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BFH-Urteil vom 30.4.1981 (VI R 228/77) BStBl. 1981 II S. 555

Der Senat hält an seiner Rechtsprechung (Urteil vom 15. März 1974 VI R 89/71, BFHE 112, 207, BStBl II 1974, 442) fest, daß Kraftfahrer, die als Arbeitnehmer im Berlinverkehr regelmäßig Fahrten zwischen Berlin (West) und Westdeutschland für ein Berliner Unternehmen ausführen, zu dem nach § 28 BerlinFG begünstigten Personenkreis gehören, weil sie keine "vorübergehende Tätigkeit außerhalb von Berlin (West)" im Sinne des § 23 Nr. 4a BerlinFG ausüben.

BerlinFG § 23 Nr. 4a, § 28.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist von Beruf Fernfahrer. Er wohnt mit seiner Familie in Bremen, ist aber bei einem in Berlin (West) ansässigen Unternehmen angestellt. Er befördert mit einem LKW zwei bis dreimal wöchentlich Güter zwischen Berlin (West) und Bremen. Seit dem 1. Mai 1964 hat er unter der Anschrift seiner Arbeitgeberin in Berlin (West) einen Nebenwohnsitz gemeldet. Dort hat er ein eigenes Zimmer zur Verfügung, das er bewohnt, wenn er seine Fernfahrten in Berlin (West) unterbricht.

Für die Zeit vom 1. Januar bis 31. August 1975 erhielt der Kläger von seiner Arbeitgeberin Berlinzulage nach § 28 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) in Höhe von 1.391,20 DM. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) forderte diese mit Bescheid vom 14. Dezember 1976 zurück.

Die Sprungklage, mit der der Kläger die Aufhebung des Rückforderungsbescheides begehrte, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte in seinem in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1978 S. 154 (EFG 1978, 154) veröffentlichten Urteil im wesentlichen aus: Der Wohnsitz eines in Berlin (West) arbeitenden Arbeitnehmers sei für die Gewährung der Berlinzulage grundsätzlich bedeutungslos. Auch sei der Kläger nicht vorübergehend außerhalb von Berlin (West) tätig gewesen, weil trotz der Fahrten im Berlinverkehr die Bindung an die Berliner Betriebstätte erhalten geblieben sei (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. März 1974 VI R 89/71, BFHE 112, 207 BStBl II 1974, 442). Dem Kläger habe daher die Berlinzulage zugestanden, zumal er einen - wenn auch nicht gewöhnlichen - Aufenthalt in Berlin (West) gehabt habe.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 28 Abs. 1 Satz i. V. m. § 23 Nr. 4a BerlinFG. Es meint, nach diesen Vorschriften könne eine Berlinzulage nur gewährt werden, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung ständig in Berlin (West) erbringe, oder wenn er vorübergehend außerhalb von Berlin (West) tätig sei und darüber hinaus seinen ausschließlichen Wohnsitz in Berlin (West) habe. Arbeitnehmer, die nur auf Transportmitteln im Berlinverkehr eingesetzt würden, seien in der Regel nicht in Berlin (West) beschäftigt. Daher erhielten sie nach der bisher geltenden Verwaltungspraxis die Berlinzulage nur, wenn sie dem Arbeitgeber eine in Berlin (West) ausgestellte Lohnsteuerkarte vorlegten. Die Auffassung des BFH im Urteil in BFHE 112, 207 BStBl II 1974, 442 könne nicht geteilt werden. Der Gedanke von der Bindung von im Berlinverkehr eingesetzten Fahrzeugen an den in Berlin (West) belegenen Betrieb, der bei der Gewährung von Investitionszulage Anwendung finde, lasse sich nicht auf die persönlichen Verhältnisse der diese Fahrzeuge benutzenden Kraftfahrer übertragen. Für den strittigen Fall habe das Gesetz keine Regelung vorgesehen. Da der Kläger vorübergehend außerhalb von Berlin (West) beschäftigt sei und seinen ausschließlichen Wohnsitz nicht in Berlin (West) habe, stehe ihm die Berlinzulage nicht zu.

Das FA beantragt die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der Bundesminister der Finanzen (BdF) der dem Verfahren beigetreten ist, hat wie folgt Stellung genommen. Maßstab dafür, ob eine Beschäftigung in Berlin (West) vorliege, sei allein, ob das Schwergewicht der tatsächlichen Arbeitsleistung in Berlin (West) liege. Die Anstellung bei einem Arbeitgeber in Berlin (West) oder die Beschäftigung für einen Berliner Arbeitgeber reiche nicht aus. Die Übertragung der für Investitionszulagen geltenden Gedanken auf die Berlinzulage sei nicht zulässig, weil § 14 und § 19 BerlinFG den Zweck hätten, die Investitionsbereitschaft der Unternehmer in Berlin (West) anzuregen, während durch die Berlinzulage allein die Standortnachteile der Berliner Arbeitnehmer ausgeglichen werden sollten. Daher seien bei der Berlinzulage die Verhältnisse der einzelnen Arbeitnehmer im Hinblick auf diese Bindung an Berlin (West) zu berücksichtigen. Dies ergebe sich auch daraus, daß die ab 1971 einheitlich eingeführte Zulage die frühere zweigleisige Vergünstigung der Berliner Arbeitnehmer durch Steuerpräferenz und degressive Zulagen abgelöst habe, ohne daß dadurch der begünstigte Personenkreis habe verändert werden sollen. Da bei aktiven Arbeitnehmern in Berlin (West) die Steuerpräferenz in der Regel durch die Zulage abgegolten werde, gälten die für die Einführung der Steuerpräferenz maßgebenden Gründe auch für die Gewährung der Zulage. Die Steuerpräferenz habe einen Ausgleich für die Unbilden, die aus der besonderen Situation der Stadt erwüchsen, schaffen sollen. Daher sollten nur Personen in den Genuß der Vergünstigung kommen, deren wirtschaftliche Belange und Lebensinteressen in Berlin (West) gebunden seien. Eine Begünstigung auch der Personen, die sich bei doppeltem Wohnsitz vorwiegend im übrigen Bundesgebiet aufhielten, sei nicht als gerechtfertigt angesehen worden (Hinweis auf die Begründung des Regierungsentwurfs eines Dritten Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft im Land Berlin, Bundestags-Drucksache II/1159, S. 23). Diese Grundabsicht sei auch bei der Umstellung der Arbeitnehmervergünstigungen ab 1. Januar 1971 durch das Berlinförderungsgesetz nicht verändert worden. Demnach gehöre der Kläger, dessen Familienwohnsitz in Bremen sei, nicht zu dem nach Sinn und Zweck des Gesetzes begünstigten Personenkreis.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Nach § 28 Abs. 1 i. V. m. § 23 Nr. 4a BerlinFG erhalten Arbeitnehmer, die Arbeitslohn für eine Beschäftigung in Berlin (West) aus einem gegenwärtigen Dienstverhältnis beziehen, Berlinzulage. Bei Arbeitnehmern, die eine vorübergehende Tätigkeit außerhalb von Berlin (West) verrichten, ist weitere Voraussetzung, daß sie ihren ausschließlichen Familienwohnsitz in Berlin (West) haben. Das FG hat jedoch zutreffend herausgestellt, daß der Kläger nicht "vorübergehend" im Sinne dieser Vorschriften außerhalb von Berlin (West) tätig ist.

Der Senat hat im Urteil in BFHE 112, 207 BStBl II 1974, 442 zu § 23 Nr. 4a des Berlinhilfegesetzes (BHG) ausgesprochen, daß Kraftfahrer, die als Arbeitnehmer regelmäßig Fahrten zwischen Berlin (West) und Westdeutschland für ein Berliner Unternehmen ausführen, wegen der räumlichen Bindung des Fahrzeuges an die Berliner Betriebstätte nicht "vorübergehend" im Sinne der Vorschrift außerhalb von Berlin (West) tätig sind. Das Berlinhilfegesetz ist durch Gesetz vom 23. Juni 1970 (BGBl I 1970, 826) in Berlinförderungsgesetz umbenannt worden. Die tragenden Gründe der genannten Entscheidung gelten auch für § 23 Nr. 4a BerlinFG.

Der Senat teilt nicht die gegen die Begründung dieser Entscheidung vorgebrachten Bedenken des FA und des BdF.

Zunächst ist der Auffassung des FG entgegenzutreten, § 23 Nr. 4a BerlinFG enthalte eine Regelungslücke. Denn diese Vorschrift ist so zu verstehen, daß alle in Berlin (West) tätigen Arbeitnehmer, die nicht einer vorübergehenden Tätigkeit außerhalb von Berlin (West) nachgehen (§ 23 Nr. 4a Satz 2 BerlinFG), die Voraussetzungen des § 23 Nr. 4a Satz 1 BerlinFG erfüllen. Der Senat hat § 23 Nr. 4a Satz 2 BHG im Wege teleologischer Interpretation und durch Rechtsvergleich mit den Vorschriften über die Rückforderung der Investitionszulage in dem oben aufgezeigten Sinn auslegen können.

Die hiergegen gerichteten Bedenken des BdF teilt der Senat nicht. Denn es ist nicht allein oder in erster Linie Sinn und Zweck der Berlinzulage, die Standortnachteile der Berliner Arbeitnehmer auszugleichen. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des § 28 Abs. 1 i. V. m. § 23 Nr. 4a BerlinFG. Dem BdF ist zuzugeben, daß die Bestimmungen über die Berlinzulage ihre heutige Gestalt dadurch erhalten haben, daß zu ihren Gunsten die früher stärker ausgebaute Steuerpräferenz für Berliner Arbeitnehmer durch Änderungsgesetz vom 23. Juni 1970 (BGBl I 1970, 826) weitgehend eingeebnet wurde. Die Berlinzulage verdankt ihre Entstehung jedoch Umständen, die von den zur Berlinpräferenz führenden Umständen verschieden sind. Die Zulage wurde nämlich erstmals durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (West) und des Steuererleichterungsgesetzes für Berlin (West) vom 26. Juli 1962 (BGBl I 1962, 481) in § 6 des Steuererleichterungsgesetzes für Berlin (West) eingeführt (vgl. die Neufassung des Gesetzes über Steuererleichterungen und Arbeitnehmervergünstigungen in Berlin [West] - StErlG - vom 26. Juli 1962, BGBl I 1962, 501). Der Begründung zum Regierungsentwurf des Änderungsgesetzes vom 26. Juli 1962 (BGBl I 1962, 481) ist zu entnehmen, daß der Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 zur Einführung der in diesem Gesetz enthaltenen Maßnahmen geführt hat. So war durch das plötzliche Ausbleiben von 50000 Ostberlinern, die in Westberlin gearbeitet hatten, die Spannung auf dem Arbeitsmarkt dieses Teils der Stadt verstärkt worden. Daher wurde mit den durch das Gesetz vom 26. Juli 1962 gegebenen Anreizen angestrebt, in jedem Jahr mindestens 15.000 Arbeitskräfte aus Westdeutschland für die Arbeitsaufnahme in Berlin (West) zu gewinnen (Bundestags-Drucksache IV/435, S. 11). § 6 StErlG wurde durch Gesetz vom 19. August 1964 (BGBl I 1964, 674) in § 28 BHG (= § 28 BerlinFG, vgl. Gesetz vom 23. Juni 1970, BGBl I 1970, 826) übernommen.

Diese Zusammenhänge zeigen, daß die Berlinzulage neben einem gewissen Ausgleich für die mit der Situation der Stadt verbundenen Nachteile vor allem auch der Entspannung des Arbeitsmarktes durch Neugewinnung von Arbeitskräften dienen sollte. Eine solche Entspannung setzt jedoch nicht unbedingt voraus, daß die Arbeitnehmer ihren alleinigen Wohnsitz in Berlin (West) haben müssen. Dafür spricht insbesondere auch der Umstand, daß das Berlinhilfegesetz dort, wo es Standortnachteile von Berlin (West) auszugleichen galt, dies durch Bezugnahme auf Wohnsitz oder Aufenthalt des Arbeitnehmers deutlich machte (vgl. § 21 und § 26 BHG). Nach Sinn und Zweck der streitigen Vorschrift ist daher der Begriff "vorübergehende Tätigkeit'' so auszulegen, daß eine solche nur dann vorliegt, wenn eine Einbindung des Arbeitnehmers in den Arbeitsmarkt von Berlin (West) nicht mehr gegeben ist. Davon kann bei solchen Arbeitnehmern, die regelmäßig und in kurzen Abständen nach Berlin (West) kommen, um Arbeiten zu leisten, die nur von hier aus ihren Ausgang nehmen können, nicht die Rede sein.

Gegen diese Betrachtung spricht auch nicht der Umstand, daß die Bestimmung des § 23 Nr. 4a BerlinFG auch in anderen Vorschriften des Berlinförderungsgesetzes in Bezug genommen wird. Denn eine solche Bezugnahme enthält das Gesetz im Zusammenhang mit Bestimmungen über die Abgeltung der Steuerpräferenz durch die Zulage (vgl. § 21 Abs. 1 Satz 3, § 25 Abs. 3 BerlinFG) oder im Zusammenhang mit dem erwähnten Zweck des Änderungsgesetzes vom 26. Juli 1962 (BGBl I 1962, 481), überhaupt Arbeitskräfte zu gewinnen (vgl. § 22 BerlinFG).

In Anbetracht der Entstehungsgeschichte der Berlinzulage unterliegt es somit keinen rechtsmethodischen Bedenken, daß der Senat im Urteil in BFHE 112, 207, BStBl II 1974, 442 die Grundsätze der zu der Rückforderung von Investitionszulage nach § 19 Abs. 5 Satz 2 BHG 1964 ergangenen Urteile vom 17. Mai 1968 VI R 5/68 (BFHE 92, 392, BStBl II 1968, 570) und vom 20. November 1970 VI R 205/69 (BFHE 101, 459 BStBl II 1971, 314) auf den Fall der vorübergehenden körperlichen Abwesenheit eines Arbeitnehmers von Berlin (West) übertrug. Denn was für die Investitionsbereitschaft der Unternehmer in Berlin (West) die Vorschriften über die Investitionszulage (§ 14 und § 19 BerlinFG) bedeuten, das bedeuten für die Arbeitsbereitschaft von Arbeitnehmern in Berlin (West) die Vorschriften über die Berlinzulage (§ 28 Abs. 1 i. V. m. § 23 Abs. 4a BerlinFG). Somit verliert ein im Berlinverkehr eingesetzter Arbeitnehmer allein durch vorübergehende Abwesenheit von Berlin (West) seine Einbindung in den Arbeitsmarkt von Berlin (West) ebensowenig, wie ein im Berlinverkehr eingesetztes Fahrzeug durch nur vorübergehende Abwesenheit von Berlin (West) seine Bindung an die Berliner Betriebstätte verliert.

Der Senat hält also daran fest, daß eine "vorübergehende Tätigkeit außerhalb von Berlin (West)" im Sinn von § 23 Nr. 4a BerlinFG nicht anzunehmen ist, wenn der Arbeitnehmer eines Berliner Betriebes überwiegend und regelmäßig Fahrten von und nach Berlin (West) ausführt, ohne daß größere zeitliche Unterbrechungen eintreten, die Fahrten innerhalb der Bundesrepublik also nicht überwiegen. Da diese Voraussetzungen nach den Feststellungen des FG erfüllt sind, war die Revision des FA zurückzuweisen.