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BFH-Urteil vom 26.7.2005 (VII R 57/04) BStBl. 2005 II S. 814

1. Ändert sich nach Vorlage eines Vermögensverzeichnisses die Vermögenslage des Vollstreckungsschuldners oder erkennt dieser die Unrichtigkeit der von ihm gemachten Angaben, ist er vor Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zur Ergänzung bzw. Richtigstellung seiner Angaben verpflichtet.

2. Ergänzt oder berichtigt der Vollstreckungsschuldner vor Abgabe der eidesstattlichen Versicherung das der Finanzbehörde bereits vorgelegte Vermögensverzeichnis, wird allein dadurch kein neues Verfahren in Gang gesetzt. Die Finanzbehörde hat hinsichtlich der Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung eine erneute Ermessensentscheidung nur dann zu treffen, wenn der Vollstreckungsschuldner substantiiert besondere Gründe darlegt, die eine Abstandnahme von der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung geboten erscheinen lassen.

AO 1977 § 284 Abs. 1 und Abs. 3; StGB § 156.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz vom 23. August 2004 5 K 2746/01 (EFG 2005, 20)

Sachverhalt

I.

Nach erfolglosen Vollstreckungsversuchen wegen rückständiger Steuerforderungen forderte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses auf und wies ihn zugleich darauf hin, dass im Termin zur Vorlage des Verzeichnisses auch die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung verlangt werden könne. Im Termin legte der Kläger ein Vermögensverzeichnis vor, das gegenüber einem 14 Monate zuvor vorgelegten Vermögensverzeichnis einige handschriftliche Ergänzungen aufwies, verweigerte jedoch die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und legte gegen die Aufforderung zu deren Abgabe Einspruch ein. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Einige Monate nach Klageerhebung legte der Kläger ein in mehreren Punkten ergänztes Vermögensverzeichnis vor. Daraufhin urteilte das Finanzgericht (FG), dass sich die Entscheidung des FA, von der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung nicht abzusehen, erledigt habe, denn nach der Ergänzung des Vermögensverzeichnisses müsse das FA eine erneute Ermessensentscheidung treffen. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 20 veröffentlicht.

Zur Begründung der Revision beruft sich das FA auf das Senatsurteil vom 26. März 1991 VII R 66/90 (BFHE 164, 7, BStBl II 1991, 545). Maßgebend für die Beurteilung der Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung sei der Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung. Dies gelte auch bei einem noch nicht vollzogenen Verwaltungsakt. Etwaige Änderungen der Sach- und Rechtslage nach Erlass der Ermessensentscheidung, wie die Vorlage eines neuen Vermögensverzeichnisses, könnten deshalb keinen Einfluss auf deren Rechtmäßigkeit haben. Der Schuldner werde auch nicht rechtlos gestellt, denn er könne bei veränderter Sachlage einen Antrag nach § 131 der Abgabenordnung (AO 1977) auf Aufhebung der Entscheidung stellen. Ein Verstoß gegen § 125 Abs. 2 Nr. 3 AO 1977 liege schon deshalb nicht vor, weil sich das Verlangen des FA auf die Vermögenssituation des Schuldners im Zeitpunkt der Vorlage des ersten Vermögensverzeichnisses beziehe. Folglich habe der Schuldner seine Vermögenssituation zu diesem Stichtag zu beeiden. Dies könne von ihm auch nach Abgabe eines geänderten Verzeichnisses verlangt werden. Vom Eintritt einer Erledigung sei deshalb nicht auszugehen. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass ein wesentlich geändertes Vermögensverzeichnis im Streitfall nicht vorliege.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Das Urteil verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -); es ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Eine Erledigung des angefochtenen Verwaltungsakts liegt nicht vor.

1. Soweit eine oder mehrere der in § 284 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AO 1977 genannten tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind, hat der Vollstreckungsschuldner der Behörde auf Verlangen ein Verzeichnis seines Vermögens vorzulegen und für seine Forderungen den Grund und die Beweismittel zu bezeichnen (§ 284 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). In § 284 Abs. 3 AO 1977 sieht das Gesetz die Bestätigung der im Vermögensverzeichnis gemachten Angaben durch Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vor, wobei die Vollstreckungsbehörde von der Abnahme einer solchen Versicherung absehen kann. Es liegt im Ermessen der Vollstreckungsbehörde, ob sie in einer schrittweisen Vorgehensweise die zu Gebote stehenden Maßnahmen nacheinander oder zusammengefasst in einem Vorgang ergreift. In beiden Fällen handelt es sich um eine zweistufige Ermessensentscheidung, bei der die Finanzbehörde in der zweiten Entscheidungsstufe darüber zu befinden hat, ob aufgrund besonderer Umstände von der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung abgesehen werden kann (Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 284 AO 1977 Rdnr. 64 und 65, m.w.N.). Denn das Gesetz geht in § 284 Abs. 3 AO 1977 davon aus, dass die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung den die Ermessensausübung vorprägenden Regelfall und die näher zu begründende Abstandnahme einen Ausnahmefall bildet (vgl. Urteil des FG des Saarlandes vom 31. Mai 2001 1 K 322/00, EFG 2001, 1174). Die in der Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung liegende Ermessensentscheidung (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. September 1991 VII R 34/90, BFHE 165, 477, BStBl II 1992, 57, und vom 9. Mai 1989 VII B 205/88, BFH/NV 1990, 79) kann nach § 102 FGO vom Gericht nur daraufhin überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.

2. Sinn und Zweck der dem Schuldner auferlegten Pflicht zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und zur Beeidung der Richtigkeit und Vollständigkeit der in der Aufstellung gemachten Angaben ist die Aufdeckung bisher nicht bekannter Vermögenswerte, mit der dem Gläubiger weitere Vollstreckungsmöglichkeiten eröffnet werden sollen. Die Angaben des Schuldners müssen daher so beschaffen sein, dass sich der Gläubiger anhand des Vermögensverzeichnisses einen vollständigen Überblick über das vorhandene bewegliche und unbewegliche Aktivvermögen sowie über bestehende Einkunftsquellen verschaffen kann. Hat die Finanzbehörde zu erkennen gegeben, dass sie nicht auf die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung verzichtet und schließt sich deren Abgabe nicht unmittelbar an die Vorlage des Vermögensverzeichnisses an, ist der Schuldner bei Änderungen der Vermögenslage oder bei für ihn erkennbar unrichtigen Angaben zur entsprechenden Ergänzung bzw. Berichtigung des Vermögensverzeichnisses verpflichtet. Darüber hinaus hat er auf begründetes Verlangen der Finanzbehörde eine entsprechende Nachbesserung vorzunehmen (vgl. für das Verfahren nach der Zivilprozessordnung - ZPO - Zöller/Stöber, Zivilprozessordnung, 25. Aufl., § 903 Rdnr. 14; Eickmann in Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 2. Aufl., § 903 Rdnr. 18 ff. sowie Beschluss des Landgerichts Koblenz vom 16. Dezember 1997 2 T 674/97, Monatsschrift für Deutsches Recht 1998, 369). Denn nur durch ein solches Verständnis der Vorschrift des § 284 AO 1977 kann gewährleistet werden, dass das abgestufte Verfahren, das mit der zu Protokoll gegebenen Versicherung an Eides statt seinen Abschluss findet, den eigentlichen Zweck erfüllt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass vom Schuldner gemäß § 284 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 in den ersten drei Jahren nach Abgabe der eidesstattlichen Versicherung eine nochmalige Abgabe nur dann verlangt werden kann, wenn anzunehmen ist, dass er später Vermögen erworben hat oder ein bisheriges Arbeitsverhältnis nicht mehr besteht. Die außerhalb dieser Schutzfrist im Zeitraum zwischen Vorlage des Vermögensverzeichnisses und Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bestehende Berichtigungs- bzw. Nachbesserungspflicht trägt somit zur vollständigen Erfassung der im Zeitpunkt der Versicherung an Eides statt bestehenden Vermögenslage des Schuldners bei.

3. Die Ergänzung bzw. Richtigstellung des Vermögensverzeichnisses setzt kein neues Vollstreckungsverfahren in Gang, sondern stellt lediglich eine Fortsetzung des bereits eingeleiteten Verfahrens dar. Nach den Grundsätzen des gelenkten bzw. intendierten Ermessens (vgl. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 16. Juni 1997 3 C 22.96, BVerwGE 105, 55, m.w.N.) ist aufgrund der ermessenslenkenden Vorgaben des § 284 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 eine neue Ermessensentscheidung nicht erforderlich. Dies gilt zumindest solange, als die vom Schuldner nachträglich gemachten Angaben nicht ein solches Ausmaß annehmen oder von solchem Gewicht sind, dass sich bei verständiger Würdigung die Notwendigkeit einer erneuten Ermessensbetätigung aufdrängen muss. Davon wird regelmäßig nur dann auszugehen sein, wenn der Schuldner mit den nachgeschobenen Ergänzungen oder Berichtigungen substantiiert besondere Gründe darlegt, die eine Abstandnahme von der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung geboten erscheinen lassen. Unter diesen Gesichtspunkten hat die Finanzbehörde ihre Entscheidungen im gesamten Verfahren nach § 284 AO 1977 fortwährend zu überprüfen und gegebenenfalls den veränderten Verhältnissen anzupassen.

4. Unter Beachtung der dargelegten Grundsätze hat sich die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung im Streitfall nicht dadurch erledigt, dass der Kläger das von ihm vorgelegte Vermögensverzeichnis nach erfolgter Klageerhebung um einige Angaben ergänzt hat.

a) Nach den Feststellungen des FG bezogen sich die Ergänzungen des Schuldners im Wesentlichen auf eine bereits über ein Jahr bestehende Geschäftsbeziehung zu einer GmbH und auf in der Vergangenheit von der Mutter erhaltene Zuwendungen zum Lebensunterhalt, aus denen inzwischen eine Darlehensverbindlichkeit in Höhe von 140.000 DM erwachsen ist. Dabei handelt es sich offensichtlich nicht um Umstände, die erst nach Vorlage des ursprünglichen Vermögensverzeichnisses, sondern weit vor diesem Zeitpunkt eingetreten sind und daher bereits im ersten Verzeichnis hätten Berücksichtigung finden müssen. Entgegen der Auffassung des FG hat der Schuldner mit diesen Angaben keine besonderen Gründe vorgebracht, die eine erneute Ermessensbetätigung des FA unter dem Gesichtspunkt eines etwaigen Verzichts auf die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung erforderlich erscheinen lassen. Vielmehr bestätigen die Nachbesserungen die Unvollständigkeit des im ersten Termin vorgelegten Vermögensverzeichnisses und liefern damit Anhaltspunkte dafür, dass eine Abstandnahme von der Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung im Streitfall gerade nicht angezeigt sein könnte.

b) Im Falle der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes würde vom Kläger keine nach § 156 des Strafgesetzbuchs (StGB) strafbare Handlung verlangt. Denn die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung würde sich, anders als das FG und die Beteiligten annehmen, auf die Vermögensverhältnisse im Zeitpunkt der Beeidung der Vollständigkeit und Richtigkeit des ergänzten Vermögensverzeichnisses beziehen und das laufende Verfahren nach § 284 AO 1977 erst zum Abschluss bringen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Schuldner selbst dann von der Verpflichtung zur Auskunftserteilung und zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht frei würde, wenn er sich damit einer strafbaren Handlung bezichtigen müsste (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30. April 1964 VII ZR 156/62, BGHZ 41, 318 zu § 807 ZPO, und Zöller/Stöber, a.a.O., § 807 Rdnr. 39, m.w.N.).

c) Das gefundene Ergebnis steht nicht in Widerspruch zu der Senatsentscheidung in BFHE 164, 7, BStBl II 1991, 545. Es entspricht der inzwischen als gefestigt anzusehenden Rechtsprechung des Senats, dass für die gerichtliche Überprüfung von behördlichen Ermessensentscheidungen die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend sind. Dies gilt selbst dann, wenn der angefochtene Verwaltungsakt - wie im Streitfall - im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht vollzogen ist (vgl. BFH-Entscheidungen in BFHE 164, 7, BStBl II 1991, 545, und vom 4. März 1999 VII B 315/98, BFH/NV 1999, 1223, sowie vom 12. August 2004 VII B 336/03, nicht veröffentlicht). Denn bei veränderter Sachlage ist es dem Schuldner zuzumuten, ein neues Verwaltungsverfahren in Gang zu setzen und gemäß § 131 Abs. 1 AO 1977 aufgrund der veränderten Verhältnisse die Aufhebung des im Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßigen Verwaltungsaktes zu beantragen. Als neue tatsächliche Verhältnisse hat der Senat in den vorgenannten Entscheidungen eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Schuldners oder die Tilgung der Steuerforderungen nach Vorlage des Vermögensverzeichnisses und Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung angesehen. Wie bereits dargelegt, liegt im Streitfall eine derartige Veränderung der Verhältnisse nicht vor. Vielmehr ist das bisherige Vollstreckungsverfahren fortzusetzen, so dass für die Einleitung eines neuen Verfahrens weder Anlass noch Bedarf besteht. Die Rechtmäßigkeit der Ausübung des "intendierten Ermessens" (vgl. hierzu Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 284 AO 1977 Rdnr. 65, und Entscheidung des BVerwG in BVerwGE 105, 55) durch das FA wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Vollstreckungsschuldner eine unwesentliche Ergänzung des Vermögensverzeichnisses vornimmt. Anderenfalls hätte er es in der Hand, die Finanzbehörde durch laufende Änderungen zu neuen Ermessensentscheidungen und zur Einleitung von neuen Verfahren zu veranlassen. Auch aus Gründen der Verfahrens- und Prozessökonomie ist dieses Ergebnis nicht hinnehmbar. Wie bereits ausgeführt, ist eine abweichende Beurteilung der Rechtslage erst dann geboten, wenn der Schuldner substantiierte und gewichtige Gründe vorbringt, die geeignet sind, eine Ausnahme vom Regelfall zu begründen, so dass unter diesem Gesichtspunkt eine erneute Ermessensausübung der Finanzbehörde unabweisbar ist.

d) Da das FG von einer vom erkennenden Senat abweichenden Rechtsauffassung ausgegangen ist, war das erstinstanzliche Urteil aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif, da das FG aufgrund der rechtsfehlerhaften Annahme der Erledigung des angefochtenen Verwaltungsaktes über dessen Rechtmäßigkeit noch nicht entschieden hat. Um dem Kläger die erste Instanz nicht zu nehmen, hält es der Senat für geboten, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).