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BFH-Urteil vom 24.7.1980 (IV R 65/77) BStBl. 1981 II S. 124

In der Fristbestimmung des § 14a Abs. 4 EStG 1971 "innerhalb von sechs Monaten nach der Veräußerung" ist unter Veräußerung die Veräußerung im bürgerlich-rechtlichen Sinne (als Fristbeginn also die Eintragung des Eigentumsübergangs im Grundbuch) zu verstehen.

EStG 1971 § 14a Abs. 4.

Sachverhalt

Der Kläger ist Landwirt; er hat mit notariellem Vertrag vom 25. Oktober 1973 Grund und Boden verkauft, der zu seinem landwirtschaftlichen Betrieb gehörte, und zwar "eine amtlich noch zu vermessende, im anliegenden Lageplan rot umrandete Teilfläche zur Größe von ca. 420 m2" (§ 1 Abs. 1 des Vertrages). Die Besitzübergabe erfolgte am 1. November 1973; ab diesem Zeitpunkt gingen auch Nutzungen und Lasten sowie die Gefahr auf die Käufer über (§ 3 des Vertrages). Als Kaufpreis wurden 23 DM pro Quadratmeter vereinbart. Ungefähr die Hälfte des Kaufpreises war bei Besitzübergabe, der Rest nach erfolgter Vermessung zu zahlen (§ 4 des Vertrages). Die Käufer zahlten am 29. Oktober 1973 einen Betrag von 5.000 DM und den Restbetrag am 13. August 1974. Der Kläger verwendete beide Beträge nach deren Eingang auf seinem Bankkonto zur Abdeckung von Schulden seines landwirtschaftlichen Betriebes. Die im Jahre 1974 erfolgte Vermessung durch das Katasteramt ergab für das veräußerte Grundstück eine Größe von 501 m2. Die Mitteilung über die Vermessung erhielt der Kläger am 18. Juli 1974.

Der Kaufvertrag bedurfte zu seiner Wirksamkeit behördlicher Genehmigungen. Die Genehmigung des Landkreises nach dem Bundesbaugesetz ging am 10. Dezember 1973, die Verzichtserklärung wegen des Vorkaufsrechtes der Gemeinde am 22. November 1973 beim Notar ein. Die Genehmigung nach § 4 Abs. 3 der Niedersächsischen Bauordnung wurde am 31. Oktober 1974, die Unbedenklichkeitsbescheinigung wegen der Grunderwerbsteuer am 23. November 1973 erteilt. Die Auflassung wurde am 1. August 1974 erklärt, die Eintragung des Eigentumsübergangs im Grundbuch erfolgte am 13. November 1974.

Bei der Einkommensteuerveranlagung für 1973 ermittelte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) den Veräußerungsgewinn aus dieser Grundstücksveräußerung mit 5.460 DM (9.660 DM abzüglich Buchwert = 10 DM pro Quadratmeter x 420 = 4.200 DM) und unterwarf ihn als Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft des Wirtschaftsjahres 1973/74 zur Hälfte der Einkommensteuer für 1973.

Mit dem Einspruch begehrte der Kläger für diesen Veräußerungsgewinn die Vergünstigung des § 14a Abs. 4 EStG, weil er den Erlös zur Tilgung betrieblicher Schulden verwandt habe. Im Einspruchsverfahren ermittelte das FA den Veräußerungsgewinn aufgrund der tatsächlich veräußerten Grundstücksfläche von 501 qm2 und des somit tatsächlich erzielten Erlöses von 11.523 DM mit 6.513 DM und gewährte nur für den anteiligen Betrag von 5.000 DM, den die Käufer am 29. Oktober 1973 gezahlt hatten, den Freibetrag nach § 14a Abs. 4 EStG. Hinsichtlich der Restzahlung von 6.523 DM im August 1974 vertrat das FA die Auffassung, die Vergünstigung könne insoweit wegen Überschreitens der Sechs-Monats-Frist nicht gewährt werden.

Mit der Klage machte der Kläger geltend, die Vergünstigung des § 14a Abs. 4 EStG sei für den gesamten Veräußerungsgewinn zu gewähren. Zeitpunkt der Veräußerung und somit des Beginns der Sechs-Monats-Frist sei grundsätzlich der Tag der Eintragung des Eigentumswechsels im Grundbuch. Überdies habe die Grundstücksgröße und damit der Kaufpreis vor der Vermessung nicht festgestanden.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat den Standpunkt, daß die Käufer mit der Besitzübergabe am 1. November 1973 unter gleichzeitigem Übergang von Nutzungen, Lasten und Gefahr und nach Zahlung der Hälfte des voraussichtlichen Kaufpreises nach dem Willen der Vertragspartner das wirtschaftliche Eigentum an dem Grundstück erlangt hätten, zumal der rechtliche Eigentumsübergang so bald wie möglich nachfolgen sollte und auch tatsächlich nachgefolgt sei. Damit habe zwar die Sechs-Monats-Frist am 1. November 1973 begonnen und mit Ablauf des Monats April 1974 geendet. Das habe jedoch nicht zur Folge, daß bei einer späteren Verwendung eines Teils des Veräußerungserlöses zur Schuldentilgung die Vergünstigung des § 14a Abs. 4 EStG nicht mehr gewährt werden könne. Die Sechs-Monats-Frist stelle keine Ausschlußfrist dar, sondern lediglich ein Tatbestandsmerkmal (so Söffing, Die Information 1972 S. 121). Es sei deshalb grundsätzlich möglich, im Einzelfall die Vergünstigung nach § 14a Abs. 4 EStG auch dann zu gewähren, wenn der Steuerpflichtige den Veräußerungspreis aus Gründen, die er nicht zu vertreten habe, ganz oder zum Teil erst nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist für einen begünstigten Zweck verwendet habe. Ein solcher Fall sei hier gegeben.

Mit der Revision beantragt das FA, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Es vertritt die Auffassung, die Sechs-Monats-Frist des § 14a Abs. 4 EStG sei eine Ausschlußfrist, die nicht verlängert werden könne.

Der Kläger hat sich zur Revision des FA nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der Kläger für den gesamten Veräußerungsgewinn aus dem Grundstücksverkauf den Freibetrag nach § 14a Abs. 4 EStG in Anspruch nehmen kann.

Nach dieser Bestimmung, die im Zusammenhang mit der Bodengewinnbesteuerung nach § 52 Abs. 5 i.V. m. § 55 EStG 1971 in das Einkommensteuergesetz aufgenommen wurde, konnte ein Steuerpflichtiger, der nach dem 30. Juni 1970 und vor dem 1. Januar 1974 Teile des zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehörenden Grund und Bodens veräußerte und den Veräußerungspreis innerhalb von sechs Monaten nach der Veräußerung zur Tilgung von Schulden des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes oder zur Abfindung weichender Erben verwendete, beantragen, daß der Veräußerungsgewinn nur insoweit zur Einkommensteuer herangezogen wird, als er den Betrag von 60.000 DM übersteigt.

Der Freibetrag wird für alle derartigen Veräußerungen innerhalb des Geltungszeitraumes der Bestimmung, der durch die Einkommensteuergesetze 1975 und 1977 bis zum 1. Januar 1979 verlängert wurde, insgesamt nur einmal gewährt.

Die Sechs-Monats-Frist für die begünstigte Verwendung, um deren Einhaltung der Rechtsstreit geht, beginnt nach dem Wortlaut des Gesetzes "nach der Veräußerung". Nach dem Schreiben des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen (BMWF) vom 29. Februar 1972 (BStBl I 1972, 102 (105)) soll das grundsätzlich der Tag sein, an dem das bürgerlich-rechtliche Eigentum auf den Erwerber übergeht, also der Tag, an dem der Eigentumswechsel im Grundbuch eingetragen wird. Das würde dem bürgerlich-rechtlichen Begriff der Veräußerung entsprechen (vgl. Staudinger/Coing, Bürgerliches Gesetzbuch, 11. Aufl. I Allg. Teil, S. 529). Das Schreiben vertritt aber darüber hinaus die Auffassung, daß in den Fällen, in denen nach dem Vertragsinhalt und seiner tatsächlichen Handhabung das wirtschaftliche Eigentum schon früher auf den Erwerber übergeht, die Sechs-Monats-Frist bereits mit dem Tag des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums zu laufen beginne; davon sind FA und FG auch im Streitfall ausgegangen.

Diese Auslegung stimmt mit der Rechtsprechung zur Gewinnverwirklichung bei Veräußerungsgeschäften bilanzierender Steuerpflichtiger überein, nach der entsprechend den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung eine Gewinnverwirklichung bereits in dem Zeitpunkt eintritt, in dem der Verkäufer seine Leistung - wirtschaftlich gesehen - im wesentlichen erfüllt hat, "nicht erst beim Eingang des Gegenwerts", d.h. bei Bezahlung des Veräußerungspreises (so Urteil des Bundesfinanzhofs vom 23. November 1967 IV 123/63, BFHE 90, 484, BStBl II 1968, 176, und Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 5 EStG Anm. 49s und t). Der Zeitpunkt der Gewinnverwirklichung nach diesem Realisationsprinzip, den FA und FG im Streitfall zutreffend in der tatsächlichen Übergabe des Grundstücks am 1. November 1973 nach vorausgegangenem notariellen Veräußerungsvertrag erblickt haben, sagt aber noch nichts darüber aus, ob der Veräußerer schon den Veräußerungspreis erhalten hat und damit über den Veräußerungserlös zum Zwecke der begünstigten Verwendung verfügen kann. Das darf für den Beginn der Sechs-Monats-Frist nicht außer Betracht bleiben. Denn eine gesetzliche Frist, innerhalb welcher ein Steuerpflichtiger einen Veräußerungspreis aus der Veräußerung von Grund und Boden in der vorgeschriebenen Weise verwenden muß, damit der Betrag nicht zur Einkommensteuer herangezogen wird, kann nach dem Sinn einer solchen Frist grundsätzlich erst ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnen, von dem ab der Veräußerer, soweit er sich an den im Wirtschaftsleben üblichen Zahlungsmodus bei Grundstücksgeschäften hält, normalerweise über den Veräußerungspreis verfügen kann. Ein früherer Fristbeginn wäre, wenn er nicht durch besondere Gründe gerechtfertigt ist, sinnlos.

Daraus ergibt sich, daß der Gesetzgeber die Frist "innerhalb von sechs Monaten nach der "Veräußerung", in der "der Veräußerungspreis zur Tilgung von Betriebsschulden oder zur Abfindung weichender Erben ... verwendet" werden muß, nicht mit der Veräußerung im bilanztechnischen Sinne, d.h. mit der Verwirklichung des Veräußerungsgewinns, beginnen lassen wollt; vielmehr kann in der Fristbestimmung "innerhalb von sechs Monaten nach der Veräußerung" als Fristbeginn nur ein Zeitpunkt gemeint sein, in dem im Grundstücksverkehr üblicherweise der gesamte Kaufpreis spätestens fällig ist und der Veräußerer regelmäßig über ihn auch verfügen kann. Dies ist der Veräußerungszeitpunkt im bürgerlich-rechtlichen Sinne. Der erkennende Senat ist daher der Auffassung, daß in dem Ausdruck "Veräußerung" als für den Regelfall geltende Bezeichnung des Beginns der Sechs-Monats-Frist die Veräußerung in bürgerlich-rechtlichem Sinne, d.h. also bei Grundstücken die Einigung und Eintragung des Eigentumsübergangs im Grundbuch (§ 873 BGB) zu verstehen ist. Denn nur der Zeitpunkt "nach der bürgerlich-rechtlichen Veräußerung", von dem ab danach die Sechs-Monats-Frist zu laufen beginnt, wird nach den obigen Ausführungen dem Sinn der gesetzlichen Frist für die vorgeschriebene Verwendung des Veräußerungserlöses gerecht. Dieser Fristbeginn schließt auch die Möglichkeit aus, durch Stundungs- und andere Vereinbarungen die Frist für die begünstigte Verwendung des Veräußerungspreises zu manipulieren, wie dies Blümich/Falk befürchten, wenn vom Standpunkt des Erlasses des BMWF vom 29. Februar 1972 abgewichen werde (vgl. Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, 11. Aufl., Anm. 3a zu § 14a EStG). Ob bei einer Bezahlung und dementsprechend auch bei einer Verwendung des Veräußerungspreises mehr als sechs Monate nach dem bürgerlich-rechtlichen Eigentumsübergang der Freibetrag nach § 14a Abs. 4 EStG in jedem Fall zu versagen ist, hat der Senat nicht zu entscheiden, da im Streitfall die begünstigte Verwendung schon vor der Eintragung des Eigentumsübergangs im Grundbuch erfolgt ist und damit der Kläger die Sechs-Monats-Frist für die Verwendung des gesamten Veräußerungsgewinns eingehalten hat.