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BFH-Urteil vom 19.8.1981 (I R 51/78) BStBl. 1982 II S. 452

1. Wird ein amerikanischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in den USA von seiner amerikanischen Arbeitgeberin zur Dienstleistung an eine Geschäftsstelle der deutschen Tochtergesellschaft für länger als ein Jahr abgeordnet, ist in der Regel davon auszugehen, daß er in dieser Zeit in der Bundesrepublik seinen gewöhnlichen Aufenthalt genommen und damit einen Wohnsitz im Sinn des DBA-USA begründet hat.

2. Im Falle der doppelten Ansässigkeit (Nr. 1) steht bei Ausübung der unselbständigen Arbeit im Inland das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik zu, auch wenn das Gehalt während der Zeit der Abordnung von der amerikanischen Muttergesellschaft getragen wird.

EStG §§ 1, 19; StAnpG § 14; DBA-USA 1965 Art. II Abs. 2, Art. X Abs. 4, Art. XV Abs. 1 Buchst. b Nr. 2.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) besitzt die Staatsangehörigkeit der USA. Er ist Angestellter der amerikanischen Firma X. Diese ordnete ihn für die Zeit vom 15. Oktober 1974 bis 27. Oktober 1975 zu ihrer deutschen Tochtergesellschaft, und zwar zu deren Geschäftsstelle in Y (Bundesrepublik) ab. Die amerikanische Firma zahlte das Gehalt des Klägers in Dollar weiter. Für die Zeit vom 15. Oktober bis 31. Dezember 1974 erhielt er ein Gehalt von ... Dollar. Sein Arbeitgeber zahlte für dieses Gehalt Steuern an den amerikanischen Staat.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) veranlagte den Kläger für 1974 mit seinem Gehalt zur Einkommensteuer. Es hielt ihn während der Zeit seines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland für unbeschränkt steuerpflichtig.

Gegen den Einkommensteuerbescheid erhob der Kläger Sprungklage mit der Begründung, die Besteuerung seines Gehalts durch die deutschen Steuerbehörden sei nach Art. X Abs. 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und anderer Steuern in der Fassung des Protokolls vom 17. September 1965 - DBA-USA - (BGBl II 1966, 746, BStBl I 1966, 865) ausgeschlossen. Er sei immer Arbeitnehmer der Firma X in den USA und im Jahre 1974 nicht länger als 183 Tage in Deutschland gewesen. Seine Arbeit habe er aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet, das mit einem amerikanischen Rechtsträger abgeschlossen gewesen sei. Die Arbeitsvergütung sei allein von der amerikanischen Firma getragen worden.

Das Finanzgericht (FG) hob den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1974 ersatzlos auf. Der Kläger habe seinen Wohnsitz in den USA auch während der Zeit seiner Abordnung beibehalten und in der Bundesrepublik für diese Zeit seinen gewöhnlichen Aufenthalt i. S. des § 14 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) gehabt. Seine unbeschränkte Steuerpflicht sei nach § 14 Sätze 2 und 3 StAnpG eingetreten, weil sein Aufenthalt im Inland länger als sechs Monate gedauert habe. In einem Fall der doppelten Ansässigkeit kämen die beiderseitigen Befreiungsvorschriften des Art. X Abs. 2 und 4 DBA-USA für Arbeitseinkünfte im Privatdienst nicht zum Zuge. Maßgeblich sei für den Streitfall Art. XV Abs. 1 Buchst. b Nr. 2 i. V. m. Nr. 1 Buchst. aa DBA-USA. Dem in den USA und in der Bundesrepublik ansässigen Kläger seien die Bezüge aus einer Quelle innerhalb der USA - nämlich von der amerikanischen Firma X aufgrund des mit dieser abgeschlossenen Arbeitsvertrags - zugeflossen. Da diese Einkünfte von der Steuerbemessungsgrundlage in der Bundesrepublik auszunehmen seien und andere in der Bundesrepublik steuerpflichtige Einkünfte des Klägers nicht vorlägen, sei der angefochtene Einkommensteuerbescheid 1974 ersatzlos aufzuheben.

In der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Das FG hat zwar zutreffend die Steuerfreiheit der Bezüge des Klägers nach Art. X Abs. 4 DBA-USA ausgeschlossen, den dann aber anzuwendenen Art. XV des Abkommens unrichtig ausgelegt.

a) Der Kläger war schon im Streitjahr 1974 unbeschränkt steuerpflichtig. Sein Aufenthalt im Inland hat über das Jahresende 1974 hinaus bis zum 27. Oktober 1975 und damit insgesamt länger als sechs Monate gedauert; in diesem Fall erstreckt sich die Steuerpflicht auch auf die ersten sechs Monate (§ 14 Sätze 2 und 3 StAnpG). Die unbeschränkte Steuerpflicht erfaßt sämtliche Einkünfte, also auch die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, gleich, wo diese Arbeit ausgeübt oder verwertet wird (§ 1 Abs. 1 Satz 2, § 19 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Dazu gehörte das Gehalt, das dem Kläger für seine Beschäftigung in der Bundesrepublik von der Firma X in den USA gezahlt worden ist (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG).

b) Dem Besteuerungsrecht der Bundesrepublik steht Art. X Abs. 4 DBA-USA nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift sind Vergütungen für Arbeit, die eine Person mit Wohnsitz in den Vereinigten Staaten in der Bundesrepublik leistet, in der Bundesrepublik - bei Vorliegen noch weiterer Voraussetzungen - steuerbefreit, wenn (Buchst. a der Vorschrift) sich die Person in der Bundesrepublik insgesamt nicht länger als 183 Tage während eines Steuerjahres aufhält. Der Ausdruck "Steuerjahr" ist dem deutschen Steuerrecht fremd. Das Steuerjahr ist dem Veranlagungszeitraum, also dem Kalenderjahr gleichzusetzen (Debatin/Walter, Handbuch zum Deutsch-Amerikanischen Doppelbesteuerungsabkommen, Kommentar zu Art. X Tz. 100 b). Die Vorschrift korrespondiert mit den Bestimmungen des Abs. 2, wonach Vergütungen für Arbeit, die eine Person mit Wohnsitz in der Bundesrepublik in den Vereinigten Staaten während eines nicht längeren Aufenthalts als 183 Tage leistet, in den Vereinigten Staaten steuerbefreit sind. Der Anwendungsbereich der Abs. 2 und 4 betrifft insbesondere Geschäftsreisende, die ein Unternehmen in den anderen Staat entsendet, um dort Kunden zu besuchen oder Monteure, die im Auftrag ihres Unternehmens in dem anderen Staat Maschinen oder Anlagen aufbauen. Die Ausnahmebestimmungen werden deshalb auch Monteurklausel genannt (Debatin/Walter, a. a. O., Tz. 91).

Der Kläger hat sich zwar im Streitjahr 1974 nicht länger als 183 Tage - vom 15. Oktober bis 31. Dezember 1974 - in der Bundesrepublik aufgehalten. Es hat sich aber im folgenden Jahr 1975 ein Aufenthalt von mehr als 183 Tagen - vom 1. Januar bis 27. Oktober 1975 - in der Bundesrepublik angeschlossen. In einem solchen Fall ist in Betracht zu ziehen, daß der Kläger während der gesamten Aufenthaltsdauer in der Bundesrepublik (vom 15. Oktober 1974 bis 27. Oktober 1975) einen gewöhnlichen Aufenthalt i. S. des § 14 Satz 1 StAnpG gehabt haben könnte. Der Kläger wäre dann während seiner Verweildauer in der Bundesrepublik in beiden Staaten ansässig gewesen. Denn nach Art. II Abs. 2 Satz 2 DBA-USA umfaßt der Begriff "Wohnsitz" auch den in der Bundesrepublik verwendeten Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts. Bei doppelter Ansässigkeit entfallen jedoch die Befreiungsvorschriften des Art. X DBA-USA einschließlich der vom Kläger in Anspruch genommenen Vorschrift des Abs. 4. Wie sich aus dem Wortlaut des Art. X Abs. 1 bis 4 DBA-USA ergibt, gelten diese Bestimmungen nur für natürliche Personen, die ihren Wohnsitz entweder in dem einen oder in dem anderen Staat haben. Maßgebliche Vorschrift für die Vermeidung der Doppelbesteuerung ist im Falle der doppelten Ansässigkeit Art. XV DBA-USA (vgl. zu Vorstehendem Debatin/Walter, a. a. O., Tz. 45 Buchst. b).

Der Kläger hatte während der gesamten Zeit seiner Abordnung zu der Geschäftsstelle der Tochtergesellschaft in Y seinen gewöhnlichen Aufenthalt und damit einen Wohnsitz i. S. des DBA-USA in der Bundesrepublik. Nach § 14 Satz 1 StAnpG hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt i. S. der Steuergesetze dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend verweilt. Für die Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht lassen die Sätze 2 und 3 dieser Vorschrift schon einen Aufenthalt von länger als sechs Monaten, auch wenn es sich nur um einen vorübergehenden und nicht um einen gewöhnlichen Aufenthalt handelt, genügen. Die automatische Gleichstellung eines Aufenthalts i. S. des § 14 Sätze 2 und 3 StAnpG, der im Einzelfall ein nur vorübergehender sein kann, mit dem gewöhnlichen Aufenthalt i. S. des Satzes 1 der Vorschrift kommt jedoch bei der Anwendung des DBA-USA mit Rücksicht auf den in Art. II Abs. 2 Satz 2 des Abkommens umschriebenen Begriff des Wohnsitzes nicht in Betracht (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. April 1978 I R 100/75, BFHE 125, 59, BStBl II 1978, 425). § 9 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977), der bestimmt, daß ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer stets und von Beginn an als gewöhnlicher Aufenthalt anzusehen ist, ist im Streitfall noch nicht anzuwenden.

Die in § 14 Sätze 2 und 3 StAnpG für die Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht festgelegte Frist des Aufenthalts von mehr als sechs Monaten kann aber als Anhalt dafür angesehen werden, welchen Aufenthalt der Gesetzgeber nicht mehr als nur vorübergehend ansehen will (vgl. Gutachten des Großen Senats des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 19. Oktober 1940 GrS D 3/40, RFHE 49, 186, 192). Feste Regeln, wann ein Aufenthalt von mehr als sechs Monaten nur ein vorübergehender oder ein gewöhnlicher ist, lassen sich bei der Verschiedenartigkeit der einzelnen Fälle nicht aufstellen. Je länger aber ein Aufenthalt über die zeitliche Grenze von sechs Monaten hinaus dauert, desto mehr tritt der Wille des Steuerpflichtigen zurück, sich hier nur vorübergehend aufzuhalten. In dem Urteil vom 27. Juli 1962 VI 156/59 U (BFHE 75, 447, BStBl III 1962, 429) hat der BFH ausgesprochen, daß für die Beurteilung der Frage, ob ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland aufgegeben worden ist, die Dauer der Abwesenheit von Bedeutung ist, und im Regelfall bei einem Auslandsaufenthalt von mehr als einem Jahr ein inländischer gewöhnlicher Aufenthalt nicht mehr angenommen werden kann. Entsprechendes gilt, wie schon in dem Gutachten RFHE 49, 186 (192) ausgeführt worden ist, bei der Entscheidung der Frage, ob ein inländischer Aufenthalt nicht nur ein vorübergehender ist.

Im Streitfall hat sich der Kläger aufgrund seiner Abordnung an die Geschäftsstelle in Y über ein Jahr in der Bundesrepublik aufgehalten. Besondere Umstände, wie sie dem in BFHE 125, 59, BStBl II 1978, 425 entschiedenen Fall dergestalt zugrunde gelegen haben, daß eine auf fünf Monate begrenzte Abordnung in die Bundesrepublik um fünf weitere Monate verlängert worden ist, sind im Streitfall nicht vorgetragen und vom FG nicht festgestellt worden. Beim Kläger muß daher davon ausgegangen werden, daß er in der Bundesrepublik seinen gewöhnlichen Aufenthalt genommen und damit einen Wohnsitz i. S. des Art. II Abs. 2 Satz 2 DBA-USA begründet hat. Der Kläger war, da er seinen Wohnsitz in den USA beibehalten hat, für die Zeit seines Aufenthalts in der Bundesrepublik in beiden Staaten ansässig mit der Folge, daß die Befreiung seines für die Zeit vom 15. Oktober bis 31. Dezember 1974 bezogenen Gehalts von der inländischen Besteuerung nicht nach Art. X Abs. 4 DBA-USA zum Zuge kommt.

c) Entgegen der Auffassung des FG sind die Bezüge des Klägers nicht nach Art. XV DBA-USA von der inländischen Besteuerung ausgenommen.

Diese Vorschrift des Abkommens regelt, wie der Staat, in dem der Steuerpflichtige mit seinem Gesamteinkommen (Welteinkommen) besteuert wird, zu verfahren hat. Grundsätzlich unterwirft jeder Staat das Welteinkommen einer in seinem Territorium ansässigen natürlichen Person der Besteuerung, die USA das Welteinkommen ihrer Staatsangehörigen, gleich, in welchem Land sie ihren Wohnsitz haben (Debatin/Walter, a. a. O., Art. XV, Tz. 3). Im Falle der doppelten Ansässigkeit (Wohnsitz sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in den USA) greift Art. XV Abs. 1 Buchst. b Nr. 2 des Abkommens ein. Die Doppelbesteuerung wird in diesem Fall dadurch vermieden, daß die betreffende Person in der Bundesrepublik in gleichem Umfang Steuerbefreiung der amerikanischen Einkünfte - der Einkünfte aus Quellen innerhalb der Vereinigten Staaten - beanspruchen kann, wie sie den nur in der Bundesrepublik ansässigen Personen zusteht. Hätte somit der Kläger seine Arbeitseinkünfte - sein Gehalt - aus einer Quelle innerhalb der Vereinigten Staaten bezogen, wären sie nicht anzusetzen gewesen, allenfalls hätte bei Vorhandensein noch weiterer Einkünfte der Progressionsvorbehalt eingegriffen.

Das FG hat allein deshalb, weil der Kläger aufgrund des mit der Firma X abgeschlossenen Arbeitsvertrags sein Gehalt von diesem Unternehmen ausbezahlt erhielt, angenommen, die Bezüge des Klägers stammten aus einer amerikanischen Quelle. Das ist rechtsfehlerhaft. Die Quelle der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit liegt in dem Staatsgebiet, innerhalb dessen die Arbeit ausgeübt und nicht etwa verwertet wird (BFHE 125, 59, BStBl II 1978, 425 mit weiterer Rechtsprechung). Der Kläger hat somit seine Arbeitseinkünfte aus einer Quelle innerhalb der Bundesrepublik bezogen. Das Besteuerungsrecht steht hiernach der Bundesrepublik zu. Die Doppelbesteuerung ist in diesem Fall dadurch auszugleichen, daß die Vereinigten Staaten die deutsche Steuer auf die amerikanische Steuer anrechnen (Art. XV Abs. 1 Buchst. a DBA-USA).

d) Lohnsteuer ist vom Arbeitgeber des Klägers an eine inländische Finanzkasse nicht abgeführt worden. Das FA war daher berechtigt, den Kläger nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG mit seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zur Einkommensteuer zu veranlagen. Rechtsfehler bei der Steuerberechnung im einzelnen sind nicht zu erkennen und auch nicht gerügt worden. Das Urteil des FG ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.