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BFH-Urteil vom 15.4.1981 (IV R 44/79) BStBl. 1981 II S. 554

Die Vorschrift des § 119 Abs. 4 AO 1977, nach der die Unterschrift und die Namenswiedergabe bei den mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassenen Verwaltungsakten fehlen können, verstößt nicht gegen Verfassungsrecht.

AO 1977 § 119 Abs. 4; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Der Rechtsstreit geht um die Frage, ob der Empfänger eines den Erfordernissen des § 119 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO 1977) entsprechenden Einkommensteuerbescheids dadurch in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt wird, daß der Bescheid keine Unterschrift trägt.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer 1976 veranlagt wurden. Die Veranlagung erfolgte mit Hilfe eines EDV-Programms. Dabei fertigten Bedienstete des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) auf der Grundlage der von den Klägern abgegebenen Steuererklärung zunächst den Eingabewertbogen. Dieser Bogen enthält am Schluß eine Verfügung, in der es u. a. heißt:

"Die aufgeführten Daten sind mit Hilfe des geprüften und genehmigten Programms sowie unter Berücksichtigung der gespeicherten Daten maschinell zu verarbeiten; in Höhe des maschinell ermittelten Ergebnisses werden die Steuern, die sonstigen Abgaben, der Verspätungszuschlag und die Vorauszahlungen festgesetzt... Das Ergebnis der Festsetzung ist bekanntzugeben.''

Die Verfügung trägt das Namenszeichen des Sachgebietsleiters und des Sachbearbeiters. Dieser Verfügung entsprechend fertigte das FA den Einkommensteuerbescheid. In ihm sind u. a die Anschrift des FA und die Steuernummer der Kläger angegeben. In der Anlage zu dem Bescheid ist handschriftlich vermerkt, in welchen Punkten das FA von der Steuererklärung abweicht. Auf zwei maschinell gefertigten Abrechnungsbogen teilte das FA den Klägern weiter mit, bis wann die Abschlußzahlungen an Einkommensteuer und Kirchensteuer zu leisten sind.

Gegen den Bescheid richtete sich nach erfolglosem Einspruchsverfahren die Klage. Darin vertraten die Kläger die Auffassung, die Art der Bescheiderteilung verstoße gegen die Verfassung. Dadurch, daß ein maschineller Bescheid seinen Urheber und damit den Verantwortlichen nicht erkennen lasse, werde die Menschenwürde verletzt.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Zur Begründung seines - in Entscheidungen der Finanzgerichte 1979 S. 318 auszugsweise abgedruckten - Urteils führte das FG aus, der angefochtene Steuerbescheid entspreche der Vorschrift des § 119 Abs. 4 AO 1977. Diese Regelung verstoße weder gegen Art. 1 Abs. 1 noch gegen andere Normen des Grundgesetzes (GG).

Gegen das Urteil des FG richtet sich die Revision der Kläger. Sie rügen die Verfassungswidrigkeit des § 119 Abs. 4 AO 1977.

Die Kläger beantragen, das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und festzustellen, daß der angefochtene Bescheid nichtig ist.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der im mechanisierten Veranlagungsverfahren erstellte Einkommensteuerbescheid für 1976 ist wirksam. Das FG hat zu Recht entschieden, daß die Art und Weise der Steuerfestsetzung nicht gegen die Verfassung verstößt.

1. Der angefochtene Bescheid entspricht den Anforderungen, die an die Form eines Verwaltungsakts zu stellen sind.

Zwar muß ein schriftlicher Verwaltungsakt nach § 119 Abs. 3 AO 1977 die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten. Von diesem gesetzlichen Grundsatz wird aber eine Ausnahme für diejenigen Verwaltungsakte gemacht, die "formularmäßig oder mit Hilfe automatischer Einrichtungen" erlassen werden; bei diesen Verwaltungsakten können abweichend von der Regelung des § 119 Abs. 3 AO 1977 die Unterschrift und die Namenswiedergabe fehlen (§ 119 Abs. 4 AO 1977).

Die Vorschrift des § 119 Abs. 4 AO 1977 trägt der technischen Entwicklung Rechnung. Sie berücksichtigt, daß die von der Finanzverwaltung zu leistende Massenarbeit neuerdings in großem Umfang durch den Einsatz elektronischer Datenverarbeitungsanlagen bewältigt wird. Der gesetzliche Verzicht auf die Unterschrift oder die Namenswiedergabe in den maschinell erlassenen Bescheiden soll dazu dienen, den Ablauf des Veranlagungsverfahrens in solchen Fällen zu vereinfachen.

Der Umstand, daß auf dem Bescheid kein Name erscheint, bedeutet indessen nicht, daß der Inhalt des Bescheids von keinem Bediensteten persönlich verantwortet werden muß. Zwischen dem manuellen und dem elektronischen Veranlagungsverfahren besteht dabei insoweit kein Unterschied. Im manuellen Veranlagungsverfahren wird der für den Inhalt des Bescheids maßgebende Berechnungsbogen von dem (den) verantwortlichen Beamten ausgefüllt und abgezeichnet. In gleicher Weise übernehmen auch bei der elektronischen Steuerfestsetzung die Beamten durch Abzeichnung des Eingabewertbogens die Verantwortung für den Inhalt des Bescheids.

2. Die Regel bei den mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassenen schriftlichen Verwaltungsakten Unterschrift und Namenswiedergabe fehlen können, läßt keine Verstöße gegen Verfassungsrecht erkennen.

a) Insbesondere enthält diese Regelung keinen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG. Die der Staatsgewalt auferlegte Verpflichtung, die Würde des Menschen zu achten und sie zu schützen, wird nicht dadurch verletzt, daß Steuerbescheide in bestimmten Fällen ohne Unterzeichnung und ohne Namenswiedergabe ergehen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 6. Juli 1967 IV 274/62, BFHE 89, 460, BStBl III 1967, 682). Es muß der öffentlichen Verwaltung vielmehr möglich sein, unter den Anforderungen des Massenbetriebs ihre Arbeitsmethoden dem technischen Fortschritt anzupassen. Bedient sich die Verwaltung dieser technischen Hilfen und ergehen als Folge hiervon Steuerbescheide in vereinfachter Form, so wird der einzelne Bürger hierdurch in seinem Wert als Persönlichkeit nicht berührt (so auch Friauf, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Anmerkungen, Reichsabgabenordnung, § 210b, Rechtsspruch 8).

b) Die Regelung verstößt auch nicht gegen das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip. Entgegen der Auffassung der Kläger besteht kein rechtsstaatliches Gebot, daß aus einer behördlichen Entscheidung die für die Entscheidung verantwortliche Person feststellbar sein muß. Das Fehlen einer namentlich benannten "Bezugsperson" im Bescheid bedeutet nicht, daß dem Bürger auf diese Weise die Gesprächsmöglichkeit mit dem verantwortlichen Beamten abgeschnitten wird. Die Person des Beamten läßt sich vielmehr jederzeit aufgrund der Steuernummer anhand des Geschäftsverteilungsplans ermitteln.

3. Enthält aber die gesetzliche Regelung des § 119 Abs. 4 AO 1977 keinen Verstoß gegen Verfassungsrecht, so konnte das FA diese Vorschrift auch im Streitfall anwenden. Da sonstige - insbesondere materielle - Mängel des angefochtenen Bescheids nicht gerügt wurden und auch sonst nicht erkennbar sind, hat das FG die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die Revision hiergegen kann keinen Erfolg haben.