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BFH-Urteil vom 14.8.1981 (VI R 33/78) BStBl. 1982 II S. 111

Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist ein Kind dem Elternteil steuerrechtlich zuzurechnen, in dessen Wohnung es erstmals im Kalenderjahr mit Hauptwohnung gemeldet war. Das gilt auch dann, wenn das Kind schon seit Jahren in der Wohnung des anderen Elternteils lebt.

EStG 1975/1977 § 32 Abs. 4; Meldegesetz der Stadt Berlin (West) vom 1. Juli 1970 (GVBl Berlin 1970, 996).

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Die Ehe der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) mit dem vom Finanzgericht (FG) beigeladenen Ehemann (Beigeladener) ist am 27. Januar 1971 geschieden worden. Der Beigeladene hat das Sorgerecht für das aus der Ehe mit der Klägerin stammende, am 14. Februar 1964 geborene Kind A. Die Tochter ist seit dem 20. August 1972 von ihm in seiner Wohnung mit Hauptwohnung polizeilich gemeldet worden. Sie hält sich jedoch seit dem 14. Februar 1974 ständig im Haushalt der Klägerin auf, wo sie mit Nebenwohnung gemeldet ist. Im Hinblick hierauf beantragte die Klägerin, ihr das Kind steuerrechtlich zuzuordnen und es auf ihren Lohnsteuerkarten 1976 und 1977 einzutragen. Das wurde vom zuständigen Bezirksamt Kreuzberg abgelehnt. Der hiergegen eingelegte Einspruch wurde vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) zurückgewiesen.

Die Klage hatte Erfolg. Das FG führte aus, die Klägerin habe für die von ihr erhobene Klage auf Eintragung ihrer Tochter auf den Lohnsteuerkarten 1976 und 1977 ein Rechtsschutzbedürfnis, weil das Verfahren zur Durchführung des Lohnsteuer- Jahresausgleichs 1976 noch nicht beendet sei und das Lohnsteuer- Jahresausgleichsverfahren für 1977 noch nicht begonnen habe.

Die Klage sei auch begründet. Die Tochter A sei der Klägerin zuzuordnen, obwohl sie nicht in ihrer Wohnung mit Hauptwohnung gemeldet sei. Denn die steuerrechtlich maßgebenden Voraussetzungen für das melderechtliche Verhältnis der Tochter zur Wohnung der Klägerin seien vorhanden.

Nach dem Sinn und Zweck des Berliner Meldegesetzes in der Fassung vom 1. Juli 1970 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin 1970 S. 996 - GVBl Berlin 1970, 996 -) werde durch die Anmeldung einer Wohnung auf den wirklichen Aufenthaltsort der angemeldeten Person hingewiesen. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz dieses Gesetzes werde das Verhältnis von Haupt- und Nebenwohnung allein durch die Erklärung des Meldepflichtigen bestimmt. Die Meldebehörde prüfe nicht, ob die Wahl zwischen Haupt- und Nebenwohnung zutreffend ausgeübt worden sei, zumal das Meldegesetz keine Vorschrift enthalte, die das Verhältnis von Haupt- und Nebenwohnung festlege. Es könne daher nach dem Meldegesetz auch die Wohnung der Klägerin zur Hauptwohnung der Tochter A erklärt werden. Das würde zudem dem tatsächlichen Wohnverhältnis gerecht, weil die Tochter seit 1972 dort ständig gewohnt habe. Die Klägerin habe jedoch ihre Tochter in ihrer Wohnung nicht mit Hauptwohnung anmelden können. Denn hierzu sei nur der Beigeladene befugt gewesen, weil er als Sorgeberechtigter den Wohnsitz des Kindes bestimme (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Die polizeiliche Anmeldung des Kindes durch den Sorgeberechtigten in seiner Wohnung als Hauptwohnung sei jedoch für das Steuerrecht nicht entscheidend. Denn anders als im bürgerlichen Recht (§§ 7, 8 BGB) sei für den steuerlichen Wohnsitz (vgl. § 8 der Abgabenordnung - AO 1977 -) nicht der rechtsgeschäftliche Wille des personensorgeberechtigten Elternteils, sondern die tatsächliche Gestaltung der Wohnsitzverhältnisse maßgebend. Hieraus folge, daß ein Kind dem nicht personensorgeberechtigten Elternteil steuerrechtlich zuzuordnen sei, wenn das Kind unstreitig nur bei ihm lebe, auch wenn die Meldebehörden die Anmeldung des Kindes mit Hauptwohnung bei diesem Elternteil unter Berufung auf die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften nicht durchführen könnten.

Dieses Ergebnis widerspreche zwar dem Wortlaut des § 32 Abs. 4 der Einkommensteuergesetze 1975/1977 (EStG). Es sei dies aber gleichwohl gerechtfertigt, weil bei einer Entscheidung nach den Buchstaben des Gesetzes sein Sinn auf den zu entscheidenden Fall verfehlt wäre. Die im Gesetz verwendeten verwaltungsrechtlichen Tatbestandsmerkmale könnten nicht ohne Rücksicht auf die vom Verwaltungsrecht abweichenden steuerrechtlichen Regeln angewendet werden. Ein Kind müsse dem Steuerpflichtigen zugeordnet werden, der es überwiegend unterhalte. Denn die mit der Zuordnung verbundenen Steuervorteile sollten seine erhöhten wirtschaftlichen Belastungen verringern. Der Gesetzgeber knüpfe zwar aus Vereinfachungsgründen bei der steuerrechtlichen Zuordnung an die Hauptwohnung des Kindes an, weil er davon ausgehe, daß das Kind dort zusammen mit dem Elternteil wohne, der den überwiegenden Unterhalt trage. Das sei im Regelfall richtig, weil der Elternteil, bei dem das Kind wohne, nicht nur finanziellen, sondern, wie hier die Klägerin, auch tatsächlichen Unterhalt leiste. Der Gesetzgeber erfasse in § 32 Abs. 4 EStG aber die Fälle nicht, in denen das Kind zwar mit Hauptwohnung bei einem Elternteil gemeldet sei, aber nicht von dem in der Hauptwohnung lebenden Elternteil überwiegend unterhalten werde.

Es sei der Klägerin bei der Eintragung ihres Kindes auf den Lohnsteuerkarten 1976 und 1977 nicht zuzumuten, den schon seit Jahren schwebenden Rechtsstreit wegen des Sorgerechts vor den ordentlichen Gerichten abzuwarten. Selbst wenn eine Entscheidung zu ihren Gunsten in absehbarer Zeit ergehen sollte, hätte eine darauf fußende polizeiliche Anmeldung ihrer Tochter bei ihr mit Hauptwohnung keine Rückwirkung für das Steuerrecht.

Das FA rügt mit der Revision sinngemäß die Verletzung des § 32 Abs. 4 EStG. Es ist der Ansicht, die Zuordnung des Kindes richte sich im Streitfall allein danach, bei wem das Kind in den Streitjahren 1976 und 1977 polizeilich mit Hauptwohnung gemeldet sei. Es komme entgegen der Ansicht des FG nicht darauf an, bei welchem Elternteil sich ein Kind tatsächlich aufhalte und welcher Elternteil überwiegend für den Unterhalt des Kindes aufkomme.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Denn das FG hat das FA zu Unrecht dazu verpflichtet, das Bezirksamt Kreuzberg - Bezirkseinwohnermeldestelle - anzuweisen, die am 14. Februar 1964 geborene Tochter A als Kind auf der Lohnsteuerkarte der Klägerin für die Streitjahre 1976 und 1977 einzutragen.

Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist ein leibliches Kind im Sinne des Satzes 1 Nr. 1 dieser Vorschrift eines unbeschränkt steuerpflichtigen Elternpaares, das geschieden ist und bei dem deshalb die Voraussetzungen zur Einkommensteuerveranlagung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen, dem Elternteil zuzuordnen, in dessen Wohnung es erstmals im Kalenderjahr mit Hauptwohnung polizeilich gemeldet ist. Wo und auf welche Weise eine solche Meldung zu erfolgen hat, richtet sich nach den jeweiligen Meldegesetzen der Länder (vgl. Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 32 Anm. 50). Nach dem für Berlin (West) maßgebenden Meldegesetz in der Fassung vom 1. Juli 1970 ist der Bezug einer Wohnung innerhalb einer Woche bei der Meldebehörde anzumelden (§ 1 Abs. 1). Wird bei Beziehen einer Wohnung eine andere Wohnung im Inland beibehalten, so muß bei der Anmeldung erklärt werden, welche Wohnung die Hauptwohnung der gemeldeten Person ist; diese Erklärung kann bei derselben Meldebehörde geändert werden (§ 1 Abs. 2 dieses Gesetzes).

Im Streitfall ist das Kind A nicht der Klägerin, sondern nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG dem Beigeladenen zuzuordnen, da letzterer als Sorgeberechtigter das Kind nach § 11 Abs. 1 Satz 1 BGB in seiner Wohnung mit Hauptwohnung polizeilich angemeldet hat und sich an dieser Anmeldeerklärung in den Streitjahren 1976 und 1977 nichts geändert hat.

Es kommt entgegen der Ansicht des FG für die steuerrechtliche Zuordnung eines Kindes nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht darauf an, daß sich die Tochter A nach den Feststellungen des FG ab 14. Februar 1974 ständig - und somit auch in den Jahren 1976 und 1977 - nur bei der Klägerin aufgehalten hat und daß die Klägerin sie in dieser Zeit nach den Feststellungen des FG überwiegend unterhalten hat. Wie die Entwicklungsgeschichte des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zeigt, hat der Gesetzgeber bewußt davon abgesehen, die steuerrechtliche Zuordnung der Kinder von der tatsächlichen Zugehörigkeit eines Kindes zum jeweiligen Haushalt eines der beiden Elternteile abhängig zu machen. Denn die in Art. 1 § 99 Abs. 3 des Entwurfs eines Dritten Steuer-Reformgesetzes vom 9. Januar 1974 an sich vorgesehene Regelung, ein Kind dem Steuerpflichtigen zuzuordnen, zu dessen Haushalt es gehört, wenn das Kindschaftsverhältnis zu mehreren Steuerpflichtigen besteht (Deutscher Bundestag, Drucksache 7/1470, S. 64 und S. 291), ist nicht zum Gesetz geworden. Offensichtlich in dem Bemühen, den Finanzbehörden zwecks Bewältigung der ihnen obliegenden Massenarbeit bei Durchführung von Einkommensteuerveranlagungen und von Lohnsteuereintragungs- und Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren die kaum möglichen Ermittlungen über die Höhe der von getrennt lebenden und geschiedenen Elternteilen ihren Kindern jeweils erbrachten Unterhaltsleistungen und Feststellungen über die tatsächliche Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt des einen oder anderen Elternteils zu ersparen, hat der Gesetzgeber in typisierender Form in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG allein auf den leicht nachweisbaren Umstand abgestellt, bei welcher Wohnung der beiden Elternteile das Kind mit Hauptwohnung erstmals im Kalenderjahr polizeilich gemeldet ist. Er konnte dabei - ohne gegen das Willkürverbot im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) zu verstoßen - für den Regelfall zu Recht davon ausgehen, daß das Kind sich in der Wohnung des Elternteils, in der es mit Hauptwohnung gemeldet ist, überwiegend aufhält und daß dieser Elternteil den Unterhalt des Kindes überwiegend trägt. Die mit dieser Regelung erstrebte Beseitigung einer steuerrechtlichen Doppelberücksichtigung von Kindern hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Beschluß vom 8. Juni 1977 1 BvR 265/75, Begründung in Abschn. C vor I (BStBl II 1977, 526, 530/531) verfassungsrechtlich nicht beanstandet. Der Gesetzgeber hat - wie bei jeder Typisierung, so auch hier - bewußt die damit verbundenen Härten (s. auch die gegen die gesetzliche Regelung geäußerten Bedenken bei Oeftering/Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, § 32 EStG Anm. 28) sowie den Umstand in Kauf genommen, daß die Erklärung der Wohnung zur Hauptwohnung vor der Meldebehörde von Anfang an unzutreffend war oder vor Beginn des Streitjahres sachlich unrichtig geworden ist, weil das Kind nicht (mehr) im Sinne des § 1 Abs. 4 des vorgenannten Meldegesetzes zwei Wohnungen zum Wohnen oder Schlafen benutzt. Auf die steuerrechtlichen Wohnsitzvorschriften (§ 8 AO 1977, § 13 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -) kommt es daher hier nicht an.

Die steuerrechtliche Zuordnung von Kindern kann mit Wirkung ab Beginn des Folgejahres in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nur dadurch geändert werden, daß das Kind in der Wohnung des anderen Elternteils mit Hauptwohnung umgemeldet wird. Diese Ummeldung durchzuführen, hat der Steuergesetzgeber den Elternteilen überlassen, auch wenn dies gegen den Willen des Sorgeberechtigten ggf. erst nach gerichtlicher Übertragung des Sorgerechts auf den anderen Elternteil möglich sein sollte. Unbilligkeiten, die sich hierdurch für den Elternteil ergeben, dem das Kind (noch) nicht steuerrechtlich zugeordnet ist, werden zwar nicht für die Streitjahre 1976 und 1977, wohl aber ab dem Veranlagungszeitraum 1978, dadurch gemindert, daß dem genannten Elternteil bei Erfüllung seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind u.a. nach § 33a Abs. 1 a EStG 1977 auf Antrag ein Freibetrag von 600 DM zu gewähren ist (vgl. auch § 52 Abs. 27 EStG 1977).

Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da das FG von anderen rechtlichen Gesichtspunkten ausgegangen ist. Die Sache ist entscheidungsreif. Da das Bezirksamt Kreuzberg - Bezirkseinwohnermeldestelle - sich zu Recht geweigert hat, das in der Wohnung des Beigeladenen mit Hauptwohnung gemeldete Kind A auf der Lohnsteuerkarte der Klägerin für die Jahre 1976 und 1977 einzutragen, ist die Klage als unbegründet abzuweisen.