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BFH-Urteil vom 27.4.1982 (VIII R 36/70) BStBl. 1982 II S. 407

Der BFH hat, wenn im Revisionsverfahren der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, das FA als Revisionsbeklagter die Erledigung erklärt und der Kläger seinen Sachantrag aufrechterhält, die Revision gegen ein klageabweisendes Urteil des FG als unbegründet zurückzuweisen und in den Gründen des Revisionsurteils klarzustellen, daß die Klage unzulässig geworden ist.

FGO § 126 Abs. 2, § 135 Abs. 2, § 138 Abs. 1 und 2.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Streitig war, ob ein Teil der gewerblichen Einkünfte, mit denen der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) den Kläger und Revisionskläger (Kläger) für die Jahre 1965 und 1966 zur Einkommensteuer veranlagt hat, steuerbegünstigte Vergütungen für Arbeitnehmererfindungen sind. Das FA hat dies in den erstmaligen Einkommensteuerbescheiden für 1965 und 1966 vom 29. April 1968 verneint. Einsprüche und Klagen dagegen blieben erfolglos. Gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) vom 26. Mai 1970 I 2000/68 E, I 2007/68 E legte der Kläger Revision ein. Während des Revisionsverfahrens über die erstmaligen Bescheide erließ das FA am 2. Dezember 1971 berichtigte Einkommensteuerbescheide für 1965 und 1966, gegen die der Kläger ebenfalls Einspruch einlegte. Einen Antrag, die berichtigten Einkommensteuerbescheide für 1965 und 1966 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, stellte der Kläger nicht. Daraufhin setzte der Bundesfinanzhof (BFH) durch Beschluß vom 11. Dezember 1974 VIII R 36/70 das Verfahren über die Revision gegen das Urteil des FG vom 26. Mai 1970 I 2000/68 E, I 2007/68 E bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die berichtigten Einkommensteuerbescheide für 1965 und 1966 vom 2. Dezember 1971 aus.

Die Verfahren über die berichtigten Einkommensteuerbescheide für 1965 und 1966 wurden inzwischen abgeschlossen. In der Einkommensteuersache für 1965 erließ das FA nach Klageerhebung einen gemäß § 94 der Reichsabgabenordnung (AO) geänderten Bescheid. Mit Beschluß vom 30. April 1974 traf das FG in dieser Sache eine Kostenentscheidung, nach der der Kläger die Kosten des in der Hauptsache erledigten Verfahrens zu tragen hatte. In der Einkommensteuersache für 1966 nahm der Kläger seine Klage gegen den berichtigten Bescheid zurück. Mit Beschluß vom 9. April 1974 stellte das FG - nach Abtrennung des Verfahrens - das Verfahren für 1966 ein.

Nach diesem Verfahrensabschluß beantragte das FA, das vom BFH ausgesetzte Verfahren über die erstmaligen Einkommensteuerbescheide 1965 und 1966 fortzusetzen und die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen. Der Kläger beantragte, das Verfahren nicht fortzusetzen.

Auf eine Sachstandsanfrage des BFH vom 24. Februar 1981 hin erklärte das FA, nach Abschluß der Verfahren über die berichtigten Einkommensteuerbescheide für 1965 und 1966 sei das Revisionsverfahren über die erstmaligen Einkommensteuerbescheide in der Hauptsache erledigt. Der Kläger gab auch nach Erinnerung und Fristsetzung keine Erklärung ab.

Entscheidungsgründe

1. Der Beschluß des BFH vom 11. Dezember 1974 VIII R 36/70 über die Aussetzung des Revisionsverfahrens ist aufzuheben.

Die Voraussetzungen für eine weitere Aussetzung des Verfahrens in entsprechender Anwendung des § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind nicht mehr gegeben. Mit dem Abschluß der finanzgerichtlichen Verfahren über die berichtigten Einkommensteuerbescheide für 1965 und 1966 sind diese Bescheide bestandskräftig geworden. Die nicht näher erläuterte Mitteilung des Klägers in seinem Schreiben vom 30. Januar 1975, es zeichneten sich noch Möglichkeiten ab, nach denen er zu seinem Recht zu kommen hoffe, reicht für eine weitere Aussetzung des Verfahrens über die erstmaligen Bescheide für 1965 und 1966 nicht aus. Die erstmaligen Bescheide können nach den rechtskräftigen Entscheidungen über die Berichtigungsbescheide keine Wirkung mehr entfalten (vgl. BFH-Beschluß vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231).

2. Die Revision ist unbegründet.

Das Urteil des FG ist im Ergebnis mit der Maßgabe richtig, daß die Klage als unzulässig abzuweisen ist.

Nach dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 5. März 1979 GrS 3/78 (BFHE 127, 155, BStBl II 1979, 378) hat der BFH, wenn im Revisionsverfahren der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, das beklagte FA als Revisionskläger die Erledigung erklärt und der Kläger seinen Sachantrag aufrechterhält, unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils die Klage als unzulässig abzuweisen und die Kosten des gesamten Verfahrens dem Kläger aufzuerlegen. Über einen Sachverhalt der Erledigung der Hauptsache im Revisionsverfahren, in dem das FA Revisionsbeklagter ist und den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, hat der Große Senat des BFH in dem Beschluß in BFHE 127, 155, BStBl II 1979, 378 nicht entschieden, wie sich aus den Ausführungen unter B. I. 1. b) dieses Beschlusses ergibt. Die Überlegungen des Großen Senats über die Notwendigkeit einer Sachentscheidung durch das Revisionsgericht, wie sie in den Ausführungen des Beschlusses in BFHE 127, 155, BStBl II 1979, 378 unter B. II. 5. b) enthalten sind, gelten nach Auffassung des erkennenden Senats jedoch sinngemäß für den Fall, daß das FA nicht Revisionskläger, sondern Revisionsbeklagter ist. Auch dann darf das Revisionsgericht dem Kläger nichts anderes zusprechen als das, worauf sein Klageantrag im Zeitpunkt der Revisionsentscheidung gerichtet ist. Hält der Kläger noch als Revisionskläger seinen Sachantrag aufrecht, so ist darüber zu befinden.

Nach diesen Grundsätzen hat der BFH ein auf Klageabweisung ergangenes Urteil des FG im Ergebnis zu bestätigen, wenn der Kläger als Revisionskläger nach Erledigung der Hauptsache auf einer Sachentscheidung besteht. Erledigt sich in einem solchen Fall die Hauptsache während des Revisionsverfahrens und erklärt nur das FA als Revisionsbeklagter die Erledigung, während der Kläger seinen Sachantrag aufrechterhält, so wird nach einer inzident festgestellten Erledigung der Hauptsache die Klage unzulässig. Durch die Erledigung der Hauptsache während des Revisionsverfahrens ist das Rechtsschutzinteresse für die Klage weggefallen. Ein Aufrechterhalten des Sachantrags durch den Kläger führt zur Zurückweisung der Revision unter gleichzeitiger Klarstellung in den Gründen des Revisionsurteils, daß die Klage unzulässig geworden ist. Im vorliegenden Fall sind diese Voraussetzungen eingetreten.

a) Die Hauptsache ist erledigt.

Ergeht ein Berichtigungsbescheid nach Erhebung der Klage gegen den ursprünglichen Bescheid über eine Steuerfestsetzung und läßt der Steuerpflichtige den Berichtigungsbescheid unanfechtbar werden, so ist das Verfahren gegen den ursprünglichen Bescheid in der Hauptsache erledigt. Es ist dies die Folge dessen, daß nach Unanfechtbarkeit des Berichtigungsbescheids eine den ursprünglichen Bescheid betreffende gerichtliche Entscheidung keine Auswirkungen mehr haben kann; der Erstbescheid ist durch den Berichtigungsbescheid ersetzt (vgl. BFH-Urteil vom 29. Januar 1970 IV 162/65, BFHE 99, 157, BStBl II 1970, 623; BFH-Beschluß in BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231, alle mit weiteren Nachweisen).

Im vorliegenden Fall ist die Erledigung der Hauptsache im Verfahren über die erstmaligen Einkommensteuerbescheide für 1965 und 1966 dadurch eingetreten, daß in den Verfahren über die Berichtigungsbescheide für 1965 und 1966 abschließende und rechtskräftig gewordene Entscheidungen des FG ergangen sind.

b) Übereinstimmende Erledigungserklärungen der Beteiligten liegen nicht vor.

Wie im BFH-Beschluß des Großen Senats vom 5. März 1979 GrS 4/78 (BFHE 127, 147, BStBl II 1979, 375) und im Anschluß daran im BFH-Urteil vom 12. Juli 1979 IV R 13/79 (BFHE 128, 324, BStBl II 1979, 705) ausgesprochen wurde, kann die Erklärung, der Rechtsstreit sei in der Hauptsache erledigt, auch durch schlüssiges Verhalten abgegeben werden. So kann auch das Schweigen eines Beteiligten als ein Verhalten beurteilt werden, das eine Erklärung über die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache darstellt. Voraussetzung ist indessen, daß das Verhalten des Beteiligten eine hinreichend sichere Beurteilung zuläßt. Das ist bei widersprüchlichem Verhalten nicht möglich.

Im vorliegenden Fall ist im Schweigen des Klägers auf die Sachstandsanfrage durch den BFH keine Erledigungserklärung zu sehen. Aus der früheren Erklärung des Klägers zur Aussetzungsfrage ist zu entnehmen, daß er eine Entscheidung in der Sache zu seinen Gunsten erhoffte. Dies steht der Annahme entgegen, daß der Kläger nicht mehr an seinen Sachanträgen festhält.

3. Der I., III. und IV. Senat des BFH haben der Entscheidung zugestimmt.