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BFH-Urteil vom 1.8.1979 (II R 95/78) BStBl. 1980 II S. 14

Eine Gemeinde, die ein Grundstück nach § 1 Nr. 2 GrESt-StrukturG Nordrhein-Westfalen steuerfrei erworben hat, verwirklicht den begünstigten Zweck auch dann, wenn sie das Grundstück unter vertraglicher Absicherung der alsbaldigen Verwendung des Grundstücks durch den Erwerber zur Schaffung oder Erweiterung einer Betriebstätte weiterveräußert. Die Zweckbestimmung ist nicht davon abhängig, daß der Erwerber Steuerfreiheit nach § 1 Nr. 1 GrEStStrukturG Nordrhein-Westfalen in Anspruch nimmt.

GrEStStrukturG Nordrhein-Westfalen § 1 Nr. 1 und Nr. 2.

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin der Gemeinde B. Die Gemeinde B hatte durch notariellen Vertrag vom 24. Oktober 1970 (Vertrag I) mehrere im Grundbuch von N eingetragene Parzellen in einer Größe von zusammen 8.500 qm für 95.200 DM erworben. Sie beantragte Befreiung von der Grunderwerbsteuer nach § 1 Nr. 2 des Nordrhein-Westfälischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung bei Maßnahmen zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur (GrEStStrukturG) vom 24. November 1969 (BStBl I 1970, 136), weil das erworbene Gelände der Ansiedlung eines Industriebetriebs und damit der Strukturverbesserung der Gemeinde dienen solle. Nachdem dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) eine Bescheinigung des zuständigen Regierungspräsidenten vorgelegt worden war, in der bestätigt wurde, daß der Grunderwerb die Voraussetzungen des § 2 Nr. 2 GrESt-StrukturG erfülle, ließ es den Erwerb durch innerdienstliche Verfügung vom 21. Mai 1971 steuerfrei und stellte der Gemeinde B die Unbedenklichkeitsbescheinigung aus.

Durch Vertrag vom 16. Oktober 1972 (Vertrag II) veräußerte die Gemeinde B Grundbesitz in einer Größe von rund 30.000 qm, zu dem auch das erst durch den Vertrag I erworbene Gelände gehörte, an den damaligen Steuerbevollmächtigten X. X verpflichtete sich in § 5 des Vertrages II, auf dem erworbenen Gelände einen Betrieb zur Herstellung von Kunststofferzeugnissen zu errichten bzw. durch Dritte errichten zu lassen. In diesem Zusammenhang wurde weiter vereinbart, daß das erworbene Gelände innerhalb von fünf Jahren nach Vertragsschluß mit Werkshallen, Verwaltungsgebäuden usw. mit einer Nutzfläche von mindestens 9000 qm zu bebauen sei. Für den Fall der Nichterfüllung dieser Verpflichtung behielt sich die Gemeinde das Recht vor, die Rückauflassung des veräußerten Grundbesitzes zu verlangen.

X beteiligte sich als Gesellschafter an einer GmbH & Co. KG, die die vorgesehenen Betriebsgebäude fristgerecht erstellte und in Betrieb nahm.

Das FA sah den begünstigten Zweck als nicht verwirklicht an, da X die Betriebstätte nicht als eigene errichtet hatte. Es erließ dementsprechend am 21. März 1977 einen Grunderwerbsteuerbescheid über 6.664 DM, mit dem es die Steuer für den Erwerb der Gemeinde B vom 24. Oktober 1970 nacherhob.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, eine die Nachversteuerung ausschließende Verwirklichung des begünstigten Zwecks liege vor. § 1 Nr. 2 GrEStStrukturG setze nicht voraus, daß derjenige, an den die Gemeinde B den Grundbesitz veräußert habe, die Steuervergünstigung des § 1 Nr. 1 GrEStStrukturG habe in Anspruch nehmen können. Auch ein nicht unter § 1 Nr. 1 GrESt-StrukturG fallender Erwerber könne durch die Errichtung einer Betriebstätte für eine Personengesellschaft, wie der Streitfall zeige, den begünstigten Zweck verwirklichen.

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 1 Nr. 2 GrEStStrukturG. Erst mit der Errichtung neuer oder durch die Erweiterung bestehender Betriebstätten werde der begünstigte Zweck verwirklicht. Daraus folge für die Auslegung des § 1 Nr. 2 GrEStStrukturG, daß die veräußernde Gebietskörperschaft bei der Auswahl der ansiedlungswilligen Unternehmen sorgfältig prüfen müsse, ob bei den Kaufanwärtern die Erwartung gerechtfertigt sei, sie selbst errichteten innerhalb weiterer fünf Jahre auf dem Grundstück eine Betriebstätte. Die Erwerber müßten also die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 1 Nr. 1 GrEStStrukturG erfüllen.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Zu Recht hat das FG entschieden, daß die Grunderwerbsteuerbefreiung nicht deshalb entfällt, weil die Klägerin den Grundbesitz nicht an einen Unternehmer verkauft hat, der unter den Voraussetzungen des § 1 Nr. 1 GrEStStrukturG eine Betriebstätte errichten oder erweitern sollte.

1. Nach § 1 Nr. 2 GrEStStrukturG kann eine Gemeinde oder eine andere in der Vorschrift genannte juristische Person ein Grundstück steuerfrei erwerben, wenn die geplante Verwendung mittelbar oder unmittelbar geeignet ist, die Wirtschaftskraft oder Wirtschaftsstruktur eines förderungsbedürftigen Gebietes zu verbessern. Die Steuerfreiheit bleibt der Gemeinde nur dann erhalten, wenn das Grundstück innerhalb von fünf Jahren zu dem steuerbegünstigten Zweck verwendet worden ist (§ 4 GrEStStrukturG). § 1 Nr. 2 und § 4 GrEStStrukturG machen die Aufrechterhaltung der Steuerfreiheit nicht ausdrücklich davon abhängig, daß, falls das Grundstück weiterveräußert wird, dies unter den Voraussetzungen des § 1 Nr. 1 GrEStStrukturG geschieht. Auch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift und ihrer systematischen Stellung im Gesetz ergibt sich nichts anderes.

In der Vorschrift des § 1 Nr. 2 GrEStStrukturG sind unterschiedliche Verwendungen zusammengefaßt, die alle als Erfüllung des begünstigten Zwecks aufgefaßt werden müssen (z. B. Aufschließung von Industriegelände, Schaffung oder Verbesserung von Verkehrs-, Umschlags- und Hafenanlagen sowie von Versorgungseinrichtungen, Tausch von Grundstücken zur Abrundung von Industriegelände; vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf des GrEStStrukturG, Landtag von Nordrhein-Westfalen, 6. Wahlperiode, Drucksache Nr. 1238 vom 29. April 1969, S. 10). Da der in § 1 Nr. 2 GrEStStrukturG begünstigte Zweck damit über den in der Nummer 1 der Vorschrift begünstigten Zweck hinausgeht und nicht jeder nach der Nummer 2 steuerbegünstigte Grundstückserwerb zu einer Weiterübertragung des Grundstücks an einen investitionswilligen Unternehmer zwecks Betriebsansiedlung oder Betriebserweiterung führen muß, kann die Vorschrift nicht so aufgefaßt werden, als sei in den Fällen der Weiterveräußerung nur ein Zwischenerwerb vor einem Erwerb nach § 1 Nr. 1 GrEStStrukturG begünstigt. Die Vorschrift hat vielmehr neben der Regelung der Nummer 1 selbständige Bedeutung. Diese Auslegung wird dadurch bestätigt, daß § 1 GrEStStrukturG in den weiteren Nummern 3 bis 6 ebenfalls unzweifelhaft selbständige Steuerbefreiungstatbestände enthält.

Das bedeutet nicht. daß die Gemeinde die Steuerbefreiung auch dann behält, wenn sie bei der Weiterveräußerung eines Grundstücks dessen Verwendung zur Errichtung oder Erweiterung einer Betriebstätte nicht durch geeignete Maßnahmen sicherstellt.

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ergibt sich, daß das FG den Nachversteuerungsbescheid zu Recht aufgehoben hat. Die Nachversteuerung kann nicht damit begründet werden, daß X die Vergünstigung des § 1 Nr. 1 GrEStStrukturG nicht beantragt hat, da wie dargelegt, die Inanspruchnahme dieser Vergünstigung durch den Erwerber nicht Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Steuerbefreiung des Erwerbs der Gemeinde ist. Die Gemeinde hat durch die Gestaltung des Vertrages mit X ferner sichergestellt, daß das Grundstück in angemessener Zeit zur Errichtung einer Betriebstätte verwendet wird, indem sie in § 5 des Vertrages vom 16. Oktober 1972 dem Erwerber die Verpflichtung auferlegte, binnen fünf Jahren auf dem Grundstück eine Betriebstätte in bestimmter Größe zu errichten oder durch Dritte errichten zu lassen und indem sie sich für den Fall der Nichterfüllung dieser Verpflichtung zur Sicherung ihres dann gegebenen Rückübereignungsanspruches eine Auflassungsvormerkung einräumen ließ.

Der Betrieb ist durch eine Personenhandelsgesellschaft, an der X als Mitunternehmer beteiligt ist, tatsächlich in der vertraglich vereinbarten Frist errichtet worden, ohne daß X das Eigentum an dem Grundstück an die Gesellschaft übertragen hätte. Deshalb kann dahinstehen, ob die Gemeinde den begünstigten Zweck auch dann noch verwirklicht hätte, wenn sie X die Weiterveräußerung des Grundstücks an einen Dritten gestattet hätte.