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BFH-Urteil vom 22.5.1981 (VI R 140/80) BStBl. 1981 II S. 713

1. Unterhaltsaufwendungen können nur insoweit nach § 33a Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 EStG abgezogen werden, als hierdurch der Lebensbedarf des Empfängers im Kalenderjahr der Zahlung sichergestellt werden soll. Die Deckung des Unterhaltsbedarfs für das Folgejahr muß auch bei Leistungen am Ende des Jahres unberücksichtigt bleiben.

2. Bei mehreren Unterhaltsleistungen an denselben Empfänger spricht eine tatsächliche, im Einzelfall jedoch widerlegbare Vermutung dafür, daß die vorangegangenen Unterhaltsaufwendungen zur Deckung des Lebensbedarfs des Empfängers bis zum Erhalt der nächsten Zahlung dienten (Ergänzung des BFH-Urteils vom 5. September 1980 VI R 75/80, BFHE 131, 475, BStBl II 1981, 31).

EStG 1975 § 33a Abs. 1 und 4.

Vorinstanz: FG Düsseldorf, Senate in Köln

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist türkischer Staatsangehöriger, der im Streitjahr 1976 in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) arbeitete. Mit seinem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich beantragte er, einen Betrag von 3.000 DM vom Gesamtbetrag der Einkünfte wegen Unterstützung seiner Eltern abzuziehen. Er legte zwei Postbelege vom 5. August und vom 14. Oktober 1976 über Überweisungen von insgesamt 3.000 DM an seine Eltern vor. Außerdem reichte er Unterhaltsbescheinigungen der zuständigen Heimatbehörde der Eltern ein. Aus diesen ergab sich, daß nur der Vater über Vermögen 100.000 Türkische Lira - TL - (ca. 8.000 DM) verfügte. Im übrigen ging aus ihnen hervor, daß die Eltern arbeitslos waren, keine Einkünfte hatten, seit 1973 von dem Kläger unterstützt und nicht von anderen Personen unterhalten wurden.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) kam dem Antrag des Klägers nicht nach, weil dieser nicht laufende Zahlungen geleistet habe.

Die Klage, mit der der Kläger weiterhin die Berücksichtigung der streitigen Zahlungen als außergewöhnliche Belastung begehrte, hatte Erfolg.

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 33a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zum Teil begründet.

1. Der Senat hat im Urteil vom 5. September 1980 VI R 75/80 (BFHE 131, 475, BStBl II 1981, 31) entschieden, daß auch gelegentliche (z. B. nur ein- oder zweimalige) Leistungen im Jahr Aufwendungen für den Unterhalt i. S. des § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG 1975 sein können.

Die Auslegung des Unterhaltsbegriffs durch das Finanzgericht (FG) entspricht im Ergebnis diesen Grundsätzen.

2. Der Senat hat in dem Urteil in BFHE 131, 475, BStBl II 1981, 31 auch ausgesprochen, daß bei nur gelegentlichen Leistungen besonders sorgfältig zu prüfen ist, ob der Zahlungsempfänger unterstützungsbedürftig i. S. des § 33a Abs. 1 EStG ist und ob die Zahlungen geeignet sind, den Lebensbedarf des Empfängers zu decken.

Auch diesen Grundsätzen entspricht das angefochtene Urteil.

3. Die Vorentscheidung ist jedoch aufzuheben, weil die streitigen Zahlungen nicht dazu bestimmt und geeignet waren, den Lebensbedarf der Eltern des Klägers für das ganze Kalenderjahr 1976 zu decken.

Wie der Senat im Urteil in BFHE 131, 475, BStBl II 1981. 31 hervorgehoben hat, können Unterhaltsleistungen nur insoweit nach § 33a Abs. 1 EStG zum Abzug zugelassen werden, als die Aufwendungen dazu bestimmt und geeignet waren, dem laufenden Lebensbedarf des Unterhaltsempfängers im Streitjahr zu dienen. Treffen die Voraussetzungen des § 33a Abs. 1 EStG nur für einige Monate des Ausgleichsjahres zu, so muß nach dieser Entscheidung der Freibetrag des § 33a Abs. 1 EStG gemäß Abs. 4 dieser Vorschrift entsprechend gezwölftelt werden. Der Senat hält auch insoweit an seiner Ansicht fest.

a) Soweit Aufwendungen des Streitjahres mit dazu bestimmt sind, den Unterhaltsbedarf auch des folgenden Jahres zu befriedigen, können sie bei der Besteuerung des Streitjahres (aber auch des folgenden Jahres) nicht berücksichtigt werden; denn § 33a Abs. 1 EStG liegt der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung zugrunde (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. August 1974 VI R 236/71, BFHE 113, 367, BStBl II 1975, 14). Dieser Grundsatz gilt sowohl hinsichtlich des Zeitpunktes der Leistung als auch hinsichtlich der in § 33a Abs. 1 EStG im übrigen aufgestellten Voraussetzungen.

Das ergibt sich einmal aus dem Umstand, daß Unterhaltsaufwendungen nach Satz 1 der letztgenannten Vorschrift nur abziehbar sind, wenn dem Steuerpflichtigen oder einer anderen Person "im Veranlagungszeitraum" kein Anspruch auf Kindergeld oder auf sonstige Leistungen nach § 8 Abs. 1 des Bundeskindergeldgesetzes für den Unterstützungsempfänger zusteht. Insoweit ist also ausdrücklich von der Anspruchsberechtigung im Veranlagungszeitraum auszugehen. Da diese Berechtigung im Jahr der Zahlung gegeben sein kann und im Folgejahr nicht - und umgekehrt -, ist eine in das Folgejahr übergreifende Betrachtung nicht statthaft.

Der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung tritt auch dadurch zutage, daß der Jahresfreibetrag des § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG nach Satz 3 dieser Vorschrift um bestimmte "Einkünfte oder Bezüge" des Unterhaltsempfängers zu mindern ist. Unter "Einkünften" i. S. des vorbezeichneten § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG müssen aber die Jahreseinkünfte des Unterhaltsempfängers verstanden werden, wie sich aus dem Urteil des Senats vom 23. September 1980 VI R 53/79 (BFHE 131, 480, BStBl II 1981, 92) zu der entsprechenden Vorschrift des § 33a Abs. 2 Satz 2 EStG 1977 ergibt. Es würde dieser Auffassung jedoch widersprechen, Unterhaltsleistungen des laufenden Jahres für das Folgejahr mitzuberücksichtigen, obwohl die anderen Einkünfte des Unterhaltsempfängers im Folgejahr von denen des laufenden Jahres verschieden sein können. Auch im übrigen kann die Unterhaltsbedürftigkeit des Unterhaltsempfängers im Jahr der Zahlung und im Folgejahr unterschiedlich sein, was sowohl dem Unterhaltsleistenden als auch dem FA indessen bei der Stellung des Antrags auf Lohnsteuer-Jahresausgleich oder bei Abgabe der Einkommensteuererklärung nicht bekannt zu sein braucht, weil sich die Verhältnisse insoweit möglicherweise erst nach der Stellung dieses Antrags oder nach Abgabe der Einkommensteuererklärung, aber für eine Zeit ändern, für die der Unterhalt noch geleistet werden soll.

Zudem ist gerade bei Gastarbeitern oft ungewiß, ob sie in dem auf das Jahr der Zahlung und damit der Geltendmachung der außergewöhnlichen Belastung folgenden Jahr noch der inländischen Besteuerung unterliegen; viele Gastarbeiter stellen ihren Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich schon, bevor sie - z. B. an Weihnachten - in ihr Heimatland zurückkehren, wo sie dann aber u. U. endgültig bleiben.

Aus allen diesen Gründen können Zahlungen an unterhaltsberechtigte Personen insoweit steuerrechtlich nicht berücksichtigt werden, als sie den Unterhalt dieser Personen in dem auf das Jahr der Zahlung folgenden Jahr decken sollen.

b) Regelmäßig können erstmalige Zahlungen von Unterhalt an eine unterhaltsberechtigte Person auch nicht auf Monate des Jahres der Zahlung zurückbezogen werden, die vor dem Zahlungsmonat liegen. Dies ergibt sich aus dem Umstand, daß die Zahlungen bestimmt und geeignet sein müssen, der Deckung des Lebensbedarfs des Empfängers zu dienen (BFHE 131, 475, BStBl II 1981, 31).

Unterstützen Gastarbeiter schon seit einiger Zeit ihre Angehörigen, so wird man - ebenso wie bei inländischen Arbeitnehmern - in der Regel nicht davon ausgehen können, daß im späteren Verlauf des Jahres geleistete Unterhaltszahlungen dazu bestimmt sind, Schulden zu tilgen, die den Unterhaltsempfängern in den vorangegangenen Monaten des Jahres der Zahlung durch Bestreitung von Lebenshaltungskosten entstanden sind. Denn nach der Lebenserfahrung spricht eine tatsächliche, im Einzelfall jedoch widerlegbare Vermutung dafür, daß der Unterhaltsverpflichtete seine Zahlungen so eingerichtet hat, daß sie zur Deckung des Lebensbedarfs des Empfängers bis zum Erhalt der nächsten Überweisung dienten. Anders kann die Rechtslage indessen sein, wenn ein Gastarbeiter überhaupt erstmals im Laufe eines Jahres Unterhaltsleistungen an seine Angehörigen erbringt. In einem solchen Fall gilt die vorstehende Vermutung nicht, daß mit den gezahlten Beträgen keine Schulden des Empfängers, die er zur Bestreitung seines Unterhalts aufgenommen hat, abgedeckt werden.

Nach den vorstehenden Erwägungen kann sich also eine einmalige Zahlung von Unterhalt an eine unterhaltsberechtigte Person z. B. im Monat November eines Kalenderjahres, falls der Unterhaltszahlende auch im Vorjahr an denselben Unterhaltsempfänger Leistungen erbracht hat, regelmäßig nur mit zwei Zwölfteln des Jahresfreibetrages - nämlich für die Monate November und Dezember des Jahres der Zahlung - auswirken.

c) In der Bundesrepublik tätige Gastarbeiter müssen daher ebenso wie inländische Steuerpflichtige die Zeitpunkte ihrer Unterhaltszahlungen auf die gesetzliche Regelung abstimmen, wenn sie die Aufwendungen mit dem vollen Jahresfreibetrag des § 33a Abs. 1 EStG steuerlich berücksichtigt wissen wollen. Der Senat verkennt nicht, daß dies bei Gastarbeitern zu Härten führen kann, die wegen postalischer Schwierigkeiten im Ausland oder weil in ihrem Heimatort keine Bankverbindung besteht, ihre Zahlungen nicht monatlich, sondern in größeren Zeitabständen erbringen. Häufig überweisen sie größere Unterhaltsbeträge auch deshalb erst im Dezember eines Jahres, weil sie dann - z. B. nach Erhalt einer Weihnachtsgratifikation - dazu finanziell besonders gut in der Lage sind. Überweisungen z. B. im Dezember eines Jahres können jedoch nur mit einem Zwölftel des Jahresfreibetrages berücksichtigt werden, weil nach den Ausführungen unter a) eine Vorwegberücksichtigung für das auf die Zahlung folgende Jahr unzulässig ist und weil nach den Ausführungen unter b) auch eine Rückbeziehung auf Monate vor der Zahlung nur ausnahmsweise in Betracht kommt.

Erfolgen die Zahlungen erst kurz vor Jahresschluß, so können sie in dem Folgejahr oder für das Folgejahr auch nicht nach § 11 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 EStG berücksichtigt werden. Die Anwendung der vorbezeichneten Vorschriften, wonach regelmäßig wiederkehrende Ausgaben kurze Zeit vor Beendigung des Kalenderjahres als Ausgaben des Folgejahres gelten, wenn sie wirtschaftlich zum Folgejahr gehören, scheitert in der Regel schon daran, daß Gastarbeitern bei Unterhaltszahlungen an Angehörige im allgemeinen nicht bestimmte, periodisch wiederkehrende Zahlungstermine gesetzt sind (vgl. hierzu Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 18. Aufl., § 11 EStG Anm. 65; siehe auch BFHE 113, 367, BStBl II 1975, 14).

d) Der Senat ist sich dessen bewußt, daß seine am Gesetz orientierte Auffassung Gefahr läuft, mit Praktikabilitätsgesichtspunkten in Widerspruch zu geraten, und den erwähnten Schwierigkeiten, die Gastarbeiter bei Überweisungen in ihre Heimat haben können, nicht immer Rechnung zu tragen. In diesem Zusammenhang ist jedoch nochmals zu betonen, daß auch Gastarbeiter wie alle anderen Steuerpflichtigen, die eine steuerliche Vergünstigung in Anspruch nehmen wollen, ihre Verhaltensweise entsprechend den gesetzlichen Voraussetzungen für diese Vergünstigung einzurichten haben. Besondere Härten können dadurch vermieden werden, daß die - bei der Anwendung von Vereinfachungsmaßnahmen flexiblere - Verwaltung, so wie dies schon verschiedentlich in Verwaltungserlassen geschehen ist (vgl. BdF-Schreiben vom 16. Januar 1979 IV B 6 - S 2365 - 3/79 in Felix, Steuererlasse in Karteiform, § 33a Abs. 1 EStG Nr. 51), jedenfalls bei regelmäßigen vierteljährlichen Zahlungen noch den vollen Jahresfreibetrag des § 33a Abs. 1 EStG gewährt, ohne zu unterscheiden, wann im Kalenderjahr die erste Rate geleistet wurde.

e) Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall bedingt, daß der Kläger nur 5/12 der geleisteten Zahlungen als Unterhaltsaufwendungen für das Streitjahr abziehen kann. Der Kläger hat mit seinen Zahlungen vom 5. August und 14. Oktober 1976 den Unterhalt seiner Eltern für die Monate August bis Dezember 1976 sichergestellt. Daß und ob die Leistungen des Klägers oder Teile von ihnen auch für den Unterhalt des Jahres 1977 bestimmt waren, muß nach den vorstehenden Ausführungen unberücksichtigt bleiben. Da der Kläger seine Eltern schon seit dem Jahr 1973 unterstützt hatte, ist nach dem genannten Erfahrungssatz auch davon auszugehen, daß im Streitfall die Eltern des Klägers bis zum Eintreffen der nächsten Zahlung von den bisherigen Überweisungen gelebt haben und daß demgemäß ein Teil der im Streitjahr geleisteten Zahlungen für den Unterhalt des Jahres 1977 bestimmt war.