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BFH-Urteil vom 2.5.1980 (III R 130/78) BStBl. 1980 II S. 732

1. Der Senat hält daran fest, daß das verarbeitende Gewerbe - ausgenommen Baugewerbe - von den übrigen Wirtschaftszweigen nach dem Systematischen Verzeichnis der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamts abzugrenzen ist.

2. Hat ein Unternehmen einen förmlichen Antrag auf Umgruppierung beim Statistischen Bundesamt gestellt, so muß das FG ein bei ihm anhängiges Klageverfahren aussetzen, bis über den Antrag entschieden ist.

BerlinFG § 19; FGO § 74.

Sachverhalt

Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ein verarbeitendes Gewerbe oder einen Großhandel betreibt (§ 19 des Berlinförderungsgesetzes - BerlinFG -).

Die Klägerin sammelt bei Gewerbebetrieben und Behörden Altpapier und Altpappe. Diese Altstoffe werden zunächst von Fremdbestandteilen, wie Textilien, Bleisatzrückständen, Kunststoffen, Drähten und Holz, befreit. Anschließend werden sie nach Merkmalen der Dichte, Stärke, Tönung, Qualität usw. sortiert. Das so aufbereitete Altpapier wird gemischt und in einer Shredderanlage zerkleinert, hydraulich zu Ballen gepreßt und an die Papierindustrie zur Wiederverwendung verkauft.

Die Klägerin unterhält für diese Zwecke einen größeren Maschinenpark (Hydraulikpressen, Shredderanlagen, Container, Spezialfahrzeuge, Gabelstapler, Förderbänder) und großräumige Lagerhallen. Sie hat in den letzten Jahren rd. ... DM investiert.

Die Klägerin ist Mitglied des Bundesverbandes Papierrohstoffe e. V. In dem systematischen Verzeichnis der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamts ist sie in der Nr. 40.890 (Großhandel mit Altpapier und -pappe) eingeordnet.

Bis zum 31. Dezember 1975 wurde der Klägerin die erhöhte Investitionszulage von 25 % nach § 19 BerlinFG gewährt. Entscheidend dafür war ein Urteil des Finanzgerichts (FG) Berlin vom 25. Januar 1972 IV 23/71, in dem das FG darauf abstellte, daß die Klägerin die gesammelten Altstoffe gemäß § 12 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz 1951 (UStDB 1951) zu Waren einer anderen Marktgängigkeit be- und verarbeitet.

Für im Jahre 1976 angeschaffte Wirtschaftsgüter gewährte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) der Klägerin jedoch nur die Grundzulage von 10 % und lehnte die erhöhte Zulage ab. Das FA stützte sich dabei auf die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 14. Januar 1975 VIII R 11/73 (BFHE 115, 167, BStBl II 1975, 406) und VIII R 148/71 (BFHE 115, 86, BStBl II 1975, 392), mit denen der BFH bezüglich der Abgrenzung des verarbeitenden Gewerbes von anderen Wirtschaftszweigen eine Änderung seiner Rechtsprechung einleitete. Während früher diese Abgrenzung vornehmlich nach § 12 UStDB 1951 vorgenommen wurde und das Systematische Verzeichnis der Wirtschaftszweige nur als zusätzliches Hilfsmittel herangezogen wurde, wird die Abgrenzung seit den genannten Urteilen nur noch nach dem Verzeichnis vorgenommen. Die Gründe dafür hat der erkennende Senat im einzelnen in seinem Urteil vom 8. April 1976 III R 161/73 (BFHE 118, 516, BStBl II 1976, 410) dargelegt. Der Senator für Finanzen in Berlin hat durch Erlaß vom 12. April 1976 (Steuer- und Zollblatt für Berlin 1976 S. 763 - StuZBL. Bln 1976, 763 -) die FÄ angewiesen, die neue Rechtsprechung erstmals auf Wirtschaftsgüter anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 1975 angeschafft oder hergestellt worden sind.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, daß sie in dem Systematischen Verzeichnis der Wirtschaftszweige falsch eingeordnet sei. Sie gehöre nicht in die Abt. 4 (Handel), sondern in die Abt. 2 (verarbeitendes Gewerbe - ohne Baugewerbe -). Sie beschränke sich nicht auf die Tätigkeit eines Altpapierhändlers alten Stils, nämlich auf das Sammeln und den Wiederverkauf von Altpapier. Sie stelle vielmehr einen Sekundärrohstoff für die Papierindustrie her. Ihre Tätigkeit bestehe in der Aufbereitung, Veredelung und Verdichtung von Altpapier. Die Veredelung weise eine solche Qualität auf, daß das Altpapier ohne weitere Vorbehandlung in den Produktionsablauf der Papiererzeugung übernommen werden könne. Etwa 90 % der Betriebe ihrer Branche hätten in den letzten Jahren einen Prozeß zunehmender Industrialisierung durchlaufen. Sie könnten nicht mehr als Handelsbetriebe, sondern müßten als Produktionsbetriebe angesehen werden.

Die Sprungklage hatte keinen Erfolg. Das FG holte durch Beschluß vom 4. April 1978 eine Auskunft des Statistischen Bundesamtes darüber ein, ob der Betrieb der Klägerin heutzutage noch in die Abt. 4 einzuordnen sei und ob im Hinblick auf die Anregung des Bundesverbandes Papierrohstoffe e. V. vorgesehen sei, das Systematische Verzeichnis demnächst zu ändern. Das Statistische Bundesamt hat hierauf geantwortet: Das Systematische Verzeichnis sei mit den Mitgliedern des Fachausschusses am 4. März 1976 abschließend beraten und inzwischen verabschiedet worden. Dabei sei die Abt. 4 in ihrer Gesamtheit unverändert übernommen worden. Anlaß für eine Änderung habe nicht bestanden, da hierzu weder von den Vertretern der Bundesministerien, noch vom Bundesverband der Deutschen Industrie, dem Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels oder sonstigen Mitgliedern des Fachausschusses entsprechende Anträge gestellt worden seien. Auch dem Statistischen Bundesamt seien keine Änderungsvorschläge zugegangen. Es sei derzeit nicht vorgesehen, die Systematik der Wirtschaftszweige demnächst neu abzugrenzen.

Das FG wies die Klage ab. Das FG legte seiner Entscheidung das Systematische Verzeichnis zugrunde. Darin sei die Klägerin aber nach wie vor in Abt. 4 eingetragen. Offensichtlich sei es ihrem Berufsverband bisher nicht gelungen, eine Änderung beim Statistischen Bundesamt durchzusetzen.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und des § 19 BerlinFG. Sie macht im einzelnen geltend:

Das Systematische Verzeichnis der Wirtschaftszweige könne in ihrem Fall nicht als der Ausdruck der besonderen Verkehrsauffassung der beteiligten Wirtschaftskreise gelten. Denn weder sie noch ihr Verband hätten an der Eingruppierung mitgewirkt oder seien wenigstens gehört worden. Die Eingliederung in das Verzeichnis sei bis zum Ergehen der beiden BFH-Urteile BFHE 115, 167, BStBl II 1975, 406 und BFHE 115, 86, BStBl II 1975, 392 steuerlich auch uninteressant gewesen. Mit Schreiben vom 12. Oktober 1977 habe dann der Verband alsbald den Versuch unternommen, eine Umgruppierung zu erreichen. Das Statistische Bundesamt sei in seinem Antwortschreiben auf die im Beweisbeschluß gestellte Frage, ob es gerechtfertigt sei, Betriebe von der Art der Klägerin in Abt. 2 einzuordnen, auch nicht eingegangen. Ihre Behauptung, daß ihre Eingruppierung falsch sei, sei somit nicht widerlegt. Schließlich teilte die Klägerin mit, daß ihr Berufsverband am 5. Januar 1979 beim Statistischen Bundesamt eine Umgruppierung in Abt. 2 beantragt habe.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG vom 19. September 1978 aufzuheben und die Investitionszulage unter Änderung des Bescheids des FA vom 9. Mai 1977 auf ... DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Es hält die Eingruppierung der Klägerin in Abt. 4 des Systematischen Verzeichnisses für richtig.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

1. Allerdings beruht diese Aufhebung auf den Grundsätzen von Treu und Glauben (Vertrauensschutz) und nicht unmittelbar auf der hier in Betracht kommenden Vorschrift des § 19 BerlinFG. Denn der Senat hält die Auffassung des FG für zutreffend, daß die Klägerin keinen Betrieb des verarbeitenden Gewerbes i. S. dieser Vorschrift unterhält. Wie der Klägerin bekannt ist, grenzt die Rechtsprechung seit den Urteilen BFHE 115, 167, BStBl II 1975, 406 und BFHE 115, 86, BStBl II 1975, 392 das verarbeitende Gewerbe von den übrigen Wirtschaftszweigen nach dem Systematischen Verzeichnis der Wirtschaftszweige ab. Der Begriff des verarbeitenden Gewerbes entstammt der Wirtschaft. Es ist deshalb folgerichtig, ihn auch nach der besonderen Verkehrsauffassung der Wirtschaft auszulegen. Dazu eignet sich das Systematische Verzeichnis in besonderem Maße, weil dem Fachausschuß Vertreter der Wirtschaft angehören und diese somit die Möglichkeit haben, dort ihre Vorstellungen zur Geltung zu bringen. Auch hat sich der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien auf dieses Verzeichnis berufen. Diesem Ausschuß können selbstverständlich nicht alle Wirtschaftsverbände angehören. Es muß genügen, daß sie ihre Wünsche auf Umgruppierung an das Statistische Bundesamt herantragen können. Das hat der Bundesverband Papierrohstoffe e. V. mit Schreiben vom 5. Januar 1979 nunmehr auch getan.

Die Klägerin ist unstreitig in Abt. 4 des Verzeichnisses eingetragen. Diese Entscheidung war deshalb vom FG zu übernehmen. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn während des finanzgerichtlichen Verfahrens bereits ein formelles Verfahren auf Umgruppierung beim Statistischen Bundesamt gelaufen wäre. Dann wäre es notwendig gewesen, daß das FG das bei ihm anhängige Klageverfahren ausgesetzt und die Entscheidung des Statistischen Bundesamtes abgewartet hätte. Ein förmlicher Antrag wurde vom Bundesverband Papierrohstoffe e. V. aber erst während des vorliegenden Revisionsverfahrens gestellt. Mit dem Schreiben vom 12. Oktober 1977 hatte der Verband beim Statistischen Bundesamt lediglich Informationen eingeholt. Dem finanzgerichtlichen Verfahren haftet somit ein Verfahrensfehler nicht an.

Es ist zutreffend, daß das Statistische Bundesamt die ihm vom FG gestellte Frage, ob ein Betrieb der vorliegenden Art heutzutage noch in Abt. 4 einzuordnen sei, nicht beantwortet hat. Das angefochtene Urteil beruht aber nicht auf diesem Mangel. Denn entscheidend ist allein die Tatsache, ob die Klägerin in dem Zeitpunkt, in dem das FG über die Klage entschied, bereits in Abt. 2 des Verzeichnisses eingetragen war oder ob ein förmliches Verfahren auf Umgruppierung in diese Abteilung lief. Da beides nicht der Fall war, konnte die Klage keinen Erfolg haben. Auf die unvollständige Antwort des Statistischen Bundesamts kam es somit nicht an.

2. Der Senat hat in seinem Urteil vom 23. Februar 1979 III R 16/78 (BFHE 127, 476, BStBl II 1979, 455) entschieden, daß die Finanzverwaltung im Zusammenhang mit der durch die BFH-Urteile BFHE 115, 167, BStBl II 1975, 406 und BFHE 115, 86, BStBl II 1975, 392 eingetretene Verschärfung der Rechtsprechung eine Übergangsregelung treffen müsse, und daß dabei nicht auf die Anschaffung und Herstellung, sondern auf den Zeitpunkt der Investitionsentscheidung des Unternehmers abzustellen sei. Der Senat hat den Erlaß des Senators für Finanzen in Berlin vom 12. April 1976 nicht als eine ausreichende Übergangsregelung angesehen. Das Urteil BFHE 127, 476, BStBl II 1979, 455, das dem FG beim Erlaß seiner Entscheidung noch nicht bekannt war, gilt auch im vorliegenden Fall. Das FG wird deshalb unter diesem Gesichtspunkt das Begehren der Klägerin nochmals zu überprüfen haben. Zu diesem Zweck wird die Sache an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).