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BFH-Urteil vom 14.11.1979 (II R 145/75) BStBl. 1980 II S. 131

Der Antrag gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 10 des Baden-Württembergischen GrEStG 1970 kann zurückgenommen werden. Zur Frist, innerhalb derer diese Rücknahme des Antrages möglich ist.

Baden-Württembergisches GrEStG 1970 § 6 Abs. 1 Nr. 10.

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hatte durch notariell beurkundeten Vertrag vom 26. Januar 1968 für 62.300 DM eine grundsteuerbegünstigte Eigentumswohnung in A erworben. Auf ihren Antrag vom 5. Juli 1968 hatte das zuständige Finanzamt (FA) F durch interne, nicht bekanntgegebene Verfügung vom 9. Juli 1968 den Erwerbsvorgang gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 11 des Baden-Württembergischen Grunderwerbsteuergesetzes vom 2. August 1966 (GrEStG 1966) von der Grunderwerbsteuer freigestellt. Die Klägerin hatte in ihrem Antrag angegeben, sie beabsichtige, die Eigentumswohnung spätestens vor Ablauf von fünf Jahren selbst zu beziehen.

Nach Inkrafttreten des Baden-Württembergischen Grunderwerbsteuergesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Mai 1970 (GrEStG 1970) beantragte die Klägerin erneut am 28. Juli 1970 Befreiung von der Grunderwerbsteuer für den vorgenannten Erwerbsvorgang gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 10 und § 6 Abs. 6 GrEStG 1970; ihre Absicht, diese Wohnung innerhalb von fünf Jahren selbst zu beziehen, könne sie wegen eines Arbeitsplatzwechsels nach auswärts nicht mehr verwirklichen.

Durch interne Verfügung vom 8. Juni 1971 stellte das FA F den Erwerb der Eigentumswohnung in A gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 10 i. V. m. § 6 Abs. 6 GrEStG 1970 von der Grunderwerbsteuer frei. Auch diese Verfügung wurde der Klägerin nicht bekanntgegeben.

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 5. Mai 1971 kaufte die Klägerin eine zweite, in I gelegene Eigentumswohnung nebst Garage für 131.300 DM. Diese Wohnung ist am 15. Juni 1971 bezugsfertig erstellt worden und ist grundsteuerbegünstigt.

Am 19. Oktober 1971 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (FA Ü) Grunderwerbsteuerbefreiung für den Erwerb der zweiten Wohnung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 10 GrEStG 1970. Mit Schreiben vom 27. Dezember 1971 an das FA F erklärte sie, daß sie ihren Antrag gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 10 GrEStG 1970 vom 28. Juli 1970 zurücknehme; sie bat, die Grunderwerbsteuer zu veranlagen.

Durch Bescheid vom 16. November 1971 setzte das FA Ü Grunderwerbsteuer für den Erwerb der zweiten Wohnung fest. Steuerbefreiung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 10 GrEStG 1970 versagte es mit der Begründung, diese Steuerbefreiung sei bereits für den Erwerb der Wohnung in A in Anspruch genommen und gewährt worden. Nach § 6 Abs. 2 GrEStG 1970 könne diese Steuerbefreiung nur für einen Erwerbsvorgang gewährt werden. Den beim Erwerb der Wohnung in A gestellten Steuerbefreiungsantrag könne die Klägerin nicht mehr zurücknehmen.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht - FG - (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Der Erwerb der Wohnung in I kann nur dann steuerfrei sein, wenn der Klägerin diese Vergünstigung nicht bereits für den Kauf der Eigentumswohnung in A gewährt worden ist; denn die Steuerbefreiung des § 6 Abs. 1 Nr. 10 GrEStG 1970 steht grundsätzlich jedem Grundstückskäufer nur für einen Erwerbsvorgang zu (§ 6 Abs. 2 GrEStG 1970).

Ob der Klägerin durch das FA F für den Kauf der Eigentumswohnung in A Steuerfreiheit gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 10 GrEStG 1970 gewährt worden ist, läßt der bisher vom FG festgestellte Sachverhalt nicht erkennen. Der Umstand allein, daß die Klägerin bei dem FA F einen entsprechenden Steuerbefreiungsantrag gestellt und dieses FA dem Antrag entsprochen hat, ist hier unerheblich; denn die Klägerin hat später - mit Schreiben vom 27. Dezember 1971 - gegenüber dem genannten FA erklärt, daß sie diesen Antrag zurücknehme. Nach Sachlage muß damit gerechnet werden, daß das FA daraufhin die interne Freistellung aufgehoben hat oder noch aufheben muß.

Eine Rücknahme des Antrags ist entgegen der Ansicht des FG möglich.

Dem FG ist darin zuzustimmen, daß der Antrag gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 10 GrEStG 1970 dem materiellen Recht zuzuordnen ist. Dem Erwerber mehrerer Wohnungen steht es frei, für welchen Erwerb er die vorgenannte Steuerbegünstigung in Anspruch nehmen will.

Der Antrag ist demnach materielle Voraussetzung der Steuerbefreiung. Der Antrag ist gemäß § 6 Abs. 5 GrEStG 1970 "spätestens bis zur Rechtskraft des Steuerbescheides zu stellen". Dem Wortlaut des Gesetzes ist nicht zu entnehmen, daß der Antrag unwiderruflich ist. Die Tatsache, daß er bis zur formellen Bestandskraft des Steuerbescheides gestellt werden kann, spricht dafür, daß er bis dahin auch zurückgenommen werden kann. Dem Sinn des Gesetzes, wie er sich aus dem Wortlaut ergibt, ist nichts anderes zu entnehmen. Es sind keine Gründe ersichtlich, die dazu zwingen, einem Grundstückserwerber die Anpassung seiner steuerrechtlichen Dispositionen an geänderte Verhältnisse zu verweigern.

Fraglich ist, bis zu welchem Zeitpunkt der Antrag zurückgenommen werden kann, wenn kein - dieses Rücknahmerecht zeitlich befristender - bestandskräftiger Freistellungsbescheid ergangen ist. Der fehlende Freistellungsbescheid ermöglicht es formell einem FA, bis zum Ablauf der Verjährungsfrist die Steuer nachzufordern, ohne daß die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 - (bzw. vorher § 222 Abs. 1 Nr. 1 oder 3 der Reichsabgabenordnung - AO -) hätten vorliegen müssen. Umgekehrt muß man daher einem Grundstückserwerber auch das Recht zubilligen, den Freistellungsantrag so lange zurückzunehmen, wie er mit einer Erhebung der Steuer rechnen muß, nämlich bis zur Verjährung des Steueranspruches. Im vorliegenden Fall hätte die Klägerin bei normalem Verlauf der Dinge bis zum Ablauf des Jahres 1973 mit einer Veranlagung der Grunderwerbsteuer für den Erwerb der Eigentumswohnung in A rechnen müssen (§ 3 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes, § 144 Abs. 1 Satz 1, § 145 Abs. 1 AO, § 145 Abs. 3 Nr. 3 AO in der Fassung des § 18 Nr. 2 GrEStG 1940 und § 35 GrEStG 1970; vgl. auch das Urteil vom 4. August 1976 II R 20/71, BFHE 119, 387, BStBl II 1977, 123). Ihr Schreiben an das FA F, in welchem sie erklärt, daß sie ihren Steuerbefreiungsantrag zurücknehme, datiert vom 27. Dezember 1971.

Die nicht spruchreife Sache wird daher an das FG zurückverwiesen, damit dieses aufklärt, wie der Erwerb der Eigentumswohnung in A letztlich grunderwerbsteuerrechtlich behandelt worden ist.