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BFH-Urteil vom 16.12.1981 (II R 89/80) BStBl. 1982 II S. 266

1. Die Steuerbefreiung nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 KVStG 1972 setzt nicht voraus, daß die inländische Kapitalgesellschaft unmittelbar der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser usw. dient.

2. Zur Frage, ob die Erträge auch dann i. S. der vorgenannten Vorschrift ausschließlich der öffentlich-rechtlichen Körperschaft zufließen, wenn Ausgleichszahlungen gemäß § 304 AktG 1965 geleistet oder Verluste gemäß § 302 AktG 1965 übernommen werden müssen.

KVStG 1972 § 7 Abs. 1 Nr. 2; AktG 1965 §§ 302 und 304.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Alleingesellschafterin der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, ist die Stadt X. Die Klägerin ist ihrerseits zu 66,46 % Aktionärin der X-Energie- und Wasserversorgungs AG (EW-AG) und zu 99,3 % Aktionärin der X-Verkehrs AG (V-AG). Die restlichen Beteiligungen an der EW-AG halten die Stadt X mit 0,20 % und die Y-Gasgesellschaft (Y-Ga) mit 33,34 %; an der V-AG ist neben der Klägerin nur noch die Stadt X mit 0,7 % beteiligt.

Mit der EW-AG und der V-AG hat die Klägerin je einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen.

Die EW-AG führte aufgrund des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags ihre Gewinne an die Klägerin ab. Trotzdem hatte die Klägerin ständig Verluste, weil sie ihrerseits aufgrund des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags mit der V-AG deren negative Geschäftsergebnisse übernehmen mußte (§ 302 des Aktiengesetzes vom 6. September 1965 - AktG 1965 -). 1973 erhielt sie daher - wie auch in den folgenden Jahren - von ihrer Alleingesellschafterin einen Zuschuß zur Deckung ihres Verlustes. Außerdem wurde 1975 ihr Stammkapital erhöht. Die Kapitalerhöhung wurde 1975 im Handelsregister eingetragen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte wegen der genannten Vorgänge gegen die Klägerin Gesellschaftsteuer fest.

Mit ihrer Sprungklage begehrte die Klägerin Steuerbefreiung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 2 des Kapitalverkehrsteuergesetzes i. d. F. vom 17. November 1972 (KVStG 1972). Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.

Mit ihrer Revision beantragt die Klägerin, das FG-Urteil und die Steuerbescheide aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist begründet.

Die besteuerten Vorgänge, welche gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a und § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 der Steuer unterliegen, sind nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 KVStG 1972 steuerfrei.

1. Die Klägerin ist eine inländische Kapitalgesellschaft, die i. S. der genannten Vorschrift der Versorgung der Bevölkerung der Stadt X mit Wasser, Gas, Elektrizität und Wärme sowie dem öffentlichen Verkehr dieser Stadt dient. Daß diese Funktion nur mittelbar durch die Gesellschaften EW-AG und V-AG erfüllt wird, an denen die Klägerin beteiligt ist, reicht nach dem Gesetzestext aus. Die Nr. 2 des § 7 Abs. 1 KVStG 1972 verzichtet im Gegensatz zur Nr. 1 auf den Zusatz "unmittelbar". Diese unterschiedliche Regelung hat ihren Sinn darin, daß die in § 7 Abs. 1 Nr. 2 KVStG 1972 genannten Versorgungsbetriebe sowohl beim Verkehr als auch bei der Wasser- und Energieversorgung vielfach sog. Verbundsysteme erfordern, also die Zusammenarbeit mehrerer oder sogar zahlreicher Gebietskörperschaften. Die hierbei notwendigen gesellschaftsrechtlichen Formen können auch mehrstufige Beteiligungen einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft an Gesellschaften erforderlich machen. Maßgebend ist daher lediglich, daß das in der Gesellschaft gebundene Kapital - mittelbar oder unmittelbar - für die genannten Versorgungszwecke eingesetzt wird.

Auf die Frage, ob und inwieweit die Klägerin im Rahmen der Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge den Geschäftsbetrieb der Gesellschaften EW-AG und V-AG leitet, kommt es daher nicht an.

Soweit sich aus dem zu § 4 Abs. 1 Buchst. b KVStG 1922 ergangenen Urteil des Reichsfinanzhofs (RFH) vom 24. September 1930 II A 359/30 (RFHE 27, 166) eine abweichende Auffassung ergeben sollte, hält der Senat daran nicht mehr fest.

2. Die Anteile an der Klägerin gehören ausschließlich einer Gemeinde, nämlich der Stadt X. Daß an der EW-AG auch die Y-Ga beteiligt ist, spielt hier keine Rolle. Denn die Frage, ob Verstärkungen des in der EW-AG gebundenen Kapitals gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 2 KVStG 1972 gesellschaftsteuerrechtlich begünstigt sind, ist hier nicht zu entscheiden.

3. Die Erträge der Klägerin fließen auch i. S. des § 7 Abs. 1 Nr. 2 KVStG 1972 ausschließlich der Stadt X zu.

Das FG sieht das Hindernis für die Steuerbefreiung darin, daß gemäß § 4 des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags mit der EW-AG und gemäß § 304 AktG 1965 an die Y-Ga Ausgleichszahlungen zu leisten sind. Damit fließe ein Teil der Erträge der Klägerin an die Y-Ga und nicht an die Stadt X, und zwar gleichgültig, ob man die Verpflichtung zur Ausgleichszahlung als eine Verbindlichkeit der Klägerin oder der EW-AG ansehe.

Dieser Auffassung schließt sich der Senat nur insoweit an, als es nicht darauf ankommt, wie man die Verpflichtung zur Ausgleichszahlung zivilrechtlich beurteilt (vgl. dazu den Großkommentar zum Aktiengesetz 1965, 3. Aufl., 1975, § 304 Anm. 17). Zweifelhaft mag jedoch schon sein, ob derartige Ausgleichszahlungen gemäß § 304 AktG 1965 - selbst wenn man eine Zahlungsverpflichtung der Klägerin annimmt - überhaupt Erträge i. S. des § 7 Abs. 1 Nr. 2 KVStG 1972 sind. Jedenfalls darf man aber nicht außer acht lassen, daß diese Ausgleichszahlungen an die Y-Ga lediglich Ersatz für die Gewinnanteile sind, welche die Y-Ga aufgrund des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags an die Klägerin verloren hat. Dieser Ersatz, der nach § 304 Abs. 1 AktG 1965 angemessen sein muß, schmälert daher nicht zugunsten der Y-Ga die gesellschaftsrechtliche Stellung der Stadt X an der Klägerin. Die Erträge, welche dieser Alleingesellschafterin zufließen, ändern sich im Ergebnis durch den Abschluß des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags und die damit verbundenen Ausgleichszahlungen nicht. Die Klausel des § 7 Abs. 1 Nr. 2 KVStG 1972, wonach die Erträge ausschließlich den als Gesellschaftern beteiligten öffentlich-rechtlichen Körperschaften zufließen müssen, kann nur dann eingreifen, wenn diese Gesellschafter Ertragseinbußen zugunsten Dritter hinnehmen müssen. Das ist hier aber nicht der Fall. Aus dem vorgenannten Grund wird § 7 Abs. 1 Nr. 2 KVStG 1972 hier auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Klägerin aufgrund des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags mit der V-AG deren Verluste übernehmen mußte und daher ebenfalls negative Geschäftsergebnisse hatte. Diese Verluste der V-AG wären auch ohne Abschluß des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags in Höhe von 99,3 % zu Lasten der Klägerin und damit deren Alleingesellschafterin und in Höhe von 0,7 % direkt zu Lasten der Alleingesellschafterin der Klägerin gegangen.

Der Senat entscheidet in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das angefochtene Urteil und die Steuerbescheide sind aufzuheben.