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BFH-Beschluß vom 11.7.1980 (III B 3/80) BStBl. 1980 II S. 559

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob Schulden aus niedrig verzinslichen, öffentlichen Wohnungsbaudarlehen nur mit dem Gegenwartswert anzusetzen sind oder ob nicht die besonderen Verpflichtungen, die mit der Annahme solcher Wohnungsbaudarlehen übernommen werden, eine Bewertung der Schulden mit dem Nennbetrag rechtfertigen.

BewG 1974 §§ 12, 103.

Sachverhalt

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) hat in der Vermögensaufstellung zum 1. Januar 1977 mit 0,5 % verzinsliche Schulden aus Wohnungsbaudarlehen im Nennbetrag von 9.889.447 DM mit dem (niedrigeren) Gegenwartswert in Höhe von 3.659.089 DM angesetzt (Abschn. 56 Abs. 4 und 5 der Vermögensteuer-Richtlinien - VStR - 1977).

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) legte der Ermittlung des Einheitswerts des Betriebsvermögens ebenfalls den Gegenwartswert der Darlehensschuld zugrunde. Über den Einspruch gegen den Einheitswertbescheid vom 9. Januar 1979, mit dem die Antragstellerin nunmehr den Ansatz der Darlehensschuld mit dem Nennbetrag erstrebt, wurde nicht entschieden. Der gleichzeitig gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hatte - auch im Beschwerdeverfahren - keinen Erfolg.

Hierauf beantragte die Antragstellerin die Aufhebung der Vollziehung durch das Finanzgericht (FG) gemäß § 69 Abs. 3 Satz 4 i. V. m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Das FG hat den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung abgelehnt.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde, der die Vorinstanz nicht abgeholfen hat.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet.

Im Streitfall bestehen bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids.

a) Betriebsschulden (§ 103 des Bewertungsgesetzes - BewG -) sind gemäß § 109 Abs. 1 BewG mit dem Teilwert (§ 10 BewG) zu bewerten. Dieser bemißt sich nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats und der herrschenden Meinung im Schrifttum bei Kapitalschulden nach den Vorschriften des § 12 BewG (BFH-Urteile vom 26. August 1955 III 133, 134/55 S, BFHE 61, 207, BStBl III 1955, 278, und vom 10. Mai 1972 III R 83/71, BFHE 106, 96, BStBl II 1972, 688; Rössler/Troll/Langner, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 11. Aufl., § 109 BewG Anm. 26; Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, § 103 BewG Anm. 9).

b) Nach § 12 Abs. 1 BewG sind Schulden grundsätzlich mit dem Nennbetrag zu bewerten. Ausnahmsweise können sie mit einem niedrigeren Wert als dem Nennbetrag anzusetzen sein, wenn besondere Umstände dies begründen. Unter welchen Voraussetzungen besondere Umstände i. S. dieser Vorschrift anzunehmen sind, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Nach der Rechtsprechung des Senats kann die Langfristigkeit einer Schuld i. V. m. einer niedrigeren als der nach § 12 BewG als normal unterstellten Verzinsung von 5,5 % zu einer Bewertung unter dem Nennwert führen (Urteil vom 22. Februar 1974 III R 5/73, BFHE 111, 534, BStBl II 1974, 330).

c) Stehen jedoch einer niedrig verzinslichen Schuld wirtschaftliche Nachteile gegenüber, so kommt eine Bewertung unter dem Nennwert nicht in Betracht. Einen wirtschaftlichen Nachteil sah die Finanzverwaltung gemäß Abschn. 56 Abs. 5 VStR in den für die Stichtage vor dem 1. Januar 1974 geltenden Fassungen (vgl. z. B. Abschn. 56 Abs. 5 VStR 1969) bei Schulden aus niedrig verzinslichen Wohnungsbaudarlehen der öffentlichen Hand in der Mietpreisbindung. Nach Abschn. 56 Abs. 5 VStR in der seit 1. Januar 1974 geltenden Fassung soll dagegen die im Zusammenhang mit unverzinslichen oder niedrig verzinslichen Wohnungsbaudarlehen bestehende Mietpreisbindung nicht als wirtschaftlicher Nachteil anzusehen sein. Im Schrifttum wird dies damit begründet, daß ein wirtschaftlicher Nachteil nicht angenommen werden könne, weil ein Unterschied zwischen öffentlich gefördertem und frei finanziertem Wohnungsbau wegen des erhöhten Mieterschutzes auch für frei finanzierte Wohnungen und wegen der wirtschaftlichen Gegebenheiten am Wohnungsmarkt kaum mehr gegeben sei. Außerdem wird angeführt, daß bei der Hauptfeststellung der Einheitswerte des Grundvermögens zum 1. Januar 1964 bei der Bewertung öffentlich geförderter Wohngrundstücke im Ertragswertverfahren eine infolge Zinssubvention niedrigere Miete zugrunde gelegt worden sei und sich bei Ansatz der Schulden aus niedrig verzinslichen, öffentlichen Wohnungsbaudarlehen mit dem Nennwert der Zinsvorteil seit 1. Januar 1974 (§ 124 BewG) steuerlich zweimal auswirken würde (vgl. Rössler/Troll/Langner, a. a. O., § 118 BewG Anm. 10; Gürsching/Stenger, a. a. O., § 12 BewG Anm. 67 und § 118 BewG Anm. 24).

Auch in der Rechtsprechung hat sich die Beurteilung von Schulden aus niedrig verzinslichen, öffentlichen Wohnungsbaudarlehen geändert. Der II. Senat des BFH hat die von einem Grundstückserwerber in Anrechnung auf den Kaufpreis übernommenen Schulden aus niedrig verzinslichen Wohnungsbaudarlehen zunächst nur mit dem Gegenwartswert erfaßt, die Mietpreisbindung jedoch als sonstige Gegenleistung (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes) gesondert angesetzt (Urteile vom 9. Mai 1967 II R 118/66, BFHE 88, 390, BStBl III 1967, 427, und vom 12. Dezember 1979 II R 127/74, BFHE 129, 404, BStBl II 1980, 218). Dabei ging der II. Senat davon aus, daß der Wert der Mietpreisbindung regelmäßig der Differenz zwischen Nennbetrag und Gegenwartswert der Schuld entspreche. Aus der Erwägung, daß der Eigentümer eines mit öffentlichen Mitteln finanzierten Wohngebäudes alle Zinsvorteile aus der öffentlichen Förderung an die Mieter weiterzugeben habe und dem Eigentümer selbst kein Vorteil aus der Zinsverbilligung verbleibe, sieht es der II. Senat nunmehr in dem Urteil BFHE 129, 404, 406, BStBl II 1980, 218, als zweifelhaft an, ob an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten sei. Sei die Zinsverbilligung bei dem Grundstückseigentümer nur als "durchlaufender Posten" anzusehen, der an die Mieter weiterzugeben sei, so entfalle die Berechtigung zur Aufspaltung der Gegenleistung eines Grundstückserwerbers in die Übernahme des abgezinsten Darlehens und den Eintritt in die Mietpreisbindung. Es biete sich vielmehr an, "nur die Übernahme der Verbindlichkeit und diese zum Nennwert als Gegenleistung anzusetzen".

d) Wegen der in der Zeit vor und nach dem 1. Januar 1974 unterschiedlichen Bewertung unverzinslicher und niedrig verzinslicher Schulden aus öffentlichen Wohnungsbaudarlehen durch die Finanzverwaltung und im Hinblick auf die neueste Rechtsprechung des II. Senats in BFHE 129, 404, BStBl II 1980, 218, ergeben sich bei summarischer Prüfung des angefochtenen Einheitswertbescheids neben für dessen Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids sprechende Gründe. Dabei erscheint dem Senat insbesondere die Erwägung des II. Senats in BFHE 129, 404, BStBl II 1980, 218, von Bedeutung, daß bei Schulden aus niedrig verzinslichen, öffentlichen Wohnungsbaudarlehen die Zinsvergünstigung nicht dem Darlehensnehmer, sondern den Mietern der Wohnung zugute kommt, da der Darlehensnehmer den Zinsvorteil in Form der verbilligten Miete an die Mieter weitergibt und somit selbst keinen Vorteil hat. Ist davon auszugehen, daß eine Bewertung langfristiger, niedrig verzinslicher Schulden unter dem Nennwert damit gerechtfertigt wird, daß der Zinsvorteil sich für den Schuldner selbst vorteilhaft auswirkt, erscheinen die Einwendungen der Antragstellerin gegen den Ansatz des Wohnungsbaudarlehens mit dem Gegenwartswert nicht unbeachtlich. Im übrigen ist es wegen der verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Einheitsbewertung von Grundstücken im Ertragswertverfahren auf der Grundlage der preisrechtlich zulässigen Miete (vgl. BFH-Beschluß vom 12. Mai 1978 III R 18/76, BFHE 125, 188, BStBl II 1978, 446) zweifelhaft, ob der Einwand des FA, der niedrige Zinssatz für öffentliche Wohnungsbaudarlehen habe sich bei der Einheitsbewertung des Grundvermögens durch den Ansatz einer niedrigeren Miete ausgewirkt, letztlich durchgreift. Außerdem stellt sich die Frage, ob ein solcher Vorteil als der Schuld selbst immanent angesehen werden könnte (vgl. BFH-Urteil vom 12. Juli 1968 III 181/64, BFHE 93, 323, BStBl II 1968, 794).