| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 21.3.2002 (V R 62/01) BStBl. 2002 II S. 559

1. Die Zwangsversteigerung eines Grundstücks führt umsatzsteuerrechtlich grundsätzlich zu einer entgeltlichen Lieferung des Grundstückseigentümers an den Ersteher. Dies gilt aber nicht, wenn eine Geschäftsveräußerung i.S. des § 1 Abs. 1 a UStG 1993 vorliegt; diese setzt kein lebendes Unternehmen voraus.

2. Auch bereits vor In-Kraft-Treten des § 9 Abs. 3 UStG 1999 n.F. war ein Verzicht auf die Steuerbefreiung der Grundstückslieferung im Rahmen des Zwangsversteigerungsverfahrens nach dem Verteilungstermin nicht mehr wirksam.

UStG 1993 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Nr. 9 Buchst. a, § 9; UStDV 1993 § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3; ZVG § 107.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 2001, 1084)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erwarb im Mai 1994 ein Grundstück mit teilfertiggestellter Fabrikhalle in der Zwangsversteigerung zum Meistgebot von 575.000 DM.

Der Vollstreckungsschuldner und frühere Eigentümer des Grundstücks V hatte mit dem Bau der Fabrikhalle 1990 begonnen; er wollte sie gewerblich vermieten. Die Fabrikhalle wurde jedoch aufgrund finanzieller Schwierigkeiten nicht fertiggestellt, sondern verblieb im Zustand des Rohbaus.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) gewährte V zunächst den Vorsteuerabzug aus den in den Jahren 1990 bis 1992 erbrachten Bauleistungen. Nach der Versteigerung des Grundstücks wurde bei ihm eine Umsatzsteuer-Außenprüfung durchgeführt und der Vorsteuerabzug nachträglich versagt, weil seine unternehmerische Tätigkeit erfolglos geblieben und die Veräußerung des Grundstücks als umsatzsteuerfreie Lieferung erfolgt sei, die den Vorsteuerabzug ausschließe. Hiergegen machte V geltend, er habe durch Einreichung der entsprechenden Umsatzsteuer-Anmeldungen auf die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 9 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1993) verzichtet und zur Steuerpflicht seiner Umsätze aus dem Grundstück einschließlich des Verkaufs optiert; aufgrund von § 18 Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 UStG 1993 i.V.m. § 51 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV 1993) werde von dem sog. Abzugsverfahren Gebrauch gemacht.

V erteilte der Klägerin im März 1996 über die "Grundstückslieferung vom 17.5.1994" im Wege der Zwangsversteigerung eine Rechnung über 575.000 DM zuzüglich 15 % Umsatzsteuer in Höhe von 86.250 DM, zusammen 661.250 DM. Er bat um die Anwendung des Abzugsverfahrens und Abführung der Umsatzsteuer an das FA. Nachdem sich die Klägerin geweigert hatte, einen Betrag aufzubringen, der über das im Zuschlagsbeschluss festgehaltene Meistgebot von 575.000 DM hinausging, erteilte V ihr eine Rechnung ohne Datum über 500.000 DM zuzüglich 15 % Umsatzsteuer in Höhe von 75.000 DM, insgesamt 575.000 DM. Durch eine weitere Rechnung vom 28. November 1997, in der dieselben Beträge ausgewiesen sind, berichtigte V die vorherigen Rechnungen.

Die Klägerin meldete die ihr in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nicht beim FA an und führte sie dementsprechend auch nicht an dieses ab. Das FA erließ deshalb gegen die Klägerin einen auf § 55 UStDV 1993 gestützten Haftungsbescheid.

Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1084 veröffentlicht ist, gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt. Es war der Auffassung, die Klägerin sei aufgrund des Zuschlagsbeschlusses verpflichtet gewesen, das von ihr in der Zwangsversteigerung als Bargebot abgegebene Meistgebot an das zuständige Vollstreckungsgericht zu entrichten, damit es an die Gläubiger des Schuldners nach den dafür geltenden Regeln verteilt werden könne (§ 69 i.V.m. § 107 Abs. 2 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung - ZVG -). Diese Pflicht habe die Klägerin ordnungsgemäß erfüllt, wobei offen bleiben könne, ob sie eine effektive Zahlung geleistet habe oder ob die vereinfachte Weiterleitung des Versteigerungserlöses durch Vereinbarungen zwischen ihr als Ersteigerin und den Gläubigern als Verteilungsempfängern unter Mitwirkung des Vollstreckungsgerichts erfolgt sei. Eine Einbehaltung und Abführung der durch den nachträglichen Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung entstandenen Umsatzsteuer sei ihr nicht möglich gewesen. Deshalb sei bereits der Haftungstatbestand des § 55 UStDV 1993 nicht erfüllt. Jedenfalls habe die Klägerin nicht schuldhaft gehandelt, so dass die Inanspruchnahme der Klägerin auch ermessensfehlerhaft gewesen wäre.

Hiergegen wendet sich das FA mit der vorliegenden Revision. Es rügt Verletzung materiellen Rechts. Es ist der Auffassung, bei einer Grundstückslieferung im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens sei das Abzugsverfahren auch bei einer erst nachträglich ausgeübten Option anzuwenden; andernfalls sei die Vorschrift des § 51 Abs. 1 Nr. 3 UStDV 1993 wirkungslos. Das FG habe zu Unrecht nicht geprüft, ob die Klägerin nachträglich den Vorsteuerabzug in Anspruch genommen habe; tatsächlich habe sie dies in einer berichtigten Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1996 getan.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

1. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStDV 1993 hat der Leistungsempfänger für die Lieferungen von Grundstücken im Zwangsversteigerungsverfahren durch den Vollstreckungsschuldner an den Ersteher die Umsatzsteuer einzubehalten und abzuführen. Er haftet für diese Steuer (§ 55 UStDV 1993).

Die Haftung des Leistungsempfängers (Erstehers) für die Umsatzsteuer setzt einen steuerpflichtigen Grundstücksumsatz des Vollstreckungsschuldners an den Ersteher voraus.

a) Die Zwangsversteigerung eines Grundstücks führt zwar umsatzsteuerrechtlich grundsätzlich zu einer Lieferung des Grundstückseigentümers an den Ersteher (Senatsurteile vom 19. Dezember 1985 V R 139/76, BFHE 146, 484, BStBl II 1986, 500; vom 6. Juni 1991 V R 115/87, BFHE 165, 113, BStBl II 1991, 817). Dies gilt aber nicht, wenn eine Geschäftsveräußerung i.S. des § 1 Abs. 1 a UStG 1993 vorliegt. Nach dem Senatsurteil vom 8. März 2001 V R 24/98 (BFHE 194, 522) setzt die Geschäftsveräußerung kein lebendes Unternehmen voraus. Der Vorentscheidung kann nicht entnommen werden, ob das Grundstück die wesentliche Grundlage des Betriebs des V war und demzufolge eine Geschäftsveräußerung vorlag. Gleichwohl kommt eine Zurückverweisung nicht in Betracht, denn auch wenn keine Geschäftsveräußerung vorlag, fehlt es an einem steuerpflichtigen Umsatz, für dessen Steuer die Klägerin haften würde.

b) Lag keine Geschäftsveräußerung vor, war die Grundstückslieferung steuerfrei (§ 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1993) und nicht umsatzsteuerpflichtig. Auf die Steuerfreiheit eines Grundstückumsatzes kann zwar grundsätzlich auch noch nach Ausführung des Umsatzes gemäß § 9 UStG 1993 verzichtet werden. Der Verzicht ist aber nicht mehr nach dem Termin zur Verteilung des Versteigerungserlöses wirksam. In diesem Termin wird festgestellt, wieviel die zu verteilende Masse beträgt (§ 107 Abs. 1 Satz 1 ZVG). Deshalb kann eine nachträgliche Steueroption nicht mit der Wirkung berücksichtigt werden, dass die Umsatzsteuer aus dem Versteigerungserlös herausgerechnet wurde; für einen entsprechenden Zuschlag auf den Gebotsbetrag gibt es ebenfalls keine Rechtsgrundlage (Bundesgerichtshof - BGH -, Beschluss vom 4. Mai 2000 IX ZR 124/98, BGHR § 51 Abs. 1 Nr. 3 UStDV Umsatzsteuer 1, BGHR § 81 ZVG Umsatzsteuer 1). Dahinstehen kann, ob ein Verzicht auf die Steuerbefreiung auch bereits vor In-Kraft-Treten des § 9 Abs. 3 UStG (i.d.F. des Art. 18 Nr. 3 des Steueränderungsgesetzes 2001 vom 20. Dezember 2001, BGBl I 2001, 3794, BStBl I 2002, 4) nur bis zur Abgabe von Geboten im Versteigerungstermin möglich war, jedenfalls war er auch vor In-Kraft-Treten des § 9 Abs. 3 UStG 1999 n.F. nach dem Verteilungstermin nicht mehr wirksam.

c) Der Grundstücksumsatz war deshalb nicht steuerpflichtig, so dass auch eine Haftung der Klägerin für die Umsatzsteuer ausscheidet; dementsprechend stand ihr auch kein Vorsteuerabzug für den Erwerb des Grundstücks zu.