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BFH-Urteil vom 17.1.1980 (IV R 156/77) BStBl. 1980 II S. 434

Es ist handelsrechtlich nicht geboten und einkommensteuerrechtlich nicht zulässig, gewinnmindernd einen Passivposten (Rückstellung, Rücklage) wegen mutmaßlicher Steigerung der Wiederbeschaffungskosten für abnutzbare Wirtschaftsgüter des beweglichen Anlagevermögens zu bilden.

EStG § 5.

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine OHG, betreibt ein Bauunternehmen. Gesellschafter waren im Streitjahr 1972 die Brüder B.

In ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1972, die einen Jahresgewinn von ... DM auswies, hatte die Klägerin erstmals gewinnmindernd eine "Rücklage für Ersatzbeschaffung" in Höhe von 300.000 DM gebildet, um für Ersatzbeschaffungen beim beweglichen Anlagevermögen die "aufgrund der verstärkten inflationären Entwicklung" gegenüber den seinerzeitigen Anschaffungskosten benötigten Mehrbeträge steuerlich wirksam zu beschaffen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte bei der einheitlichen Gewinnfeststellung für 1972 die gewinnmindernde Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung nicht an und erhöhte deshalb den erklärten Gewinn um 300.000 DM.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte keinen Erfolg.

Mit der Revision beantragt die Klägerin, für 1972 eine in voller Höhe gewinnmindernde Rücklage für Ersatzbeschaffung von 300.000 DM in der Steuerbilanz zuzulassen. Die Klägerin rügt sinngemäß Verletzung materiellen Rechts. Sie hält die Bildung einer Substanzerhaltungsrücklage in der Steuerbilanz für geboten, weil die steuerlich zulässige Absetzung für Abnutzung (AfA) aus den historischen Anschaffungskosten bei der gegebenen Geldentwertungsrate zur Finanzierung von Ersatzbeschaffungen nicht ausreiche und nur durch die Bildung einer Substanzerhaltungsrücklage die Besteuerung von Scheingewinnen vermieden und die Substanz des Unternehmens erhalten werden könne.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Nach § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist bei Gewerbetreibenden, die verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen oder die freiwillig Bücher führen und regelmäßig Abschlüsse machen, im Rahmen der Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG) für den Schluß des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen, "das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist", soweit nicht das Einkommensteuergesetz besondere Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften enthält.

Einkommensteuerrechtlich ist ein gewinnmindernder Ansatz von Passivposten allerdings nur insoweit zulässig, als deren Bildung handelsrechtlich geboten ist; soweit handelsrechtlich der gewinnmindernde Ansatz von Passivposten nur zulässig, aber nicht geboten ist, handelsrechtlich also ein Passivierungswahlrecht besteht, darf einkommensteuerrechtlich kein Passivposten gewinnmindernd gebildet werden (siehe Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 3. Februar 1969 GrS 2/68, BFHE 95, 31, BStBl II 1969, 291).

a) Zu Recht gehen die Vorentscheidung und die Revision davon aus, daß die Voraussetzungen für die gewinnmindernde Bildung einer Rückstellung (vgl. § 152 Abs. 7 des Aktiengesetzes - AktG -) schon deshalb nicht erfüllt sind, weil weder eine privatrechtliche Verpflichtung der Klägerin gegenüber einem Dritten noch eine hinreichend konkretisierte öffentlich-rechtliche Verpflichtung der Klägerin erkennbar ist, ihr abnutzbares bewegliches Anlagevermögen zu höheren Wiederbeschaffungspreisen auch tatsächlich wieder zu beschaffen. Eine etwaige "betriebswirtschaftliche Verpflichtung zur Substanzerhaltung" rechtfertigt keine Rückstellung; das bilanzrechtliche Mittel zur Substanzerhaltung ist nicht die Rückstellung, sondern die Rücklage (BFH-Urteil vom 26. Mai 1976 I R 80/74, BFHE 119, 261/263, BStBl II 1976, 622).

b) Nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ist jedoch die gewinnmindernde Bildung einer besonderen Substanzerhaltungsrücklage nach Maßgabe der präsumtiven Differenz zwischen den tatsächlichen, als Bemessungsgrundlage für die AfA dienenden Anschaffungs- oder Herstellungskosten des abnutzbaren beweglichen Anlagevermögens und den höheren Wiederbeschaffungskosten dieses Anlagevermögens nicht geboten. Vielmehr läßt sich aus der Entstehungsgeschichte des Aktiengesetzes 1965 (siehe dazu insbesondere Kropff, Aktiengesetz, S. 240 bis 243) umgekehrt ableiten, daß nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung die den Jahresüberschuß mindernde Bildung einer besonderen Substanzerhaltungsrücklage nicht zulässig, also verboten ist. Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen des Regierungsentwurfs eines Aktiengesetzes war mehrfach beantragt worden, die Bildung einer Substanzerhaltungsrücklage zu Lasten des Jahresüberschusses gesetzlich zu regeln. Diese Anträge fanden jedoch keine Mehrheit. Die zuständigen parlamentarischen Gremien waren der Ansicht, daß die beantragte Rücklage aus den verschiedensten Gründen (siehe dazu im einzelnen Kropff, a. a. O., S. 242) kein geeigneter Weg zur Sicherung der Substanzerhaltung sei; vielmehr könne und solle dem berechtigten Anliegen der Substanzerhaltung durch die Bildung freier Rücklagen nach § 58 AktG Rechnung getragen werden (Kropff, a. a. O.).

Danach ist die gewinnmindernde Bildung einer Rücklage für Substanzerhaltung in der Steuerbilanz gemäß § 5 Abs. 1 EStG nicht zulässig; denn unter den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung, die den Ansatz des Betriebsvermögens für den Schluß des Wirtschaftsjahres bestimmen, sind nur solche Rechtsgrundsätze zu verstehen, die für die Ermittlung des Jahresüberschusses maßgeblich sind, nicht jedoch auch die dem Bereich der Einkommensverwendung zuzurechnenden Grundsätze über die Ermittlung des aktienrechtlichen Bilanzgewinns, insbesondere also die Normen über die Befugnis der Organe der Aktiengesellschaft, Beträge aus dem Jahresüberschuß in freie Rücklagen einzustellen (§ 58 AktG).

2. Das Einkommensteuergesetz enthält keine besonderen Bilanzierungsvorschriften, die entgegen den zu 1. dargestellten Rechtsgrundsätzen eine den Steuerbilanzgewinn mindernde Bildung einer Substanzerhaltungsrücklage erlauben.

a) Insbesondere läßt sich aus dem grundsätzlichen Sinn und Zweck des Einkommensteuergesetzes, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer natürlichen Person (innerhalb eines bestimmten Zeitraums) zu besteuern, keine Rechtsgrundlage für die den Steuerbilanzgewinn mindernde Bildung einer Substanzerhaltungsrücklage gewinnen.

Wie der BFH im Zusammenhang mit der Beurteilung von einkommensteuerrechtlichen Problemen der Geldentwertung bereits mehrfach erkannt hat, werden die Vorschriften des Einkommensteuergesetzes vom Nominalwertprinzip beherrscht (siehe insbesondere Urteil vom 14. Mai 1974 VIII R 95/72, BFHE 112, 546, BStBl II 1974, 572, mit weiteren Nachweisen). Demgemäß hat sich der VIII. Senat des BFH in der erwähnten Grundsatzentscheidung nicht für befugt erachtet, den dem Einkommensteuergesetz zugrunde liegenden nominalen Begriff der "Einkünfte aus Kapitalvermögen" i. S. von § 2 Abs. 1 Nr. 5 EStG (i. V. m § 2 Abs. 2 Nr. 2 und § 20 EStG) durch einen valorisierten Einkünftebegriff zu ersetzen. Dies kann dann aber um so weniger für den dem Einkommensteuergesetz zugrunde liegenden Begriff der "Einkünfte aus Gewerbebetrieb" i. S. von § 2 Abs. 1 Nr. 2 EStG und damit den Gewinnbegriff i. S. von § 2 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 4 Abs. 1 und § 5 EStG zulässig sein. Hiervon geht auch der VIII. Senat in seiner Grundsatzentscheidung aus (BFHE 112, 546/557, BStBl II 1974, 572; siehe auch Grube, Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe A 1975 S. 12/14-15 - DStZ A 1975, 12/14-15 -).

Danach ist einkommensteuerrechtlich grundsätzlich unerheblich, ob der im angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheid festgestellte Nominalgewinn in Höhe der von der Klägerin begehrten Substanzerhaltungsrücklage nur einen sog. Scheingewinn darstellt, ob ein solcher Scheingewinn lediglich die Folge einer Geldentwertung ist, wie offenbar die Klägerin annimmt, oder ob er auch seine Ursache in einer mutmaßlichen Steigerung von Wiederbeschaffungspreisen findet, die z. B. aufgrund weltwirtschaftlicher Preisentwicklung für bestimmte Rohstoffe über die durch die Geldentwertung bedingte Preissteigerung hinausgeht, und ob ein (Brutto-) Scheingewinn durch sog. Schuldnergewinne, insbesondere also den Einfluß der Geldentwertung auf die Passivseite der Bilanz gemindert oder ausgeglichen wird (dazu z. B. Mertens, u. a. , Substanzerhaltung bei Scheingewinnbesteuerung, München 1977, S. 98 ff.)

b) Auch für eine analoge Anwendung der Vorschriften des § 74 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) über eine Rücklage für Preissteigerung (i. V. m. § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. m EStG) ist kein Raum. Unabdingbare Voraussetzung der analogen Anwendung einer Rechtsnorm auf einen Sachverhalt, den diese Rechtsnorm nach ihrer durch den möglichen Wortsinn begrenzten Auslegung nicht mehr erfaßt, ist, daß das Gesetz lückenhaft, d. h. planwidrig unvollständig ist (siehe z. B. BFH-Urteil vom 24. Januar 1974 IV R 76/70, BFHE 111, 329, BStBl II 1974, 295). Davon kann im Streitfall keine Rede sein. Wenn das Einkommensteuergesetz die AfA ausdrücklich nach den tatsächlichen (historischen) Anschaffungs- oder Herstellungskosten bemißt (§§ 6, 7 EStG) und nicht etwa nach Tageswerten oder präsumtiven Wiederbeschaffungskosten, und wenn das Einkommensteuergesetz darüber hinaus den Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz der einkommensteuerrechtlichen Gewinnermittlung zugrunde legt, wenn zudem die Bildung einer Substanzerhaltungsrücklage nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung nicht zulässig ist, so kann nicht angenommen werden, daß das Einkommensteuergesetz hinsichtlich der Frage der Substanzerhaltung beim abnutzbaren beweglichen Anlagevermögen "planwidrig unvollständig ist".

3. Schließlich sind die Vorschriften des Einkommensteuergesetzes, denen zufolge die Bildung einer Substanzerhaltungsrücklage für abnutzbares bewegliches Anlagevermögen zu Lasten des Steuerbilanzgewinns nicht zulässig ist, auch mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar; dies gilt jedenfalls für das Streitjahr 1972, soweit die Erhöhung der Wiederbeschaffungskosten ausschließlich oder doch primär eine Folge der allgemeinen Geldentwertung ist.

Wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erst mit Beschluß vom 19. Dezember 1978 1 BvR 335, 427, 811/76 (BVerfGE 50, 57, BStBl II 1979, 308) entschieden hat, verstieß die Besteuerung der Zinsen aus Einlagen bei Kreditinstituten nach ihrem Nennwert für die Jahre 1971 bis 1974 nicht gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG. Dann ist aber für 1972 auch die Besteuerung von Gewinnen aus Gewerbebetrieb, die nach dem Nominalwertprinzip ohne Berücksichtigung einer Substanzerhaltungsrücklage für abnutzbares bewegliches Anlagevermögen ermittelt sind, mit dem Grundgesetz vereinbar.