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BFH-Zwischenurteil vom 10.3.1982 (I R 91/81) BStBl. 1982 II S. 573

Eine Revision ist formgerecht begründet, wenn ein Postamt der Deutschen Bundespost das die Revisionsbegründung enthaltende Schriftstück fernmeldetechnisch im Telekopierverfahren aufnimmt und als Fernkopie dem Revisionsgericht auf postalischem Weg zuleitet.

FGO § 120 Abs. 1 Satz 1.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

I.

Das Hessische Finanzgericht (FG) hat die Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) abgewiesen. Das Urteil wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin durch Postzustellungsurkunde am 18. März 1981 zugestellt. Die Revision der Klägerin vom 18. April 1981 gegen das Urteil trägt den Eingangsstempel des FG vom 22. April 1981. Unter dem Eingangsstempel befindet sich der handschriftliche, mit Namenszug versehene Vermerk "HB morgen 22.04.81 7.30". Aus einer dem Senat bekannten Verfügung des FG ergibt sich, daß beim Hessischen FG kein Nachtbriefkasten eingerichtet ist. Die Verfügung sieht unter anderem vor, daß der Hausbriefkasten dreimal täglich geleert wird, und zwar morgens bei Dienstbeginn, nach der Mittagspause um 14.00 Uhr und vor Dienstende um 16.30 Uhr. Nach der innerdienstlichen Verfügung muß auf der dem Hausbriefkasten entnommenen Post ausnahmslos der Eingangsstempel des Tages angebracht werden, an dem die Post dem Hausbriefkasten entnommen wurde. Der Bedienstete der Posteingangsstelle hat neben dem Eingangsstempel den handschriftlichen Vermerk über den Zeitpunkt der Leerung des Hausbriefkastens anzubringen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ist der Ansicht, die Revisionsfrist sei versäumt, da die Frist am 21. April 1981 (Dienstag nach Ostern) abgelaufen gewesen sei. Demgegenüber hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin vorgebracht, sein Bote könne eidesstattlich versichern, daß das Schriftstück am 21. April 1981 um 23.30 Uhr in den Außenbriefkasten des FG eingeworfen worden sei.

Die Revision ist fristgerecht eingelegt worden.

Die Frist zur Einlegung der Revision (§ 120 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) war, da das Urteil des FG ordnungsgemäß am 18. März 1981 zugestellt worden war, am 21. April 1981 (Dienstag nach Ostern), 24.00 Uhr, abgelaufen. Da das Hessische FG nicht über einen Nachtbriefkasten, sondern nur einen einfachen Hausbriefkasten verfügt, und da die Revisionsschrift zwar den Eingangsstempel vom 22. April 1981 trägt, jedoch urkundlich festgehalten ist, daß das Schriftstück am Morgen dieses Tages dem Hausbriefkasten entnommen wurde, kann nach den beim Hessischen FG getroffenen organisatorischen Maßnahmen nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob der Brief am 21. oder erst am 22. April eingeworfen wurde. Diese Unklarheit darf nicht zu Lasten der Klägerin gehen. Vielmehr ist ihr Vortrag, der Beauftragte des Klägervertreters habe das Schriftstück noch am 21. April vor 24.00 Uhr in den Hausbriefkasten des FG eingeworfen, glaubhaft.

II.

Auf Antrag des Klägervertreters wurde die Frist zur Begründung der Revision bis 31. August 1981 verlängert. Am 31. August 1981 ging beim Bundesfinanzhof (BFH) ein sog. Telebrief ein, der nach Art einer Fotokopie den gesamten Inhalt der Revisionsbegründung einschließlich der eigenhändigen Unterschrift des Prozeßbevollmächtigten enthält. Der Telebrief ist eine gewöhnliche Briefsendung, bei der schriftliche Informationen auf einem Teil der Beförderstrecke auf fernmeldetechnischem Weg über Fernkopierer an Postämter übermittelt und anschließlich als Fernkopie in einer verschlossenen Umhüllung durch Postdienststellen ausgeliefert werden. Nach den Ermittlungen des Senats werden Telebriefe, die für die Postämter München 80 und 86 bestimmt sind, vom Postamt München II, Bayerstraße, täglich über ein sog. Telefaxgerät empfangen und von dort aus dem für Eilzustellungen an den BFH zuständigen Postamt weitergeleitet. Der Telegrammbote gibt das Schriftstück sodann an den BFH weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist rechtzeitig und formgerecht begründet worden.

1. Die Revision ist schriftlich einzulegen (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Schriftform gilt auch für die Revisionsbegründung (BFH-Beschluß vom 5. November 1973 GrS 2/72, BFHE 111, 278, BStBl II 1974, 242). Schriftform bedeutet eigenhändige Unterschrift (vgl. BFH-Beschluß vom 20. Februar 1970 VI R 230/68, BFHE 98, 233, BStBl II 1970, 329). Die Schriftform soll gewährleisten, daß aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Außerdem muß feststehen, daß es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern daß es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (vgl. Beschluß des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 30. April 1979 GmS-OGB 1/78. Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1980.172 unter V: vgl. dazu auch Urteil des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 14. Februar 1978 1 ZR 154/76, NJW 1979, 233). Welche Erfordernisse im einzelnen erfüllt sein müssen, um der Schriftform zu genügen, wird in den einzelnen Verfahrensordnungen unterschiedlich beurteilt (vgl. BFHE 111, 278, BStBl II 1974, 242).

2. Trotz grundsätzlich bestehender Formstrenge hat es die Rechtsprechung schon frühzeitig anerkannt, daß es zulässig ist, ein Rechtsmittel durch Telegramm einzulegen. Eine gleichzeitige oder innerhalb der Frist abgehende briefliche Bestätigung durch den Prozeßbevollmächtigten wurde nicht verlangt. Auch die fernmündliche Aufgabe des Telegramms genügt (Beschluß des Reichsgerichts - RG - vom 28. November 1932 IV B 4/32, RGZ 139, 45, 47). Das RG erblickte in dieser Rechtsprechung "eine gewohnheitsrechtliche Rechtsfortbildung der einschlägigen Bestimmungen der ZPO". Dem folgte der Große Senat des RG für Zivilsachen im Beschluß vom 15. Mai 1936 G.S.Z. 2/36 V 62/35 (RGZ 151, 82, 86). Er sprach von einer "Ausnahme, die durch die Eigenart des telegraphischen Verkehrs bedingt" sei und die man "unter den heutigen Verhältnissen für die Abgabe prozessualer Erklärungen nicht mehr ausschließen" könne. Dem sind die Obersten Gerichtshöfe des Bundes im Ergebnis einhellig gefolgt (vgl. Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 29. April 1960 1 StR 114/60. NJW 1960.1310: Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 22. Juni 1978 7 B 107/78, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1979, 161; BFH-Beschluß vom 21. Juni 1968 III B 36/67, BFHE 92, 438, BStBl II 1968, 589; Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 19. Oktober 1977 IV RJ 31/77, Urteilssammlung für die gesetzliche Krankenversicherung - USK - 77217). Danach war es lediglich folgerichtig, daß man auch die Einlegung durch Fernschreiber als ausreichend angesehen hat (BGH-Urteil vom 28. Oktober 1965 I a ZB 11/65, NJW 1966, 1077; BSG-Urteil in USK 77217; Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 4. November 1976 Nr. 36 XIV 73, Bayerische Verwaltungsblätter - BayVBl - 1977, 251 zu § 124 Abs. 2 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat es sogar genügen lassen, wenn das Schriftstück von einem privaten Fernschreibeteilnehmer aufgenommen und durch Boten dem Gericht überbracht wird.

3. Mit der Frage, ob den Erfordernissen der Schriftform durch Übermittlung eines sog. Telebriefs (Telekopie) genügt ist, hat sich bisher - soweit ersichtlich - nur der BGH befaßt. Nach dem Beschluß vom 5. Februar 1981 - X ZB 13/80 - Bundespatentgericht - BPatG - (BGHZ 79, 314), der zu § 73 des Patentgesetzes (PatG) ergangen ist, genügt die Einlegung einer Beschwerde im Patenterteilungsverfahren durch Telekopie nicht der durch § 73 PatG vorgeschriebenen Schriftform, wenn die Telekopie einem privaten Zwischenempfänger übermittelt und von diesem durch einen Boten dem Patentamt überbracht wird. Der BGH hat ausdrücklich betont, daß der Sachverhalt keinen Anlaß biete zu entscheiden, ob allgemein die Einlegung von Rechtsmitteln mit Hilfe des Telekopieverfahrens ausnahmsweise dem Schriftformerfordernis des § 73 Abs. 2 Satz 1 PatG genüge, daß es vielmehr ausschließlich darum gehe, ob ein Rechtsmittel durch Telekopie wirksam eingelegt werden könne, wenn die zur Entgegennahme der Rechtsmittelerklärung zuständige Stelle nicht über ein Empfangsgerät verfüge, die Telekopie vielmehr einer privaten Stelle (im Beschlußfall einer Münchner Niederlassung des Einsprechenden) zugehe und von dieser durch Boten der zuständigen Stelle überbracht werde. Dieser Entscheidung kann nicht die Ansicht entnommen werden, der BGH wolle die Einlegung eines Rechtsbehelfs (Rechtsmittels) durch Telekopie strikt an die Voraussetzung binden, daß gerade die zur Entgegennahme der Erklärung zuständige Stelle über ein eigenes Empfangsgerät verfügen müsse. Den im Streitfall vorliegenden Fall, daß der Telebrief von einem Postamt fernmeldetechnisch über Fernkopierer aufgenommen und im postalischen Weg an die zur Entgegennahme der Erklärung zuständige Stelle weitergeleitet wird, hat der BGH ersichtlich nicht beurteilt.

Der erkennende Senat ist der Ansicht, daß eine Revision dann formgerecht begründet ist, wenn ein Postamt der Deutschen Bundespost das die Revisionsbegründungsschrift enthaltende Schriftstück fernmeldetechnisch über Fernkopierer aufnimmt und das Schriftstück dem Revisionsgericht auf postalischem Wege zugeleitet wird. Die Rechtsprechung hat bisher neuen technischen Übermittlungsformen durch Rechtsfortbildung weitgehend Rechnung getragen, selbst dann, wenn dadurch die Prüfung, ob das Schriftstück tatsächlich von einer bestimmten Person mit ihrem Wissen und Willen dem Gericht zugeleitet worden ist, erschwert wurde. Das zeigt insbesondere die fernmündliche Aufgabe des Telegramms; denn bei dieser Art Nachrichtenübermittlung ist es nicht sicher, ob es von dem aufgegeben wurde, dessen Name im Telegramm in Erscheinung tritt. Manipulationsmöglichkeiten sind nicht ausgeschlossen. Ähnliches gilt für die Übermittlung durch Fernschreiben. Demgegenüber gibt das Verfahren der Telekopie den Inhalt des Schriftstückes und die Unterschrift der die Revision begründenden Person einwandfrei und zuverlässig wieder, bietet also gegenüber der Übermittlung durch Telegramm oder Fernschreiber eine erhöhte Inhalts- und Unterschriftsgarantie.

III.

Da die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 97 Rdnr. 1 D mit weiteren Nachweisen), kann der Senat eine Zwischenentscheidung über die Zulässigkeit der Revision erlassen (§§ 121, 97 FGO). Die Klägerin hat auf mündliche Verhandlung nicht verzichtet. Der Senat hält es für zweckmäßig und sachdienlich, durch Vorbescheid zu erkennen (§§ 121, 90 Abs. 3 FGO).

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten (Gräber, a. a. O., § 143 Rdnr. 1).