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BFH-Beschluß vom 21.1.1982 (VIII B 94/79) BStBl. 1982 II S. 307

1. In Stundungssachen kann vorläufiger Rechtsschutz im Wege der einstweiligen Anordnung gewährt werden.

2. Die Erfüllung einer Steuerschuld kann dann eine erhebliche Härte i. S. v. § 222 AO 1977 darstellen, wenn der zu zahlende Betrag mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit alsbald zu erstatten sein wird.

FGO § 114; AO 1977 § 222.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Die zur Einkommensteuer zusammenveranlagten Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) sind an der X Gesellschaft zur Exploration von Erdöl und Erdgas mbH & Co. (KG) beteiligt. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) erkannte bei der Einkommensteuerveranlagung 1977 den von den Antragstellern erklärten Verlustanteil zunächst nicht an. Nach Eingang einer Mitteilung des Betriebs-FA über den Verlustanteil der Antragsteller setzte das FA die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1977 entsprechend aus und lehnte den weitergehenden Antrag der Antragsteller ab. Die Antragsteller stellten beim FA auch den Antrag, die sich aus dem Einkommensteuerbescheid 1977 ergebende Einkommensteuer zu stunden. Das FA lehnte diesen Antrag ab, weil nach der Mitteilung des Betriebs-FA "insoweit auch die Aussetzung des Grundlagenbescheids abgelehnt worden sei". Gegen die Entscheidung des FA haben die Antragsteller Beschwerde eingelegt.

Den weiteren Antrag der Antragsteller, im Wege der einstweiligen Anordnung dem FA aufzugeben, die Einkommensteuer- und die Kirchensteuernachzahlungen für 1977 in Höhe von 68.459 DM bis auf weiteres zu stunden, lehnte das Finanzgericht (FG) in dem angefochtenen Beschluß (veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 1979 S. 610 - EFG 1979, 610 -) ab. Das FG ist der Ansicht, daß der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung unzulässig sei. Hinsichtlich der Kirchensteuer schon deswegen, weil hierfür der Rechtsweg zu den allgemeinen Verwaltungsgerichten gegeben sei; hinsichtlich der Einkommensteuer deshalb, weil hierdurch die Entscheidung der Hauptsache vorweggenommen werde.

Der Antrag sei darüber hinaus auch unbegründet. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe in einem ähnlich liegenden Fall zur Sache entschieden, ohne allerdings die Zulässigkeit der einstweiligen Anordnung in Zweifel zu ziehen (Beschluß vom 5. und 13. Mai 1977 VII B 9/77, BFHE 122, 28, BStBl II 1977, 587).

Deshalb nehme das FG auch sachlich Stellung.

Die Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung nach § 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) seien im vorliegenden Fall nicht gegeben, weil die Antragsteller einen Anordnungsanspruch (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) nicht glaubhaft gemacht hätten. Da die Stundung eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde sei (Hinweis auf BFHE 122, 28, BStBl II 1977, 587), hätten die Antragsteller glaubhaft machen müssen, daß eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensfehlgebrauch vorliege. Das sei nicht geschehen.

Zur Glaubhaftmachung ungeeignet sei zunächst das Vorbringen, eine erhebliche Härte liege darin, daß eine festgesetzte Steuer entrichtet werden solle, die mit Wahrscheinlichkeit demnächst wieder entfallen werde. Dieses Vorbringen sei unzulässig. Denn die Frage der Rechtmäßigkeit des Verlustes der Gesellschaft könne niemals zu einem Anspruch auf Stundung der entsprechenden Steuer beim Anteilseigner führen; hierfür seien nur Stundungsgründe anderer Art, wie z. B. beengte finanzielle Verhältnisse, geeignet.

Für den weiteren Vortrag der Antragsteller, in der Einziehung der Steuer liege eine erhebliche Härte, hätten sie weder Tatsachen näher dargelegt noch glaubhaft gemacht.

Im übrigen fehle es auch an einem besonderen Anordnungsgrund. Ein Zinsverlust sei kein wesentlicher Nachteil i. S. v. § 114 Abs. 1 FGO.

Mit der Beschwerde machen die Antragsteller geltend, daß ihr Antrag auf einstweilige Anordnung zulässig sei. Die Ansicht des FG führe zu einer Lücke im System des einstweiligen Rechtsschutzes.

Die Beschwerde sei auch begründet. Der Ansicht des FG, es sei unzulässig, die Stundung mit Gründen zu begehren, die ausschließlich in den Regelungsbereich eines Grundlagenbescheids gehörten, könne nicht gefolgt werden. Bei einer Stundung habe das Wohnsitz-FA selbst unter Abwägung aller Gründe und Gegengründe zu entscheiden. Im vorliegenden Fall verlangten sie nicht die Berücksichtigung eines Verlustanteils, sondern lediglich die Stundung der Einkommensteuerschuld, was ausschließlich in den Kompetenzbereich des Wohnsitz-FA falle. Im übrigen hielten sie daran fest, daß die Einziehung der Steuer eine erhebliche Härte darstelle, da mit einer Steueränderung zu ihren Gunsten in Kürze zu rechnen sei.

Die Antragsteller beantragen, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses dem FA im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Einkommensteuer 1977 zu stunden, soweit die Fälligkeit nicht durch eine Teilaussetzung der Vollziehung aufgehoben worden ist, hilfsweise, dem FA aufzugeben, sein Ermessen erneut und fehlerfrei auszuüben.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, ist nicht begründet.

1. Der erkennende Senat teilt die Ansicht des FG, daß der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung in bezug auf die Stundung von Kirchensteuer nicht zulässig ist, weil im Land Rheinland-Pfalz der Rechtsweg in Kirchensteuerangelegenheiten zu den Verwaltungsgerichten führt (§ 13 Abs. 1 des Kirchensteuergesetzes - KiStG -, Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Rheinland-Pfalz 1971 S. 59 - GVBl 1971, 59 -). Der Senat ist jedoch nicht der Ansicht, daß der Antrag auf einstweilige Anordnung der im Hauptverfahren begehrten Stundung der Einkommensteuer 1977 unzulässig ist. Der III. Senat des BFH hat in seinem Beschluß vom 14. März 1969 III B 17/68 (BFHE 95, 264, BStBl II 1969, 379) die Zulässigkeit einer einstweiligen Anordnung auch im Verfahren der Stundung von Abgaben bejaht. Der I. Senat hat sich in einer nichtveröffentlichten Entscheidung vom 15. November 1978 I B 58/78, bei der es wie im vorliegenden Fall um die einstweilige Anordnung in einem Verfahren wegen Stundung von Einkommensteuer ging, dieser Ansicht angeschlossen. Der VII. Senat des BFH hat in seinem Beschluß in BFHE 122, 28, BStBl II 1977, 587 die Zulässigkeit dieses Verfahrens in Stundungssachen stillschweigend bejaht. Der erkennende Senat folgt dieser Rechtsprechung. Das FG ist der Ansicht, daß die einstweilige Anordnung die alleinige prozessuale Möglichkeit sei, in Stundungssachen vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren. Es bejaht daher selbst die Statthaftigkeit des Antrags der Antragsteller im vorliegenden Verfahren. Wenn aber das FG der Ansicht ist, daß das Verfahren nach § 114 FGO das alleinige Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist, so kann es die Zulässigkeit nicht deshalb verneinen, weil das Ergebnis von Hauptverfahren und einstweiliger Anordnung zunächst einmal übereinstimmen. Das FG übersieht, daß die einstweilige Anordnung lediglich die Stundung bis zur Entscheidung in der Hauptsache aussprechen würde, also nur vorübergehender Natur wäre. In der Hauptsache bliebe das Gericht immer noch frei in der Entscheidung, ob es die Stundung gewähren oder ablehnen oder auf welchen Zeitraum es sie erstrecken will.

2. Der Senat ist aber mit dem FG der Meinung, daß der Antrag auf einstweilige Anordnung nicht begründet ist. Anordnungsanspruch ist im vorliegenden Fall der im Hauptverfahren verfolgte Anspruch auf Stundung nach § 222 der Abgabenordnung (AO 1977). Es kann dahingestellt bleiben, ob das Begehren auf einstweilige Stundung auf § 114 Abs. 1 Satz 1 oder auf § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO zu stützen ist. Gemäß § 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO ist der Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen. Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, fehlt es an der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruches.

Die Entscheidung über die Gewährung oder Ablehnung einer Stundung nach § 222 AO 1977 ist eine Ermessensentscheidung (BFHE 122, 28, BStBl II 1977, 587). Betrifft der Anordnungsanspruch i. S. des § 114 Abs. 1 FGO eine Ermessensentscheidung der Verwaltung, so reicht nach der vorgenannten BFH-Entscheidung zu seiner Glaubhaftmachung der Hinweis nicht aus, es sei eine für den Antragsteller günstige Entscheidung rechtlich möglich. Die Antragsteller haben ihr Gesuch um vorläufigen Rechtsschutz damit begründet, daß die Verlustzuweisung der Gesellschaft voll anerkannt werden müsse und daher Steuern zu zahlen seien, die demnächst wegfielen. Hierin liege eine unbillige Härte. Dem kann nicht gefolgt werden.

Es trifft zwar zu, daß die Verweigerung einer Stundung dann ermessensfehlerhaft sein kann, wenn dem Steuerpflichtigen in Höhe der Steuern, deren Stundung er begehrt, Gegenansprüche gegen den Steuergläubiger zustehen. In einem solchen Fall widerspräche es dem Grundsatz von Treu und Glauben, etwas zu fordern, was sogleich wieder zurückgewährt werden muß.

In dem Urteil vom 14. August 1963 V 132/59 U (BFHE 77, 344, BStBl III 1963, 445) hat es der BFH nicht für ausgeschlossen gehalten, es als sachlichen Grund für eine Stundung anzuerkennen, wenn der Steuerpflichtige dartut, daß mit Wahrscheinlichkeit die zu zahlende Steuer demnächst zu erstatten sein wird. Nach dem Urteil vom 12. Dezember 1963 V 239/60 S (BFHE 78, 344, BStBl III 1964, 54) ist es ermessensfehlerhaft, die Stundung laufender Steuern (Umsatzsteuervorauszahlungen) abzulehnen, wenn mit Sicherheit davon auszugehen ist, daß der Steuerpflichtige aufgrund eines Rechtsmittels, das dieselbe Steuerart betrifft, vollen Erfolg haben wird und er mit erheblichen Steuererstattungen rechnen kann. In einem Sonderfall, der eine Steuerstundung wegen bestehender Gegenansprüche aus einer Enteignung betraf, hat der BFH im Urteil vom 29. April 1965 IV 346/64 U (BFHE 82, 609, BStBl III 1965, 466) ausgeführt, in dem Verlangen der öffentlich-rechtlichen Körperschaft, die nach dem Gesetz geschuldete Steuer zu entrichten, zu deren Zahlung der Staatsbürger nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage sei, könne nur dann eine unbillige Härte gesehen werden, wenn die öffentlich-rechtliche Körperschaft aufgrund der Enteignungsmaßnahmen mit größter Wahrscheinlichkeit zu Zahlungen, die die Steuerforderung überschritten, verpflichtet werde und wenn die Unterlassung der Zahlung mit den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht vereinbar sei.

Für die Anwendung des Grundsatzes, daß es gegen Treu und Glauben verstößt, etwas zu fordern, was sogleich wieder zurückgewährt werden muß, genügt es im Rahmen der Prüfung, ob eine erhebliche Härte i. S. v. § 222 AO 1977 vorliegt, nach Ansicht des Senats nicht, daß nur eine ungewisse oder unbestimmte Aussicht auf Erstattung der Steuer besteht. Die Erfüllung einer Steuerschuld würde in diesem Zusammenhang nur dann eine erhebliche Härte darstellen, wenn der zu zahlende Betrag mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit alsbald zu erstatten sein wird. Nach den Umständen des Falles kann nicht davon ausgegangen werden, daß hier mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit mit einer Steuererstattung über den Betrag hinaus zu rechnen ist, der schon im Wege der Aussetzung der Vollziehung berücksichtigt worden ist. Da hiernach ein Anordnungsanspruch i. S. v. § 114 FGO nicht vorliegt, kann dem Begehren der Antragsteller nicht entsprochen werden.

Darüber hinaus haben die Antragsteller einen Anordnungsgrund in dem Sinn, daß die Verwirklichung eines Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werde oder eine einstweilige Anordnung aus einem anderen Grund nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden, nicht dargetan. Der befürchtete Nachteil muß ein solcher sein, der über den allgemeinen Nachteil einer Steuerzahlung hinausgeht (BFH-Beschluß vom 14. Juli 1971 II B 2/71, BFHE 102, 238, BStBl II 1971, 633). Die Antragsteller haben nicht vorgetragen, daß sie zum Zwecke der Abschlußzahlungen besondere finanzielle Dispositionen haben treffen oder gar Vermögensgegenstände unter deren Wert haben veräußern müssen.