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BFH-Urteil vom 22.10.1980 (II R 104/79) BStBl. 1981 II S. 73

Kapitalerhöhungen unterliegen als Sanierungsmaßnahmen nur dann und insoweit dem ermäßigten Steuersatz aus § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972, als sie dem Ausgleich einer nicht mehr als vier Jahre zurückliegenden Herabsetzung des Kapitals dienen. Das gilt auch im Fall der Überschuldung, wenngleich objektiv die Überschuldung um den Preis des Verlustes des erhöhten Kapitals beseitigt bzw. verringert werden kann.

KVStG 1972 § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 9 Abs. 2 Nr. 1.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Die Gesellschafter der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) haben am 5. Mai 1972 beschlossen, das Stammkapital der Klägerin um 1 Mio. DM zu erhöhen. Die neuen Einlagen waren sofort zu bewirken. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte gegen die Klägerin Gesellschaftssteuer in Höhe von 20.000 DM fest (2 v. H. aus 1 Mio. DM).

Mit der nach erfolgloser Durchführung des Einspruchsverfahrens erhobenen Klage begehrt die Klägerin, die Steuer unter Abänderung des angefochtenen Bescheides auf 10.000 DM herabzusetzen, weil sie im Zeitpunkt der Kapitalerhöhung um mehr als 1 Mio. DM überschuldet gewesen sei, weshalb ihr auch ohne vorhergehende Kapitalherabsetzung der ermäßigte Steuersatz nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 des Kapitalverkehrsteuergesetzes i. d. F. vom 17 November 1972 (KVStG 1972) zustehe. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Sie rügt Verletzung materiellen Rechts.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Der Tatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 ist dadurch verwirklicht worden, daß die Einlagen auf das erhöhte Stammkapital geleistet wurden. Hierüber besteht kein Streit. Die Steuer ist gemäß § 9 Abs. 1 KVStG 1972 in der festgesetzten Höhe entstanden; die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 für den um 50 v. H. ermäßigten Steuersatz sind nicht erfüllt.

Nach Satz 1 der letztgenannten Vorschrift ermäßigt sich die Steuer bei Rechtsvorgängen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4, soweit sie zur Deckung einer Überschuldung oder zur Deckung eines Verlustes an dem durch Gesellschaftsvertrag oder die Satzung festgesetzten Kapital erforderlich sind. Satz 2 dieser Vorschrift lautet: Beruhen die Rechtsvorgänge auf einer Erhöhung des Kapitals einer inländischen Kapitalgesellschaft, so ist ferner Voraussetzung, daß diese Erhöhung dem Ausgleich einer nicht mehr als vier Jahre zurückliegenden Herabsetzung des Kapitals dient. Diese Neufassung der Vorschrift durch das Gesetz zur Änderung des Kapitalverkehrsteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 1971 - KVStÄndG 1971 - (BGBI I 1971, 2134, BStBl I 1972, 13) dient der Berücksichtigung von Art. 7 Abs. 3 der Richtlinien des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 249/25 vom 3. Oktober 1969). Danach kann im Falle einer Erhöhung des Kapitals nach einer zur Deckung erlittener Verluste vorgenommenen Herabsetzung des Kapitals der Satz der Gesellschaftssteuer für den Teil der Erhöhung ermäßigt werden, der der Kapitalherabsetzung entspricht, sofern diese Erhöhung binnen vier Jahren nach der Kapitalherabsetzung erfolgt.

Der Wortlaut der Vorschrift ist - wie auch die Klägerin nicht verkennt - eindeutig. An ihm hat sich die Auslegung unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des Gesetzes in erster Linie zu orientieren; eine Abweichung vom Wortlaut ist nur dann zulässig, wenn zuverlässige Anhaltspunkte dafür gegeben sind, daß der Wortlaut des Gesetzes den Willen des Gesetzgebers nicht deckt, insbesondere, weil das aus dem Wortlaut der Vorschrift hervorgehende Ergebnis so sinnwidrig und jeder wirtschaftlichen Vernunft widersprechend ist, daß es nicht im Sinne des Gesetzgebers liegen kann (vgl. das Urteil des Senats vom 14. November 1962 II 291/59 U, BFHE 76, 175, BStBl III 1963, 63, mit weiteren Nachweisen). Zweck der Begünstigungsvorschrift ist es, die Kapitalzufuhr, die nicht einer eigentlichen Kapitalvermehrung, sondern der Sanierung einer notleidenden Kapitalgesellschaft dient, zu begünstigen. Es ist zwar richtig, daß eine Überschuldung, die stets auch einen völligen Verlust am festgesetzten Kapital in sich birgt, wirtschaftlich auch gedeckt werden kann durch eine Kapitalerhöhung, die die Überschuldung bis zur Grenze des verlorenen Nennkapitals kompensiert. Eine derartige Kapitalerhöhung hat unmittelbar die Auswirkung, daß das gesamte (erhöhte) Kapital verloren ist; sie beseitigt lediglich den Konkursgrund ( § 207 Abs. 1 der Konkursordnung). Wenn der Wortlaut des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 im Gegensatz zu dem des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1934 mit 1959 dafür spricht, daß Kapitalerhöhungsmaßnahmen nur dann und soweit dem ermäßigten Steuersatz unterliegen, als sie dem Ausgleich einer nicht mehr als vier Jahre zurückliegenden Kapitalherabsetzung dienen, ist das Ergebnis sinnvoll. Eine nicht am Wortlaut orientierte Auslegung würde dagegen das sinnwidrige Ergebnis zeitigen, daß eine nachfolgende Herabsetzung des Kapitals in gleichem Ausmaß (bis zur Grenze des Mindestkapitals) und spätere Wiederaufstockung zur doppelten Begünstigung desselben Verlustes führen würde. Dafür ist aber kein vernünftiger Grund zu sehen. Im übrigen bleibt es dem Gesetzgeber überlassen, welche Sanierungsmaßnahmen er für begünstigungswürdig hält. Im Hinblick auf Satz 2 der Vorschrift ist der Schluß gerechtfertigt, daß ihm zur Deckung einer Überschuldung bis zur oben angeführten Grenze andere der Gesellschaftssteuer unterliegende Gesellschafterleistungen (sei es, daß sie auf dem Gesellschaftsvertrag beruhen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 KVStG 1972, sei es, daß es sich um freiwillige Leistungen im Sinne von § 2 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 KVStG 1972 handelt) als geeignete, begünstigungswürdige Mittel erscheinen. Dasselbe gilt für den Richtliniengeber. Der Auffassung von Sabatschus (Der Betrieb 1975 S. 229) vermag sich der Senat deshalb nicht anzuschließen.

Der Äußerung im Gesetzgebungsverfahren (Bundestags-Drucksache VI/2769 S. 5), die Einschränkung, die in der Berücksichtigung des Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie gegenüber dem geltenden Recht eingetreten sei, bestehe lediglich darin, daß die Kapitalherabsetzung nun nicht mehr der Kapitalerhöhung, folgen dürfe, kommt angesichts des eindeutigen objektiven Wortlauts keine Bedeutung zu. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob der nationale Gesetzgeber den bisherigen Rechtszustand (vgl. BFHE 76, 175, BStBl III 1963, 63) wegen Art. 7 Abs. 3 dar Richtlinie nicht mehr beibehalten konnte oder die Beibehaltung auf Art. 9 der Richtlinie hatte stutzen können. Die Begründung des Regierungsentwurfs muß aus Gründen der hinter dem objektiven Wortlaut des Gesetzes zurückstehen. Sie beinhaltet insoweit lediglich eine Meinungsäußerung. Dies ergibt sich aus der historischen Entwicklung. Während der Reichsfinanzhof zu § 13b KVStG 1922, der Überschuldung und Verlust am Nennkapital gleichrangig nebeneinanderstellte und außer der Erforderlichkeit der Leistung zu ihrer Deckung keine weiteren Voraussetzungen enthielt, ausgesprochen hat, daß bei Kapitalerhöhungsmaßnahmen stets Voraussetzung für die Gewährung des ermäßigten Steuersatzes eine gleichzeitige Kapitalherabsetzung sei (Urteil vom 13. Dezember 1927 I A 432/27, RFHE 22, 255), hatte der Bundesfinanzhof angesichts des Wortlauts des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1934 mit 1959 im Hinblick auf die gesonderte Aufführung der Überschuldung in Buchst. a von dieser Voraussetzung Abstand genommen (BFHE 76, 175, BStBl III 1963, 63). § 9 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 und 2 KVStG 1972 unterscheiden wiederum nicht zwischen Überschuldung und bloßem Kapitalverlust.

 

 

 

   
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