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BFH-Beschluß vom 16.4.1980 (VII B 49/79) BStBl. 1980 II S. 408

Der VII. Senat des BFH hält an der im Beschluß vom 5. November 1976 VII B 35/76 (BFHE 120, 455, BStBl II 1977, 183) vertretenen Auffassung fest, daß für eine vom FA beantragte richterliche Anordnung der Wohnungsdurchsuchung durch den Vollziehungsbeamten das FG zuständig ist.

GG Art. 13 Abs. 2; AO 1977 § 287.

Sachverhalt

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) ersuchte das Finanzgericht (FG) mit Schreiben vom 7. September 1979 unter Berufung auf den Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 5. November 1976 VII B 35/76 (BFHE 120, 455, BStBl II 1977, 183), die Durchsuchung der Wohnung des Antragsgegners und Beschwerdegegners zum Zwecke der Vollstreckung wegen Steuerforderungen und Säumniszuschlägen anzuordnen. Das Niedersächsische FG erklärte durch den in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1980 S. 32 veröffentlichten Beschluß vom 5. Oktober 1979 VI 368/79 den Finanzrechtsweg für unzulässig und verwies die Sache an das Amtsgericht.

Zur Begründung führte es aus:

Es könne sich nicht der vom BFH im oben angeführten Beschluß (BFHE 120, 455, BStBl II 1977, 183) vertretenen Auffassung anschließen, für die Entscheidung über einen solchen Antrag sei nach § 33 der Finanzgerichtsordnung (FGO) der Finanzrechtsweg gegeben. Diese Vorschrift eröffne den Finanzrechtsweg nur für Streitigkeiten; dazu gehöre der Antrag der Vollstreckungsbehörde auf richterliche Anordnung der Wohnungsdurchsuchung nicht. Die Unzulässigkeit des Finanzrechtswegs für einen solchen Antrag ergebe sich auch daraus, daß der Gesetzgeber mit den Vorschriften der Finanzgerichtsordnung den Willen bekundet habe, gemäß Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) den Finanzrechtsweg zur nachträglichen richterlichen Kontrolle zu eröffnen. Die in Art. 13 Abs. 2 GG für eine Wohnungsdurchsuchung geforderte Einschaltung des Richters diene nicht der nachträglichen, sondern der präventiven Kontrolle (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 3. April 1979 1 BvR 994/76, BStBl II 1979, 601, 604). Es liege insofern eine Gesetzeslücke vor, die durch Rückgriff auf ein in der Reichsabgabenordnung (AO) angelegtes Prinzip zu schließen sei. Die Vollstreckungsbestimmungen der Abgabenordnung (AO 1977) ließen das Prinzip erkennen, daß bei einer richterlichen Kontrolle bestimmter schwerer Eingriffe in die Freiheitssphäre des Vollstreckungsschuldners das Amtsgericht zuständig sei.

Gegen diese Entscheidung hat das FA Beschwerde erhoben mit dem Antrag, sie aufzuheben und den Rechtsweg zum FG für zulässig zu erklären.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet.

Der erkennende Senat hält an der im oben angegebenen Beschluß (BFHE 120, 455, BStBl II 1977, 183) vertretenen Auffassung fest, daß für eine vom FA beantragte richterliche Anordnung der Wohnungsdurchsuchung durch den Vollziehungsbeamten das FG zuständig ist.

Nach § 287 AO 1977 ist der Vollziehungsbeamte, durch den das FA oder das Hauptzollamt (HZA) als Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung eines Verwaltungsakts in bewegliche Sachen ausführt (vgl. §§ 249, 285 AO 1977), befugt, die Wohnräume des Vollstreckungsschuldners zu durchsuchen, soweit dies der Zweck der Vollstreckung erfordert. Die Vorschrift des § 758 der Zivilprozeßordnung (ZPO) räumt dem Gerichtsvollzieher dieselbe Befugnis ein. Das BVerfG hat durch den Beschluß in BStBl II 1979, 601 entschieden, daß § 758 ZPO durch Art. 13 Abs. 2 GG dahin ergänzt wird, daß die Durchsuchung, soweit nicht Gefahr im Verzuge ist, der Anordnung durch den Richter bedarf und das dabei einzuhaltende Verfahren in Analogie zu dem Verfahren nach § 761 ZPO gestaltet werden kann. Es hat auf die Übereinstimmung der Befugnis zur Wohnungsdurchsuchung nach § 758 ZPO und nach § 287 AO 1977 hingewiesen und damit zum Ausdruck gebracht, daß auch § 287 AO 1977 durch Art. 13 Abs. 2 GG in der erwähnten Weise ergänzt wird. Den Ausführungen des BVerfG ist jedoch nicht zu entnehmen, daß auch hier das Verfahren analog zu § 761 ZPO gestaltet werden kann, also die Anordnung der Durchsuchung vom Amtsrichter zu treffen ist.

Die auch für eine Wohnungsdurchsuchung nach § 287 AO 1977 gemäß Art. 13 Abs. 2 GG erforderliche Einschaltung des Richters betrifft zwar nicht eine nachträgliche Rechtskontrolle, wie sie schon durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet ist, sondern soll im Interesse eines wirksamen Schutzes der "räumlichen Privatsphäre" eine präventive richterliche Kontrolle sicherstellen (BVerfG-Beschluß in BStBl II 1979, 601). Dennoch ist die vom Richter getroffene Anordnung der Durchsuchung ein Akt der Rechtsprechung (vgl. BVerfG-Entscheidung vom 11. Oktober 1978 2 BvR 1055/76, BVerfGE 49, 329, 341, und vom 15. November 1978 2 BvR 65/77, BVerfGE 50, 48). Der Gesetzgeber hat durch die Vorschriften über den Rechtsweg die rechtsprechende Tätigkeit verschiedenen Gerichtsbarkeiten zugeteilt. Für die Finanzgerichtsbarkeit hat er durch § 33 FGO alle Akte der Rechtsprechung, die sich auf Abgabenangelegenheiten beziehen, den FG zugewiesen. Den Begriff der Abgabenangelegenheiten hat er in § 33 Abs. 2 FGO sehr weit gefaßt und auf alle mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten erstreckt. Darunter fällt auch die in § 287 AO 1977 geregelte Wohnungsdurchsuchung durch den Vollziehungsbeamten. Die Vollstreckungsvorschriften der Abgabenordnung sehen zwar für mehrere richterliche Maßnahmen, u. a. für solche, die einen Eingriff in die persönliche Freiheitssphäre des Betroffenen zum Gegenstand haben (vgl. § 284 Abs. 7, § 326 AO 1977), die Einschaltung des Amtsgerichts vor. Es handelt sich dabei jedoch um Sonderbestimmungen, für die ein einheitlicher gesetzgeberischer Grund nicht erkennbar ist und die daher nicht zu der Annahme zwingen, für jede Einschaltung eines Richters in einer Vollstreckungsangelegenheit komme nur das Amtsgericht in Betracht.

Dem Umstand, daß § 33 FGO in allen den Finanzrechtsweg eröffnenden Tatbeständen von "Streitigkeiten" spricht, kann gegenüber dem allgemein zum Ausdruck gebrachten Willen, alle Akte der Rechtsprechung, die sich auf Abgabenangelegenheiten beziehen, zu erfassen, keine besondere Bedeutung beigemessen werden. Daß das FG auch außerhalb einer Streitigkeit in einer Abgabenangelegenheit und auf Antrag der Finanzbehörde, nicht des Steuerpflichtigen, tätig werden kann, zeigt die Vorschrift des § 94 AO 1977.

Da somit das FG durch den angefochtenen Beschluß den Finanzrechtsweg zu Unrecht verneint hat, war sein Beschluß aufzuheben. Die Sache war an das FG zurückzuverweisen, damit dieses nunmehr die gemäß dem BVerfG-Beschluß (BStBl II 1979, 601) erforderliche Prüfung des Verlangens des FA nach Durchbrechung der durch Art. 13 Abs. 1 GG gewährleisteten Unverletzlichkeit der Wohnung nach dem Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck vornimmt.