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BFH-Urteil vom 8.2.1980 (III R 91/78) BStBl. 1980 II S. 485

1. Auch nach der Neufassung der Vorschriften über die Bewertung von Kapitalforderungen durch das Vermögensteuerreformgesetz 1974 ist der Anspruch einer GmbH auf noch nicht eingeforderte Stammeinlagen mit null DM zu bewerten, wenn nach den tatsächlichen Verhältnissen zum Feststellungszeitpunkt nicht ernstlich mit der Einforderung der Stammeinlagen zu rechnen ist (Anschluß an das Urteil vom 19. Dezember 1979 III R 65/77, BStBl II 1980, 483).

2. Befindet sich eine GmbH in der Aufbauphase und betreibt sie selbst ein gewerbliches Unternehmen, so spricht eine Vermutung dafür, daß das satzungsgemäße Stammkapital für den Geschäftsbetrieb benötigt und deshalb auch eingefordert werden wird. Diese Vermutung (Anscheinsbeweis) kann die Gesellschaft durch die Darlegung entkräften, daß nach den Verhältnissen zum Feststellungszeitpunkt keine Notwendigkeit und keine Absicht bestand, das ausstehende Stammkapital einzufordern.

BewG 1974 §§ 95, 97, 109 Abs. 4.

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, wurde im August 1974 mit einem Stammkapital von 400.000 DM gegründet. Gegenstand des Unternehmens ist die Entwicklung und Konstruktion von ... Anlagen und die Planung des Baus und des Vertriebs solcher Anlagen. Die Gesellschafter zahlten auf die übernommenen Stammeinlagen 25 v. H. ein. Die Einforderung weiterer Einzahlungen auf die Stammeinlagen, die nach dem Gesellschaftsvertrag mit Zustimmung des Beirates durch die Geschäftsführung erfolgt, war an dem hier streitigen Feststellungszeitpunkt 1. Januar 1975 noch nicht beschlossen. Bei der Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1975 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) den Anspruch der Klägerin auf Leistung des noch nicht eingezahlten Stammkapitals mit dem Nennwert an. Der Einspruch hiergegen blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es war der Auffassung, noch nicht eingeforderte Stammeinlagen seien nur dann anzusetzen, wenn bestimmte Tatsachen vorlägen, die bei vernünftiger kaufmännischer Erwägung die Einforderung derart zweckmäßig erscheinen ließen, daß mit ihr ernstlich zu rechnen sei. Nach den vorgelegten Handelsbilanzen der Klägerin seien 1976 ein Teilbetrag und 1977 der Rest eingefordert und bezahlt worden. Das spreche dafür, daß am 1. Januar 1975 keine Umstände vorgelegen hätten, die eine Berücksichtigung des nicht eingeforderten Kapitals geboten hätten. Das FA, das die objektive Feststellungslast für das Vorliegen solcher Umstände trage, habe keine derartigen Gründe vorgetragen.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Es trägt vor, auch nicht eingeforderte Einlagen seien bewertungsfähig. Eine Forderung sei nur dann außer Ansatz zu lassen, wenn sie ohne wirtschaftliches Gewicht sei, etwa wenn sie uneinbringlich oder ihre Durchsetzung zweifelhaft sei. Auf die Absicht des Gläubigers, die Forderung nicht geltend zu machen, sei nur abzustellen, wenn er dies dem Schuldner gegenüber erklärt habe, oder wenn Umstände deutlich erkennen ließen, daß er nicht auf der Erfüllung seines Anspruchs bestehen werde. Im Streitfall sei die Forderung der Klägerin weder uneinbringlich noch zweifelhaft gewesen. Sie habe weder auf die Erfüllung der Forderung verzichtet noch durch Umstände deutlich erkennen lassen, daß sie dies beabsichtige. Vielmehr habe sie das ausstehende Stammkapital 1976 und 1977 eingefordert und vereinnahmt. Damit sei bewiesen, daß die Kapitalforderung zum 1. Januar 1975 in voller Höhe anzusetzen gewesen sei.

Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hält die Revision für unbegründet.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

1. Zum Betriebsvermögen einer GmbH gehören alle Wirtschaftsgüter, die dieser nach steuerrechtlichen Vorschriften zuzurechnen sind (§ 95 Abs. 1, § 97 Abs. 1 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes in der Fassung vom 26. September 1974 - BewG 1974 -). Zu den Wirtschaftsgütern i. S. des Bewertungsrechts zählen auch Forderungen.

a) Nach § 109 Abs. 4 BewG 1974 sind Kapitalforderungen des Betriebsvermögens mit den Werten anzusetzen, die sich nach den Grundsätzen über die steuerliche Gewinnermittlung ergeben. § 109 Abs. 4 BewG 1974 ist nach allgemeiner Meinung eine "Bewertungsvorschrift". Ob eine Kapitalforderung dem Grunde nach anzusetzen ist, entscheidet sich daher nach bewertungsrechtlichen Grundsätzen. Nur für die Höhe des Ansatzes sind die Grundsätze über die steuerliche Gewinnermittlung maßgebend (vgl. Rössler-Troll-Langner, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 11. Aufl., § 109 BewG Rdnr. 20; Gürsching-Stenger, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 7. Aufl., § 109 BewG Rdnr. 40; Abschn. 44 Abs. 1 der Vermögensteuer-Richtlinien 1974 bis 1977).

b) Ansprüche einer GmbH auf noch nicht eingeforderte Stammeinlagen gehören nach der Entscheidung des Senats vom 19. Dezember 1979 III R 65/77 (BStBl II 1980, 483) zum steuerbaren Vermögen der Gesellschaft. Sie sind daher dem Grunde nach bei der Vermögensaufstellung der GmbH anzusetzen.

c) Die Höhe der Bewertung hängt nach dem Urteil III R 65/77 davon ab, mit welcher Wahrscheinlichkeit die ausstehenden Stammeinlagen eingefordert werden. Ist nach den tatsächlichen Verhältnissen zum Feststellungszeitpunkt bei vernünftiger wirtschaftlicher Überlegung nicht ernstlich damit zu rechnen, daß die Stammeinlagen eingefordert werden, so sind sie mit null DM zu bewerten. Die Grundsätze dieser zum Bewertungsgesetz 1965 ergangenen Entscheidung gelten sinngemäß auch für die Bewertung ausstehender Stammeinlagen nach dem neu gefaßten § 109 Abs. 4 BewG 1974.

Nach dieser Vorschrift sind Kapitalforderungen mit den Werten anzusetzen, die sich nach den Grundsätzen über die steuerliche Gewinnermittlung ergeben. Der Gesetzgeber bezweckte mit dieser Regelung eine Vereinfachung für Steuerpflichtige und Finanzverwaltung insbesondere durch die Möglichkeit, die in der Steuerbilanz ausgewiesenen Wertansätze für die Vermögensaufstellung zu übernehmen (Bundesrats-Drucksache 140/72, S. 103; Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages zum 2. Steuerreformgesetz, Bundestags-Drucksache 7/1389, S. 7). In der Handelsbilanz der GmbH werden ausstehende Stammeinlagen unabhängig davon, ob sie jemals eingefordert werden, mit ihrem Nennbetrag angesetzt. Dieser Wert wird regelmäßig in die Steuerbilanz übernommen. Dieser Ansatz beruht darauf, daß das Stammkapital in der Bilanz nicht mit den ausstehenden Stammeinlagen saldiert werden darf, sondern in voller Höhe auf der Passivseite ausgewiesen werden muß (§ 42 Nr. 4 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung). Die noch ausstehenden Beträge auf die übernommenen Stammeinlagen sind daher notwendig auf der Aktivseite als Forderungen der Gesellschaft gegenüber ihren Gesellschaftern auszuweisen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. Mai 1968 I 200/65, BFHE 93, 414, BStBl II 1969, 11). Solange mit der Einforderung der ausstehenden Stammeinlagen nicht ernstlich zu rechnen ist, hat der Ansatz in der Bilanz wirtschaftlich nur den Charakter eines Korrekturpostens zu dem auf der Passivseite auszuweisenden Stammkapital (vgl. BFH-Urteil vom 18. Juli 1975 III R 28/74, BFHE 117, 83, BStBl II 1976, 5 mit weiteren Nachweisen). Bilanzansätze, die keine echten Vermögenspositionen, sondern nur Rechnungsgrößen darstellen, sind aber keine Werte, die nach § 109 Abs. 4 BewG 1974 für die Vermögensaufstellung bindend sein können. Ausstehende Stammeinlagen dürfen daher nicht ohne weiteres mit dem in der Bilanz ausgewiesenen Betrag bewertet werden. Vielmehr ist jeweils zu prüfen, ob es sich um echte Vermögenswerte oder nur um Korrekturposten zum Stammkapital handelt. Das hängt davon ab, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Stammeinlagen eingefordert werden; ist nach den tatsächlichen Verhältnissen zum Feststellungszeitpunkt bei vernünftiger wirtschaftlicher Überlegung nicht damit zu rechnen, daß die Stammeinlagen eingefordert werden, so sind sie mit null DM zu bewerten.

d) Befindet sich eine GmbH in der Aufbauphase und betreibt sie selbst ein gewerbliches Unternehmen, so wird in der Regel ernstlich damit zu rechnen sein, daß das satzungsgemäße Stammkapital für den Geschäftsbetrieb benötigt und deshalb auch eingefordert werden wird. In diesen Fällen spricht eine Vermutung dafür, daß ernstlich mit der Einforderung des ausstehenden Stammkapitals zu rechnen ist. Diesen Beweis des ersten Anscheins kann die Gesellschaft jedoch durch die Darlegung entkräften, daß nach den Verhältnissen am Stichtag keine Notwendigkeit und keine Absicht bestand, das ausstehende Stammkapital einzufordern.

2. Da das FG von anderen Grundsätzen ausging, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Sie wird daher an das FG zurückverwiesen. Bei erneuter Verhandlung und Entscheidung hat das FG der Klägerin Gelegenheit zu geben, konkrete Tatsachen dafür darzutun, daß das Stammkapital von vornherein nicht in voller Höhe eingefordert werden sollte und erst nachträglich Umstände eintraten, die die Einforderung notwendig machten.