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BFH-Urteil vom 20.11.1980 (IV R 81/77) BStBl. 1981 II S. 223

Der Mindestkredit, der im Rahmen eines Kontokorrentkreditverhältnisses bei einer Bank in Anspruch genommen wird, verliert den Charakter einer Dauerschuld i. S. des § 8 Nr. 1 GewStG nicht dadurch, daß der Kontokorrentkredit einmal im Jahr vorübergehend mit den Valuten eines bei einer anderen Bank nur zu diesem Zweck aufgenommenen Darlehens abgedeckt wird (Anschluß an BFH-Urteil vom 4. August 1977 IV R 57/74, BFHE 123, 50, BStBl II 1977, 843).

GewStG § 8 Nr. 1; AO 1977 § 42.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) nahm im Streitjahr bei der S-Bank einen Kontokorrentkredit in Anspruch. Das Konto wies ständig - mit Ausnahme der Zeit vom 19. bis 29. November 1973 - einen hohen Schuldsaldo auf. Der Kontokorrentkredit war durch Grundpfandrechte gesichert. Der Mindestkredit betrug 1.386.000 DM. Es wurden 9 v.H. Jahreszinsen entrichtet.

Für die Zeit vom 19. bis 29. November 1973 nahm die Klägerin bei der B-Bank einen Kredit über 1.500.000 DM auf. Als Sicherheit dafür dienten Wertpapiere im Wert von 1.948.233 DM, die einer Kommanditistin der Klägerin gehörten. Die Darlehensvaluta wurden auf das Kontokorrentkonto bei der S-Bank überwiesen und am 30. November 1973 von der S-Bank an die B-Bank zurückgezahlt.

Nach einer Betriebsprüfung setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) bei der Ermittlung der dem Gewinn aus Gewerbebetrieb hinzuzurechnenden Dauerschulden u.a. Zinsen von 124.740 DM für den Kontokorrentkredit an. Das FA ist der Ansicht, die Rückführung des Kontokorrentkredits für 11 Tage habe nicht dessen Charakter als Dauerschuld beseitigt, da dafür - von der Absicht der Steuerersparnis abgesehen - wirtschaftlich vernünftige Gründe nicht vorlägen. Das FA stützt sich insoweit auf ein Schreiben der Klägerin an die S-Bank, das folgenden Wortlaut hat:

Wir nehmen höfl. Bezug auf die mit Ihnen geführten Gespräche und möchten die getroffene Vereinbarung wie folgt festhalten:

Mit Wertstellung vom 19. 11. 1973 haben wir der S-Bank durch die B-Bank DM 1,5 Mill. überwiesen.

Dieser Betrag steht uns bis zum 29. 11. 1973 zur Verfügung und soll dazu dienen, daß wir für das Jahr 1973 unsere Dauerschuld bei Ihnen unterbrechen. Es wurde uns von Ihnen versichert, daß mit Wertstellung vom 29. 11. dieser Betrag von 1,5 Mill. an die B-Bank zurücküberwiesen wird.

Wir werden dafür Sorge tragen, daß in der Zeit vom 19. bis 29. 11. 73 auf unserem vorstehenden Konto keine Krediteinräumung erscheint.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit seiner in Entscheidung der Finanzgerichte 1977 S. 390 (EFG 1977, 390) veröffentlichten Entscheidung ab.

Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin vor, die Aufnahme eines kurzfristigen Darlehens, um damit einen Kontokorrentkredit für 11 Tage auszugleichen, stelle keinen Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts dar. Das habe das FG München mit Urteil vom 28. Oktober 1975 II (VII) 109/70 (EFG 1976, 199) zutreffend entschieden. Wenn - wie der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung entschieden habe (Urteile vom 12. Juni 1968 I 278/63, BFHE 93, 154, BStBl II 1968, 715; vom 16. Januar 1974 I R 254/70, BFHE 111, 425, BStBl II 1974, 388; vom 6. Juni 1973 I R 257/70, BFHE 109, 465, BStBl II 1973, 670) - grundsätzlich nicht von der Einheit sämtlicher Kreditverhältnisse eines Steuerpflichtigen auszugehen sei, könne es für die Frage eines Gestaltungsmißbrauchs i. S. des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) entgegen dem Urteil des IV. Senats vom 4. August 1977 IV R 57/74 (BFHE 123, 50, BStBl II 1977, 843) keinen Unterschied bedeuten, ob der Kredit durch die Ansammlung eingehender Zahlungen auf einem Kontokorrentkonto bei gleichzeitiger Erhöhung des Schuldsaldos auf einem anderen Kontokorrentkonto zeitweilig abgedeckt werde - wie der I. Senat im Urteil in BFHE 111, 425, BStBl II 1974, 388 für unschädlich erachtet habe - oder ob der Kontokorrentkredit durch die Aufnahme eines Bankdarlehens unterbrochen werde, was der IV. Senat im Urteil in BFHE 123, 50, BStBl II 1977, 843 als mißbräuchlich gewertet habe; denn in beiden Fällen bleibe der Schuldenstand des Unternehmens gleich, wenn man auf die Summe der in Anspruch genommenen Kredite abstelle. - In dem Urteil in BFHE 123, 50, BStBl II 1977, 843 scheine der IV. Senat die Frage der Unangemessenheit der Maßnahme mit davon abhängig zu sehen, daß in dem dort entschiedenen Fall für die vorübergehende Schaffung eines Guthabens auf dem laufenden Kontokorrentkonto keine eigenen Mittel eingesetzt worden seien. Das sei im Streitfall anders; denn sie, die Klägerin, habe ein Wertpapierdepot mit einem Wert in Höhe des unterbrochenen Kredits ihrem Gewerbebetrieb als zusätzlichen Vermögenswert zur Verfügung gestellt. - Die Aufnahme des Darlehens bei der B-Bank habe entgegen der Auffassung des FG sehr wohl der Verbesserung der Kreditbedingungen gedient. Durch die darin liegende Demonstration der Möglichkeit, sich auch anderweitig Kredit zu beschaffen, sei ihre Position der S-Bank gegenüber gefestigt worden. Es könne nicht verlangt werden, daß sie angesichts der Abhängigkeit eines jeden Unternehmens von einem guten Verhältnis zu der jeweiligen Hausbank bei geringfügigen Zinsdifferenzen die Bankverbindung wechsle.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und unter Abänderung des Gewerbesteuermeßbetrages die Dauerschuldzinsen in Höhe von 124.740 DM nicht dem Gewerbeertrag hinzuzurechnen.

Entscheidungsgründe

Das FA hat der Revision widersprochen.

Die Revision ist nicht begründet. Zu Recht hat das FG die Hinzurechnung der Zinsen für den Mindestschuldbetrag des Kontokorrentkredits als Dauerschuldzinsen nach § 8 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) angesehen. Die Unterbrechung der Kreditaufnahme unter Verwendung der Valuta eines nur zu diesem Zweck bei einer anderen Bank aufgenommenen weiteren Kredits stellt einen Gestaltungsmißbrauch i. S. des § 6 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) bzw. § 42 AO 1977 dar.

1. Nach der zur Auslegung des § 8 Nr. 1 und des § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG ergangenen Rechtsprechung sind Verbindlichkeiten entsprechend dem Grundsatz der Einzelbewertung im Bilanzsteuerrecht (§ 6 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) auch bei der Ermittlung des Gewerbeertrages und des Gewerbekapitals einzeln zu bewerten (BFHE 93, 154, BStBl II 1968, 715, mit weiteren Nachweisen). Diesen Grundsatz hat der BFH in ständiger Rechtsprechung auch bei der Beurteilung von Kontokorrentschuldverhältnissen für maßgeblich erachtet (BFHE 111, 425, BStBl II 1974, 388; BFHE 123, 50, BStBl II 1977, 843). Der BFH hat weiter entschieden, daß einzelne Schulden, die im laufenden Geschäftsverkehr begründet werden und daher nicht der dauernden Betriebsmittelverstärkung dienen, keine Dauerschulden sind (Urteil vom 11. August 1959 I 197/57 S, BFHE 69, 447, BStBl III 1959, 428).

Kontokorrentschulden sind aber dann nicht als solche laufenden Schulden zu behandeln, wenn aus den Umständen der Kreditgewährung geschlossen werden muß, daß trotz der äußeren Form des Kontokorrentverkehrs, der an sich auf die Abwicklung einzelner Geschäftsvorteile hinweist, ein bestimmter Mindestkredit dem Unternehmen dauernd gewidmet werden soll; denn in diesem Fall ist der Mindestbetrag der Schuld als dauernde Verstärkung des Betriebskapitals anzusehen. Dabei ist für die Ermittlung des als Dauerschuld in Betracht kommenden Mindestbetrages der Schuld von dem niedrigsten Schuldenstand auszugehen, der während einer nicht nur ganz kurzen Zeit, also nicht nur während weniger Tage, bestanden hat (vgl. die in Abschn. 47 Abs. 8 der Gewerbesteuer-Richtlinien - GewStR - aufgeführte höchstrichterliche Rechtsprechung).

Der Grundsatz, daß verschiedene (Kontokorrent-) Kredite als selbständige Schuldverhältnisse zu behandeln sind, erleidet bei der Prüfung, ob Dauerschulden vorliegen, unter bestimmten Umständen eine Ausnahme. Dazu hat der BFH ausgeführt (Urteile vom 31. Juli 1962 I 255/61 U, BFHE 75, 751, BStBl III 1962, 540; BFHE 109, 465, BStBl II 1973, 670), es reiche für eine Zusammenfassung bei einer Bank unterhaltener Konten nicht aus, wenn der Zusammenhang der einzelnen Rechtsgeschäfte (nur) in den für ihr Zustandekommen maßgeblichen Motiven zu finden sei, wenn aber die Salden nicht von Zeit zu Zeit tatsächlich verrechnet worden seien. Würden bei verschiedenen Banken Kontokorrentkredite unterhalten, so könnten diese auch bei einer am Gesetzeszweck des § 8 Nr. 1 und des § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG orientierten wirtschaftlichen Betrachtungsweise - nämlich die objektive Wirtschaftskraft eines Unternehmens zu erfassen - nicht entgegen ihrer durch die Verschiedenheit von Gläubiger und Schuldner gekennzeichneten Individualisierung als einheitliche Schuldverhältnisse aufgefaßt werden; dies sei jedoch ausnahmsweise dann möglich, wenn die Bedingungen, nach denen ein Kredit abzuwickeln sei, durch ein Zusammenwirken der Kreditgeber zustande gekommen seien (BFHE 111, 425, BStBl II 1974, 388).

Diese Grundsätze besagen indes nicht, daß, abgesehen von den Fällen des Zusammenwirkens der beteiligten Banken, eine Steuerumgehung i. S. des § 6 StAnpG bzw. § 42 AO 1977 nicht auch durch einseitige Gestaltung seitens des Kreditnehmers herbeigeführt werden könnte. Das ist dann anzunehmen, wenn der Kreditnehmer einen wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Kreditschuldverhältnissen einseitig dadurch herstellt, daß er einen kurzfristigen Kredit zur Unterbrechung eines anderen langfristigen Kredites aufnimmt, und wenn die Maßnahme des Schuldners nur dem Zweck dient, der durch eine Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 bzw. § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG eintretenden Steuerbelastungen zu entgehen. Demgemäß hat der erkennende Senat im Urteil BFHE 123, 50, BStBl II 1977, 843 entschieden, dem Mindestkredit eines Kontokorrentkreditverhältnisses mit einer Bank werde der Charakter einer Dauerschuld nicht dadurch genommen, daß der Kontokorrentkredit jeweils für zwei bis drei Wochen im Jahr durch Aufnahme eines entsprechenden Kredites bei einer anderen Bank abgedeckt werde. Entscheidend für die Annahme einer Steuerumgehung war dabei für den Senat, daß der Schuldner zum gelegentlichen Ausgleich des Kontokorrentkredits aus eigenen Betriebsmitteln nicht in der Lage war.

2. Im Streitfall war es gerechtfertigt, die umstrittenen Zinsen als Dauerschuldzinsen gemäß § 8 Nr. 1 GewStG i.V. m. § 6 Abs. 2 StAnpG bzw. § 42 Satz 2 AO 1977 anzusetzen. Eigene Mittel hat die Klägerin bei der Aufnahme des Kredits bei der B-Bank nicht eingesetzt. Als solche kommen die von der Kommanditisten zur Verfügung gestellten Wertpapiere nicht in Betracht; denn eine Verwendung eigener Mittel liegt nur vor, wenn - wie im Falle BFHE 111, 425, BStBl II 1974, 388 - eigene liquide Mittel (Geld oder fällige Forderungen) zum Ausgleich des Schuldkontos eingesetzt werden. Die Aufnahme eines - gesicherten oder ungesicherten - Kredits ändert - entgegen dem rechtskräftig gewordenen Urteil des FG München (EFG 1976, 199) - dagegen nichts daran, daß der der dauernden Betriebsmittelverstärkung dienende Kontokorrentkredit durch die Verwendung des anderweitig beschafften Zwischenkredits nur zum Zwecke der Steuerersparnis verhältnismäßig kurze Zeit unterbrochen worden ist.

Demgegenüber kann das Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat, jeder Steuerpflichtige könne sein Verhalten frei bestimmen und eine angemessene formelle Gestaltung wählen, nicht überzeugen. Durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten kann das Steuergesetz nicht umgegangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht (§ 6 StAnpG, § 42 AO 1977). Ein solcher Rechtsmißbrauch liegt unter anderem vor, wenn eine Gestaltung gewählt wird, die, gemessen an dem erstrebten Ziel, unangemessen, also ungewöhnlich ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (BFH-Urteil vom 4. August 1977 IV R 57/74, BFHE 123, 50, BStBl II 1977, 843, m. w. N.). Nach den Feststellungen des FG (s. das oben wiedergegebene Schreiben der Klägerin an die S-Bank) sollte die vorübergehende Kreditaufnahme dazu dienen, für das Jahr 1973 die Dauerschuld zu unterbrechen. Danach war die Kreditaufnahme, gegenüber dem Ausschöpfen des Kontokorrentkredits, nicht mehr angemessen.

Zu Recht hat das FG auch das Vorbringen der Klägerin als nicht entscheidend gewürdigt, die kurzfristige Kreditaufnahme bei der B-Bank habe der Demonstration der Kreditfähigkeit und damit der Erzielung günstiger Kreditkonditionen gedient. Wie die Klägerin in ihrem im Revisionsverfahren eingereichten Schriftsatz vom 10. August 1978 selbst ausgeführt hat, entspricht es nicht den Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs eines Industrieunternehmens mit seiner Hausbank, wegen geringfügiger Unterschiede in den Kreditbedingungen einen Wechsel der Hausbank vorzunehmen. Damit aber erweist sich das von der Klägerin vorgetragene Argument als nicht überzeugend.