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  BFH-Urteil vom 6.12.2001 (V R 23/01) BStBl. 2002 II S. 257

1. Als "Umsätze für die Seeschifffahrt" sind u.a. sonstige Leistungen steuerbefreit, die für den unmittelbaren Bedarf bestimmter Wasserfahrzeuge, einschließlich ihrer Ausrüstungsgegenstände und ihrer Ladungen, bestimmt sind.

2. Dabei kommen nur sonstige Leistungen in Betracht, die (unmittelbar) an Unternehmer der Seeschifffahrt bewirkt werden.

UStG 1993 § 4 Nr. 2, § 8 Abs. 1 Nr. 5; Richtlinie 77/388/EWG Art. 15 Nr. 4, Art. 15 Nr. 8.

Vorinstanz: FG Hamburg (EFG 2001, 658)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Organträgerin einer GmbH. Die GmbH erbrachte in den Streitjahren 1993 und 1994 gegenüber der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord (WSD), einer Behörde der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, aufgrund eines Vertrages vom 5. Dezember 1990 folgende Leistungen:

"- Versetzen und Ausholen von Seelotsen an den für das Revier ausgewiesenen Positionen;

- Beförderung von Seelotsen zum Zwecke des Nachschubes und Abschöpfens zwischen den Häfen und den einzelnen Stationen;

- laufende Unterhaltung und Betrieb der landfesten Lotseneinrichtungen einschließlich Inventar und Zubehör."

Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) erfolgte die Beförderung der Seelotsen zwischen den Anlegestellen in Timmendorf (Poel), Warnemünde, Barhöft und Thiessow (Rügen) und den "Versetzposten". Diese befanden sich innerhalb von 3 Seemeilen von der jeweiligen Küste entfernt.

Die von der WSD für diese Leistungen gezahlten Vergütungen beliefen sich im Jahr 1993 auf ... DM und im Jahr 1994 auf ... DM. Die Klägerin nahm steuerfreie "Umsätze für die Seeschifffahrt" gemäß § 4 Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) an.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) behandelte im Anschluss an eine Aussenprüfung bei der Klägerin diese Umsätze hingegen (mit dem ermäßigten Steuersatz) als steuerpflichtig.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage der Klägerin hatte Erfolg. Das FG führte zur Begründung aus, die "Umsätze aus dem Lotsenversetzdienst" seien zwar steuerbar, aber gemäß § 4 Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG von der Umsatzsteuer befreit. Der Lotsenversetzdienst sei eine notwendige Nebenleistung zum Lotsen; er diene ebenfalls dem unmittelbaren Bedarf der Seeschiffe i.S. des § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG. Dass die Klägerin ihre Leistungen an eine (nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte) Körperschaft des öffentlichen Rechts erbracht habe, sei unerheblich. Denn die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 2 UStG i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG komme nicht nur für Umsätze in Betracht, die unmittelbar an Unternehmer der Seeschifffahrt bewirkt würden, sondern auch für Umsätze vorangehender Stufen (z.B. Zwischenhändler), wenn sie dem unmittelbaren Bedarf der Seeschiffe dienten.

Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 658 veröffentlicht.

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung von § 4 Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG. Es bezieht sich im Wesentlichen auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) IV A 3 -S 7155- 3/83 vom 12. April 1983 (Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1984, 64), wonach für Beförderungsleistungen eines Lotsenbetriebsvereins die Steuerbefreiung zugunsten der Seeschifffahrt nach § 4 Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG nicht in Betracht komme, weil sie keine Leistungen seien, die für den unmittelbaren Bedarf der in der Erwerbsseeschifffahrt eingesetzten Fahrzeuge bestimmt seien.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin tritt der Revision entgegen.

Entscheidungsgründe

II.

1. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Umsätze, die die Klägerin (durch die GmbH) an die WSD erbracht hat, sind steuerbar und - entgegen der Ansicht des FG - steuerpflichtig. Es handelt sich nicht um steuerbefreite Umsätze für die Seeschifffahrt i.S. von § 4 Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG.

2. Das FG hat zutreffend entschieden, dass die hier zu beurteilenden Umsätze gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1, § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 1 Abs. 3 Satz 2 UStG als "im Inland" erbrachte Leistungen anzusehen sind und die Voraussetzungen der Steuerbarkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG erfüllt sind. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

3. Der Senat vermag dem FG jedoch insoweit nicht zu folgen, als es angenommen hat, die Umsätze seien gemäß § 4 Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG steuerbefreit.

a) Nach § 4 Nr. 2 UStG sind u.a. die "Umsätze für die Seeschifffahrt" steuerfrei. Das sind gemäß § 8 Abs. 1 UStG:

"1. Die Lieferungen, Umbauten, Instandsetzungen, Wartungen, Vercharterungen und Vermietungen von Wasserfahrzeugen für die Seeschifffahrt, die dem Erwerb durch die Seeschifffahrt oder die Rettung Schiffbrüchiger zu dienen bestimmt sind (aus Positionen 89.01 und 89.02, aus Unterposition 89039210, aus Position 89.04 und aus Unterposition 89060091 des Zolltarifs);

2. die Lieferungen, Instandsetzungen, Wartungen und Vermietungen von Gegenständen, die zur Ausrüstung der in Nummer 1 bezeichneten Wasserfahrzeuge bestimmt sind;

3. die Lieferungen von Gegenständen, die zur Versorgung der in Nummer 1 bezeichneten Wasserfahrzeuge bestimmt sind. Nicht befreit sind die Lieferungen von Bordproviant zur Versorgung von Wasserfahrzeugen der Küstenfischerei;

4. die Lieferungen von Gegenständen, die zur Versorgung von Kriegsschiffen (Unterposition 89060010 des Zolltarifs) auf Fahrten bestimmt sind, bei denen ein Hafen oder ein Ankerplatz im Ausland und außerhalb des Küstengebiets im Sinne des Zollrechts angelaufen werden soll;

5. andere als die in den Nummern 1 und 2 bezeichneten sonstigen Leistungen, die für den unmittelbaren Bedarf der in Nummer 1 bezeichneten Wasserfahrzeuge, einschließlich ihrer Ausrüstungsgegenstände und ihrer Ladungen, bestimmt sind."

b) Nach der Gesetzesbegründung zu § 8 Abs. 1 UStG (1980) "entspricht" die Steuerbefreiung Art. 15 Nr. 4, 5 und 8 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG - Richtlinie 77/388/EWG - (vgl. BTDrucks 8/1779, S. 37).

c) In Art. 15 der Richtlinie 77/388/EWG ist unter der Überschrift "Steuerbefreiungen bei Ausfuhren nach einem Drittland, gleichgestellten Umsätzen und grenzüberschreitenden Beförderungen" bestimmt:

"Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsbestimmungen befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Mißbräuchen festsetzen, von der Steuer:

...

4. Lieferungen von Gegenständen zur Versorgung von Schiffen, die

a) auf hoher See im entgeltlichen Passagierverkehr, zur Ausübung einer Handelstätigkeit, für gewerbliche Zwecke oder zur Fischerei eingesetzt sind,

...

5. Lieferungen, Umbauten, Instandsetzungen, Wartungen, Vercharterungen und Vermietungen der unter Nummer 4 Buchstaben a) und b) bezeichneten Seeschiffe sowie Lieferungen, Vermietungen, Instandsetzungen und Wartungen der in diese Schiffe eingebauten Gegenstände - einschließlich der Ausrüstung für die Fischerei - oder der Gegenstände für ihren Betrieb;

...

8. andere Dienstleistungen als die nach Nummer 5, die für den unmittelbaren Bedarf der dort bezeichneten Seeschiffe und ihrer Ladungen bestimmt sind."

d) Zu Art. 15 Nr. 8 der Richtlinie 77/388/EWG haben der Rat und die Kommission erklärt, dass unter diese Bestimmung u.a. das Lotsen, Schleppen und Bergen fällt (vgl. Protokollerklärung in der Ratstagung am 17. Mai 1977, abgedruckt u.a. bei Rau/ Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 6. Mehrwertsteuer-Richtlinie, Art. 15, Anm. 1).

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) hat zur Auslegung von Art. 15 Nr. 8 der Richtlinie 77/388/EWG (lediglich) entschieden, dass es sich bei den nach dieser Bestimmung von der Steuer befreiten Leistungen "nur um solche handelt, die unmittelbar mit dem Bedarf der Seeschiffe und deren Ladungen zusammenhängen, d.h. um Leistungen, die für den Betrieb dieser Schiffe notwendig sind". Das sei bei der Einrichtung von Geldspielautomaten, die der Unterhaltung der Passagiere dienen sollten und als solche in keinem inneren Zusammenhang mit dem Bedarf der Seeschifffahrt stünden, nicht der Fall (vgl. EuGH-Urteil vom 4. Juli 1985 Rs. 168/84 - Berkholz -, Slg. 1985 I-2251, Rdnr. 21; Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, 6. Umsatzsteuer-Richtlinie, Art. 9, Rechtsspruch 1).

e) Allerdings ist nach der Rechtsprechung des EuGH Art. 15 Nr. 4 der Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen, dass "Lieferungen von Gegenständen zur Versorgung von Schiffen" nur Lieferungen an einen Betreiber von Schiffen sind, der diese Gegenstände zur Versorgung der Schiffe verwendet, und nicht die Lieferungen dieser Gegenstände, die auf einer vorhergehenden Handelsstufe erfolgen (vgl. EuGH-Urteil vom 26. Juni 1990 Rs. C-185/89 - Velker International Oil Company -, Slg. 1990 I-2577; StRK, 6. Umsatzsteuer-Richtlinie, Art. 15, Rechtsspruch 2). Der EuGH hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt (Rdnrn. 19 ff.):

"19

Die Bestimmungen der Richtlinie über Steuerbefreiungen sind eng auszulegen, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung oder jede Lieferung von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt oder ausführt, der Umsatzsteuer unterliegt.

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Diese enge Auslegung ist insbesondere geboten, wenn es um Vorschriften geht, die eine Ausnahme von der Regel der Steuerpflichtigkeit 'im Inland' getätigter Umsätze enthalten.

21

Zu Artikel 15 Nr. 4 ist festzustellen, dass die dort aufgeführten Umsätze zur Versorgung von Schiffen deshalb von der Steuer befreit sind, weil sie Ausfuhrumsätzen gleichgestellt sind.

22

Ebenso wie bei Ausfuhrumsätzen die in Artikel 15 Nr. 1 von Rechts wegen vorgesehene Steuerbefreiung nur für endgültige Lieferungen ausgeführter Gegenstände durch den Verkäufer oder für dessen Rechnung gilt, kann die in Artikel 15 Nr. 4 vorgesehene Steuerbefreiung nur für Lieferungen von Gegenständen an einen Betreiber von Schiffen gelten, der diese Gegenstände zur Versorgung der Schiffe verwendet, und kann sich deshalb nicht auf Lieferungen dieser Gegenstände erstrecken, die auf einer vorhergehenden Handelsstufe erfolgen.

23

Die Bundesregierung macht jedoch in ihren beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen geltend, dass eine derartige Auslegung der streitigen Vorschriften gegen deren Zweck verstieße. Die fragliche Steuerbefreiung solle eine verwaltungsmäßige Vereinfachung ermöglichen und keinen Steuervorteil gewähren. Unter Berücksichtigung des auf diese Weise verfolgten Ziels müsse diese Steuerbefreiung auf alle Handelsstufen erstreckt werden.

24

Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Die Erstreckung der Steuerbefreiung auf die der endgültigen Lieferung der Gegenstände an den Betreiber der Schiffe vorausgehenden Handelsstufen würde von den Mitgliedstaaten verlangen, dass sie Kontroll- und Überwachungsmechanismen einführten, um sich der endgültigen Bestimmung der unter Steuerbefreiung gelieferten Gegenstände zu vergewissern. Diese Mechanismen würden keineswegs zu einer verwaltungsmäßigen Vereinfachung führen, sondern für die Mitgliedstaaten und für die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer Zwänge schaffen, die mit einer 'korrekten und einfachen Anwendung der ... Befreiungen' im Sinne von Artikel 15 Satz 1 der Sechsten Richtlinie unvereinbar wären."

f) Diese Auslegungsgrundsätze des EuGH zu Art. 15 Nr. 4 der Richtlinie 77/388/EWG gelten gleichermaßen für Art. 15 Nr. 8 der Richtlinie 77/388/EWG, der - wie § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG - eine Steuerbefreiung für Dienstleistungen (sonstige Leistungen) vorsieht, die für den unmittelbaren Bedarf der in Art. 15 Nr. 5 der Richtlinie 77/388/EWG bezeichneten Seeschiffe - bzw. der in § 8 Abs. 1 Nr. 1 UStG bezeichneten Wasserfahrzeuge - bestimmt sind. Denn die vom EuGH zur (engen) Auslegung des Art. 15 Nr. 4 der Richtlinie 77/388/EWG angeführte Begründung ist ohne weiteres auf Art. 15 Nr. 8 der Richtlinie 77/388/EWG zu übertragen.

Deshalb kommt die Steuerbefreiung - entgegen der Auffassung des FG - nach § 4 Nr. 2 UStG i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG nur für Umsätze in Betracht, die (unmittelbar) an Unternehmer der Seeschifffahrt bewirkt werden.

Da im Streitfall die Klägerin die Leistungen nicht unmittelbar an Unternehmer der Seeschifffahrt erbracht hat, sondern an die WSD, scheidet eine Steuerbefreiung dieser Leistungen nach § 4 Nr. 2 UStG i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG aus. Dass die WSD diese Leistungen ihrerseits (in einer Leistungskette) an Unternehmer der Seeschifffahrt "weitergereicht" hat, ist nach der wiedergegebenen Rechtsprechung des EuGH unerheblich.