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BFH-Urteil vom 11.2.1981 (II R 106/79) BStBl. 1981 II S. 380

§ 8 des Nordrhein-Westfälischen GrEStG i. d. F. vom 12. Juli 1970 verstößt nicht deshalb gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil er die Steuervergünstigung auf den Grundstückserwerb mit Hilfe solcher Kapitalabfindungen beschränkt, die nach den Vorschriften des Bundesversorungsgesetzes gewahrt werden.

GrEStG NW 1970 § 8.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist infolge eines Arbeitsunfalles zu 100 % in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Er und seine Ehefrau erwarben 1975 zu je 1/2 ein Grundstück mit aufstehendem Wohnhaus. Sie beantragten Befreiung von der Grunderwerbsteuer "gemäß § 8 des Grunderwerbsteuergesetzes, in Verbindung mit § 607 RVO" und legten die Fotokopie eines Bescheides der Berufsgenossenschaft vor, wonach dem Kläger gemäß den §§ 607 bis 612 und 1583 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zum Kauf des genannten Grundstücks eine teilweise Abfindung der bisher gewährten Dauerrente gezahlt wurde.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte Grunderwerbsteuer fest. Den Antrag auf Steuerbefreiung lehnte das FA ab; die Kapitalabfindung sei nicht, wie § 8 des Nordrhein-Westfälischen Grunderwerbsteuergesetzes i. d. F. vom 12. Juli 1970 - GrEStG 1970 - (Gesetz- und Verordnungsblatt Nordrhein-Westfalen 1970 S. 612 - GVBl NW 1970, 612) voraussetze, nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) oder einer Rechtsvorschrift gewährt worden, in der die Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes über die Gewährung einer Kapitalabfindung für entsprechend anwendbar erklärt sind.

Der Einspruch wurde zurückgewiesen, nachdem die Berufsgenossenschaft dem FA auf Anfrage geantwortet hatte, die Voraussetzungen und das Verfahren über die Abfindung von Unfallrenten zum Erwerb von Grundbesitz seien in den bezeichneten Vorschriften der Reichsversicherungsordnung abschließend geregelt. Es werde dort nicht auf die Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes verwiesen.

Die Klage wies das Finanzgericht (FG) ab.

§ 8 GrEStG 1970 begünstige nach seinem eindeutigen Wortlaut nicht den Grundstückserwerb mit Hilfe einer Kapitalabfindung, die nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung gewährt werde. Der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) sei dadurch nicht verletzt. Er verbiete nur eine willkürliche Differenzierung. Der Kreis der begünstigten Personen sei in § 8 GrEStG 1970 aber nicht willkürlich abgegrenzt. Vielmehr habe der Gesetzgeber hier Personen begünstigt, die auf Verlangen des Staates unmittelbar für die Allgemeinheit hätten Opfer bringen müssen.

Eine verfassungskonforme Auslegung des § 8 GrEStG 1970 scheitere überdies daran, daß der Wortlaut dieser Vorschrift eindeutig und nicht auslegungsfähig sei.

Das Urteil des FG ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1979 S. 565 (EFG 1979, 565) veröffentlicht.

Entscheidungsgründe

II.

Die vom FG zugelassene Revision der Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO). Das angefochtene Urteil läßt keine Rechtsverletzung erkennen.

§ 8 GrEStG 1970 verstößt nicht gegen Art. 3 GG.

Die vorgenannte Vorschrift beschränkt die Steuerbegünstigung auf solche Personen, die entweder unmittelbar aufgrund des Bundesversorgungsgesetzes bzw. In entsprechender Anwendung dieses Gesetzes einen Anspruch auf Kapitalabfindung haben oder deren Rentenanspruch gemäß § 65 BVG ruht. Für diese Beschränkung gibt es sachlich einleuchtende Gründe. Sie beruht auf der Erwägung, daß der Staat zur Wiedergutmachung des durch die frühere Staatsgewalt verursachten Schadens verpflichtet sei (vgl. dazu den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 12. Oktober 1977 1 BvR 243/77, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1977 S. 585 - HFR 1977, 585-, und das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Juli 1977 II R 149/76, BFHE 123, 66, BStBl II 1977, 849). Das gleiche gilt für bestimmte Hinterbliebene der geschädigten Personen. Allerdings haben solche Gründe keinen "Ewigkeitswert". Sie sind daher dem Wandel der Anschauungen unterworfen. Mit wachsendem Abstand zum zweiten Weltkrieg ist in den 70er Jahren die Tendenz erkennbar geworden, den Staat zur Fürsorge für alle Körperbehinderten ohne Rücksicht auf die Ursache der Behinderung zu verpflichten (vgl. dazu das BFH-Urteil vom 15. Januar 1975 II R 152/72, BFHE 114, 449, BStBl II 1975, 274). Einen ersten Ansatz zur Verwirklichung dieser Tendenz enthält das Gesetz zur Weiterentwicklung des Schwerbeschädigtenrechts vom 24. April 1974 (BGBl I 1974, 981), durch welches u. a. das bisherige Schwerbeschädigtengesetz in "Schwerbehindertengesetz" umbenannt wurde. Das letztgenannte Gesetz stellt nicht mehr auf die Ursache der Behinderung ab. Später folgte das Gesetz über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr vom 9. Juli 1979 (BGBl I 1979, 989), welches den Kreis der unentgeltlich zu befördernden Personen gegenüber dem bis dahin geltenden Gesetz über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten sowie von anderen Behinderten im Nahverkehr vom 27. August 1965 (BGBl I 1965, 978) auf alle gehbehinderten Personen ohne Rücksicht auf die Ursache der Behinderung ausdehnte. Auf dem Gebiet der Verkehrsteuern brachte das Kraftfahrzeugsteuergesetz i. d. F. vom 1. Februar 1979- KraftStG 1979-(BGBl I 1979, 132) eine ähnliche Änderung. Jetzt können nach § 3 Nr. 11 dieses Gesetzes gehbehinderte Personen ohne Rücksicht auf die Ursache ihrer Behinderung und ihre wirtschaftlichen Verhältnisse einen PKW oder ein Kraftrad steuerfrei halten, nach dem bis dahin geltenden Recht (zuletzt § 3 Abs. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes i. d. F. vom 1. Dezember 1972 - KraftStG 1972 -) waren die wirtschaftlichen Verhältnisse unberücksichtigt zu lassen nur bei "Schwerbeschädigten i. S. des Bundesversorgungsgesetzes und Personen, die den Körperschaden infolge nationalsozialistischer Verfolgungs- oder Unterdrückungsmaßnahmen aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen erlitten haben".

Ob die bezeichnete Tendenz Anlaß sein kann die Steuervergünstigung des § 8 GrEStG 1970 in dem vom Kläger erstrebten Umfang zu erweitern, ist allein den gesetzgebenden Körperschaften vorbehalten (Art. 20 Abs. 3 GG). Ihnen liegt der Entwurf eines neuen Grunderwerbsteuergesetzes bereits vor (Bundesrats-Drucksache 585/80). Er sieht allerdings keine Erweiterung der Steuervergünstigung, sondern deren Aufhebung bei gleichzeitiger Senkung des Steuersatzes vor. Sein Ziel ist es, das Übermaß an Steuerbefreiungen zu beseitigen und dadurch das Grunderwerbsteuerrecht zu vereinfachen.