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BFH-Urteil vom 23.4.1982 (VI R 30/80) BStBl. 1982 II S. 500

Die Anwendung der in den LStR vorgesehenen Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen bei eintägigen Dienstreisen führt in der Regel auch dann zu keiner offensichtlich unzutreffenden Besteuerung, wenn es sich überwiegend um Fahrten in ein nur wenige Gemeinden umfassendes Gebiet in der Umgebung des Ortes handelt, in dem der Arbeitnehmer seine regelmäßige Arbeitsstätte hat (Änderung der Rechtsprechung; BFH-Urteil vom 11. Mai 1979 VI R 129/77, BFHE 127, 546, BStBl II 1979, 474, mit Nachweisen).

EStG 1971 § 9 Abs. 1.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist nichtselbständiger Außendienstmitarbeiter der X-AG. Als solcher hatte er im Streitjahr 1973 Verkaufsaufträge zu vermitteln und mußte zu diesem Zweck vor allem Landwirte aufsuchen. In den Büroräumen seiner Arbeitgeberin hatte der Kläger seine Reisen vorzubereiten, Abrechnungen und Berichte zu erstellen bzw. Reklamationen zu bearbeiten. Im Rahmen seiner Außendiensttätigkeit war er an 13 Tagen mehr als zwölf, an 182 Tagen mehr als zehn, an 21 Tagen mehr als sieben und an fünf Tagen mehr als fünf Stunden unterwegs. Seine Arbeitgeberin ersetzte ihm steuerfrei Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 3.700 DM. Dabei wurde nach Abwesenheitsdauer und bei mehr als zehn- bzw. zwölfstündiger Abwesenheit danach unterschieden, ob der Kläger innerhalb oder außerhalb seines Hauptreisegebiets tätig war. Letzteres war an je zwei Tagen mit mehr als zehn- bzw. zwölfstündiger Abwesenheit der Fall.

Der Kläger und seine Ehefrau (Klägerin und Revisionsklägerin - Klägerin -) beantragten nach vorhergegangener Ablehnung durch den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) im Klageverfahren u. a. , die Verpflegungsmehraufwendungen nach der Pauschbetragsregelung des Abschn. 21 Abs. 5 Nr. 3 a und b der Lohnsteuer-Richtlinien 1972 (LStR) mit insgesamt 4.776 DM abzüglich des steuerfrei ersetzten Betrages von 3.700 DM anzusetzen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage insoweit mit im wesentlichen folgender Begründung ab: Es seien im Streitfall zwar Dienstreisen anzunehmen, weil der Kläger wenigstens einen Teil der ihm insgesamt übertragenen Arbeiten in der Zweigniederlassung seiner Arbeitgeberin in G verrichtet und dort deshalb seine ständige Arbeitsstätte gehabt habe. Gleichwohl seien aber die Pauschsätze nicht anzuwenden. Denn nach den Gegebenheiten des vorliegenden Falles könnten Mehraufwendungen in dieser Höhe nicht entstanden sein. Soweit der Kläger in seinem Hauptreisegebiet, nämlich in den Ortschaften A, B und C (Entfernungen von G: 20 km, 15 km und 15 km) tätig gewesen sei, müsse angenommen werden, daß er dort die günstigsten Gelegenheiten zur Essenseinnahme gekannt habe, so daß die ihm steuerfrei gewährten Vergütungen zur Abgeltung des Mehraufwandes ausgereicht hätten. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe im Falle eines Verkaufsfahrers zu erkennen gegeben, daß er die Verpflegungspauschsätze der LStR auch dann nicht für anwendbar halte, wenn dieser Fahrten nicht nur in unmittelbar benachbarte Gemeinden, sondern auch im weiteren Umkreis bei täglicher Rückkehr zur Wohnung unternommen habe. Dies habe seinen Grund in der bei einem eng begrenzten Reisegebiet gegebenen Möglichkeit, hinsichtlich der Essenseinnahme ein günstiges Arrangement zu treffen. Soweit der Kläger außerhalb seines Hauptreisegebiets tätig gewesen sei, könnten zwar die vollen Pauschbeträge angesetzt werden; die sich gegenüber den steuerfreien Vergütungen ergebenden Mehrbeträge seien aber durch den Werbungskosten-Pauschbetrag von 564 DM abgegolten.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung des § 9 des Einkommensteuergesetzes 1971 (EStG) und begründen dies im wesentlichen wie folgt: Nach der ab 1. November 1973 geltenden Neuregelung seien für Dienstreisen, die am gleichen Tag beendet würden, besonders niedrige Pauschbeträge vorgesehen. Nur diese habe er - der Kläger - aber jeweils beansprucht. Es sei nicht ersichtlich, weshalb geringere Verpflegungsmehraufwendungen angefallen sein sollten. Er habe schon wegen seines Gesundheitszustandes nicht nur je eine Haupt- und Zwischenmahlzeit, sondern die üblichen Mahlzeiten eingenommen. Günstige Gelegenheiten zur Verpflegung hätten in seinem Hauptreisegebiet nicht bestanden. Im übrigen seien die drei betreffenden Orte im Streitjahr jeweils Gemeindesitz mit einem erheblichen, räumlich weit ausgedehnten Einzugsgebiet gewesen.

Die Kläger beantragen sinngemäß, unter Änderung des finanzgerichtlichen Urteils und der angefochtenen Entscheidungen des FA bei der Festsetzung der Einkommensteuer Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe der für Dienstreisen vorgesehenen Pauschbeträge nach Abschn. 21 Abs. 5 Nr. 3 a und b LStR abzüglich des steuerfrei gewährten Ersatzes von 3.700 DM zu berücksichtigen, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es ist im wesentlichen der Meinung, aus dem Urteil des BFH zum Fall des Verkaufsfahrers ergebe sich die Unanwendbarkeit der in den LStR für Dienstreisen vorgesehenen Pauschsätze auch bei Fahrten im weiteren Umkreis der Arbeitsstätte.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats über den Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG hinaus alle Aufwendungen, die durch den Beruf veranlaßt sind (Urteil vom 28. November 1980 VI R 193/77, BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368). Ausgaben für die Verpflegung gehören grundsätzlich zu den nach § 12 Nr. 1 EStG nicht abziehbaren Kosten der allgemeinen Lebensführung. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind aber Verpflegungsmehraufwendungen insoweit als Werbungskosten anzuerkennen, als sie ganz überwiegend oder ausschließlich beruflich, insbesondere durch eine Dienstreise oder eine doppelte Haushaltsführung, veranlaßt sind (vgl. zuletzt Urteil vom 14. August 1981 VI R 115/78, BFHE 134, 139, BStBl II 1982, 24).

Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger Dienstreisen ausgeführt hat. Die Feststellung, der Kläger habe in der Zweigniederlassung seiner Arbeitgeberin seine ständige Arbeitsstätte gehabt, ist mit den Grundsätzen des Urteils vom 11. Mai 1979 VI R 129/77 (BFHE 127, 546, BStBl II 1979, 474) vereinbar und bindet daher den Senat (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Entgegen der Auffassung des FG besteht im Streitfall kein Grund, den Verpflegungsmehraufwand des Klägers nicht in Höhe der entsprechenden Pauschbeträge des Abschn. 21 Abs. 5 Nr. 3a und b LStR anzusetzen.

Wie der BFH in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, dienen die in den LStR vorgesehenen Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen der Vereinfachung und gleichmäßigen Durchführung des Besteuerungsverfahrens. Im Rahmen dieser Zielsetzung werden sie auch von den Steuergerichten als Tatsachengrundlage angewendet, solange die Beträge nicht wegen der Eigenart des Einzelfalls zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führen. Ihre Nichtanwendung muß angesichts ihres Zwecks auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 10. Dezember 1971 VI R 180/71, BFHE 104, 241, BStBl II 1972, 257). Bei der Prüfung der Frage, ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die Annahme des FG, der Kläger habe günstige Eßgelegenheiten gekannt und das eng begrenzte Reisegebiet habe ihm die Möglichkeit günstiger Arrangements für die Essenseinnahme geboten, reicht für die Nichtanwendung der Pauschbeträge nicht aus. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Die Pauschbetragsregelungen der LStR haben ihrem Wesen nach typisierenden Charakter. Dies kann im Einzelfall sowohl zu Vorteilen als auch zu Nachteilen für den Steuerpflichtigen führen. Ihrem Zweck entsprechend müssen die Pauschbeträge und die darin zum Ausdruck kommenden Schätzungen auf eine Vielheit von Sachverhalten anwendbar sein. Gerade hierdurch gewährleisten sie die Gleichmäßigkeit der Besteuerung, weil vermieden wird, daß sich in vielen Fällen wegen der unterschiedlichen Gewichtung der Einzelumstände einander widersprechende Ergebnisse einstellen (vgl. hierzu auch das Urteil des Senats vom 16. Dezember 1981 VI R 227/80, BFHE 135, 57, BStBl II 1982, 302, betreffend die Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen anläßlich einer doppelten Haushaltsführung).

Entsprechend diesen Bedürfnissen sind die vorbezeichneten Verwaltungsanweisungen als Beweiserleichterungen im Rahmen des Besteuerungsverfahrens zu verstehen, denen für den Regelfall die Bedeutung von Mindestsätzen zukommt, welche den Nachweis oder die Glaubhaftmachung eines höheren Verpflegungsmehraufwandes nicht ausschließen (vgl. auch BFHE 134, 139, BStBl II 1982, 24). Da es sich somit in tatsächlicher Hinsicht um Beträge handelt, die von der Zielsetzung der Anweisungen her nicht allen Einzelheiten des konkret zu entscheidenden Falles gerecht werden können, bietet andererseits auch nicht jede durch eine Besonderheit des Sachverhalts indizierte Möglichkeit einer unzutreffenden Besteuerung einen Grund für die Nichtanwendung der Pauschsätze. Denn ob Umstände wie beispielsweise das regelmäßige Aufsuchen eines eng begrenzten Reisegebiets Rückschlüsse auf erheblich niedrigere Verpflegungsaufwendungen zulassen, ist letztlich nur aufgrund weiterer Ermittlungen feststellbar.

Derartige Ermittlungen stünden jedoch im Widerspruch zu den Grundsätzen der Vereinfachung und Gleichbehandlung, wobei gerade dem letztgenannten Gesichtspunkt bei der Häufigkeit dieser Fälle ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. auch Altehoefer, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1981, 183). Eine differenzierende Betrachtungsweise wäre auch mit dem Gebot der Vorhersehbarkeit des Verwaltungshandelns nicht vereinbar, welches bei Anweisungen der vorbezeichneten Art deshalb an Bedeutung gewinnt, weil die Anweisungen auch zur Kenntnisnahme durch den Steuerbürger bestimmt sind (Urteil des Senats in BFHE 134, 139, BStBl II 1982, 24).

Aus alledem folgt, daß nur dann die Nichtanwendung der Pauschsätze für Verpflegungsmehraufwendungen gerechtfertigt ist, wenn deren Anwendung zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt. Nur in diesen Fällen ist eine Abweichung von der vom Vereinfachungs- und Gleichbehandlungsgedanken geprägten Typisierung angebracht. In der Regel ist deshalb nicht auf das Bestehen verbilligter Eßgelegenheiten abzustellen. Die im Einzelfall gegebene Verpflegungsweise wird aber z. B. dann eine Rolle spielen, wenn offensichtlich ist, daß dem Steuerpflichtigen, wie etwa bei Teilnahme an einer Gemeinschaftsverpflegung, keine oder nahezu keine Aufwendungen für die Verpflegung entstanden sind. Als gewichtiges Indiz für eine unzutreffende Besteuerung kann es auch angesehen werden, wenn bei umfangreicher Reisetätigkeit infolge der Anwendung der Pauschbeträge unverhältnismäßig geringe Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit verbleiben würden. Derartige Besonderheiten liegen jedoch im Streitfall nicht vor.

Soweit der Senat in seiner Entscheidung in BFHE 127, 546, BStBl II 1979, 474 (vgl. dort den letzten Absatz der Gründe) eine andere Auffassung vertreten hat, wird daran nicht mehr festgehalten. Auch die zu Fahrten in benachbarte Gemeinden entwickelten Grundsätze (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 20. Dezember 1971 VI R 257/70, BFHE 104, 217, BStBl II 1972, 246; vom 24. August 1973 VI R 189/71, BFHE 110, 344, BStBl II 1974, 11, und vom 29. November 1974 VI R 203/72, BFHE 114, 422, BStBl II 1975, 339) hält der Senat jedenfalls für das Streitjahr 1973 nicht mehr aufrecht. Ob jene Rechtsprechung, der noch ein anderer Dienstreisebegriff der LStR zugrunde liegt (vgl. Abschn. 21 Abs. 2 LStR 1970 einerseits und Abschn. 21 Abs. 2 LStR 1972 andererseits), nicht schon deswegen für spätere Zeiträume ihre Bedeutung verloren hat, muß nicht weiter vertieft werden. Für das Streitjahr kommt ihre Anwendung jedenfalls schon deshalb nicht mehr in Betracht, weil die einschlägigen Anweisungen bereits für dieses Jahr zwischen eintägigen und mehrtägigen Dienstreisen unterscheiden (Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 30. Oktober 1973 IV B 6 - S 2338 - 88/73 in Der Betrieb 1973, 2167). Daß diese Verwaltungsregelung erst ab 1. November 1973 gilt, hindert nicht, diese spezifische Typisierung des Richtliniengebers jedenfalls in der hier interessierenden Frage der Anwendbarkeit der Pauschbeträge für das ganze Jahr zu berücksichtigen, zumal sich der für den Kläger maßgebliche Tagessatz nicht geändert hat.

Die Vorentscheidung stimmt mit den vorstehenden Grundsätzen nicht überein. Das Urteil des FG ist deshalb aufzuheben.