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BFH-Urteil vom 19.8.1982 (IV R 185/80) BStBl. 1983 II S. 21

Auch wenn im außergerichtlichen Vorverfahren eine notwendige Hinzuziehung unterblieben ist, kann das FG sich nur dann auf die Aufhebung der Einspruchsentscheidung beschränken, wenn dies vom Kläger oder Beigeladenen beantragt ist oder die Voraussetzungen des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO vorliegen. Ein auf die Aufhebung der Einspruchsentscheidung beschränkter Klageantrag setzt ein besonderes rechtliches Interesse des Klägers oder Beigeladenen an der Wiederholung des Vorverfahrens voraus.

AO 1977 § 360; FGO § 44, § 100.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war als Kommanditistin an einer KG beteiligt. Diese Gesellschaft gab ihren Gewerbebetrieb zum 30. Juni 1972 auf. Zwischen der Klägerin und dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) ist streitig, in welchem Umfang ein Grundstück der Klägerin Sonderbetriebsvermögen bei ihrer Kommanditbeteiligung war und wie hoch deshalb ihr Gewinn aus Anlaß der Betriebsaufgabe ist. Nach erfolglosem Einspruch hatte die Klägerin Klage erhoben. Das Finanzgericht (FG) hat die KG zum Rechtsstreit beigeladen und anschließend die Einspruchsentscheidung des FA aufgehoben, weil die KG auch zum Einspruchsverfahren hätte hinzugezogen werden müssen. (Die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1980, 535 veröffentlicht.)

Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache; das FG durfte sich nicht auf die Aufhebung der Einspruchsentscheidung beschränken.

Der Senat braucht nicht zu der vom FG aufgeworfenen Frage Stellung zu nehmen, ob - wie die Rechtsprechung bisher angenommen hat (Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. März 1968 III B 82/67, BFHE 91, 147, BStBl II 1968, 212; vom 25. November 1970 III R 122/69, BFHE 101, 28, BStBl II 1971, 272; vom 31. Mai 1978 I R 76/76, BFHE 125, 332, BStBl II 1978, 600) - eine im Einspruchsverfahren unterlassene notwendige Hinzuziehung durch die spätere Beiladung im Verfahren vor dem FG geheilt wird oder ob sich aus § 126 der Abgabenordnung (AO 1977) ergibt, daß Verfahrensfehler im außergerichtlichen Vorverfahren nur durch Maßnahmen der Finanzverwaltung bis zur Klageerhebung behoben werden können; er braucht auch nicht zu prüfen, ob eine Verletzung des Hinzuziehungsgebotes die Nichtigkeit der Einspruchsentscheidung begründet und der Mangel schon deshalb nicht behoben werden kann oder ob der Rechtsfehler nach § 127 AO 1977 dann unbeachtlich ist, wenn in der Sache keine andere Entscheidung ergehen konnte. Auf diese die materielle Wirksamkeit der Einspruchsentscheidung betreffenden Fragen einzugehen besteht nach der Prozeßlage kein Anlaß.

Nach § 44 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist Gegenstand der Anfechtungsklage der Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat. Die Klage muß sich deshalb gegen den Verwaltungsakt richten, durch den der Kläger beschwert ist. Eine Anfechtungsklage, mit der im Hinblick auf Verfahrensfehler lediglich die Aufhebung der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf begehrt wird, ist demgegenüber nur ausnahmsweise dann möglich, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse darlegen kann, daß das FA unter Vermeidung des Verfahrensfehlers erneut über den außergerichtlichen Rechtsbehelf entscheidet (BFH-Urteil vom 18. Oktober 1972 II R 110/69, BFHE 107, 409, BStBl II 1973, 187; vgl. auch BFH-Urteil vom 7. Juli 1976 I R 66/75, BFHE 119, 368, BStBl II 1976, 680). Wendet sich der Kläger jedoch gegen den Verwaltungsakt, so kann das Gericht nicht von sich aus seine Entscheidung auf die Einspruchsentscheidung beschränken (BFH-Urteil vom 17. Januar 1963 IV 66/62 U, BFHE 76, 628, BStBl III 1963, 228); es muß vielmehr den Klageantrag ausschöpfen, der auf die Aufhebung oder Änderung des Verwaltungsakts gerichtet ist (vgl. BFH-Beschluß vom 16. Dezember 1968 GrS 3/68, BFHE 94, 436, BStBl II 1969, 192). Hiervon kann das Gericht nur abgehen, wenn es wesentliche Verfahrensmängel feststellt und eine weitere einen erheblichen Aufwand an Kosten und Zeit erfordernde Aufklärung für erforderlich hält; in diesem Fall darf das Gericht nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, ohne - wie beantragt - in der Sache selbst zu entscheiden; es kann sich unter den genannten Voraussetzungen aus sachlichen Gründen auch auf die Aufhebung der Einspruchsentscheidung beschränken.

Diese Grundsätze gelten auch, wenn das FA im Vorverfahren eine notwendige Hinzuziehung unterlassen hat. Das FG hat in diesem Fall den nicht hinzugezogenen Dritten nach § 60 Abs. 3 FGO notwendig beizuladen. Wie der Kläger, kann grundsätzlich auch der Beigeladene nicht die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung beantragen; dies ist auch ihm nur dann möglich, wenn er ein berechtigtes Interesse an einer erneuten Entscheidung des FA unter seiner Beteiligung am Vorverfahren darlegen kann; bei der Würdigung dieses Interesses kann von Bedeutung sein, ob dem Anliegen des Beigeladenen mit der Anhörung im gerichtlichen Verfahren genügt ist (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Oktober 1980 6 C 39/80, Die Öffentliche Verwaltung 1981, 178). Ohne einen solchen Antrag kann das FG die Einspruchsentscheidung auch in diesem Fall nur unter den Voraussetzungen des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO aufheben. Das gilt auch, wenn die unterlassene Hinzuziehung einen besonders schwerwiegenden Fehler i. S. von § 125 AO 1977 bedeutet und die Einspruchsentscheidung - wie das FG annimmt - deshalb nichtig sein sollte. Da das Vorverfahren erfolglos abgeschlossen war, ist die Klagevoraussetzung des § 44 Abs. 1 FGO gegeben; auch in diesem Falle bleibt es der Entscheidung des Klägers bzw. des Beigeladenen überlassen, ob sie wegen eines dargelegten besonderen rechtlichen Interesses nur die Aufhebung der Einspruchsentscheidung begehren oder den zugrunde liegenden Verwaltungsakt anfechten.

Das FG hat diese Grundsätze nicht beachtet. Weder die Klägerin noch die Beigeladene haben die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung beantragt. Ebensowenig ergibt sich aus den Feststellungen des FG, daß im Hinblick auf den Verfahrensfehler zeit- und kostenaufwendige Aufklärungsmaßnahmen erforderlich wären, die die Aufhebung der Einspruchsentscheidung von Amts wegen gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO rechtfertigen würden. Der von ihm angenommene Zustellungsmangel besteht nicht, weil die abweisende Einspruchsentscheidung nur den tatsächlich am Vorverfahren Beteiligten, nicht also der KG, zuzustellen war (§§ 366, 359 AO 1977).

 

 

 

   
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