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BFH-Urteil vom 15.10.1980 (VII R 27/80) BStBl. 1981 II S. 112

Einleitende Worte des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses, die der Beruhigung der Bewerber dienen, gehören ebenso zur Prüfungszeit im Sinne des § 21 Abs. 3 DVStBerG wie die Befragung der Bewerber nach den gewählten Vortragsthemen.

DVStBerG § 10 Abs. 3, § 21 Abs. 3.

Sachverhalt

Der Kläger, Revisionsbeklagte und Anschlußrevisionskläger (Kläger) hatte in den Jahren 1975 und 1976 die Steuerbevollmächtigtenprüfung nicht bestanden. Bei seiner dritten Prüfung erhielt er für seine schriftlichen Klausurarbeiten die Durchschnittsnote 4, 33. Die am 11. Mai 1978 abgehaltene mündliche Prüfung führte ebenfalls zu einem Notendurchschnitt von 4,33. Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses bei der Beklagten, Revisionsklägerin und Anschlußrevisionsbeklagten (Oberfinanzdirektion - OFD -) eröffnete ihm daraufhin, daß er die Prüfung nicht bestanden habe.

Mit seiner Klage machte der Kläger u. a. geltend, daß die vorgeschriebene Mindestprüfungsdauer von 1/2 Stunde je Bewerber nicht eingehalten worden sei.

Das Finanzgericht Düsseldorf (FG) hob die Entscheidung des Prüfungsausschusses der OFD durch Urteil vom 31. Januar 1980 II 144/78 StB (Entscheidungen der Finanzgerichte 1980 S. 203 - EFG 1980, 203 -) auf und verpflichtete diese, die mündliche Prüfung erneut durchzuführen. Zur Begründung führte es aus, der Prüfungsausschuß habe die Mindestprüfungszeit nicht eingehalten. Nach § 21 Abs. 3 der Verordnung zur Durchführung des Steuerberatungsgesetzes (DVStBerG) solle in der Steuerbevollmächtigtenprüfung auf jeden Bewerber eine Prüfungszeit von 1/2 Stunde bis 1 Stunde entfallen. Die Mindestdauer je Prüfling sei erst erreicht, wenn die gesamte Prüfungszeit die Zeit von 1/2 Stunde, multipliziert mit der Anzahl der im Streitfall sechs Bewerber, das seien 3 Stunden, gedauert habe. Wie lange ein bestimmter Bewerber tatsächlich geprüft worden sei, lasse sich bei der in § 21 Abs. 1 DVStBerG vorgesehenen Prüfung mehrerer Kandidaten wegen der ständig wechselnden Einbeziehung verschiedener, teilweise sogar aller Kandidaten, in das Prüfungsgespräch nicht feststellen (ebenso Urteil des FG Hamburg vom 26. Januar 1972 III 44/71, EFG 1972, 261). Trotz des Charakters des § 21 Abs. 3 DVStBerG als Sollvorschrift habe die Mindestprüfungszeit nicht unterschritten werden dürfen. Sie sei hier nicht erreicht. Die Niederschrift über die mündliche Prüfung enthalte zwar die Angabe, daß diese um 14.00 Uhr begonnen und um 17.30 Uhr geendet habe und daß eine Pause von 15.50 Uhr bis 16.15 Uhr eingelegt worden sei. Die sich daraus errechnende Zeit von 3 Stunden und 5 Minuten sei jedoch nicht in vollem Umfang "Prüfungszeit" i. S. des § 21 Abs. 3 DVStBerG. Denn nach der schriftlichen Äußerung des Vorsitzenden habe dieser, nachdem der Prüfungsausschuß um 14.00 Uhr den Prüfungsraum betreten habe, einige einleitende Worte zu den Prüflingen gesprochen, um diesen über den Schock des Prüfungsbeginns hinwegzuhelfen. Außerdem habe er sie nach den gewählten Vortragsthemen gefragt. Die Prüfung habe also, wie der Kläger unwidersprochen mitgeteilt habe (Schriftsatz vom 29. September 1978), erst gegen 14.10 Uhr begonnen. Die noch verbleibende echte Prüfungszeit habe nur 2 Stunden und 55 Minuten betragen. Mit der Aufhebung der Prüfungsentscheidung sei die OFD gleichzeitig zu verpflichten gewesen (§ 100 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), den mündlichen Teil der Prüfung für den Kläger erneut durchzuführen.

Da die Klage schon aus diesem Grund Erfolg habe, brauche nicht geprüft zu werden, ob, wie der Kläger behaupte, der Grundsatz der Chancengleichheit verletzt worden sei, ob er in fachlich nicht einwandfreier Weise befragt worden sei und ob er durch das Weglassen des Schuld- und Sachenrechts nicht in allen Prüfungsgebieten geprüft worden sei.

Mit ihrer hiergegen eingelegten Revision rügt die OFD die Verletzung von Bundesrecht (insbesondere des § 158 StBerG und des § 21 Abs. 3 DVStBerG) und des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs. Zur Begründung führt sie aus, das FG habe zu Unrecht das einleitende Prüfungsgespräch nicht der Prüfungszeit hinzugerechnet.

Das FG habe den § 21 Abs. 3 DVStBerG rechtsfehlerhaft angewandt. Diese Vorschrift zwinge nicht zu der Auslegung, daß es auf die rein rechnerisch ermittelte anteilige Prüfungszeit ankomme. Es sei die tatsächliche Prüfungszeit maßgebend. Das FG sei deshalb zu Unrecht nicht auf ihren Vortrag eingegangen, daß der Kläger mehr und länger und damit auch in zeitlich ausreichendem Maße geprüft worden sei.

Die OFD beantragt, unter Aufhebung der Entscheidung des FG die Klage als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das FG hat die Prüfungsentscheidung zu Unrecht mit der Begründung aufgehoben, daß der Prüfungsausschuß die Mindestprüfungszeit nicht eingehalten habe. Nach § 21 Abs. 3 DVStBerG soll in der Steuerbevollmächtigtenprüfung auf jeden Bewerber eine Prüfungszeit von 1/2 Stunde bis 1 Stunde entfallen. Der Senat kann es im Streitfall dahingestellt sein lassen, ob diese Sollvorschrift es dem Ermessen des Prüfungsausschusses überläßt, die vorgeschriebene Mindest- und Höchstprüfungszeit einzuhalten oder ob sie dem Prüfungsausschuß nur einen eng begrenzten Raum für die Ausübung des Ermessens in dem Sinne überläßt, daß der Prüfungsausschuß nur dann von der vorgeschriebenen Prüfungszeit nach oben oder nach unten abweichen darf, wenn der Befolgung der Vorschrift ein wichtiger Grund entgegensteht, den darzutun Sache der Behörde wäre. Geht man von der letzteren, für den Kläger günstigeren Auffassung aus, so braucht der Senat auch die weitere Rechtsfrage nicht zu entscheiden, ob nach § 21 Abs. 3 DVStBerG darauf abzustellen ist, wie lange die gesamte Prüfung gedauert hat (also bei 6 Bewerbern mindestens 3 Stunden), oder unabhängig von dieser gesamten Prüfungszeit darauf, ob jedenfalls auf den die Prüfungsentscheidung anfechtenden Bewerber eine Prüfungszeit von mindestens 1/2 Stunde entfallen ist. Denn im Streitfalle hat der Prüfungsausschuß die nach Auffassung des FG zu fordernde Mindestprüfungszeit für 6 Bewerber von 3 Stunden nicht unterschritten. Er hat, wie noch auszuführen sein wird, insgesamt 3 Stunden und fünf Minuten geprüft. Teilt man diese Prüfungszeit durch die Anzahl der Bewerber, so entfallen auf den Kläger rechnerisch etwa 31 Minuten. Daß er tatsächlich weniger geprüft worden sei als die anderen Bewerber, hat er selbst nicht vorgetragen.

Das FG hat festgestellt, daß der Prüfungsausschuß um 14.00 Uhr den Prüfungsraum betreten hat, daß der Vorsitzende des Ausschusses dann einleitende Worte zu den Prüflingen gesprochen hat, um diesen über den Schock des Prüfungsbeginns hinwegzuhelfen, und daß er sie weiter nach den gewählten Vortragsthemen gefragt hat. Wie das FG weiter festgestellt hat, enthält die Niederschrift über die mündliche Prüfung vom 11. Mai 1978 die Angabe, daß die mündliche Prüfung um 14.00 Uhr begonnen und um 17.30 Uhr geendet hat und daß eine Pause von 15.50 bis 16.15 Uhr eingelegt worden ist. Daraus errechnet sich eine Gesamtprüfungszeit von 3 Stunden und 5 Minuten. Der Auffassung des FG, daß die Gesamtprüfungszeit nur 2 Stunden und 55 Minuten gedauert habe, weil die 10 Minuten beanspruchenden einleitenden Worte des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses nicht zur eigentlichen Prüfungszeit zählen, kann sich der Senat nicht anschließen. Nach § 10 Abs. 3 DVStBerG hat der Bewerber in der mündlichen Prüfung einen kurzen Vortrag zu halten. Im weiteren Verlauf der Prüfung sind an ihn Fragen aus den Prüfungsgebieten zu richten. Dem Wortlaut dieser Vorschrift ist nicht zu entnehmen, daß die mündliche Prüfung erst mit dem ersten mündlichen Vortrag eines der Bewerber beginnt. Sie beginnt vielmehr bereits in dem Augenblick, in dem der Prüfungsausschuß den Prüfungsraum betritt und das Prüfungsgespräch mit den Bewerbern beginnt. Dabei liegt es im wohlverstandenen Interesse der Bewerber, daß der Vorsitzende ihnen mit einleitenden und der Beruhigung dienenden Worten über die möglichen Schwierigkeiten des Prüfungsbeginns hinweg hilft. Solche Worte werden häufig auch während des Verlaufs der Prüfung erforderlich sein, ohne daß die dafür verwendete Zeit von der Prüfungszeit abgezogen werden müßte. Im Gegensatz zur Auffassung des FG gehört auch die Zeit, die der Vorsitzende für die Befragung der Kandidaten nach den von ihnen gewählten Vortragsthemen benötigte, zur eigentlichen mündlichen Prüfung. Denn diese Befragung steht im unmittelbaren Zusammenhang mit den sich anschließenden Vorträgen. Die Vorentscheidung war danach aus Rechtsgründen aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Ausgehend von seiner unzutreffenden Rechtsauffassung hat sich das FG nicht mit den weiteren Einwendungen des Klägers auseinandergesetzt. Das FG wird deshalb gegebenenfalls zu prüfen haben, ob die während der Prüfung eingelegte Pause, wie der Kläger vorgetragen hat, entgegen der Niederschrift über die mündliche Prüfung nicht 25 Minuten, sondern länger gedauert hat. Erforderlichenfalls wird es weiter unter Beachtung der Urteile des erkennenden Senats vom 22. Juni 1976 VII R 110/75 (BFHE 119, 364, BStBl II 1976, 735) und vom 15. März 1977 VII R 15/76 (BFHE 122, 214, BStBl II 1977, 447) auch zu klären haben, ob an den Kläger, was er bestreitet, Fragen aus sämtlichen Prüfungsgebieten gestellt worden sind.