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BFH-Urteil vom 28.2.1980 (IV R 106/78) BStBl. 1980 II S. 675

1. Die Versagung einer Sonderabschreibung nach § 3 Abs. 2 ZRFG wegen nachhaltig günstiger Ertrags- und Vermögenslage eines Unternehmens (§ 3 Abs. 4 ZRFG) steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörden.

2. Die Finanzbehörden müssen die Prüfung, ob eine nachhaltig günstige Ertrags- und Vermögenslage gegeben ist, regelmäßig anhand von Vergleichen mit Unternehmen des gleichen Wirtschaftszweigs (bzw. der gleichen Berufsgruppe) vornehmen.

3. Bei Unternehmens-(Berufs-)arten, bei denen üblicherweise nur ein geringes Betriebsvermögen vorhanden ist, kann es bei der Prüfung der Ertrags- und Vermögenslage nicht entscheidend auf die Höhe des Betriebsvermögens ankommen.

ZRFG § 3 Abs. 4.

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist freiberuflich als Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten im Zonenrandgebiet tätig. Im Jahre 1971 erwarb er dort zusammen mit seiner Ehefrau ein Anwesen zum Preis von 490.336 DM. Der Kläger und seine Ehefrau ließen das Gebäude in den Jahren 1972 bis 1974 unter teilweiser Erhaltung der Fassade und des Treppengiebels umbauen. Einen Teil der Nutzfläche (113 qm) verwendet der Kläger seit 1973 für Praxiszwecke.

Der Kläger beantragte bei der Einkommensteuerveranlagung 1973 eine Sonderabschreibung nach § 82g der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV), hilfsweise eine Sonderabschreibung auf den Praxisanteil nach § 3 des Zonenrandförderungsgesetzes (ZRFG) vom 5. August 1971 (BGBl I 1237, BStBl I 1971, 370). Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) versagte die begehrten Abschreibungen im Einkommensteuerbescheid vom 13. November 1973. Der Einspruch hatte in diesen Punkten keinen Erfolg. Die Ablehnung der Sonderabschreibung nach dem Zonenrandförderungsgesetz begründete das FA damit, daß beim Kläger die "Prosperitätsklausel" (§ 3 Abs. 4 ZRFG) eingreife. Die Einspruchsentscheidung wurde dem Kläger am 22. Januar 1976 zugestellt.

Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, die Voraussetzungen der Prosperitätsklausel lägen nicht vor. Die Ertragslage sei bei ihm nicht außergewöhnlich gut; auch sei seine Vermögenslage angespannt. Die Sonderabschreibung nach § 3 ZRFG müsse ihm daher gewährt werden.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage im wesentlichen statt. Es ging dabei - entgegen der Auffassung des Bundesfinanzhofs [BFH] (Urteil vom 5. Mai 1977 IV R 116/75, BFHE 122, 283, BStBl II 1977, 639) - davon aus, daß ein Steuerpflichtiger bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf die Förderungsmaßnahmen nach § 3 ZRFG habe. Hinsichtlich der vom Kläger erstellten Praxisräume seien die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 und 2 ZRFG erfüllt. Der Gebäudeteil, in dem sich die Praxisräume befänden, sei von Grund auf neu errichtet worden. Die Praxisräume bildeten ein eigenständiges Wirtschaftsgut (BFH-Beschluß vom 26. November 1973 GrS 5/71, BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132). Die dem Kläger gehörige ideelle Hälfte der Praxisräume sei notwendiges Betriebsvermögen seiner freiberuflichen Praxis. Der Kläger könne für die auf diese Hälfte entfallenden Herstellungskosten eine Sonderabschreibung verlangen. Dem stehe auch nicht - wie das FA zu Unrecht angenommen habe - die "Prosperitätsklausel" entgegen. Die Vergünstigungen nach dem Zonenrandförderungsgesetz seien zwar nicht auf Unternehmen anzuwenden, deren Ertrags- und Vermögenslage nachhaltig so günstig sei, daß eine Steuervergünstigung auch unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse im Zonenrandgebiet nicht vertretbar erscheine (§ 3 Abs. 4 ZRFG). Derartig günstig sei die Ertrags- und Vermögenslage beim Kläger jedoch nicht. Bei der Prüfung, ob die Ertrags- und Vermögensverhältnisse nachhaltig günstig sind, könne nicht, wie der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen (BMWF) in seinem Schreiben vom 18. August 1971 F/IV B 2 - S 1915 - 73/71, BStBl I 1971, 386, annehme - auf die Masse aller gewerblichen Unternehmer abgestellt werden. Es komme vielmehr auf die Branche an, der der Steuerpflichtige angehöre. Gehe man hiervon aus, so lägen die vom Kläger in den Jahren 1970 bis 1972 erzielten Gewinne (jährlich durchschnittlich 259.380 DM) zwar deutlich über den Gewinnen anderer Arztpraxen. Dennoch sei zu fragen, ob schon eine Ertragslage, die um etwa 100 v. H. günstiger sei als in den übrigen Praxen, als außergewöhnlich günstig angesehen werden könne. Die Frage brauche nicht abschließend beantwortet zu werden. Denn jedenfalls könne die Vermögenslage des Klägers nicht als nachhaltig günstig beurteilt werden. Das Praxisvermögen des Klägers habe am 1. Januar 1972 nur 54.015 DM betragen. Ein Betriebsvermögen in dieser Höhe sei für eine Arztpraxis nicht unüblich. Deshalb sei dem Kläger die Sonderabschreibung zu gewähren. Bei der Steuerfestsetzung müßten allerdings im Rahmen der Einkommensermittlung nach Abzug der begehrten Sonderabschreibung Beträge in Höhe von insgesamt 1.631 DM (aus verschiedenen Rechtsgründen) wieder hinzugerechnet werden.

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 3 ZRFG. Das FG habe zu Unrecht angenommen, daß der Kläger auf die Förderungsmaßnahmen nach dem Zonenrandförderungsgesetz einen Rechtsanspruch habe. Die Auffassung des FG stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 28. April 1977 IV R 163/75, BFHE 122, 121, BStBl II 1977, 553, und vom 5. Mai 1977 IV R 116/75, BFHE 122, 283, BStBl II 1977, 639), nach der § 3 Abs. 1 ZRFG eine rechtliche Grundlage für Ermessensentscheidungen der Verwaltung enthalte. Wegen des Ermessenscharakters des § 3 ZRFG hätte das FG die Entscheidung des FA gemäß § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nur auf Ermessensfehler hin überprüfen und dabei nur zu einem die Ermessensentscheidung bestätigenden oder aufhebenden Urteil kommen dürfen. Dagegen sei es dem FG verwehrt, die anstehenden Sachfragen selbst zu entscheiden; denn es dürfe sein Ermessen nicht anstelle des Ermessens der Verwaltung setzen. Abgesehen hiervon habe das FG die Vorschrift des § 3 Abs. 4 ZRFG unrichtig ausgelegt; bei der Prüfung, ob die Prosperitätsklausel zur Anwendung komme, habe es außer acht gelassen, daß bei Freiberuflern das Schwergewicht auf die Ertragslage und nicht auf die Vermögenslage zu legen sei. Das Wesen einer freiberuflichen Tätigkeit liege in der Regel nicht in dem Einsatz von Maschinen und Geräten, so daß ein Betriebsvermögen großen Umfangs regelmäßig nicht erforderlich und deshalb nicht vorhanden sei.

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, weil das FG verkannt hat, daß auf die in § 3 ZRFG vorgesehenen steuerlichen Förderungsmaßnahmen kein Rechtsanspruch besteht, sondern es vielmehr im Ermessen der Verwaltung steht, diese Vergünstigungen zu gewähren.

1. Nach § 3 Abs. 1 und Abs. 6 ZRFG kann bei Steuerpflichtigen, die im Rahmen einer selbständigen Arbeit im Zonenrandgebiet Investitionen vornehmen, im Hinblick auf die wirtschaftlichen Nachteile, die sich aus den besonderen Verhältnissen dieses Gebiets ergeben, auf Antrag zugelassen werden, daß bei den Steuern vom Einkommen einzelne Besteuerungsgrundlagen, soweit sie die Steuern mindern, schon zu einem früheren Zeitpunkt berücksichtigt werden; insbesondere dürfen unter bestimmten Voraussetzungen bei Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens Sonderabschreibungen gewährt werden (§ 3 Abs. 2 Satz 1 ZRFG).

Entgegen der Auffassung des FG kann dieser Vorschrift nicht entnommen werden, daß Steuerpflichtige bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3 ZRFG in jedem Fall einen Anspruch auf die begehrte Sonderabschreibung haben. Die Vorschrift des § 3 ZRFG enthält vielmehr einen Ermessensrahmen, innerhalb dessen die Finanzverwaltung die Gewährung von Sonderabschreibungen auch von Voraussetzungen abhängig machen kann, die im Gesetz selbst nicht genannt werden, sofern sich dies als sachgerechte Ermessensausübung darstellt (BFH-Urteil in BFHE 122, 121, 125 f., BStBl II 1977, 553).

Auch die Vorschrift des § 3 Abs. 4 ZRFG enthält eine Ermächtigung zur Ermessensausübung. § 3 Abs. 4 ZRFG stellt es in das pflichtgemäße Ermessen der Finanzverwaltung, im Einzelfall die Vergünstigung wegen Vorliegens guter wirtschaftlicher Verhältnisse zu versagen (BFH-Urteil in BFHE 122, 283, 285, BStBl II 1977, 639).

2. Hat eine Behörde eine Entscheidung nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu treffen, so unterliegt die gerichtliche Nachprüfung solcher Ermessensakte anderen Regeln als die Überprüfung von rechtlich gebundenen Verwaltungsakten. Räumt das Gesetz der Verwaltung ein Ermessen ein, so steht ihr ein eigener Entscheidungsspielraum zu. Innerhalb dieses Spielraums können mehrere Verhaltensweisen zutreffend sein. Die Verwaltungsbehörden können (und müssen) in eigener Verantwortung entscheiden, wie sie innerhalb des ihnen gezogenen Ermessensrahmens tätig werden wollen. Diese Eigenart der Ermessensentscheidung ist auch bei ihrer gerichtlichen Überprüfung zu berücksichtigen. Soweit eine Behörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu entscheiden, ist im finanzgerichtlichen Verfahren nur zu prüfen, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 FGO). Sieht das FG eine Ermessensentscheidung rechtsirrtümlich als gebundenen Verwaltungsakt an und verneint es deshalb den der Verwaltung zustehenden Ermessensspielraum, so liegt darin eine Rechtsverletzung.

Auch im Streitfall hätte das FG die vom FA getroffene Ermessensentscheidung lediglich auf Ermessensfehler überprüfen dürfen, da die Gewährung der Vergünstigung nach § 3 Abs. 1 und 2 ZRFG - auch soweit es sich um die Voraussetzungen der Prosperitätsklausel (§ 3 Abs. 4 ZRFG) handelt - im Ermessen der Finanzbehörden steht. Das FG ist dagegen rechtsirrtümlich von der Auffassung ausgegangen, dem Kläger stehe ein Rechtsanspruch auf die Gewährung der Sonder-Absetzung für Abnutzung (Sonder-AfA) nach § 3 Abs. 1 und 2 ZRFG zu. Wegen dieses Rechtsfehlers ist das Urteil des FG aufzuheben.

Der Senat kann allerdings nicht - wie das FA mit seiner Revision begehrt - auf Klageabweisung erkennen. Eine solche Entscheidung wäre nur dann möglich, wenn das FG den Verwaltungsakt des FA nach den für die Überprüfung von Ermessensentscheidungen geltenden Grundsätzen (§ 102 FGO) bereits überprüft und sich hierbei ergeben hätte, daß die Ablehnung der Sonderabschreibung keine Ermessensüberschreitung und keinen Ermessensfehlgebrauch darstellt.

3. Bei der erneuten Würdigung der Sache wird das FG zu beachten haben, daß im Streitfall ermessensgerechte Gründe denkbar sind, die einer Gewährung der Vergünstigung entgegenstehen könnten.

Bei Prüfung der Frage, ob das FA die vom Gesetz erteilte Ermächtigung zur Versagung der Vergünstigung wegen Vorliegens besonders günstiger wirtschaftlicher Verhältnisse in sachgerechter Weise ausgeübt hat, ist von der Vorschrift des § 3 Abs. 4 ZRFG auszugehen.

Nach § 3 Abs. 4 ZRFG ist "Absatz 1 ... nicht anzuwenden auf Unternehmen, deren Ertrags- und Vermögenslage nachhaltig so günstig ist, daß eine Maßnahme nach Absatz 1 auch unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse im Zonenrandgebiet nicht vertretbar erscheint". Da das Gesetz keinen sicheren Anhalt dafür bietet, nach welchen Kriterien die Ertrags- und Vermögenslage zu beurteilen ist, ist dem Ermessen in diesem Bereich ein verhältnismäßig weiter Spielraum eröffnet. Der Ermessensbetätigung müssen allerdings auch insoweit sachliche und zweckgerechte Erwägungen zugrunde liegen.

Zu den zur Handhabung der Prosperitätsklausel ergangenen Richtlinien (Schreiben des BMWF vom 18. August 1971 zu I Nr. 4) bemerkt der Senat folgendes:

a) In Übereinstimmung mit dem Gesetzeswortlaut gehen die Richtlinien davon aus, daß es auf die Ertrags- und Vermögenslage des "Unternehmens" und nicht auf die privaten Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Betriebsinhabers ankommt. "Unternehmen" ist hierbei im Sinne von "Betrieb" zu verstehen (Söffing in Eberstein, Handbuch der regionalen Wirtschaftsförderung, B IV 2 3.32; Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 18. Aufl., Anm. 9 zu § 3 ZRFG). Dies hat auch der Bundesminister der Finanzen (BdF) in seinen neuen Verwaltungsanweisungen zur Anwendung des § 3 ZRFG (Schreiben vom 10. November 1978 IV B 2 - S 1990 - 50/78, BStBl I 1978, 451) durch entsprechende Änderung der bisherigen Richtlinien klargestellt (vgl. I Nr. 4).

b) Nach dem Schreiben des BMWF vom 18. August 1971 müssen die Ertrags- und Vermögensverhältnisse nachhaltig so außergewöhnlich günstig sein, daß sie sich von der Masse der gewerblichen Unternehmen deutlich abheben. Vergleichsobjekt soll hiernach die Masse aller gewerblichen Unternehmen sein. Da eine Unterscheidung nach der Zugehörigkeit zu den einzelnen Berufs- und Wirtschaftszweigen nicht gemacht wird, hat dieser Vergleich regelmäßig keine hinreichende Aussagekraft für die Beurteilung der Prosperität eines bestimmten Unternehmens (so auch Herrmann/Heuer, a. a. O., Anm. 19 zu § 1 InvZulG 1969). Die Anwendung eines derartigen Vergleichs im Einzelfall könnte daher nicht als sachgerecht angesehen werden. Eine sachgerechte Handhabung des Ermessens würde vielmehr erfordern, daß die Finanzverwaltung die Prüfung der nachhaltig besonders günstigen Ertrags- und Vermögenslage anhand von Vergleichen mit Unternehmen des gleichen Wirtschaftszweigs (bzw. der gleichen Berufsgruppe) vornimmt.

c) Für die Anwendung der Prosperitätsklausel ist ferner von Bedeutung, daß zwar grundsätzlich nur Unternehmen mit nachhaltig günstiger Ertrags- und Vermögenslage von der Vergünstigung nach § 3 Abs. 1 (2) ZRFG ausgeschlossen sein sollen. Die kumulative Erwähnung von Ertrag und Vermögen bedeutet indessen nicht, daß eine Vergünstigung wegen Vorliegens der Prosperitätsklausel (§ 3 Abs. 4 ZRFG) nur dann versagt werden darf, wenn sowohl ein hoher Ertrag als auch ein hohes Vermögen vorliegen. Wie das FA in seiner Revisionsbegründung zu Recht ausgeführt hat, kann die Höhe des Betriebsvermögens für die Versagung der Vergünstigung in den Fällen keine entscheidende Rolle spielen, in denen es sich um Berufe mit ohnehin nur geringem Betriebsvermögen handelt.