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BFH-Urteil vom 31.3.1981 (VII R 1/79) BStBl. 1981 II S. 507

Die Änderung eines bestandskräftigen Verbrauchsteuerbescheides zugunsten des Steuerpflichtigen steht im Ermessen des HZA. Die Ablehnung der Änderung ist im Regelfall nicht ermessensfehlerhaft, wenn der Steuerpflichtige in der Lage war, die für die Berichtigung vorgebrachten Gründe im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Abgabenbescheid geltend zu machen. Mit dieser Begründung kann das HZA die Berichtigung nur dann nicht ablehnen, wenn vom Steuerpflichtigen die Anstrengung eines Rechtsbehelfsverfahrens unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles billigerweise nicht erwartet werden konnte.

AO 1977 §§ 5, 172 Abs. 1 Nr. 1; AO § 94 Abs. 1 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Hamburg

Sachverhalt

Streitig ist, ob die Klägerin einen Rechtsanspruch darauf hat, daß das HZA bestandskräftige Verbrauchsteuerbescheide des Jahres 1975 zu ihren Gunsten ändert, weil sie nicht im Einklang mit Gemeinschaftsrecht standen. Das FG Hamburg wies die Klage ab (Urteil vom 30. Oktober 1978 IV 41/77 S-H, EFG 1979, 239).

Entscheidungsgründe

Die Revision hatte keinen Erfolg.

1. Das FG hat § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 richtig angewendet.

a) Die genannte Bestimmung ist hier anstatt der entsprechenden Vorschriften der Reichsabgabenordnung anzuwenden. Das ergibt sich aus Art. 97 § 9 EGAO 1977. Danach sind die Vorschriften der neuen Abgabenordnung über die Änderung von Verwaltungsakten erstmals anzuwenden, wenn nach dem 31. Dezember 1976 ein Verwaltungsakt aufgehoben oder geändert wird; dies gilt auch dann, wenn der aufzuhebende oder zu ändernde Verwaltungsakt vor dem 1. Januar 1977 erlassen worden ist. Die zu ändernden Verwaltungsakte sind zwar vor dem 1. Januar 1977 erlassen worden; die letzte Verwaltungsentscheidung über die Ablehnung der Änderung ist aber danach ergangen.

b) Nach § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO l977 darf die Verwaltungsbehörde Steuerbescheide über Zölle und Verbrauchsteuern uneingeschränkt aufheben oder ändern. Zwar besagt der Ausdruck "darf" für sich genommen nur, daß der Verwaltung eine entsprechende rechtliche Befugnis zugestanden wird. Aus dem Zusammenhang und nach der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung (vgl. auch § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO) ist aber mit dem FG und der insoweit nahezu einhelligen Auffassung des Schrifttums davon auszugehen, daß § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 der Verwaltung eine Ermächtigung gibt, von der sie nach ihrem Ermessen Gebrauch machen kann. (vgl. Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, 10. Aufl., § 172 AO 1977 RdNr. 4; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 172 AO 1977 RdNr. 8; Koch Abgabenordnung, 2. Aufl., § 172 RdNr. 10, Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 172 AO 1977 Anm. 2, ständige Rechtsprechung des BFH zum fast wortgleichen § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO, z. B. Urteil des erkennenden Senats vom 24. April 1979 VII R 82/75, BFHE 127, 559, 563). Die Gerichte können danach nur prüfen, ob die Ablehnung des Berichtigungsantrages des Steuerpflichtigen durch die Behörden rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 102 FGO, § 5 AO 1977).

c) Ein Ermessensfehler läge sicherlich dann vor, wenn das HZA die Reichweite seines Ermessens irrtümlich zu eng eingeschätzt hätte oder gar der Meinung gewesen wäre, es stünde ihm ein Ermessensspielraum nicht zur Verfügung (BFH-Urteil vom 6. Juli 1976 VII R 98/73, BFHE 120, 2, 5). Das FG hat das Vorliegen eines solchen Falles der Ermessensunterschreitung offenbar verneint, ohne das freilich zu begründen. Dem ist zu folgen. Zumindest aus der letzten Verwaltungsentscheidung, der Einspruchsentscheidung vom 14. April 1977, geht deutlich hervor, daß sich die Verwaltung des ihr eingeräumten Ermessensspielraumes bewußt war, also Ermessen tatsächlich ausübte. Überdies ist die Verwaltung nicht verpflichtet, in der Begründung ihrer Ermessensentscheidung alle Erwägungen darzulegen, die sie ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat (BFHE 120, 5).

d) Die Verwaltung hat ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben (§ 5 AO 1977). Der Ermächtigung des § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 liegt die Erwägung zugrunde, daß Zoll- und Verbrauchsteuerbescheide wegen des Interesses an einer schnellen Abfertigung regelmäßig in einem summarischen Verfahren ohne eingehende Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen und ohne genaue Prüfung der Rechtslage oft von untergeordneten Stellen erlassen werden und daher im Interesse der richtigen Erhebung der Eingangsabgaben und der Wahrung der Wettbewerbsgleichheit ein erhöhtes Bedürfnis dafür besteht, sie bei Fehlerhaftigkeit nachträglich korrigieren zu können, und zwar sowohl zugunsten als auch zuungunsten des Steuerpflichtigen. § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gibt daher und auch wegen der nur einjährigen Festsetzungsfrist bei diesen Bescheiden (§ 169 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977) der Verwaltung unter entsprechender Einschränkung des Grundsatzes der Bestandskraft der Bescheide die Ermächtigung, nach ihrem Ermessen eine solche Berichtigung vorzunehmen. Nicht aber ist Zweck dieser Vorschrift, dem Steuerpflichtigen einen zweiten, an keine Rechtsbehelfsfristen gebundenen Rechtsanspruch auf Nachprüfung der Zoll- und Verbrauchsteuerbescheide einzuräumen. § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 will nicht die Vorschriften der Abgabenordnung über das Rechtsbehelfsverfahren - insbesondere den § 355 (Rechtsbehelfsfrist) - für die Zölle und Verbrauchsteuern durch eine großzügigere Regelung grundsätzlich überflüssig machen.

Diesem Zweck der Vorschrift entsprechend ist nach § 5 AO 1977 der der Verwaltung eingeräumte Ermessensrahmen zu ziehen. Die Verwaltung darf von ihrem Berichtigungsermessen nur in einem Maße Gebrauch machen, das den Vorrang der Regelung über das Rechtsbehelfsverfahren nicht in Frage stellt. Deshalb stellt es im Regelfall keinen Ermessensverstoß dar, wenn die Verwaltung den Antrag eines Steuerpflichtigen auf Berichtigung eines bestandskräftigen Zoll- oder Verbrauchsteuerbescheides für den Fall ablehnt, daß der Steuerpflichtige in der Lage war, die Fehlerhaftigkeit des Bescheids in einem Rechtsbehelfsverfahren geltend zu machen. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Wenn vom Steuerpflichtigen die Durchführung eines Rechtsbehelfsverfahrens bei Berücksichtigung aller Umstände des Falles billigerweise nicht erwartet werden konnte, liegt ein Ausnahmefall vor.

Diese Rechtsgrundsätze hat der erkennende Senat zu § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO entwickelt und in ständiger Rechtsprechung beibehalten (vgl. BFHE 120, 2 und BFHE 127, 559, 562, jeweils mit weiteren Nachweisen). Diese Vorschrift entspricht beinahe wörtlich der Regelung des § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977. Auf diese sind daher die genannten Grundsätze ohne Abstriche anwendbar; dabei kann zunächst die Frage unerörtert bleiben, ob im Hinblick auf die Regelung des § 173 AO 1977 auch bei Zoll- und Verbrauchsteuerbescheiden nunmehr ein Rechtsanspruch auf Berichtigung wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel gegeben ist.

Die Richtigkeit dieser Auffassung belegt die Entstehungsgeschichte des § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977. Sie war bereits im ursprünglichen Regierungsentwurf enthalten (damals § 153 Abs. 1 Nr. 1). Die Begründung der Bundesregierung dazu (Bundestags-Drucksache VI/1982 S. 152) wiederholt die oben geschilderten, vom BFH entwickelten Grundsätze, obwohl diese nicht auf ungeteilte Zustimmung gestoßen waren. Förster (in Koch, a. a. O., § 172 Anm. 9) berichtet, daß während der parlamentarischen Beratung dieser Bestimmung erwogen worden sei, im Interesse des Steuerpflichtigen die Zoll- und Verbrauchsteuerbescheide den gleichen Regelungen wie die übrigen Steuerbescheide zu unterwerfen, daß man es jedoch mit Rücksicht auf die oben geschilderten Besonderheiten der Zoll- und Verbrauchsteuerbescheide bei der bisherigen freien Abänderbarkeit belassen habe. Aus der Tatsache, daß der Gesetzgeber die Regelung des § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO beinahe unverändert in die Abgabenordnung in Kenntnis der spezifischen Auslegung übernommen hat, die diese Bestimmung durch die Rechtsprechung erfahren hatte, spricht dafür, daß der Gesetzgeber diese Rechtsprechungsgrundsätze bestätigen wollte. Anderenfalls hätte der Gesetzgeber allen Anlaß gehabt, seine andere Auffassung durch eine klarstellende Änderung des Wortlautes der Bestimmungen deutlich zu machen.

Diese Auffassung wird im Ergebnis vom Schrifttum fast einhellig geteilt (Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., Rdnrn. 8-11; Koch, a.a.O., RdNr. 12; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, Kommentar, 2. Aufl., § 172 Anm. 3). Tipke/Kruse (a. a. O., RdNr. 4 zweitletzter Absatz) vertreten dagegen die Auffassung, die Schwächen des summarischen Eilverfahrens habe der Staat zu vertreten, weswegen auf Antrag des Steuerpflichtigen auch zu seinen Gunsten der Bescheid ohne Rücksicht auf die Bestandskraft zu ändern sei, falls nicht dem Steuerpflichtigen ein grobes Verschulden daran trifft, daß der Bescheid fehlerhaft ergangen sei. Tipke/Kruse kehren damit verglichen mit den oben dargelegten Grundsätzen - das Verhältnis Regel zur Ausnahme um. Dem ist nicht nur deswegen nicht zu folgen , weil die Vorschrift des § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, wie oben ausgeführt, einen so weitgehenden Einbruch in das Rechtsbehelfsverfahren der Abgabenordnung nicht zum Ziele hatte. Es ist auch nicht angemessen, den von einem Zoll- oder Verbrauchsteuerbescheid Betroffenen fast uneingeschränkt von der andere Steuerpflichtige treffenden Pflicht freizustellen, zur Wahrung des eigenen Interesses innerhalb der Rechtsbehelfsfrist einen Steuerbescheid auf seine Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Gerade der Umstand, daß die den Verkehrs- und Handelsbedürfnissen gerechtwerdende schnelle Abfertigung zwangsläufig Fehlerquellen in sich birgt, muß für den Steuerpflichtigen verstärkt Anlaß zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides innerhalb der Rechtsbehelfsfrist sein. Er ist auch Nutznießer der Beschleunigung der Abfertigung. Überdies sind dem Steuerpflichtigen im Regelfall die tatsächlichen Umstände der Einfuhr und - falls er auf die Einfuhr oder die Herstellung bestimmter Waren spezialisiert ist - oft auch die Rechtslage besser bekannt als den örtlichen Abfertigungstellen der Verwaltung. Er ist daher regelmäßig eher als die Verwaltung in der Lage, die Unrechtmäßigkeit eines Bescheides zu erkennen. Dann ist es ihm aber im Regelfall auch zuzumuten, die entsprechende Prüfung innerhalb der Rechtsbehelfsfrist durchzuführen.

e) § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 in der hier gegebenen Auslegung verstößt nicht gegen das Recht der Europäischen Gemeinschaft (EG).

Nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts wird jede dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende Bestimmung des innerstaatlichen Rechts ohne weiteres unanwendbar. Dieser Grundsatz kann aber nur dort Wirkung entfalten, wo Gemeinschaftsrecht und innerstaatliches Recht miteinander kollidieren, im Einzelfall also sowohl eine entscheidungserhebliche Rechtsnorm des Gemeinschaftsrechts als auch eine von ihr abweichende grundsätzlich ebenfalls entscheidungserhebliche nationale Rechtsnorm bestehen. Fehlt es im Einzelfall an einer anwendbaren Norm des Gemeinschaftsrechts, so stellt sich die Frage nach dessen Vorrang nicht (Urteil des erkennenden Senats vom 5. Februar 1980 VII R 101/77, BFHE 130, 90, mit weiteren Nachweisen).

§ 172 AO 1977 regelt im Rahmen des Kapitels "Bestandskraft" die Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden. Damit kollidieren Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts nicht. Seit 1. Juli 1980 ist zwar die Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 des Rates über die Erstattung oder den Erlaß von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben vom 2. Juli 1979 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - Nr. L 175/1 vom 12. Juli 1979) in Kraft. Sie gilt aber im vorliegenden Fall deswegen nicht, weil die Abgaben, deren Erstattung die Klägerin begehrt, keine Eingangsabgaben im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Buchst. a dieser Verordnung sind; Verbrauchsteuern als Eingangsabgaben sind von der Regelung nicht betroffen. Eine gemeinschaftsrechtliche Erstattungsregelung für zu Unrecht erhobene Verbrauchsteuern besteht also nicht (vgl. BFH-Beschluß vom 27. September 1977 VII K 1/76, BFHE 123, 310, 312 und die Anmerkung von Kolbe zu diesem Urteil in Europarecht 1978 S. 155).

Das wird bestätigt durch die Urteile in EuGHE 1976, 1989 und vom 10. Juli 1980 Rs. 811 und 826/79 (noch nicht veröffentlicht). In allen drei Fällen handelte es sich um das Begehren eines Pflichtigen, im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht gezahlte Gebühren für gesundheitspolizeiliche Kontrollen oder für Statistik erstattet zu erhalten, wobei der Erstattung jeweils möglicherweise innerstaatliches Recht entgegenstand. Der EuGH hat in seinen Urteilen das Fehlen einer entsprechenden gemeinschaftsrechtlichen Regelung festgestellt.

Die Klägerin hält das Urteil in EuGHE 1976, 1989 im vorliegenden Fall vor allem deswegen für nicht anwendbar, weil es sich hier um die Frage handele, wie die Verwaltung ihr Ermessen ausüben müsse. Die Klägerin verkennt dabei den Ermessensrahmen, den § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 setzt. Daß der nationale Gesetzgeber wegen des Fehlens einschlägigen Gemeinschaftsrechts den Ermessensrahmen frei festlegen konnte, ergibt sich aus den obigen Ausführungen. Denn wenn er, ohne gegen Gemeinschaftsrecht zu verstoßen, die Änderung bestandskräftiger Bescheide ganz untersagen konnte, konnte er diese Änderung auch von bestimmten Voraussetzungen, z. B. von der Einhaltung eines bestimmten Ermessensrahmens, abhängig machen.

§ 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ist dahin zu verstehen, daß die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensausübung nicht zu berücksichtigen hat, ob der Steuerbescheid, dessen Änderung begehrt wird, wegen Verstoßes gegen Landesrecht, einfaches Bundesrecht, Bundesverfassungsrecht, abgeleitetes Gemeinschaftsrecht oder originäres Gemeinschaftsrecht rechtswidrig ist. Die Art der Rechtsnormen, die hier in Frage kommen, gibt keinen Maßstab für die Ermessensausübung. Der hier anzuwendende Ermessensrahmen ergibt sich aus dem oben näher dargelegten Sinn und Zweck der Vorschrift. Die sich daraus möglicherweise ergebende Rechtsfolge, daß unter Verstoß gegen materielles Gemeinschaftsrecht erhobene Abgaben nicht zurückerlangt werden können, hat der EuGH, wie sich aus dem Urteil Rs. 826/79 ergibt, ausdrücklich für mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar erklärt.

Der Senat sieht im vorliegenden Fall keine Veranlassung, dem EuGH eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen. Der EuGH hat die einschlägigen Rechtsfragen bereits entschieden.

Es bedarf keines weiteren Eingehens auf die von der Revision aufgeworfene Frage, ob das Urteil des BVerwG von 26. August 1977 VII C 71/74 (NJW 1978, 508) hier nicht anwendbar ist, weil es auf anderen Rechtsnormen beruht. Der Senat stützt seine Entscheidung unmittelbar auf die Auslegung des § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977. Auf das Urteil des FG Münster vom 27. April 1978 IV 412/78 Z (EFG 1978, 466) stützt sich die Klägerin zu Unrecht. Dieses hat im Gegenteil entschieden, daß die Rechtsgrundsätze, die der Senat zu § 94 AO entwickelt hat "auch bei der Ermessensentscheidung nach § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 im wesentlichen zu beachten" sind. Die Entscheidung des FG Münster bezieht sich auf einen Fall in dem Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntgeworden sind. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der Hinweis der Klägerin schließlich, die Ausführungen von Ministerialrat X vor dem EuGH belegten, daß die Bundesregierung die Auffassung der Klägerin teile, ist, auch wenn man ihre Richtigkeit unterstellt, ohne rechtliche Bedeutung.

f) Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf den Gleichheitssatz unter Hinweis auf eine Entscheidung des HZA A gegenüber einem anderen Steuerpflichtigen. Es liegt im Wesen einer Ermessensentscheidung, daß jeweils mehrere Entscheidungen richtig sein können. Folgerichtig kann sich daher ein Steuerpflichtiger gegenüber einer Behörde nicht auf eine Ermessensentscheidung berufen, die eine andere Behörde einem anderen Steuerpflichtigen gegenüber getroffen hat. Aus dem gleichen Grund kann in der Entscheidung des HZA A auch keine Selbstbindung der Verwaltung liegen, auf die sich die Klägerin berufen könnte. Dabei kommt es nicht darauf an, ob etwa der BdF dem HZA A die Weisung erteilt hat, so zu entscheiden, wie es entschieden hat.

g) Das FG hat schließlich zu Recht unentschieden gelassen, ob § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977, wonach Steuerbescheide zu ändern sind, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen, auch auf Zoll- und Verbrauchsteuerbescheide anwendbar ist. Die Entscheidung des EuGH ist jedenfalls keine Tatsache im Sinne der genannten Vorschrift. Tatsache ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften materieller oder immaterieller Art; Schlußfolgerungen aller Art, insbesondere auch juristische Subsumtionen und darauf beruhende Gerichtsentscheidungen sind keine Tatsachen in diesem Sinne (vgl. BFH-Urteil vom 6. September 1962 V 166/59 U, BFHE 75, 623, BStBl III 1962, 494).

2. Das FG hat also ohne Rechtsirrtum entschieden, daß die Ermessensentscheidung des HZA rechtmäßig war, wenn die Behörde zu Recht davon ausgegangen ist, ein Ausnahmefall sei nicht gegeben, d. h. von der Klägerin sei bei Berücksichtigung aller Umstände des Falles billigerweise zu erwarten gewesen, daß sie die Fehlerhaftigkeit der Bescheide jeweils im Rechtsbehelfsverfahren geltend machte (BFHE 120, 2, 5). Das FG hat auch zutreffend entschieden, daß das HZA ermessensfehlerfrei gehandelt hat.

Anlaß, einen Ausnahmefall für gegeben zu erachten, konnte für das HZA allenfalls das BFH-Urteil vom 12. November 1974 VII R 74/73 (BFHE 114, 298) sein, mit dem der erkennende Senat entschieden hatte, daß die Erhebung der Monopolausgleichspitze rechtmäßig sei. Das HZA hat darin einen solchen Anlaß nicht gesehen und das FG hat diese Entscheidung ohne Rechtsirrtum für ermessensfehlerfrei gehalten. Zunächst ist dem FG darin zu folgen, daß sich die Klägerin für ihre Entscheidung, Rechtsbehelfe nicht einzulegen, auf dieses Urteil insoweit von vornherein nicht berufen kann, als es um den Preisausgleich ging, weil das Urteil diesen nicht betraf. Ferner konnte die Klägerin sich auf dieses Urteil auch nicht für die Fälle berufen, in denen die Rechtsmittelfrist abgelaufen war, bevor sie von dem Urteil Kenntnis erlangte. Aber auch für die Fälle danach brauchte das Urteil für das HZA kein Anlaß zu sein zur Annahme, von der Klägerin habe billigerweise die Durchführung von Rechtsbehelfsverfahren nicht erwartet werden können. Es kann dahingestellt bleiben, ob dies dann der Fall gewesen wäre, wenn das Urteil Ausdruck einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung gewesen wäre. So liegt der Fall hier aber nicht. Das Urteil in BFHE 114, 298 war vielmehr die erste Entscheidung des BFH in einer, wie die Urteilsgründe ergeben, schwierigen und komplexen Rechtsfrage. Nahm die Klägerin ein solches Urteil zum Anlaß, Rechtsbehelfe nicht einzulegen und die Bescheide bestandskräftig werden zu lassen, so begab sie sich des Rechts, nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist und bei Ergehen eines abweichenden EuGH-Urteils eine Berichtigung der Steuerbescheide zu verlangen. Das Urteil ist also kein Umstand, der das HZA zwang, sein Ermessen nur in einer Richtung auszuüben, d. h. die bestandskräftigen Bescheide unter allen Umständen zugunsten der Klägerin zu berichtigen. Wenn das HZA zu einem anderen Ergebnis gelangte, so bewegte es sich damit immer noch innerhalb des ihm nach dem Zweck des § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zur Verfügung stehenden Ermessensspielraums. Eine andere Auffassung würde im übrigen auch dazu führen, daß stets dann, wenn der BFH oder der EuGH in einem Urteil eine früher einmal geäußerte Rechtsauffassung aufgäbe, die Steuerpflichtigen die Berichtigung aller nicht verjährten bestandskräftigen Steuerbescheide verlangen könnten, die auf der aufgegebenen Rechtsauffassung beruhten. Eine derartig weitgehende Durchbrechung der Bestandskraft ist, wie sich aus den obigen Ausführungen (Nr. 3) ergibt, mit Sinn und Zweck des § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nicht vereinbar.

Aus § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Dort heißt es, daß bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides nicht zu Ungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden kann, daß sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofes des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist. Danach steht das Vertrauen des Steuerpflichtigen in den Bestand einer höchstrichterlichen Rechtsprechung einer Änderung eines Steuerbescheides zu seinen Ungunsten entgegen. Diese Bestimmung enthält keine Regelung der ganz anderen Frage, ob der Steuerpflichtige bei geänderter höchstrichterlicher Rechtsprechung Anspruch auf Berichtigung eines bestandskräftigen Bescheides zu seinen Gunsten hat.