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BFH-Urteil vom 30.9.1980 (VIII R 13/79) BStBl. 1981 II S. 155

Unter "Beginn der Rente" in der Tabelle in § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG ist für die Ermittlung des Ertragsanteils der Zeitpunkt zu verstehen, in dem der Rentenanspruch entstanden ist. Die Verjährung einzelner Rentenansprüche beeinflußt nicht den Vomhundertsatz, der der Tabelle zu entnehmen ist.

EStG § 22 Nr. 1 Buchst. a.

Vorinstanz: FG Hamburg

Sachverhalt

Die 1907 geborene Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hat mit Wirkung vom 1. Januar 1957 den Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente aus der Angestelltenversicherung ihres 1954 verstorbenen Ehemannes erworben (Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Angestellten vom 23. Februar 1957, BGBl I 1957, 88). Der Klägerin war dies nicht bekannt. Sie stellte erst 1971 einen Antrag auf Zahlung der Rente. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) erkannte den Anspruch an. Sie stellte durch Bescheid in 1972 fest, daß der Versicherungsfall 1954 eingetreten ist, die Rente am 1. Januar 1957 begonnen hat, daß aber Leistungen bis einschließlich September 1967 wegen Verjährung nicht gewährt werden.

Die Klägerin erhielt 1972 Rentennachzahlungen und ab 1. Juni 1972 die monatlichen Rentenbezüge.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -FA-) ging bei den Steuerfestsetzungen 1972/73 von einem Ertragsanteil von 35 v.H. aus. Die Rente habe am 1. Januar 1957 zu laufen begonnen. Dieser Zeitpunkt sei maßgebend. Darauf, daß Leistungen bis einschließlich September 1967 verjährt seien, komme es nicht an.

Die Klägerin meint, der Ertragsanteil betrage 25 v.H.

Die Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat gegen seine Entscheidung -veröffentlicht in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1979 S. 332 (EFG 1979 S. 332) die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin unrichtige Anwendung des § 22 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und begehrt Herabsetzung der Einkommensteuer 1972 auf 47.184 DM und der Einkommensteuer 1973 auf 39.406 DM.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Zutreffend ist die Vorinstanz in Übereinstimmung mit den Beteiligten davon ausgegangen, daß die Hinterbliebenenrente der Klägerin eine Leibrente ist, die mit ihrem Ertragsanteil aus der Tabelle in § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG der Einkommensteuer unterliegt.

Dem bei Beginn der Rente vollendeten Lebensjahr des Rentenberechtigten ist in der Tabelle jeweils ein Vomhundertsatz zugeordnet; die Rentenzahlungen gelten in Höhe dieses Vomhundertsatzes als Ertrag des Rentenstammrechts (Ertragsanteil).

Für die Anwendung der Tabelle ist das Lebensjahr des Rentenberechtigten maßgebend, das er zu Beginn des Rentenbezugs vollendet hat, wenn die Dauer der Rente -wie hier- von seiner Lebenszeit abhängt.

Unter dem Begriff "Beginn der Rente" in der Tabelle in § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG ist für die Ermittlung des Ertragsanteils der Zeitpunkt zu verstehen, in dem der Rentenanspruch entstanden ist. Der Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist entstanden, wenn seine Voraussetzungen erfüllt sind (§ 1290 der Reichsversicherungsordnung -RVO-). Die Voraussetzungen in diesem Sinne sind die Verwirklichung des Rententatbestands und die Erfüllung der Wartezeit. Der Antrag auf Gewährung der Rente hatte, da die Klägerin kein früherer Ehegatte war, keine materiell-rechtliche Bedeutung. Ohne Einfluß auf den Begriff des Beginns der Rente ist der Zeitpunkt, zu dem der Rentenversicherungsträger die erste Zahlung leistet.

In diesem Sinne hat der Senat bereits entschieden, daß das Entstehen des Rentenanspruchs auch bei Rentennachzahlungen der für den Beginn der Rente maßgebende Zeitpunkt ist (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 26. August 1975 VIII R 93/70, BFHE 116, 547, BStBl II 1975, 884, und vom 6. August 1976 VIII R 184/72, BFHE 118, 467, BStBl II 1976, 452).

Zu Unrecht meint das FG München im Urteil vom 25. Oktober 1978 I 91/77 E - rkr. (EFG 1979, 180), es seien solche Jahre nicht einzubeziehen, für welche die Rente aus rechtlichen Gründen (z.B. wegen Verjährung des Rentenanspruchs) nicht zugeflossen sei. Es widerspräche der Systematik der Besteuerung von Überschußeinkünften, die verjährten Rentenansprüche zwar nicht der Besteuerung zu unterwerfen, sie aber bei der Berechnung des Kapitalwerts und des Ertragsanteils anzusetzen.

Das bei "Beginn der Rente" vollendete Lebensjahr des Rentenberechtigten ist zwar ein auslegbares Begriffsmerkmal. Die Berücksichtigung des Umstandes, ob die einzelnen Rentenzahlungen aus rechtlichen Gründen nicht zugeflossen sind, ist aber weder vom Wortlaut noch vom Sinn und Zweck der Leibrentenbesteuerung gemäß § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG her geboten.

Die gesetzliche Regelung in § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG beruht auf einer Reihe von vereinfachenden Annahmen, bei denen die Verhältnisse des Einzelfalles im Interesse einer praktikablen Handhabung nur in begrenztem Umfange berücksichtigt werden. Die Dauer der Leibrentenzahlungen hängt von der Lebenszeit einer Person ab und ist deshalb unbestimmt. Dieses unbestimmte Merkmal wurde für die Zwecke der Berechnung des Ertrages durch das Merkmal der voraussichtlichen Laufzeit ersetzt. Die Annahme (Fiktion) einer voraussichtlichen Laufzeit -wobei mathematisch von einer mittleren Laufzeit ausgegangen worden ist, worunter die sich aus der deutschen Sterbetafel 1949/51 für männliche Personen ergebende mittlere Lebenserwartung zu verstehen ist- setzte die Bestimmung voraus, welcher Zeitpunkt als Beginn der Laufzeit maßgebend sein sollte. Unter der weiteren Annahme, die Leibrente werde vorschüssig gezahlt, wurde das bei Beginn der Rente vollendete Lebensjahr des Rentenberechtigten als maßgebend bestimmt. Dabei war dem Gesetzgeber klar, daß der durch diese Daten ermittelte durchschnittlich jährliche Zinsanteil, der danach als Ertrag des Rentenstammrechts anzusetzen war, alle nicht für maßgeblich bestimmten Merkmale außer acht ließ (vgl. Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954, Bundestags-Drucksache Nr. II/481 S. 85 ff., 87). Aus dieser Erkenntnis sah der Gesetzgeber in § 22 Nr. 1 Buchst. a letzter Satz EStG vor, in welchen Fällen die "Ertragsanteilsermittlung" durch eine Rechtsverordnung bestimmt werden sollte. Weder das Gesetz noch § 55 der Einkommensteuer- Durchführungsverordnung (EStDV) beziehen in die "Ertragsanteilsberechnung" Verhältnisse ein wie die, ob der Anspruch auf die einzelnen Rentenzahlungen geltend gemacht wird, ob die einzelnen Rentenansprüche tatsächlich geleistet werden, ob auf sie zeitweise verzichtet wird und dergleichen mehr. Denn alle diese Verhältnisse haben keinen Einfluß auf das Entstehen der Anspruchsgrundlage -also das Entstehen des Rentenstammrechts- und damit auf seinen abstrakt für maßgeblich bestimmten Wert. Das kommt -wenn auch unvollkommen- in der Überschrift der Tabelle durch die Worte "bei Beginn der Rente" zum Ausdruck; denn dort sind nicht die Worte gewählt "bei Beginn der Rentenzahlungen".

Wollte man anders entscheiden, käme allen Streitpunkten, die den "tatsächlichen" Beginn der einzelnen Rentenzahlungen beeinflussen, Bedeutung für die Ermittlung des in den Tabellen von § 22 EStG und § 55 EStDV enthaltenen maßgeblichen Vomhundertsatzes zu.

Die Verjährung ist -wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat- ein nachträglicher Erlöschensgrund für die einzelne Rentenzahlung (§ 29 Abs. 3 RVO). Die Verjährung einzelner Rentenansprüche beeinflußt daher nicht den Wert des Rentenstammrechts und daher auch nicht den Vomhundertsatz, der der Tabelle zu entnehmen ist.