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BFH-Beschluß vom 17.3.1982 (II B 58/81) BStBl. 1982 II S. 510

1. Das FG kann in einem Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit eines Grunderwerbsteuerbescheides von dem Notar, der den Grundstückskaufvertrag beurkundet hat, nicht pauschal die Vorlage der Handakten zu diesem Vertrag fordern. Vielmehr kann es nur die Vorlage einzelner Schriftstücke verlangen, die den Inhalt der notariellen Urkunde ergänzen und verdeutlichen.

2. Entscheidet das Gericht die vorgenannte Frage durch Zwischenurteil, so ist das FA in diesem Zwischenstreit Prozeßgegner des Notars, wenn es dessen Recht bestreitet, die Vorlage der Handakten zu verweigern. Wird das Weigerungsrecht des Notars bestätigt, so trägt das FA die Kosten des Zwischenstreits.

FGO §§ 81, 84 und 85; ZPO § 387; AO 1977 §§ 97, 102 und 104.

Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG

Sachverhalt

I.

Die Beteiligten dieses Zwischenverfahrens streiten darum, ob der Beschwerdeführer als Notar dem Finanzgericht (FG) die Vorlage von Handakten zu einem von ihm (dem Beschwerdeführer) beurkundeten Vertrag verweigern darf.

1. Die Kläger des Hauptverfahrens sind Eheleute und hatten im September 1973 von einer Kommanditgesellschaft (KG) je zur Hälfte eine Eigentumswohnung für 119.800 DM gekauft (Vertrag I). Sie hatten diese Wohnung bezogen und waren im Grundbuch als Eigentümer eingetragen worden. Der Beklagte des Hauptverfahrens und Beschwerdegegner dieses Zwischenstreits (das Finanzamt - FA -) hatte gemäß § 2 Nr. 2 des Schleswig-Holsteinischen Gesetzes über die Befreiung von der Grunderwerbsteuer bei Maßnahmen des sozialen Wohnungsbaues und bei Maßnahmen aus dem Bereich des Bundesbaugesetzes vom 28. Juni 1962 (GrESWG) keine Grunderwerbsteuer erhoben.

Am 28. Mai 1975 hatten die Kläger, die KG und ein anderes Ehepaar (Eheleute Prof. Dr. F.) einen notariell beurkundeten Vertrag geschlossen (Vertrag II). Danach hatten die KG und die Kläger den Vertrag I "hinsichtlich seines schuldrechtlichen Teiles" aufgehoben und die KG die Eigentumswohnung nunmehr für 119.800 DM je zur Hälfte an die Eheleute Prof. Dr. F. verkauft. Ihre Kaufpreisforderung gegen die Eheleute Prof. Dr. F. aus dem Vertrag II hatte die KG an die Kläger abgetreten, und zwar zur Erfüllung ihrer Verpflichtung auf Rückzahlung des in dem Vertrag I vereinbarten Kaufpreises. Das Eigentum an der Wohnung hatten die Kläger nach dem Vertrag II unmittelbar auf die Eheleute Prof. Dr. F. übertragen sollen.

Nach Abschluß des Vertrages II hatte das FA für den Vertrag I gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 4 des Schleswig-Holsteinischen Grunderwerbsteuerbefreiungsgesetzes - GrESBWG - (i. d. F. vom 16. September 1974) Steuer erhoben. Die Einsprüche der Kläger waren erfolglos geblieben, ihre Klagen abgewiesen worden.

Auf die Revision der Kläger hatte der Bundesfinanzhof (BFH) durch Urteil vom 14. Juni 1978 II R 90/76 (BFHE 125, 403, BStBl II 1978, 573) die Sache an das Schleswig-Holsteinische FG zurückverwiesen. Die Steuer für den Vertrag I entfalle gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 1 des Schleswig-Holsteinischen Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1967, falls die KG durch den Vertrag II die Eigentumswohnung innerhalb von zwei Jahren zurückerworben habe. Der bisher festgestellte Sachverhalt lasse nicht erkennen, ob die genannte Vorschrift erfüllt sei, nämlich, ob die KG durch den Vertrag II aus den Bindungen des Vertrages I entlassen worden sei und ihre ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt habe.

Das FG werde daher den Sachverhalt noch aufklären müssen und insbesondere festzustellen haben, welche Vereinbarungen damals von den Klägern mit den Eheleuten Prof. Dr. F. getroffen worden seien.

2. In dem zweiten Rechtsgang des vorgenannten Prozesses vor dem FG hat dieses unter Hinweis auf die §§ 93, 97 und 102 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO 1977) sowie die §§ 76 und 84 der Finanzgerichtsordnung (FGO) den Beschwerdeführer, der den Vertrag II beurkundet hatte, um Übersendung der Handakten und der sonstigen vorhandenen Unterlagen zu diesem Vertrag gebeten. Es gehe um die näheren Umstände des Zustandekommens und der Abwicklung dieses Vertrages.

Die Kläger haben dem Beschwerdeführer auf dessen Anfrage keine Erlaubnis zur Aushändigung der Handakten und Unterlagen an das FG gegeben. Daraufhin hat das FG einen Beweisbeschluß erlassen. Danach "soll Beweis erhoben werden über die Motive und Begleitumstände" des vor dem Beschwerdeführer geschlossenen Vertrages II "durch Beiziehung der zu diesem Vertrag angelegten Handakten des beurkundenden Notars".

Nachdem der Beschwerdeführer weiterhin die Ansicht vertrat, er könne mangels Zustimmung der Kläger die Handakten und Unterlagen nicht dem FG vorlegen, hat dieses durch Vorbescheid vom 7. Juli 1981 entschieden, die Weigerung des Beschwerdeführers sei nicht rechtmäßig. Der Vorbescheid wirkt gemäß § 90 Abs. 3 Satz 3 FGO als Urteil.

Das FG führt aus, das Gericht habe den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen § 76 FGO). Es sei auch befugt, Träger eines öffentlichen Amtes um Übersendung von Urkunden zu ersuchen (§ 79 Satz 3 FGO, § 273 Abs. 2 Nr. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Zwar könne ein Notar über dasjenige die Auskunft verweigern, was ihm in seiner Eigenschaft als Beurkundungsperson anvertraut oder bekanntgemacht worden sei (§ 84 Abs. 1 FGO, § 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b AO 1977). Dieses Auskunftsverweigerungsrecht sei aber seinerseits durch § 102 Abs. 4 AO 1977 eingeschränkt, wonach die gesetzlichen Anzeigepflichten der Notare unberührt bleiben. Soweit die Anzeigepflicht bestehe, seien die Notare auch zur Vorlage von Urkunden und zur Erteilung weiterer Auskünfte verpflichtet. Damit könne nur eine Verpflichtung gemeint sein, welche über diejenige zur Vorlage grunderwerbsteuerrechtlich erheblicher Urkunden nach Art. 97 § 5 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) hinausgehe; denn anderenfalls sei § 102 Abs. 4 Satz 2 AO 1977 überflüssig. Demnach habe der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, daß er die Aufklärung des Sachverhaltes gegenüber dem Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Notar und seinen Mandanten und dem damit verbundenen Berufsgeheimnis (§ 18 der Bundesnotarordnung - BNotO -) für vorrangig halte. Im vorliegenden Fall könne daher der Notar nicht die Vorlage der Handakten verweigern.

Gegen diese Entscheidung des FG (EFG 1982, 151) richtet sich die Beschwerde.

Entscheidungsgründe

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Gegen den Zwischenbescheid und das Zwischenurteil eines FG im Streit über die Rechtmäßigkeit einer Zeugnisverweigerung ist gemäß § 82 FGO i. V. m. § 387 Abs. 3 ZPO die Beschwerde möglich, weil die in der letztgenannten Vorschrift vorgesehene sofortige Beschwerde der FGO fremd ist (BFH-Beschluß vom 14. Juli 1971 I R 9/71, BFHE 103, 121, BStBl II 1971, 808). Entsprechendes gilt für den Zwischenstreit über die Frage, ob ein Dritter die Vorlage von Urkunden verweigern kann; denn das Recht, diese Vorlage zu verweigern, deckt sich mit dem Zeugnisverweigerungsrecht (§ 81 Abs. 1 FGO i. V. m. § 104 Abs. 1 Satz 1 AO 1977).

2. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt daher zur Aufhebung des Zwischenurteils.

a) Gemäß § 81 Abs. 1 FGO i. V. m. § 97 Abs. 1 AO 1977 kann das FG zur Beweiserhebung von anderen Personen als den Beteiligten die Vorlage von Urkunden verlangen. Diese Personen können die Vorlage der Urkunden verweigern, soweit sie das Zeugnis verweigern dürfen (§ 104 Abs. 1 Satz 1 AO 1977).

Für die Notare ergibt sich dieses Zeugnisverweigerungsrecht aus § 84 Abs. 1 FGO i. V. m. § 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b AO 1977, wonach sie über dasjenige keine Auskunft zu geben brauchen, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Notar anvertraut oder bekanntgeworden ist. Allerdings wird dieses Verweigerungsrecht durch § 102 Abs. 4 AO 1977 eingeschränkt. Danach bleiben die gesetzlichen Anzeigepflichten der Notare unberührt (Satz 1 der Vorschrift). Soweit die Anzeigepflichten bestehen, sind die Notare auch zur Vorlage von Urkunden und zur Erteilung weiterer Auskünfte verpflichtet (Satz 2).

Das angefochtene Zwischenurteil des FG ist durch § 81 Abs. 1, § 84 Abs. 1 FGO und § 102 Abs. 4 Satz 2 AO 1977 nicht gedeckt.

Zwar gibt der Wortlaut des Gesetzes einerseits zu erkennen, daß mit den "Urkunden" des § 102 Abs. 4 Satz 2 AO 1977 nicht nur die notariellen Urkunden gemeint sind, welche die Notare nach Art. 97 § 5 EGAO 1977 ohnehin vorlegen müssen. Vielmehr erfassen die §§ 97 f. AO 1977 auch und sogar in erster Linie sog. "Zufallsurkunden", d. h. sämtliche Datenträger, die nach ihrer Anfertigung für irgendwelche Tatsachen beweiserheblich werden können. Das zeigen die Absätze 1 und 2 des § 97 AO 1977, die jeweils von "Büchern, Aufzeichnungen, Geschäftspapieren und anderen Urkunden" sprechen. Daß § 102 Abs. 4 Satz 2 AO 1977 nicht nur die notariellen Urkunden meint, zeigt auch der 2. Halbsatz dieser Vorschrift, welcher die der Vorlagepflicht entsprechende Auskunftspflicht umreißt und den Notar zu "weiteren" Auskünften verpflichtet. Die Auskunftspflicht beschränkt sich also nicht auf den Inhalt der aufgenommenen notariellen Urkunde. Sie wäre sonst auch sinnlos.

Aus dem Gesetzeswortlaut wird jedoch auch deutlich, daß § 81 Abs. 1 und § 84 Abs. 1 FGO i. V. m. § 102 Abs. 4 Satz 2 AO 1977 den Notar nicht pauschal zur Vorlage seiner Handakten verpflichten. Das ergibt sich für das finanzgerichtliche Verfahren aus § 86 FGO, der nur den Behörden pauschal die Verpflichtung zur Vorlage von Akten auferlegt.

Die gleiche Auslegung des Gesetzes rechtfertigt seinen Sinn und Zweck. § 102 AO 1977 soll einerseits der Verschwiegenheitspflicht des Notars gemäß § 18 BNotO gerecht werden. Das verbietet dem Notar, uneingeschränkt die mit dem Abschluß eines von ihm beurkundeten Vertrages zusammenhängenden Vorgänge offenzulegen. Andererseits läßt § 18 BNotO Ausnahmen von der Verschwiegenheitspflicht zu, und § 102 Abs. 4 AO 1977 hat als solche Ausnahmevorschrift die Aufgabe, den mit der Anzeigepflicht des Art. 97 § 5 EGAO 1977 verfolgten Zweck zu sichern. Dieser erkennbare Zweck besteht darin, dem FA Kenntnis von Grundstücksverkehrsvorgängen zu vermitteln, und zwar zumindest in einem solchen Umfang, daß das FA diesen Vorgang wenigstens in den Grundzügen grunderwerbsteuerrechtlich beurteilen kann.

Auf den vorliegenden Fall übertragen bedeuten diese vorgenannten Grundsätze, daß das FG hier von dem Beschwerdeführer nicht pauschal die Vorlage der Handakten fordern kann. In diesen Akten können Schriftstücke sein, die dem Berufsgeheimnis unterliegen. Das FG kann vielmehr nur die Vorlage einzelner Schriftstücke verlangen, die den Inhalt der vom Beschwerdeführer eingereichten notariellen Urkunde (Vertrag II) ergänzen und verdeutlichen (vgl. dazu den Kommentar zur Bundesnotarordnung von Seybold/Hornig, 5. Aufl., 1976, § 18 Rdnr. 11 unter bb).

Die Kosten dieses Zwischenstreits sind gemäß § 135 Abs. 1 FGO dem FA aufzuerlegen. Dieses hat das Recht des Beschwerdeführers, die Vorlage der Handakten zu verweigern, bestritten und ist daher Prozeßgegner des Beschwerdeführers in diesem Zwischenstreit (vgl. dazu den Kommentar zur Zivilprozeßordnung von Wieczorek, 2. Aufl., 1976, § 387 Anm. B II a 1).