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  BFH-Urteil vom 12.6.2002 (XI R 55/01) BStBl. 2002 II S. 751

Sog. negative Unterschiedsbeträge sind nicht als Betriebsausgaben abziehbar.

EStG § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 2002, 450)

Sachverhalt

I.

Streitig ist, ob Mitglieder einer Rechtsanwaltssozietät für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 des Einkommensteuergesetzes 1990 (EStG) in der Fassung des Jahressteuergesetzes (JStG) 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I, 1250) sog. negative Unterschiedsbeträge als Betriebsausgaben abziehen können.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) waren im Streitjahr 1997 Mitglieder einer Anwaltssozietät; der Gewinn wurde gemäß § 4 Abs. 3 EStG durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermittelt. Jedem der Kläger stand ein betrieblicher PKW zur Verfügung, den sie auch privat sowie für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte nutzen durften. Die Kläger führten kein Fahrtenbuch. Die Entfernungen zwischen den Wohnungen der Kläger und der gemeinsamen Kanzlei betrugen 17 km bei den Klägern zu 1 und 3 bzw. 14 km bei dem Kläger zu 2.

Die Kläger errechneten folgende sog. negativen Unterschiedsbeträge für ihre Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte:

 

Kläger zu 1

Kläger zu 2

Klägerin zu 3

       
Kfz-Kosten incl.      
AfA

21.768 DM

6.943 DM

10.583 DM

       
Listenpreise

34.000 DM

32.600 DM

20.000/33.700 DM

       
Entnahme 12 v.H.

4.080 DM

3.600 DM

2.676 DM

       
Entfernung zw.      
Wohnung u.      
Betriebsstätte

17 km

14 km

17 km

       
       
Entnahme wg      
Fahrten zw.      
Wohnung u.      
Betriebsstätte

-

-

-

       
Berechnung (0,03      
v.H.-Regelung)

0,03 % von

0,03 % von

0,03 % von

 

34.000 x 12

32.600 x 12

29.133 x 12

 

Mon. x 17 km

Mon. x 14 km

Mon. x 17 km

 

= 2.080

= 1.643

= 1.783

       
Berechnung (§ 9

0,70 x 17 x

0,70 x 14 x

0,70 x 17 x

Abs. 1 Satz 3

230 Tage

230 Tage

230 Tage

Nr. 4 EStG)

= 2.737

= 2.254

= 2.737

       
negativer      
Unterschieds-

657 DM

611 DM

954 DM

betrag      

Für die Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) im Streitjahr keine Entnahmen an, da sich bei der Ermittlung des Unterschiedsbetrages gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG ein negativer Unterschiedsbetrag ergebe. Die Kläger sind der Meinung, dass die Nichtabziehbarkeit des negativen Unterschiedsbetrages zu einer Ungleichbehandlung von Selbständigen und Angestellten führe. Bei einem Angestellten, der von seinem Arbeitgeber ein Fahrzeug zur Verfügung gestellt bekomme und der die "1 v.H.-Regelung" bzw. die "0,03 v.H.-Regelung" anwende, wirke sich der negative Unterschiedsbetrag einkünftemindernd aus, da er den Werbungskostenpauschbetrag nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG geltend machen könne. Das FA ist demgegenüber der Auffassung, dass ein pauschaler Betriebsausgabenabzug für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte in entsprechender Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG nicht in Betracht komme.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und führte im Wesentlichen aus:

1. Das Gesetz enthalte keine Regelung für die eher seltenen Fälle, in denen die pauschal oder tatsächlich ermittelten Kosten niedriger als die Km-Pauschbeträge des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG seien. Die Lücke sei in der Weise zu schließen, dass die negativen Unterschiedsbeträge als Betriebsausgaben abziehbar seien.

2. Es sei seit langem anerkannt, dass Arbeitnehmer und Bezieher anderer Einkünfte im Hinblick auf den Abzug von Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gleich zu behandeln seien.

Mit der Revision macht das FA geltend:

1. Eine planwidrige Lücke sei nicht vorhanden. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG gelte nicht im Bereich des § 9 EStG (vgl. § 9 Abs. 5 EStG).

2. Der Umstand, dass die Kläger als Unternehmer bei ihren unter den Pauschbeträgen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG liegenden Fahrzeugkosten nur die tatsächlichen Kosten und nicht die Pauschale in Anspruch nehmen könnten, führe nicht zu einer Verletzung des Art. 3 des Grundgesetzes (GG).

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

1. Arbeitnehmer und Selbständige müssten hinsichtlich des Abzugs von Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bzw. Wohnung und Betriebsstätte gleich behandelt werden.

2. Die Gegenüberstellung der Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG und der Nr. 4 bis 7 sei nicht sachgerecht. Das FA gehe zu Unrecht davon aus, dass der Gesetzgeber eine Ungleichbehandlung gewollt habe.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage. Entgegen der Auffassung des FG mindert ein negativer Unterschiedsbetrag i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG nicht den Gewinn (so auch Schmidt/ Heinicke, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl., 2002, § 4 Rz. 584; Korn/Seifert, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, Stand März 2001, § 4 Rz. 1038; a.A. Söhn in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 4 Rz. L 22, L 121).

1. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Halbsatz 1 EStG dürfen Aufwendungen für Fahrten des Steuerpflichtigen zwischen Wohnung und Betriebsstätte den Gewinn nicht mindern in Höhe des positiven Unterschiedsbetrags zwischen 0,03 v.H. des inländischen Listenpreises i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG des Kfz im Zeitpunkt der Erstzulassung je Kalendermonat für jeden Entfernungskilometer und dem sich nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 oder Abs. 2 EStG ergebenden Betrag.

a) Die Regelung ist darauf gerichtet, den Abzug von Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte auf 0,70 DM pro Entfernungskilometer zu beschränken. Nach der "0,03 v.H.-Regelung" sind die Kosten pro Entfernungskilometer von den Anschaffungskosten abhängig. So betragen die Kosten für einen Entfernungskilometer nach dieser Berechnungsmethode bei Anschaffungskosten von 50.000 DM 15 DM pro Entfernungskilometer und Monat; da der Gesetzgeber typisierend von (nur) 15 Fahrten pro Monat ausgegangen ist (vgl. Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 4 Rz. 584; Bordewin/Brandt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, Vor §§ 4 bis 5 Rz. 20), belaufen sich die Kosten pro Entfernungskilometer auf 1 DM (50.000 x 0,03 v.H. : 15). Die Differenz zwischen 1 DM und 0,70 DM von 0,30 DM bildet den positiven Unterschiedsbetrag; 0,30 DM pro Entfernungskilometer können nicht abgesetzt werden und sind dem Gewinn wieder hinzuzurechnen. Das Beispiel macht deutlich, dass - wie im Streitfall - bei Anschaffungskosten unter 35.000 DM nach der "0,03 v.H.-Regelung" die Kosten pro Entfernungskilometer weniger als 0,70 DM betragen und damit ein negativer Unterschiedsbetrag entsteht.

b) Mit der Regelung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Halbsatz 1 EStG will der Gesetzgeber erreichen, dass bei den Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte - unabhängig von der Höhe der Anschaffungskosten für das Kfz - nicht mehr als 0,70 DM pro Entfernungskilometer abgezogen werden. Entgegen der Auffassung des FG wird aber nicht bezweckt, dass der Steuerpflichtige in jedem Fall mindestens 0,70 DM pro Entfernungskilometer absetzen kann. Weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus dem Zweck des Gesetzes lässt sich eine solche Auslegung herleiten. Im Fall des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG werden die Kosten des Kfz nicht ermittelt; der Gesetzgeber setzt die Kfz-Kosten daher pauschal und einheitlich mit 0,70 DM pro Entfernungskilometer an. Dementsprechend sieht das Gesetz in § 9 Abs. 5 EStG vor, dass die Regelung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG nicht sinngemäß gilt. In dem Fall hingegen, in dem das Kfz zum Betriebsvermögen gehört, sind die Aufwendungen, die auf die Nutzung des Kfz entfallen, im Einzelnen zu ermitteln; in einem zweiten Schritt wird der Privatanteil herausgerechnet und der steuerliche Gewinn korrigiert. Da in diesem Fall die tatsächlichen Kosten feststehen, besteht kein sachlicher Grund, die pauschal nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ermittelten Kosten zu übernehmen. Sind die tatsächlichen Kosten niedriger als die Beträge, die sich nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ergeben, bleibt es beim Abzug der tatsächlichen Kosten.

Auch nach der Begründung des Bundesratsvorschlags (BTDrucks 13/1686, S. 8) soll der Abzug von Betriebsausgaben insoweit ausgeschlossen werden, als dieser Wert höher sei als die Entfernungspauschale des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG; von einer Übernahme der Werte des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist keine Rede. Allerdings wird - die Bundesratsbegründung unterlässt in seiner Begründung diese Differenzierung - eine Gleichstellung eines Steuerpflichtigen mit Gewinneinkünften, der ein betriebliches Fahrzeug auch privat nutzt, mit einem Arbeitnehmer, der vom Arbeitgeber ein Kfz zur betrieblichen und privaten Nutzung zur Verfügung gestellt bekommt, nur in den Fällen erreicht, in denen sich ein positiver Unterschiedsbetrag ergibt.

c) Verfassungsrechtlich ist die im Streitjahr maßgebliche Regelung nicht zu beanstanden; insbesondere ist kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ersichtlich. Die Kläger können im Streitfall für die Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte die ihnen tatsächlich entstandenen Kosten geltend machen. Dass ein vergleichbarer Arbeitnehmer im konkreten Fall höhere Beträge hätte absetzen können, hat seine Ursache darin, dass der Gesetzgeber im Bereich der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit das Vermögen generell außer Betracht lässt und daher auch auf eine genaue Ermittlung der Kosten, die mit der Nutzung des Vermögensgegenstandes "Kfz" in Zusammenhang stehen, verzichtet. Dementsprechend ist nur eine pauschale Ermittlung der Kosten vorgesehen. Dass der Gesetzgeber dabei von Durchschnittswerten ausgegangen ist, entspricht der Natur der Sache und ist nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber ist daher nicht gezwungen, die Pauschalen, die für die Ermittlung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gelten, in den Bereich der betrieblichen Einkünfte zu übernehmen (zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Pauschalierungen vgl. z.B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 10. April 1997 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1). Die unterschiedliche Art der Einkunftsermittlung rechtfertigt die gesetzlichen Differenzierungen (vgl. bereits Beschluss des BVerfG vom 17. April 1975 2 BvR 196/75, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1975, 398).

Aus denselben Gründen ist auch der Fall der Kfz-Gestellung durch den Arbeitgeber nicht geeignet, die Gleichheitswidrigkeit des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG zu begründen. Die Abziehbarkeit von Kfz-Aufwendungen folgt auch in diesem Fall aus § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Dass sich der geldwerte Vorteil gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG nach der "0,03 v.H.-Regelung" bemisst, führt im Fall des positiven Unterschiedsbetrags zu einer Einkunftserhöhung und im Fall des negativen Unterschiedsbetrags per saldo zu einer Einkunftsminderung. In diesem Fall wirkt sich zwar der negative Unterschiedsbetrag aus; das hat aber seinen Grund allein darin, dass im Fall des Arbeitnehmers § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 4 EStG zur Anwendung kommt. Die Berechnung der Höhe des geldwerten Vorteils ist insoweit unerheblich.