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BFH-Urteil vom 19.1.1982 (VIII R 150/79) BStBl. 1982 II S. 321

Schuldzinsen für betrieblich begründete und bei der Betriebsveräußerung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG zurückbehaltene Verbindlichkeiten können nachträgliche Betriebsausgaben sein, soweit sie nicht auf Verbindlichkeiten entfallen, die durch den Veräußerungspreis und die Verwertung von zurückbehaltenen Wirtschaftsgütern hätten abgedeckt werden können.

EStG § 4 Abs. 4, § 24 Nr. 2, § 16 Abs. 1 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Alleinerbin ihres 1968 verstorbenen Ehemannes, der als Einzelunternehmer ein Baugeschäft betrieben hatte. Zum Nachlaß gehörten neben dem Bauunternehmen noch Miteigentumsanteile an zwei Grundstücken - Grundstück S-Straße und Grundstück J-Straße -. Auf dem Grundstück S-Straße waren Grundschulden für Schulden des Bauunternehmens eingetragen. Die Klägerin führte das Bauunternehmen nicht selbst fort. Sie veräußerte Baumaschinen und Geräte, die Büroeinrichtung, die Kraftfahrzeuge und die Schalungsteile, verpachtete die Grundstücke und den Lagerplatz an ihren Sohn unter Einräumung des Rechts, die Einzelfirma fortzuführen, und behielt die nach Einziehung der Außenstände verbliebenen Schulden von 200.000 DM, die weiterhin auf dem Grundstück S-Straße abgesichert blieben. In der auf den 31. Oktober 1968 erstellten Schlußbilanz waren diese Schulden nicht mehr ausgewiesen.

In der Einkommensteuererklärung für 1974 machte die Klägerin Schuldzinsen in Höhe von 13.423 DM als nachträglichen Verlust aus Gewerbebetrieb geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ließ die Ausgaben unberücksichtigt, weil sie weder nachträgliche gewerbliche Betriebsausgaben noch Werbungskosten bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung seien. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus:

Die Schuldzinsen seien keine Betriebsausgaben aus einer ehemaligen gewerblichen Tätigkeit. Ein Wirtschaftsgut, also auch eine Schuld, könne nicht mehr notwendiges Betriebsvermögen sein, wenn der Betrieb aufgegeben oder veräußert sei, weil notwendiges Betriebsvermögen einen bestehenden Betrieb in der Hand eines Eigentümers voraussetze. Die Schuld der Klägerin sei außerdem kein Betriebsvermögen mehr, weil sie bei Aufgabe oder Veräußerung des Betriebs entnommen worden sei. Dies zeige die Schlußbilanz, welche die Schuld nicht ausweise. Bestätigt werde dies durch das nachträgliche Verhalten der Klägerin; sie habe in den Einkommensteuererklärungen ab 1968 die Zinsen nicht als Verlust aus Gewerbebetrieb, sondern als Sonderausgaben nach § 10 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend gemacht.

Die Schuldzinsen seien auch keine Werbungskosten bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Es fehle der wirtschaftliche Zusammenhang zwischen der Darlehensaufnahme und der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung. Die Darlehen seien nicht zur Anschaffung der beiden Mietwohngrundstücke, sondern für den Gewerbebetrieb aufgenommen worden. An diesem Schuldgrund habe sich durch den Erbfall nichts geändert.

Mit der Revision macht die Klägerin geltend:

Die Schuldzinsen seien Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, weil sie, die Klägerin, die hypothekarischen Belastungen zusammen mit den hälftigen Miteigentumsanteilen an den Grundstücken S-Straße und J-Straße übernommen habe, um künftig Einnahmen aus den Mietwohngrundstücken zu erzielen. Hinsichtlich des wirtschaftlichen Zusammenhangs sei nicht auf den Grund für die Darlehensaufnahme, sondern auf den Grund für die Übernahme der Verpflichtung durch die Klägerin abzustellen.

Die Schuldzinsen seien auch als nachträgliche Betriebsausgaben anzuerkennen.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Schuldzinsen bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Einkommens entweder als Werbungskosten im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung oder als nachträgliche Betriebsausgaben zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Streitsache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Die Vorentscheidung ist rechtsfehlerhaft, soweit sie den Abzug der Schuldzinsen als Betriebsausgaben versagt hat, weil es sich nicht um nachträgliche Betriebsausgaben handele (§ 24 Nr. 2, § 4 Abs. 4 EStG).

a) Wie in dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. Dezember 1980 I R 119/78 (BFHE 133, 22, BStBl I 1981, 460) ausgeführt ist, sind auch nach Betriebsaufgabe und Vollbeendigung des Gewerbebetriebs, das ist nach Verwertung aller aktiven Wirtschaftsgüter des eingestellten Betriebes, Betriebsausgaben als nachträgliche negative Einkünfte einer ehemaligen gewerblichen Tätigkeit nicht ausgeschlossen. So werden von der Vorschrift des § 24 Nr. 2 EStG Vorgänge erfaßt, die in der auf den Zeitpunkt der Betriebsaufgabe zu erstellenden Steuerbilanz und während der sich möglicherweise anschließenden Liquidationsphase nicht hinreichend berücksichtigt werden konnten, aber durch die frühere gewerbliche Tätigkeit veranlaßt sind. Daß die Zinsen in der Zeit nach der Betriebsaufgabe als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG in den vor 1974 maßgebenden Fassungen geltend gemacht wurden, hat den Charakter der Schulden selbst nicht verändert. Schuldzinsen sind allerdings insoweit keine Betriebsausgaben mehr, als es der Steuerpflichtige bei der Betriebsaufgabe bis zur Vollbeendigung des Gewerbebetriebs unterlassen hat, noch vorhandene aktive Wirtschaftsgüter für die Berichtigung der Schulden einzusetzen (BFH-Urteil vom 11. Dezember 1980 I R 174/78, BFHE 133, 29, BStBl II 1981, 463).

b) Diese für den Fall der Betriebsaufgabe nach § 16 Abs. 3 EStG ausgesprochenen Grundsätze gelten auch bei einer Betriebsveräußerung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um ein Zusammentreffen von Betriebsveräußerung und Betriebsaufgabe oder um Betriebsveräußerung unter Zurückbehaltung von Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens handelt (vgl. dazu Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 18. Aufl., § 16 EStG, Anm. 81). In jedem Falle können Schuldzinsen für eine betrieblich begründete und zurückbehaltene Verbindlichkeit nachträgliche Betriebsausgaben sein, soweit sie nicht auf Verbindlichkeiten entfallen, die durch den Veräußerungspreis und die Verwertung von zurückbehaltenen aktiven Wirtschaftsgütern hätten abgedeckt werden können. Dieser Beurteilung steht es nicht entgegen, daß bei einer Betriebsveräußerung die Kaufpreisforderung ebenso wie der gezahlte Kaufpreis selbst unmittelbar in das Privatvermögen des Veräußerers übergehen (vgl. BFH-Urteile vom 24. September 1976 I R 41/75, BFHE 120, 212, BStBl II 1977, 127; vom 23. November 1967 IV R 173/67, BFHF 90, 378, BStBl II 1968, 93). Denn anders als beim Kaufpreis, der mit der Veräußerung des Betriebs eine betriebliche Verbindung verliert, bleibt bei der zurückbehaltenen Verbindlichkeit für den Veräußerer die betriebliche Veranlassung in dem vorerwähnten Umfang bestehen. Die für eine solche Schuld zu zahlenden Zinsen können mithin in vollem Umfange oder anteilig noch nachträgliche Betriebsausgaben sein. Daß der Veräußerungspreis durch die Nichtübernahme einer Betriebsschuld beeinflußt sein kann, beseitigt nicht deren betrieblichen Charakter und schließt nicht die Möglichkeit nachträglicher Betriebsausgaben aus.

c) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall kann zwar ebenso wie nach der Vorentscheidung offenbleiben, ob eine Betriebsveräußerung Abs. 3 EStG) stattgefunden hat. Der betriebliche Charakter der umstrittenen Schuldzinsen kann nicht mit der Begründung verneint werden, nach Nichtausweis der zugrunde liegenden Schuld in der Schlußbilanz und Geltendmachen der Zinsen als Sonderausgaben sei die Verbindlichkeit als entnommen anzusehen. Beide Gründe tragen nicht.

aa) Der Nichtansatz einer betrieblich veranlaßten Verbindlichkeit in der auf den Zeitpunkt der Betriebsveräußerung oder -aufgabe zu erstellenden Steuerbilanz kann nicht als Entnahme gewertet werden. Eine Schuld, deren Aufnahme betrieblich veranlaßt ist, gehört zum notwendigen Betriebsvermögen und bleibt es auch nach Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs, soweit die unter 1a), b) angegebenen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Ausbuchung von Wirtschaftsgütern und Verbindlichkeiten des notwendigen Betriebsvermögens kann ihre Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen nicht ändern (vgl. BFH-Urteil vom 1. Dezember 1976 I R 73/74, BFHE 121, 135, BStBl II 1977, 315), mithin auch keine Entnahme darstellen.

bb) Daß ein Geltendmachen von Schuldzinsen für eine betrieblich begründete Verbindlichkeit als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG in der bis 1974 maßgebenden Fassung am betrieblichen Charakter der Zinsen nichts ändert, wurde in der Entscheidung in BFHE 133, 22, BStBl II 1981, 460, ausgeführt. Deshalb kann daraus auch nicht auf eine Überführung der Verbindlichkeit in das Privatvermögen geschlossen werden.

2. Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsüberlegungen ausgegangen ist und darauf beruht, war aufzuheben. Der Senat kann nicht selbst entscheiden, weil die Vorentscheidung keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen enthält. Kann das FG feststellen, daß die Verbindlichkeit, für die der Schuldzinsenabzug geltend gemacht wird, betrieblich veranlaßt war und bei der Betriebsveräußerung oder -aufgabe nicht aus dem Veräußerungspreis und der Verwertung von zurückbehaltenen aktiven Wirtschaftsgütern abgedeckt werden konnte, steht einem Abzug der Zinsen als nachträgliche Betriebsausgaben nichts im Wege.

3. Soweit in der Vorentscheidung ein Abzug der Zinsen als Werbungskosten bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung versagt wurde, sind die Ausführungen des FG fehlerfrei. Für eine Abzugsmöglichkeit kommt es auf den Grund der Schuldaufnahme an (vgl. BFH-Urteil vom 15. Januar 1980 VIII R 70/78, BFHE 130, 147, BStBl II 1980, 348). Dieser hat sich hier nicht verändert, weil die Verbindlichkeit durch Erbfolge unverändert auf die Klägerin übergegangen ist.

4. Der I. und IV. Senat des BFH haben dieser Entscheidung zugestimmt. Der I. Senat hat es dabei offengelassen, ob bei der Veräußerung von Gesellschaftsanteilen nicht Besonderheiten auftreten können, wie sie sich etwa aus der Übernahme von Schulden durch unterschiedlich haftende Gesellschafter ergeben können (vgl. BFH-Urteil vom 28. Januar 1981 I R 234/78, BFHE 133, 30, BStBl II 1981, 464).