigkeit bei ihrer Ermessensentscheidung keinerlei Bedeutung bei. Sie hat deshalb insoweit den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht umfassend und einwandfrei ermittelt, obgleich der Untersuchungsgrundsatz auch im Erlassverfahren gilt (von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 227 AO 1977 Rz. 380). Diese mangelnde Sachverhaltsermittlung und die daraus resultierende Nichtberücksichtigung der Möglichkeit, dass der Kläger nach Erlass der Steuerrückstände eine Taxikonzession erhält und sich so eine neue wirtschaftliche Existenz aufbauen kann, führen zur Rechtswidrigkeit der Ermessensentscheidung (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 5 AO 1977 Rz. 37).

3. Da die Kläger im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung unstreitig erlasswürdig waren, hat nach den vorstehenden Rechtsgrundsätzen das FG zu Recht die ablehnende Erlassentscheidung des FA sowie die Beschwerdeentscheidung der OFD aufgehoben. Die Aufhebung war mit der Verpflichtung zu verbinden, die Kläger seien unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (§ 101 Satz 2 FGO). Dementsprechend war der Urteilsausspruch klarzustellen. Das FA wird nun zu prüfen haben, ob der Kläger Anfang der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ohne Steuerrückstände eine Taxikonzession erhalten und sich dadurch die wirtschaftliche Situation entscheidend verbessert hätte. Erweist sich dieser Sachvortrag als zutreffend, ist nicht nur der Erlass der Steuerrückstände geboten, sondern auch der Erlass der Säumniszuschläge, soweit ihnen Zinscharakter zukommt und sie den durch die Säumnis bedingten Verwaltungsaufwand ausgleichen.

III. Da die Klage überwiegend Erfolg hat, hält der Senat es für angemessen, dem FA gemäß § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.