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BFH-Urteil vom 20.11.1979 (VII R 82/77) BStBl. 1980 II S. 81

Das von der Zollstelle ausgefüllte und dem Beteiligten übergebene Zollantrags- und Zollanmeldeformular ist kein schriftlicher Steuerbescheid.

AO §§ 211, 212, 237.

Sachverhalt

Das dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt - HZA -) unterstehende Zollamt (ZA) B fertigte auf Antrag der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) am 29. August 1975 Wodka aus Belgien zum freien Verkehr ab und erhob neben Einfuhrumsatzsteuer 3.280,60 DM Monopolausgleichspitze und 2.876, 10 DM Preisausgleichsabgabe (vgl. Gesetz über die Erhebung einer besonderen Ausgleichsabgabe auf eingeführten Branntwein - PreisausglG - vom 23. Dezember 1970, BGBl I 1970, 1878, Bundeszollblatt 1971 S. 2 - BZBl 1971, 2 -). Den am 6. Oktober 1975 eingelegten Einspruch verwarf das HZA wegen Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als unzulässig. Mit ihrer Klage beantragte die Klägerin, den Bescheid vom 29. August 1975 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung hinsichtlich der Monopolausgleichspitze und der Preisausgleichsabgabe aufzuheben.

Das Finanzgericht (FG) hielt die Klage für unzulässig. Zur Begründung führte es u. a. aus:

Der angefochtene Steuerbescheid sei bestandskräftig geworden, da die Klägerin nicht innerhalb der Frist des § 236 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) Einspruch eingelegt habe und ihr Nachsicht nicht gewährt werden könne. Die Klägerin habe den Einspruch verspätet eingelegt. Maßgebend für den Beginn der Einspruchsfrist sei die Bekanntgabe des Abgabenbescheides gewesen (§ 236 Abs. 1 AO). Der Bescheid sei der Klägerin mündlich unter Aushändigung des mit Abfertigungsbefund und Abgabenberechnung versehenen Zollantrags mit Zollanmeldung an einen mit der Übernahme betrauten Angestellten am 2. September 1975 bekanntgegeben worden. Der Bescheid habe mündlich ergehen dürfen. Nach § 154 Abs. 1 des Branntweinmonopolgesetzes (BranntwMonG), Art. 1 Abs. 4 PreisausglG galten die Vorschriften des Zollgesetzes (ZG) über die Entstehung der Zollschuld und über das Zollverfahren sinngemäß. Zu diesen Vorschriften gehöre § 36 Abs. 3 ZG. Danach sei auch die mündliche Anforderung des berechneten Zolls ein Zollbescheid, mit dessen Bekanntgabe die Zollschuld entstehe. Zollbescheide könnten mündlich, ja sogar telefonisch bekanntgegeben werden. Dem stehe die nur sinngemäße Anwendbarkeit der Vorschriften des Zollgesetzes auf den Monopolausgleich und die Preisausgleichsabgabe nicht entgegen. Sinn und Zweck dieser Abgaben schlössen ihre mündliche Anforderung durch die Zollstelle nicht aus.

Der angefochtene Bescheid sei tatsächlich mündlich erteilt worden. Der mit Abfertigungsbefund und Abgabenberechnung versehene Zollantrag mit Zollanmeldung (Zollbeleg) sei kein schriftlicher Zollbescheid und auch kein förmlicher Steuerbescheid i. S. des § 211 AO. Er enthalte keine für förmliche Steuerbescheide erforderliche Zahlungsaufforderung. Diese sei vielmehr bei der Übergabe des Zollbelegs an den Angestellten der Klägerin erfolgt.

Für den Beginn der Einspruchsfrist sei es ohne Bedeutung gewesen, daß der angefochtene mündliche Abgabenbescheid ohne Rechtsbehelfsbelehrung erteilt worden sei. Bei dem Bescheid handle es sich um eine Verfügung der in § 229 AO bezeichneten Art, für die eine schriftliche Erteilung nicht vorgeschrieben sei (§ 237 Abs. 1 Satz 1 AO). Etwas anderes gelte im Streitfall nicht deshalb, weil nur die sinngemäße Anwendung der Vorschriften des Zollgesetzes vorgeschrieben sei. Daraus ergebe sich kein besonderer Rechtsschutz des Inhalts, daß zu dem mündlichen Abgabenbescheid eine mündliche oder schriftliche Rechtsbehelfsbelehrung hätte erteilt werden müssen. Es sei kein einleuchtender sachlicher Grund dafür ersichtlich, weshalb dem Zollbeteiligten, der Verbrauchsteuern schulde, ein weitergehender Rechtsschutz habe zuteil werden sollen als dem Zollschuldner, der ebenfalls keine Rechtsbehelfsbelehrung erhalte. Die Frage des Verstoßes gegen Art. 3 und 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) wegen fehlender Rechtsbehelfsbelehrung stelle sich bei den Verbrauchsteuerbescheiden nicht anders als bei den reinen Zollbescheiden (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. Juli 1959 VII 10/59 U, BFHE 69, 247, BStBl III 1959, 355, und vom 30. Juni 1964 VII 155/62 U, BFHE 80, 44, BStBl III 1964, 490).

Nachsicht wegen der Versäumung der Einspruchsfrist könne nicht gewährt werden. Die Klägerin sei nicht ohne Verschulden verhindert gewesen, die Frist einzuhalten (§ 86 Abs. 1 AO).

Da die Klägerin geltend mache, Einspruch und Klage schlössen einen schlichten Berichtigungsantrag nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO ein, könne die Klage auch als Verpflichtungsklage angesehen werden. Das HZA habe eine schlichte Berichtigung des Bescheides nicht abgelehnt, da es davon ausgegangen sei, daß die Klägerin die Rechtmäßigkeit und die Unanfechtbarkeit des Abgabenbescheides angreife. Deshalb komme nur eine Verpflichtungsklage mit dem Ziel in Betracht, das HZA zu der unterlassenen Berichtigung zu verpflichten. Aber auch als solche Verpflichtungsklage sei die vorliegende Klage unzulässig. Es sei schon fraglich, ob Einspruch und Klage im Streitfall überhaupt einen schlichten Berichtigungsantrag einschlössen. Jedenfalls sei die Klage mangels eines Vorverfahrens unzulässig (§ 44 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung der §§ 236, 237, 229 AO, § 154 BranntwMonG, § 36 Abs. 3 ZG, Art. 3, 19 Abs. 4 GG. Zur Begründung führt sie folgendes aus:

Für Zoll- und Verbrauchsteuerbescheide sei eine schriftliche Erteilung nicht zwingend vorgeschrieben. Aus § 237 Abs. 1 Satz 2 AO könne aber nicht gefolgert werden, daß Verbrauchsteuerbescheide auch dann keine Rechtsmittelbelehrung zu enthalten brauchten, wenn sie tatsächlich schriftlich ergangen seien. Das ergebe sich aus dem durch § 356 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) zum Ausdruck gebrachten verfassungskonformen Grundsatz der Rechtsbehelfsbelehrung bei schriftlichen Verwaltungsakten.

Zu Unrecht habe das FG verneint, daß der angefochtene Zollbescheid auch tatsächlich schriftlich ergangen sei. In dem Bescheid sei eine Aufforderung zur Zahlung eines bestimmten Betrages enthalten. Dieses Zollantrags- und Zollanmeldungsformular mit der genauen Angabe des berechneten Abgabenbetrages enthalte alle Voraussetzungen einer Zahlungsaufforderung i. S. der Beanspruchung eines bestimmten Steuerbetrages und damit alle Merkmale eines schriftlichen Zollbescheides (vgl. Urteil des FG Hamburg vom 31. Januar 1975 IV 25/73 H, Entscheidungen der Finanzgerichte 1975 S. 241 - EFG 1975, 241 -).

Entscheidungsgründe

Die Revision ist im Ergebnis nicht begründet.

1. Gegenstand dieses Verfahrens ist die isolierte Anfechtung der Einspruchsentscheidung des HZA. Es entspricht dem berechtigten Interesse des Steuerpflichtigen, daß er nicht infolge einer etwaigen fehlerhaften Unzulässigkeitsentscheidung des HZA eine außergerichtliche Tatsacheninstanz verliert (vgl. Urteil des Senats vom 11. Oktober 1977 VII R 73/74, BFHE 124, 1, BStBl II 1978, 154, mit weiteren Nachweisen). Es ist demnach davon auszugehen, daß die Klägerin im vorliegenden Fall im Ergebnis lediglich begehrt, daß gerichtlich entschieden wird, ob das HZA den Einspruch zu Recht als unzulässig verworfen hat. Daran ändert nichts, daß die Klägerin neben der Aufhebung der Einspruchsentscheidung auch die Aufhebung des Abgabenbescheides beantragt hat. Dieser Antrag ist vielmehr dahin zu werten, daß die Klägerin damit ihr unverändertes sachliches Ziel deutlich machen, nicht aber zum Ausdruck bringen wollte, daß dieses Ziel unbedingt im vorliegenden Verfahren und nicht auch - nach Aufhebung der Einspruchsentscheidung - in dem anschließenden Vorverfahren mit evtl. anschließendem gerichtlichen Verfahren erreicht werden sollte.

2. Das FG hat zutreffend entschieden, daß der Steuerbescheid im vorliegenden Fall nicht schriftlich zu erteilen war (vgl. § 154 Abs. 1 BranntwMonG und Art. 1 Abs. 4 PreisausglG i. V. m. § 36 Abs. 3 ZG). Auf die Gründe der Vorentscheidung - die insoweit von der Revision nicht angegriffen worden sind - wird Bezug genommen (vgl. auch das Urteil des erkennenden Senats vom 23. März 1976 VII R 67/73, BFHE 118, 426, BStBl II 1976, 509).

3. Der vorliegende Fall erfordert es nicht, daß der erkennende Senat die Streitfrage entscheidet, ob einem Bescheid, der nicht schriftlich zu ergehen brauchte, aber schriftlich erging, eine Rechtsmittelbelehrung beizufügen ist (vgl. §§ 237 Abs. 1 Satz 2, 229 Nr. 1 AO und die Urteile des erkennenden Senats vom 1. Juli 1959 VII 10/59 U, BFHE 69, 247, BStBl III 1959, 355, und vom 9. März 1976 VII R 102/75, BFHE 118, 294, BStBl II 1976, 440). Denn der angefochtene Bescheid ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht schriftlich erteilt worden. Das hat das FG zu Recht entschieden. Soweit das FG dabei den Begriff "schriftlich" i. S. des § 237 Abs. 1 AO ausgelegt hat, ist ihm kein Rechtsirrtum unterlaufen. Soweit das FG in diesem Zusammenhang tatsächliche Feststellungen getroffen hat, ist der erkennende Senat daran gebunden, da in bezug auf sie Revisionsgründe nicht vorgebracht worden sind (§ 118 Abs. 2 FGO).

Der angefochtene Steuerbescheid enthält auf der Rückseite des der Klägerin zurückgegebenen ersten Blattes der Zollanmeldung entsprechend dem Vordruck (Nr. 0459) einen Zollbefund der Zollstelle (mit Feststellungen über die eingeführte Ware und ihren Gehalt an Weingeist), eine Abgabenberechnung des Abfertigungsbeamten, den Vermerk dieses Beamten, daß der "Abgabenbescheid ...am 2. September 1975 bekanntgegeben" worden ist, sowie eine Bescheinigung der Buchhaltung des ZA, daß aufgrund der Aufschubanmeldung der Firma A bestimmte Beträge aufgeschoben worden seien. Der erkennende Senat hat in vergleichbaren Fällen entschieden, daß keine schriftlichen Steuerbescheide vorliegen (vgl. das zitierte Urteil VII 10/59 U und das Urteil vom 30. Juni 1964 VII 155/62 U, BFHE 80, 44, BStBl III 1964, 490). Der erkennende Senat hält daran fest (anderer Auffassung Urteil des FG Hamburg IV 25/73 H).

§ 212 AO stellt dem schriftlich zu erteilenden Steuerbescheid (§ 211 Abs. 1 AO) den nicht "förmlichen" Steuerbescheid gegenüber. Das ist für die Beurteilung der Frage, was unter einem "schriftlichen" Bescheid i. S. der §§ 211, 237 Abs. 1 AO zu verstehen ist, zu berücksichtigen. Irgendeine schriftliche Unterlage, der eine Ähnlichkeit mit den normalerweise förmlich erteilten Steuerbescheiden völlig fehlt, kann nicht allein deswegen als ein förmlicher (schriftlicher) Steuerbescheid angesehen werden, weil sie eine Abgabenberechnung enthält. Diese Berechnung ist vielmehr eine Vorarbeit des Abfertigungsbeamten zur Feststellung, welcher Abgabenbetrag vom Steuerpflichtigen anzufordern ist. Sie enthält keine Aufforderung zur Zahlung der Abgaben. Sie wird auch nicht dadurch zu einer solchen Zahlungsaufforderung, daß sie dem Steuerpflichtigen übergeben wird. Die Zahlungsaufforderung liegt hier, wie das FG zu Recht entschieden hat, nicht in der schriftlichen Unterlage als solcher, sondern in der in der Übergabe dieses Beleges konkludent liegenden (nichtförmlichen) Aufforderung der Zollstelle, nunmehr den Betrag zu begleichen. Das ist der typische Fall des nichtförmlichen Steuerbescheides des § 212 AO, d. h. einer "Willenskundgebung des FA, mit der erstmalig ein bestimmter Betrag als Steuer von einer bestimmten Person ...beansprucht wird".

4. Das FG hat daher zutreffend entschieden, daß die Klägerin den Einspruch verspätet eingelegt hat. Es ist auch zu Recht davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 AO für eine Nachsichtgewährung nicht vorlagen. Auf die Gründe der Vorentscheidung wird insoweit verwiesen. Die Revision hat diesen Gründen nichts entgegengesetzt.

5. Zu Unrecht hat das FG allerdings insoweit die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Klage war vielmehr unbegründet (vgl. das zitierte Urteil des erkennenden Senats VII R 73/74).