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BFH-Urteil vom 5.11.1980 (II R 53/77) BStBl. 1981 II S. 137

Art. 1 Nr. 1 Buchst. b 2. Halbsatz des Bayerischen GrESWG, wonach der Veräußerer für das Bauvorhaben nicht mehr als die Hälfte der für die Vollendung des Bauvorhabens erforderlichen Baukosten aufgewendet haben darf, gilt nicht für solche Fälle, in denen das Grundstück zwecks bezugsfertiger Erstellung eines Gebäudes mit nicht mehr als zwei grundsteuerbegünstigten Wohnungen erworben wird.

Bayerisches GrESWG 1969 Art. 1 Nr. 1 Buchst. b.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) kauften durch notariell beurkundeten Vertrag vom 20. Mai 1974 als Miteigentümer je zur Hälfte ein Grundstück mit einem Reihenwohnhaus. Das Haus war nach dem Wortlaut des Vertrages und den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) noch nicht vollständig fertiggestellt und wurde anschließend von den Klägern selbst bezugsfertig gemacht. Die Wohnräume wurden als grundsteuerbegünstigt anerkannt.

Die beantragte Steuerbefreiung gemäß Art. 1 Nr. 1 Buchst. b des Bayerischen Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau vom 16. Juli 1969 (GrESWG) verweigerte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) mit der Begründung, die Voraussetzungen dieser Vorschrift lägen nicht vor; der Veräußerer habe mehr als die Hälfte der für die Vollendung des Bauvorhabens erforderlichen Baukosten aufgewendet. Er setzte gegen die Klägerin und den Kläger Grunderwerbsteuer fest. Die Einsprüche wies er zurück.

Die Klage wies das FG ab.

Durch Beschluß vom 15. Februar 1978 II S9/77 (BFHE 124, 248, BStBl II 1978, 271) hat der Senat die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheides ausgesetzt.

Mit ihrer Revision beantragen die Kläger, das angefochtene Urteil, die Steuerbescheide und die Einspruchsentscheidungen aufzuheben. Nach ihrer Ansicht ergibt sich die Steuerbefreiung aus Art. 1 Nr. 4 GrESWG. Sie rügen Verletzung dieser Vorschrift und der Aufklärungspflicht durch das FG. Aus der beigezogenen Bauakte ergebe sich, daß das Haus bereits am 31. Oktober 1973 bezugsfertig gewesen sei. Die von ihnen durchgeführten Arbeiten seien nur Verschönerungsarbeiten gewesen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet.

Der Vertrag vom 20. Mai 1974 unterliegt der Grunderwerbsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerberbsteuergesetzes - GrEStG -). Er ist jedoch steuerfrei. Die Steuerbefreiung ergibt sich entweder aus Art. 1 Nr. 4 oder aus Art. 1 Nr. 1 Buchst. b GrESWG.

1. Die Steuerbefreiung ergibt sich aus Art. 1 Nr. 4 GrESWG, wenn das Haus bei Abschluß des Vertrages vom 20. Mai 1974 bereits bezugsfertig war. Dann bezog der Kläger auf ein bezugsfertiges Gebäude mit nicht mehr als zwei grundsteuerbegünstigten Wohnungen. Die Auffassung und die Anträge auf Umschreibung im Grundbuch wurden am 15. Juli 1974 notariell beurkundet. Es ist nicht ersichtlich und vom FA auch nicht behauptet worden, daß die Eintragungsanträge vom Notar nicht an das Grundbuchamt weitergeleitet worden sind. Damit waren auch die Voraussetzungen des Abs. 2 des Art. 1 Nr. 4 GrESWG erfüllt.

2. Die Grunderwerbsteuerfreiheit ist dagegen nach Art. 1 Nr. 1 Buchst. b GrESWG zu gewähren, wenn das Haus bei Abschluß des Kaufvertrages noch nicht bezugsfertig war. Dann hatten die Kläger im Sinne der genannten Vorschrift ein Grundstück mit einem begonnenen Bauvorhaben zum Zwecke der bezugsfertigen Erstellung eines Gebäudes mit nicht mehr als zwei grundsteuerbegünstigten Wohnungen erworben. Zwar setzt Art. 1 Nr. 1 Buchst. b 2. Halbsatz GrESWG voraus, daß "vom Veräußerer für das Bauvorhaben nicht mehr als die Hälfte der für die Vollendung des Bauvorhabens erforderlichen Baukosten aufgewendet worden ist". Dieser Teil der Vorschrift ist jedoch im vorliegenden Fall nicht anwendbar.

a) Die Beschränkung der Steuerbefreiung auf den Erwerb solcher Grundstücke mit Wohngebäuden, für welche bisher nicht mehr als die Hälfte der gesamten erforderlichen Baukosten aufgewendet worden ist, soll erkennbar Steuerumgehungen verhindern. Art. 1 Nr. 1 Buchst. a GrESWG begünstigt zwar unter anderem den Erwerb von unbebauten Grundstücken zur Errichtung von Mietwohnhäusern, d. h. von Wohngebäuden mit mehr als zwei grundsteuerbegünstigten Wohnungen und mindestens 66 2/3 v. H. grundsteuerbegünstigter Grundfläche; der erste Erwerb von Grundstücken mit solchen fertiggestellten Gebäuden ist dagegen nicht steuerfrei. Diese gesetzliche Regelung soll nicht dadurch umgangen werden können, daß das Grundstück kurz vor der Fertigstellung des Hauses weiterveräußert wird. Der 2. Halbsatz des Art. 1 Nr. 1 Buchst. b GrESWG dient diesem Zweck. Das ergibt sich ausdrücklich aus der Begründung zu dem Änderungsgesetz vom 12. November 1958 (Gesetz- und Verordnungsblatt 1958 S. 330), durch weiches Art. 1 Nr. 1 Buchst. b GrESWG eingeführt wurde (vgl. Bayerischer Landtag, 3. Legislaturperiode, Beilage 3896 S. 6 linke Spalte oben). Danach sollte verhindert werden, "daß die Vergünstigung zu Umgehungszwecken ausgenutzt wird (z. B. ein Mietwohngrundstück, dessen Weiterveräußerung nach den Bestimmungen des GrESWG keine Steuerfreiheit genießt, dadurch steuerfrei übertragen wird, daß der Verkäufer es in fast fertiggestelltem Zustand veräußert und der Käufer lediglich noch unwesentliche Abschlußarbeiten vornimmt)". Für den vorliegenden Fall trifft dieser Gesetzeszweck nicht zu; denn bei Grundstücken mit Gebäuden, die nicht mehr als zwei grundsteuerbegünstigte Wohnungen enthalten, ist im Gegensatz zu Grundstücken mit mehr als zwei grundsteuerbegünstigten Wohnungen auch der erste Erwerb steuerfrei (Art. 1 Nr. 4).

b) Wollte man Art. 1 Nr. 1 Buchst. b GrESWG wörtlich auslegen, d. h. auch den 2. Halbsatz auf Fälle der vorliegenden Art anwenden, dann ließe sich die Vorschrift nicht in den Zusammenhang mit Art. 1 Nr. 1 Buchst. a und Art. 1 Nr. 4 GrESWG einordnen; denn dann wäre zwar der Erwerb eines unbebauten Grundstückes zur Errichtung eines Hauses mit nicht mehr als zwei grundsteuerbegünstigten Wohnungen (Art. 1 Nr. 1 Buchst. a GrESWG), der erste Erwerb eines Grundstückes mit einem solchen fertigen Gebäude (Art. 1 Nr. 4 GrESWG), nicht aber der Erwerb eines Grundstückes mit einem fast fertiggestellten Gebäude der genannten Art grunderwerbsteuerbegünstigt. Es ist kein Gesichtspunkt ersichtlich, welcher dieses Ergebnis rechtfertigen könnte. Die wörtliche Auslegung einer Vorschrift hat aber zumindest dort ihre Grenze, wo sie zuungunsten des Steuerzahlers zu sinnwidrigen Ergebnissen führt (vgl. den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Januar 1959 1 BvR 396/55, BVerfGE 9, 89,104).

3. Auf die Verfahrensrüge der Kläger kommt es unter diesen Umständen nicht an.