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BFH-Beschluß vom 2.3.1982 (VIII B 26/82) BStBl. 1982 II S. 264

Setzt das FG die Vollziehung eines Steuerbescheids aus oder hebt es dessen Vollziehung auf, kann die Vollziehung dieses Beschlusses weder vom FG noch vom BFH (als Beschwerdegericht) einstweilen ausgesetzt werden.

FGO § 69 Abs. 3 Satz 1 und 4, § 131 Abs. 1 Satz 2, § 155; ZPO § 572 Abs. 3.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (Antragsgegner) ist Arbeitnehmer. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) veranlagte ihn und seine Ehefrau für 1980 gemeinsam zur Einkommensteuer, ohne einen geltend gemachten Verlust aus der Beteiligung an einem Bauvorhaben zu berücksichtigen (Bescheid vom 4. November 1981). Das FA hat über den eingelegten Einspruch noch nicht entschieden.

Das Finanzgericht (FG) gab einem Antrag des Antragsgegners auf Aussetzung der Vollziehung im wesentlichen statt und hob die Vollziehung des Bescheids vom 4. November 1981 in Höhe eines Teilbetrags von ... DM mit der Maßgabe auf, daß der Betrag einstweilen an den Antragsgegner zu erstatten sei (Beschluß vom 18. Dezember 1981). Das FA legte Beschwerde ein, die bei dem Senat anhängig ist.

Das FA beantragte zugleich mit der Einlegung der Beschwerde, die Vollziehung des Beschlusses vom 18. Dezember 1981 nach § 131 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einstweilen auszusetzen. Das FG wies den Antrag zurück und führte aus: § 131 Abs. 1 Satz 2 FGO finde auf Beschlüsse, die die Aufhebung der Vollziehung anordneten, keine Anwendung (Beschluß des Niedersächsischen FG vom 25. Mai 1972 IX 79/72 A, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1972, 451; Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Januar 1973 VIII B 49/72 - nicht veröffentlicht [NV] -). Selbst wenn mit Rücksicht auf die angeordnete Erstattung § 131 Abs. 1 Satz 2 FGO anwendbar sein sollte und die Erfolgsaussichten der Beschwerde als Ermessensrichtmaß zu dienen hätten, müsse der Antrag abgewiesen werden. Zwar habe der BFH in dem Beschluß vom 5. August 1980 VIII B 108/79 (BFHE 131, 282, BStBl II 1981, 35) die Möglichkeit verneint, Lohnsteuerabzugsbeträge im Vollziehungsaussetzungsverfahren zu erstatten. Er habe jedoch nicht die entscheidenden Gesichtspunkte des angegriffenen Beschlusses vom 18. Dezember 1981 erwogen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb der sorgfältig begründete Beschluß des Niedersächsischen FG vom 18. Februar 1980 VIII 42/78 A (EFG 1980, 344) vom BFH aufgehoben worden sei; der aufhebende BFH-Beschluß vom 18. Juli 1980 IV B 15/80 sei nicht veröffentlicht worden. Schließlich habe der BFH in dem Beschluß vom 4. Juni 1981 VIII B 31/80 (BFHE 133, 267, BStBl II 1981, 767, am Ende) die Bedeutung des einstweiligen Rechtsschutzes in den Fällen besonders betont, in denen ein einstweiliger Rechtsschutz gegenüber dem früheren Leistungsgebot nicht in Betracht komme.

Das FA macht mit der Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, geltend: § 131 Abs. 1 Satz 2 FGO sehe die Aussetzung der Vollziehung in allen Fällen vor, in denen die Beschwerde keine aufschiebende Wirkung habe. Das müsse auch für Beschlüsse im Vollziehungsaussetzungsverfahren gelten. Die sachlichen Erfolgsaussichten seien an dem BFH-Beschluß in BFHE 131, 282, BStBl II 1981, 35 zu messen, von dem das FG abgewichen sei. Sollte der BFH sich zu einer uneingeschränkten Überprüfung der Vorentscheidung nicht in der Lage sehen, werde hilfsweise beantragt, der BFH möge als Beschwerdegericht die einstweilige Anordnung treffen, daß die Vollziehung ausgesetzt werde. Die Befugnis hierzu ergebe sich aus § 572 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i. V. m. § 155 FGO.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 131 Abs. 1 Satz 2 FGO kann das FG, dessen Entscheidung mit der Beschwerde angefochten ist, auch in Fällen, in denen die Beschwerde keine aufschiebende Wirkung hat, bestimmen, daß die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung einstweilen auszusetzen ist. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt voraus, daß die mit der Beschwerde angefochtene Entscheidung vollziehbar ist.

Nicht vollziehbar ist ein FG-Beschluß, der die Aussetzung der Vollziehung ablehnt (BFH-Beschluß vom 18. Juli 1968 VII B 145-147/67, BFHE 93, 217, BStBl II 1968, 744). Der erkennende Senat hat in dem nichtveröffentlichten Beschluß vom 23. Januar 1973 VIII B 49/72 gleiches für einen FG-Beschluß angenommen, der wie hier eine Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung anordnet. Die Vollziehung eines solchen Beschlusses könne nicht seinerseits gemäß § 131 Abs. 1 Satz 2 FGO ausgesetzt werden. Der Beschluß sei seinem wesentlichen Inhalt nach nicht vollziehbar. Seine Wirkung liege hauptsächlich darin, daß nach dem Entscheidungsinhalt die Vollziehbarkeit des Abgabenbescheids vorläufig und ohne weiteres (ohne Vollziehung) für die Zukunft bzw. für die Vergangenheit entfalle, ohne daß es zur Erreichung dieser Wirkung - Fortfall der Vollziehbarkeit - eines Vollziehungsakts bedürfe. Darüber hinaus würde ein Ausspruch nach § 131 Abs. 1 Satz 2 FGO die zu treffende Entscheidung über die Vollziehbarkeit des Steuerbescheids einseitig zugunsten des FA und ohne Not vorwegnehmen. Der Senat hält an dieser Auffassung fest. Sie wird auch von den Finanzgerichten (Beschluß des FG Bremen vom 1. August 1966 II 77/66 AW, EFG 1966, 470; Beschluß des FG Rheinland-Pfalz vom 19. März 1969 II 21a/68, EFG 1969, 307; Beschluß des Niedersächsischen FG in EFG 1972, 451) und überwiegend in der Literatur vertreten (Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 131 Anm. 7; Gräber, Kommentar zur Finanzgerichtsordnung, § 131 Anm. 7; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 131 FGO; v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 131 FGO Anm. 4; anderer Ansicht Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 10.209).

Eine andere Beurteilung greift auch nicht deswegen Platz, weil das FG eine einstweilige Steuererstattung angeordnet hat. Die Aussetzung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 Satz 1 FGO) und die Aufhebung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 Satz 4 FGO) müssen im Rahmen des § 131 Abs. 1 Satz 2 FGO gleichbehandelt werden. Die Steuererstattung ist eine Folge der Annahme des FG, daß die Vollziehung eines angegriffenen Einkommensteuerbescheids gemäß § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO auch hinsichtlich einbehaltener Lohnsteuerbeträge aufgehoben werden dürfe. Diese Ansicht wird im Beschwerdeverfahren gegen den Beschluß vom 18. Dezember 1981 zu überprüfen sein. Bis dahin muß das FA den FG-Beschluß auch dann beachten, wenn er unrichtig sein sollte.

Eine entsprechende Anwendung des § 572 Abs. 3 ZPO kommt im finanzgerichtlichen Verfahren nicht in Betracht (BFH-Beschlüsse vom 27. Juni 1972 VII S 2/72 - NV -; vom 23. Januar 1973 VIII B 49/72 - NV -; vom 18. September 1973 VII S 1/73 - NV -; vom 22. April 1977 VI B 43/77 - NV -; Tipke/Kruse, a. a. O.; Ziemer/Birkholz, a. a. O., § 131 Anm. 6; anderer Ansicht v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 131 FGO Anm. 6; Gräber, a. a. O., Anm. 3; unentschieden BFH-Beschluß vom 1. März 1977 VII B 81/76, BFHE 121, 311, BStBl II 1977, 354). Selbst wenn die Vorschrift anwendbar wäre, könnte ihr Anwendungsbereich nicht weitergehen als derjenige des § 131 Abs. 1 Satz 2 FGO. Auch der BFH als Beschwerdegericht könnte nicht die Vollziehung von FG-Beschlüssen nach § 69 Abs. 3 FGO aussetzen.